SlangGuy's Blog ...

Das »sozia­le Netz« im Netz der Netze

Es gibt Din­ge, die mir als Über­set­zer mehr auf den Zahn gehen als ande­re. Selbst­ver­ständ­lich. Wenn es auf der deut­schen MySpace-Site „als Freund adden“ heißt oder in irgend­wel­chen Foren davon gefa­selt wird, eine bestimm­te Hal­tung nicht zu „sup­port­en“, ist mir das wurscht. Nie­mand wird von mir als Über­set­zer ver­lan­gen, die­se „Über­set­zun­gen“ zu über­neh­men, wenn da nicht jemand spricht, der – na ja, eben so spricht.
Als mir das Lek­to­rat, ich erin­ne­re mich noch genau, das ers­te mal „rea­li­ze“ mit „rea­li­sie­ren“ ver­schmiert hat, aller­dings sah ich rot. Und das nicht nur, weil es ein Text war, in dem der Erzäh­ler eben noch gesagt hat­te, wie ihm die Yup­pies mit ihrer Spra­che auf den Geist gehen. Ich konn­te gera­de­zu spü­ren, wie stolz die Lek­to­rin war, ihren moder­nen Wort­schatz da unter­zu­brin­gen, scheiß drauf, in wel­chem Kon­text und wer da spricht! Das Pro­blem ist, dass sprach­li­che Dilet­tan­ten einen nach und nach zwin­gen, nicht nur wie ein Son­der­schü­ler zu par­lie­ren, son­dern eben in die­ser Art auch dann zu über­set­zen, wenn es nicht gefragt ist. Wenn ich „es macht kei­nen Unter­schied“ höre, bekom­me ich heu­te noch einen Hals.
Nun, eine ande­re Unsit­te, bei der ich zusam­men­zu­cke, ist die, „social“ unter­schieds­los mit „sozi­al“ ins Deut­sche zu zer­ren, auch wenn es abso­lut nichts mit dem zu tun hat, was man im Deut­schen gemein­hin unter „sozi­al“ versteht.

Bei »social secu­ri­ty, egal ob nun sozia­le Sicher­heit, Sozi­al­ver­si­che­rung oder Sozi­al­hil­fe gemeint ist, hat sozi­al sei­nen Sinn…

… in einer Wen­dung wie „to know someone soci­al­ly“ jedoch, trifft auch nicht eine der fünf Defi­ni­tio­nen von „sozi­al“ aus dem Duden zu:

sozi­al <Adj.> [frz. social < lat. socia­lis = gesell­schaft­lich (1); gesel­lig, zu: soci­us, Sozius]:
1. a) das (gere­gel­te) Zusam­men­le­ben der Men­schen in Staat u. Gesell­schaft betref­fend; auf die mensch­li­che Gemein­schaft bezo­gen, zu ihr gehörend
b) die Gesell­schaft u. bes. ihre öko­no­mi­sche u. poli­ti­sche Struk­tur betreffend
c) die Zuge­hö­rig­keit des Men­schen zu einer der ver­schie­de­nen Grup­pen inner­halb der Gesell­schaft betreffend
d) dem Gemein­wohl, der All­ge­mein­heit die­nend; die mensch­li­chen Bezie­hun­gen in der Gemein­schaft regelnd u. för­dernd u. den [wirt­schaft­lich] Schwä­che­ren schützend
2. (von Tie­ren) gesel­lig, nicht ein­zeln lebend; Staa­ten bildend

© 2000 Dudenverlag

Janet Leigh mein­te mal bei Lar­ry King Live in Bezug auf ihre Zusam­men­ar­beit mit Frank Sina­tra: „I think if I had not known him soci­al­ly befo­re, it pro­ba­b­ly would have been inti­mi­da­ting, yes, but becau­se I did know him…“ Sie hat ihn nicht „sozi­al“ gekannt, Herr­gott noch­mal, son­dern eben „pri­vat“, und ich habe mir das sei­ner­zeit notiert, weil sofort danach eine ganz ent­schei­den­de Bemer­kung folg­te: „And so, when I star­ted to work with him, I was­n’t sure exact­ly what was going to hap­pen professionally.“
Von sol­chen Zita­ten träu­men mei­ne Daten­ban­ken. Das Gegen­satz­paar, das sich hier kris­tal­li­siert, heißt „soci­al­ly“ und „pro­fes­sio­nal­ly“. Und das ent­spricht im Deut­schen eben nicht „sozi­al“ und „beruf­lich“. Das wäre kein Gegen­satz, son­dern schlich­ter Unfug.
Die­ses „social“ steckt auch hin­ter den „social net­works“ im Web. Es sind Foren, auf denen man sich in ers­ter Linie pri­vat trifft; dass vie­le sich dort beruf­lich prä­sen­tie­ren & dass sich dort geschäft­li­che Kon­tak­te erge­ben, steht auf einem ande­ren Blatt.
Twit­ter, um mal eines die­ser Gebil­de zu nen­nen, ist kein „sozia­les Netz­werk“; es hat nichts mit irgend­et­was zu tun, was wir im Deut­schen „sozi­al“ bezeich­nen wür­den, schon gar nicht mit dem „sozia­len Netz“, aber eben auch nicht mit „sozia­ler Markt­wirt­schaft“, „Sozi­al­hil­fe“, „sozia­lem Auf­stieg“ und so wei­ter und so fort.
Das Pro­blem bei sol­chen „wört­li­chen“ (das sind sie ja nicht wirk­lich) Über­set­zun­gen sol­cher „fal­schen Freun­de“ ist, dass die Bedeu­tung des Wor­tes erst ein­mal auf­ge­ho­ben wird, bis das ver­ge­wal­tig­te deut­sche Wort die Bedeu­tung des ver­meint­li­chen eng­li­schen Pen­dants mit übernimmt.
Das ande­re Pro­blem ist natür­lich die rich­ti­ge Über­set­zung. Die­se ist nicht immer ein­fach. Gera­de in die­sem Fall, wo man noch nicht ein­mal auf die Hil­fe eines Wör­ter­buchs zurück­grei­fen kann. Da müss­te man mal überlegen…

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