Wir haben das ja in der Schule gelernt, in Geographie, wie ich mich erinnere: Entwicklungshilfe ist gut.1 Die bringt ungemein was für die armen Unterentwickelten dieser Welt. Und dann kam als Beispiel Rourkela, das deutsche Stahlwerk in Indien aus den 1950er-Jahren. Den halben Urwald haben sie dafür abgeholzt. Super. Stadtplanung auf dem Reißbrett. Drei Dutzend Dörfer umgesiedelt. Beeindruckend, sicher, aber das war irgendwie wohl auch die Kolonialisierung der halben Welt durch eine kleine Nordseeinsel, Herrgottnochmal. Ich spreche von meinem Erdkundeunterricht in den 1960ern. Und da es auch damals schon Kritik an der Entwicklungshilfe gab, brachten wir die natürlich auch vor. Was der junge Studienreferendar, ich erinnere mich noch, nicht gelten ließ oder erst gar nicht verstand. Nicht dass unsereins groß was verstanden hätte. Aber ich erinnere mich noch an die Ansicht, ob man all diese Länder nach all den Jahren kolonialer Abhängigkeit nicht einfach endlich in Ruhe lassen sollte. Lernt man das heute auch noch so ungebrochen?
James Grentons E‑Book-Thriller Die Somalia-Doktrin wirft dabei weniger die Frage nach dem Sinn von Entwicklungshilfe an sich auf. Er geht vor allem der Frage nach, ob die Organisationen, die sie vor Ort leisten, dafür auch tatsächlich geeignet sind.
Ich darf aus dem lesenswerten Nachwort des Autors zitieren:
Zuallererst sollte die massive Zunahme von NROs, die in Entwicklungsländern praktisch ohne Rechenschaftspflicht tätig sind, ernsthafter Anlass zur Sorge sein. Die Jahresbudgets einiger der weltweit größten NROs belaufen sich auf mehrere hundert Millionen Dollar, teils gar auf Milliarden. Ihre Basis bilden hunderttausende von Einzelpersonen mit Spenden zwischen zwei Dollar und mehreren Millionen. Nur hat die Öffentlichkeit keine Vorstellung davon, wie effizient diese NROs geführt werden. Was wir für unsere Spenden bekommen, sind Hochglanzbroschüren, TV-Appelle, Reklamewände und Marketingmaterial voll ans Herz greifender Fotos und Geschichten, die oft genug wenig mit der Realität gescheiterter Projekte und vor Ort zweckentfremdeter Mittel zu tun haben. Um staatliche Hilfe ist es da nicht besser bestellt, solange korrupte Regierungen Millionen abzweigen können und die positive Wirkung weitgehend ausbleibt.
Und was, wenn bei einer solchen Hilfsorganisation denn tatsächlich mal Kriminelle oder gar Wahnsinnige das Ruder übernehmen? Was, wenn diese Leute einen Plan aushecken, ganz Afrika noch einmal zu kolonialisieren. Bei allem Wahnsinn, aller Geldgier natürlich auch mit dem menschenfreundlichen Gedanken, dass das für Afrika die beste Lösung wäre. Schließlich ist dieser Kontinent so offensichtlich nicht in der Lage, sich selbst zu regieren.
Und wenn man das so liest, Fiktion hin oder her, dann gibt einem das durchaus zu denken….
Und man kann, wenn einem nach der kurzweiligen Lektüre tatsächlich nach Vertiefung des Themas, nach Meinungsbildung sein sollte, das Thema gleich vertiefen. Gleich per Kindle lassen sich, um bei unserem Beispiel zu bleiben, einschlägige Karten aufrufen. Dass Somalia und Somaliland zwei verschiedene Gebilde sind, letzteres überall herzlich abwertend als »abtrünnige Republik Somaliland« bezeichnet, ist doch schon mal etwas, was man mit nach Hause nehmen kann. Dass man hier demokratische Wahlen abgehalten. Dass das von brutalen Kriegsherren zersetzte Somalia mit einiger Vehemenz auf die Wiedervereinigung drängt.
Aber eben auch die grundsätzliche Frage nach Sinn und Unsinn der Entwicklungshilfe ließe sich bequem vertiefen. Nicht zuletzt weil der Autor, der übrigens fünfzehn Jahre einschlägig tätig war, hinten eine Reihe erstklassiger Bücher zum Thema anführt.
Mal ehrlich, für knapp drei Euro ist das nicht die schlechteste Einführung in ein Gebiet, die mir untergekommen ist. Da fand ich unsere Erdkundestunde in den Sixties weitaus weniger kompetent und bei weitem nicht so spannend…
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