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Mark Twa­in, Kolo­ni­al­gräu­el & Isla­mi­scher Staat

Die eben­so all­ge­gen­wär­ti­ge wie gerecht­fer­tig­te Ver­teu­fe­lung mord­lus­ti­ger isla­mis­ti­scher Schwach­köp­fe nah­öst­li­cher Pro­ve­ni­enz im ach so huma­nen Abend­land – sprich Wes­ten – lässt uns immer wie­der gern ver­ges­sen, dass »wir« auch nicht bes­ser sind. Okay, von mir aus, nicht bes­ser waren. Ich möch­te hier kei­nem auf den gera­de jetzt mora­lisch frisch gestärk­ten Schlips tre­ten. Und weil die Nazi-Kis­te nun wirk­lich zu wohl­feil & abge­nu­delt ist & Ser­ben & Kroa­ten gera­de in Slas­her­fil­men abge­han­delt wer­den, gehen wir mal gut 100 Jah­re zurück bei unse­rem Blick auf das blut­rüns­ti­ge Abendland…

Wir befin­den uns zur Zeit der vor­letz­ten Jahr­hun­dert­wen­de. Das berühm­te Fin de siè­cle ist in vol­ler Blü­te, Jugend­stil, Art nou­veau Sezes­si­ons­stil, wie immer man es nen­nen will & mag, brin­gen zeit­los Schö­nes her­vor. Und lite­ra­risch… Aber genug der Lob­hu­de­lei. Was ging zu die­ser Zeit sonst noch so ab? Ganz ein­fach: Holen Sie ein­fach mal Ihren Gro­ßen Ploetz aus dem Regal.

In Süd­afri­ka mach­ten die Bri­ten die Buren nie­der, die da schon 250 Jah­re zuhau­se waren. Und die Bri­ten gin­gen mit ent­setz­li­cher Bru­ta­li­tät zuwer­ke. Und sie mögen heu­te noch im Clinch mit den Nazis lie­gen und dabei schep­pernd auf den lee­ren (= hoh­len) Topf ihres Gre­at Bri­tain klop­fen wie gera­de jüngst wie­der, als es um die schot­ti­sche Schnaps‑, par­don, Whis­key­idee der Abspal­tung ging, sie haben damals das Kon­zept der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger erfun­den. Ja, die Bri­ten sind die Erfin­der des infa­men KZs. Nicht dass wir oder das dama­li­ge jun­ge Deut­sche Reich bes­ser waren. So gehör­ten wir – mit Frank­reich, Ita­li­en, Öster­reich-Ungarn, Japan, Russ­land, den Ame­ri­ka­nern und, natür­lich, den Bri­ten – zu den »Ver­ei­nig­ten acht Staa­ten«, die in Chi­na – in Chris­ti Namen letzt­lich – die »Boxer« nie­der­met­zel­ten, um ein »offe­nes« Chi­na zu schaf­fen, was fatal an unse­re heu­ti­ge schö­ne neue Frei­han­delswelt erin­nern mag. Einer die­ser acht Staa­ten, die USA waren auf den Phil­ip­pi­nen mit der Ermor­dung der Ein­ge­bo­re­nen beschäf­tigt, ein Ver­nich­tungs­krieg, in dem übri­gens der Grund­stein zum moder­nen Über­wa­chungs­staat ame­ri­ka­ni­scher Prä­gung gelegt wur­de. Lesen Sie das mal in Alfred W. McCoys Mam­mut­werk Poli­cing America’s Empire: The United Sta­tes, the Phili­pi­nes, and the Rise of the Sur­veil­lan­ce Sta­te nach. Und um wie­der auf Mit­tel­eu­ro­pa zu kom­men: Leo­pold II., sei­nes Zei­chens König von Bel­gi­en, ein Schläch­ter, gegen den sich selbst Hit­ler wie ein Wai­sen­kna­be aus­neh­men muss, ließ im Kon­go sage und schrei­be zehn Mill­lio­nen Ein­ge­bo­re­ne ver­stüm­meln & mas­sa­krie­ren. Und das ganz ohne Hit­lers »heh­re« Moti­ve allein um des schnö­den Mam­mons in Form von Elfen­bein und Kau­tschuk willen.

All das waren Vor­gän­ge, die einem Mark Twa­in ganz arg auf­stie­ßen. Der Mann, der bei uns vor allem durch zwei gemüt­li­che Klas­si­ker der Jugend­li­te­ra­tur und viel­leicht auch noch durch sei­ne nicht weni­ger gemüt­li­che Bum­me­lei als Tramp in Euro­pa als Rei­se­li­te­rat bekannt ist, war nicht nur ein lite­ra­ri­scher son­dern auch ein mora­li­scher Rie­se. Oder bes­ser noch, ein mora­li­scher Fels in der oben geschil­der­ten men­schen­ver­ach­ten­den Bran­dung. Hat­te er eben noch in dem Arti­kel »Selbst­ge­spräch des Zaren« (1905) den rus­si­schen Zaren sati­risch sei­ner kai­ser­li­chen Klei­der ent­le­digt, nahm er sich noch im sel­ben Jahr in einem klei­nen Büchl mit dem Titel »Selbst­ge­spräch König Leo­polds« des begi­schen Schläch­ters an.

