Der größte Bankraub aller Zeiten – ein Banker gesteht

Der größte Bankraub aller Zeiten lässt sich vermutlich nicht auf Heller und Pfennig beziffern, aber eines steht fest: Es war ein von der Bank sanktionierter Inside-Job. Daran besteht nicht der geringste Zweifel. Die Täter waren eine Handvoll Devisen-Trader, die sich und ihrer Bank goldene Nasen verdienten, nachdem ihre Kollegen – die »Arschgeigen aus der Kreditabteilung« – das globale Bankensystem gegen die Wand gefahren und im Gefolge davon Zigtausende ihrer Häuser und Jobs und die Öffentlichkeit des Vertrauens in die Geldwirtschaft verlustig gegangen war. Was auch bedeutet, dass der größte Bankraub einer war, an dem sich nicht zuletzt die Bank unseres Protagonisten gesundstieß. Was diese ihm wiederum damit dankte, ihn nicht gehen zu lassen und einen erbarmungslosen Krieg gegen ihn zu führen.

Als Übersetzer freue ich mich, ein Buch in die Hand zu bekommen, in dem etwas passiert, will sagen, in dem nicht nur mehr oder weniger dröge Theorien und Thesen vorgebracht und vertieft werden, die vor allem fachlich oder sachlich Interessierte, tja, interessieren, sondern in dem es auch so etwas wie eine Handlung, einen Plot gibt, bei dem sich die Frage aufdrängt: Wie geht das wohl aus? Und wenn sich dabei eher nebenbei noch, leicht verdaulich sozusagen, ein paar Einsichten abgreifen lassen, umso besser. Und genau so ein Buch ist Das Milliardenspiel.

Das Milliardenspiel ist die Autobiographie, nein, der autobiographische Bericht, trifft es wohl besser, schließlich ist der Verfasser gerade mal 35, eines jungen Mannes, dem sich ein Traum erfüllt, der ihm zum nicht enden wollenden Alptraum wird.

Wann immer Gary Stevenson in der ärmlichen Ost-Londoner Gasse seiner Kindheit mit seinen Freunden Fußball spielte, sah er über den Lampenpfosten, die den kleinen Kickern als Tor dienten, die Spitzen der Banktürme auf Canary Wharf. Sie wurden ihm zum Inbild einer Welt, in die er wollte, und in der er sich, clever und ehrgeizig wie er war, denn schließlich auch sah. Ein junges Mathe-Genie, schaffte er es in die renommierte London School of Economics und nach einer so unorthodoxen wie faszinierenden Aufnahmeprüfung auf den Trading Floor der Citibank, deren Name einen der drei imposanten Türme am oberen Ende der Londoner Isle of Dogs ziert.

Es ist eine Erfolgsgeschichte wie aus dem Märchenbuch: Arbeiterkind mit entsprechendem Dialekt sieht er sich praktisch über Nacht unter reichen Leuten, die Banker waren, weil schon ihre Eltern reich und/oder Banker waren. Mehr oder weniger auf sich gestellt, beißt er sich als Devisenhändler auf dem Trading Floor durch, macht sich Freunde und noch mehr Feinde, hat zwei Jahre später seine erste Million und seiner Bank zig Millionen verdient.

Hatte er als Steppke für 12 Pfund die Woche Zeitungen ausgetragen und als Student für 40 Pfund am Tag Kissen in einem Sofa-Shop aufgeschüttelt, belief sich sein erster »kleiner« Bonus jenseits des ohnehin schon guten Gehalts auf 13.000 Pfund – mehr als die Hälfte dessen, was sein Vater im Jahr bei der Post bekam. Der nächste Bonus beträgt schon 400.000 Pfund und dann geht es ab in die sechsstelligen Zahlen. Er wird der profitabelste Trader der Welt. Dem Lebensstil der Branche passt er sich eher widerwillig an, da es außerhalb des Berufs praktisch kein Leben gab.

Das hört sich prosaisch an, aber die Art, wie Stevenson sein Abenteuer zu erzählen und seine Kollegen, Freunde und Feinde zu charakterisieren versteht, hat alle Qualitäten eines guten Romans. Und dass man dabei die Mechanismen des Bankensystems weniger von der Theorie her denn aus der blutigen Praxis kennenlernt, macht das doppelt interessant.

Wie auch immer, zum Problem wird dem jungen Mann, der ohnehin ein Außenseiter in dieser Welt und bei aller Cleverness und Finesse durchaus naiv ist, dass er das große Geld letztlich damit verdient, auf den Weltuntergang zu wetten, wie er selbst sagt. Als Trader Geld zu verdienen, sei »ja nun wirklich einfach. Man brauchte nur auf Katastrophen zu wetten. Auf das Ende der Wirtschaft. Auf das Ende der Welt.« Das setzt ihm denn doch so zu, dass er aussteigen möchte, aber dadurch würde er über eine Million Pfund an Boni verlieren, die zeitlich versetzt ausgezahlt wurden. Würde er kündigen, müsste er ohne sie gehen.

Es kommt zu Reibereien mit seinem Arbeitgeber, zu Intrigen, man versetzt ihn nach Tokio, schikaniert ihn, versucht ihn klein zu kriegen. Die Japan-Kapitel allein schon machen das Buch lesenswert. Aber die Geschichte wird zunehmend dramatisch. Seine Gesundheit leidet darunter. Die Beziehung zu seiner Freundin geht in die Brüche. Sein ganzes Leben gerät unter das Zeichen seines privaten Kriegs gegen die Bank.

Merkwürdig an der ganzen Geschichte ist, dass er bei aller Intelligenz und scharfsichtigen Einblicken in die Branche und seine Kollegen nie so recht darauf zu sprechen kommt, warum ihn das alles so mitnimmt, warum ihm das alles passiert. Und es passiert ja so einiges. Aber letztlich meint man fast, Estragon – oder Wladimir – vor sich zu haben, die ebenfalls keinen Plan haben, was zum Teufel oder wie ihnen da geschieht …

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»Von Bernhard Schmid geschmeidig übersetzt, liest sich Bob Dylan und Amerika so unterhaltsam, gelehrt und elegant wie im mittlerweile zum kanonischen Werk avancierten Original.«

– FAZ, 4.3.2013


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