Ein fal­sches Weib und ein ver­lo­ge­ner Kerl

In der E‑Mail eines Freun­des hieß es heu­te Mor­gen, in einem Leser­brief an die Ber­li­ner Zei­tung wol­le jemand dahin­ter gekom­men sein, war­um Bun­des­prä­si­dent Köh­ler sich zum Abschied aus­ge­rech­net den »St. Lou­is Blues« gewünscht haben könn­te – weil in einer Ver­si­on des Tex­tes sich fol­gen­de Zei­len fän­den: »Da sind zwei, die ich nicht aus­te­hen kann, eine Frau mit zwei Gesich­tern und ein ver­lo­ge­ner Mann. Also ver­las­se ich die Stadt.«

Ich habe den Leser­brief nicht auf die Schnel­le gefun­den, aber dafür – ist schließ­lich mein Spe­zi­al­ge­biet – den Text. Es han­delt sich natür­lich um die Fas­sung von Cab Cal­lo­way, der sich buch­stäb­lich sei­nen eige­nen Reim auf die  Melo­die gemacht hat.

Köh­ler mal bei­sei­te las­send, habe ich mit dem Leser­brief das­sel­be Pro­blem wie mit der Anspie­lung auf die Urfas­sung des »St. Lou­is Blues« in der FAZ, wo es hieß »Ich has­se es, die Abend­son­ne unter­ge­hen zu sehen.« Ich mei­ne Pro­ble­me mit der Über­set­zung. Oder genau­er: mit der Ner­vigkeit all­zu wört­li­cher Über­set­zun­gen! Gang und gäbe und stil­prä­gend wie sie lei­der nun mal seit den 80er-Jah­ren sind.1 Eben­so hart­hö­rig wie unheil­bar hip, schwätzt das deut­sche Jung­volk jede sprach­li­che Klo­big­keit aus den Syn­chron­fas­sun­gen ame­ri­ka­ni­scher Fil­me nach. Bis der Arzt kommt. Frü­her, Herr­gott­noch­mal, gab’s so was gera­de mal im Schrei­ben vom Amt! Der Gedan­ke, dass jemand »die Son­ne nicht gern unter­ge­hen sieht«, soll­te sich doch wohl nicht nur auf Amts­deutsch for­mu­lie­ren lassen.

Aber zurück zur Poli­tik. Falls Köh­ler sich tat­säch­lich aus dem genann­ten Grund für den »St. Lou­is Blues« ent­schie­den haben soll­te, steht dann sei­ne Ent­schei­dung auch für den Rest von Cab Cal­lo­ways Zei­len? Wo doch noch nicht fest­steht, ob er in Ber­lin blei­ben will. Geht er jetzt nach Chi­ca­go, um sich die Nudel mal wie­der so rich­tig durch­wal­ken zu las­sen, die in Ber­lin Schim­mel ange­setzt hat? Immer­hin heißt es bei Cal­lo­way:

I’m goin’ way back to Chi­ca­go to have my ham­bo­ne boiled;
Becau­se the­se women in New York City let my good ham­bo­ne spoil.

Und wenn Sie jetzt mit dem Über­set­zen anfan­gen, pro­bie­ren Sie’s mal mit Gemüt­lich­keit, falls Ihnen die­se Anspie­lung auf eine ande­re genia­le Jazz­num­mer – die­se mit einem groß­ar­ti­gen deut­schen Text – etwas sagt.

I’m goin’ way back to Chi­ca­go to have my ham­bo­ne boiled;
Becau­se the­se women in New York City let my good ham­bo­ne spoil.
  1. Seit dem Auf­kom­men des Pri­vat­fern­se­hens []
SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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  • Stimme Ihnen gern zu, was "ich hasse es, die Abendsonne untergehen zu sehen" anbelangt. Das ist grauenhaftes Deutsch. Aber wie würden Sie es denn machen. Und am Schluss lassen Sie uns ganz im Stich: Nudel ?Hambone?
    Mfg
    Karl Duden

  • »Have one's hambone boiled" ist einfach eine der zahllosen Küchenmetaphern, die im Blues für Sex stehen. Und die »Nudel«...
    Was das Übersetzen angeht, haben Sie natürlich Recht: Wirklich machen ist schwieriger, als zu kritisieren.
    Haben Sie die Melodie im Kopf? h-d-d-g dis-e-g-b-a-g
    Und jetzt stellen Sie sich den Wolfgang Ambros vor (mit einer Entschuldigung an ihn):

    »I sieg's net gern, wann d'Sunna untergäht"
    (dt.: Ich seh's nicht gern, wenn sich die Sonne senkt)

  • Sie sind mutig. Und nicht ohne Humor. Ich bin des Wiener Slangs ja nicht mächtig, aber nachdem ich jetzt seit Stunden Ihre Version vor mich hin summe, das hat was. Könnte es sein, dass ich zu verstehen beginne, was 'übersetzen' heißt? Und ich werde meinen Kindern das Dschungelbuch mitbringen. Vielleicht nehme ich mir gleich eine Ambros-CD mit. Oder schlagen Sie mir doch eine vor.
    MfG
    Karl Duden

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