Mit all der Schär­fe sei­ner über­mäch­ti­gen Intel­li­genz und sei­nes gna­den­lo­sen Wit­zes lässt er Leo­pold II. zur Recht­fer­ti­gung sei­ner Gräu­el im Kon­go im Selbst­ge­spräch vor sich hin sin­nie­ren. War der Mono­log des Zaren eine Sati­re auf den rus­si­schen Impe­ria­lis­mus – ist da nicht gra­de wie­der so eine Nase zugan­ge? –, so galt dito für den Mono­log des Königs aus Bel­gi­en, des­sen Kon­ter­fei wir heu­te noch von Brief­mar­ken her ken­nen – oder vom präch­ti­gen Brüs­se­ler Jus­tiz­pa­last, den er mit sei­nem Gum­mi­geld hat hin­stel­len las­sen. Ein Hohn an sich, bedenkt man, woher das Geld dafür kam.

Nicht nur ließ Leo­pold für sein Gum­mi­geld mil­lio­nen­fach mor­den, er führ­te auch die Unsit­te ein, armen Schwei­nen, die ihm nicht genü­gend Gum­mi sam­mel­ten, eine Hand abzu­schla­gen. Das fällt so pau­schal wie groß­zü­gig mit unter den Begriff »Miss­hand­lung«, der in die­sem Kon­text gern und oft fällt.

Ich habe kei­ne Ahnung, was Twa­in über das Inter­net und You­Tube gesagt oder ob er für sei­ne Ent­hül­lun­gen Wiki­leaks genutzt hät­te, jeden­falls ließ er es sich nicht neh­men, sein Büchl über Leo­polds Gräu­el expli­zit zu bebil­dern. Ent­spre­chend war sein Werk auch nicht für den Kon­su­men­ten der dama­li­gen Maga­zi­ne für die lesen­de Intel­li­genz geeig­net, wes­halb denn auch besag­tes Büchl zustan­de kam. Für das er übri­gens kein Hono­rar haben woll­te; die Ein­künf­te gin­gen an ein­schlä­gi­ge Hilfs­or­ga­nis­tio­nen. Außer­dem wur­de es zu Tau­sen­den umsonst verteilt.

Aber genug der Nost­al­gie, heu­ti­ge Heu­schre­cken-Fonds – und damit alle, die ihr Geld in so was anle­gen – sind so schlimm wie Leo­pold, da sie für die Ver­wüs­tung gan­zer Land­stri­che in Afri­ka sor­gen. Und das Fol­tern von Asyl­be­wer­bern durch deut­sches Sicher­heits­ge­s­in­del ist auch nicht besser.

Und apro­pos lesen­de Intel­li­genz. Die Tat­sa­che, dass deut­sche Ver­la­ge »ihre« Über­set­zer bru­tal in die Stein­zeit zurück­ho­no­rie­ren? Wenn ich heu­te noch nicht mal das für mei­ne Arbeit bekom­me, was ich in den 80er-Jah­ren bekom­men habe – was damals schon als Hun­ger­lohn galt? Da mögen deut­sche Ver­le­ger noch so enga­giert das Maul auf­reißen, bes­ser als Hän­de abschla­gen ist Ver­hun­gern­las­sen auch nicht. Natür­lich geht das alles im Stil­len und nicht mit abge­schla­ge­nen Köp­fen wie bei IS von­stat­ten, aber macht sich da kei­ner was vor: Es ist nicht weni­ger bru­tal. Huma­ner als Hän­de­ab­schla­gen? Da war von die­sen Leu­ten die letz­ten drei­ßig Jah­re kei­ner mehr ein­kau­fen. Es ist die Absicht, die zählt – sich zusam­men­zu­set­zen und zu über­le­gen, wie man den Über­set­zer nach dem Mot­to »Friss oder stirb« in die Knie zwin­gen kann. Und macht sich da ja mal kei­ner Illu­sio­nen dar­über, was er mor­gen tun wird, um sei­nen Job zu behal­ten. Da kann er noch so oft den Klap­pen­text von Con­rads Heart of Dark­ness nach­be­ten, weil er ja so gebil­det ist, kapiert hat er so ein Stück Lite­ra­tur nicht. Viel­leicht hilft ein Blick in Twa­ins Buch.

*

King Leopold’s soli­lo­quy; a defen­se of his Con­go rule
by Twa­in, Mark, 1835–1910
Published 1905
Topics Léo­pold II, King of the Bel­gi­ans, 1835–1909, Zaire

 

SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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