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Die Übersetzung eines Textes vom Anfang des vorigen Jahrhunderts brachte mich dieser Tage wieder mal dazu, in vergilbten alten Schätzen zu blättern. Was heute digital recht einfach – sprich gottseisgedankt ohne nervige Bibliotheksgänge, Ausleihen & Geruchsbelästigung – machbar ist. So las ich unter anderen in ein Büchl aus dem Jahre 1810 rein. Das ist von einem gewissen E.A.W. von Zimmermann und trägt den schönen Titel Die Erde und ihre Bewohner nach den neuesten Entdeckungen: Ein Lesebuch für Geographie, Völkerkunde, Produktenlehre und den Handel. Erster Theil. Guinea. Erschienen ist es in »Leipzig bei Gerhard Fleischer dem Jüngern«. Da heißt es in der Einleitung:
Jahrtausende flohen, bevor der Mensch um sich zu sehen verstand. Er kannte weder seine Heimat, die Erde, noch ihre Erzeugnisse, am wenigsten aber sein eigenes Geschlecht. Sein Horizont hielt wenige Spannen. Dem frühesten Volksverein lenkten Noth und Gefahr das Auge zur Erde. Erhaltung und Sicherheit vor reißenden Thieren, oder vor einzeln schwärmenden Räubern, diese waren die großen, zunächst stehenden Bedürfnisse.1 | ||
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Mal abgesehen von den stilistischen Eigenheiten, die mich das »Büchl« schon mal zur fürderen Verwendung als Template ins entsprechende Verzeichnis haben ziehen lassen, springt einen die Aktualität des über 200 Jahre alten Textes an. Oder wenigstens der Bezug zu unserer heutigen Zeit. Ich spreche von Brexit & Trump. Und die Kritik hierzulande sowohl am britischen wie amerikanischen Phänomen sollte niemanden zu irgendwelchen Illusionen verleiten: Briten wie Amerikaner haben gewählt; sie wollen, was da passiert ist bzw. was derzeit passiert. Nämlich dass das Volk seinen Horizont um seiner Erhaltung und Sicherheit vor reißenden Thieren oder einzeln schmwärmenden Räubern willen seinen Horizont auf wenige Spannen beschränkt.
Der zweite Grund, aus dem mir die Passage auffiel, war die Lektüre eines Artikels im Handelsblatt von Peter Sloterdijk mit dem Titel »Der weite Weg zu Weltgesellschaft«. Nicht nur weil ich da – wie in dem alten Text – alles dreimal lesen musste, um es zu verstehen. Nein, weil Sloterdijks praktisch als hochgelehrte Improvisation auf den oben zitierten Abschnitt zu sehen ist. Freilich gerät bei Sloterdijk der »Volksverein« zur »psychosemantische[n] Konstruktion des ›Volkes‹ als Population eines Nationalstaates«, die aber immerhin »immer schon die organisierte kollektive Regression voraus[setzte]«.
… Regression, wenn ich mal darüber improvisieren darf, in die Illusion, dass gerade in der heutigen Zeit die Beschränkung des Horizonts auf wenige Spannen uns retten wird vor den Feindbildern, die da multimedial aufgeschäumt wurden. Aber die reißenden Thiere, vor denen wir da mit vollen Hosen die Türen zuschlagen sollen, sind mitnichten ISIS oder überhaupt Terror irgendwelcher – politischer wie religiöser – Art, die sind nur Symptome, Folgen, Äußerungen des eigentlichen Übels, nämlich der Verselbstständigung unserer Gier, die »das Geld« zum Einzigen hat werden lassen, vor dem man heute niederknien & beten darf. Die reißenden Thiere sind Rendite & Dividende, die sich seit den 1980ern Jahren zu völlig eigenen, vom Wohlbefinden von »Wirtschaft« & »Volk« losgelösten Monstern entwickelt haben, die uns früher oder später alle auffressen werden. Und da kann man Türen & Grenzen zuknallen bis zur Taubheit, Rendite & Dividende kennen keine Grenzen, die gehen durch Türen ebenso gespenstisch wie durch Mauern zu Mexiko. Und wenn dann eine kritische Masse von Mitmenschen, die sich von Schaumschlägern wie Trump oder Farage den Ballon von der Selbsthilfe in splendid isolation haben aufblasen lassen, ausgerechnet die Vertreter, die Sprecher, die Statthalter, die unsichtbaren Lenker dieser Monster zu ihren Vertretern wählen.…
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Falls Sie das jetzt gelesen haben, mag es fast absurd erscheinen, wenn ich hier eine Werbung für einen anderen von mir übersetzten Titel nachschiebe, gerade wegen des provozierenden Titels, aber Robert Reich, seines Zeichens Professor und ehedem Arbeitsminister unter Bill Clinton, versucht sich an Vorschlägen zu einer Kehrtwende oder wenigstens an einer Linderung des Problems.Vor allem aber zeigt er – verständlich & völlig unprätentiös – einige der ebenso unsichtbaren wie in ihrer Automatisiertheit brutalen Mechanismen auf, die uns in die derzeitige Bredouille geführt haben. Schauen Sie ruhig mal rein.
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