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Über­set­zen in der frei­en Wildbahn…

Haben Sie nicht auch so ’n biss­chen Angst vor all den Kame­ras, denen Sie sich auf ihrem Weg durch die Stadt so prä­sen­tie­ren? Ohne es über­haupt zu mer­ken? Was soll’s, solan­ge man nichts anstellt, den­ken Sie sich, wenn über­haupt. Sta­tis­tisch, denk ich mal, gehö­ren Sie ohne­hin zu denen, die sich mit dem Han­dy vor der Nase durch die Stadt navi­gie­ren und denen der Rest der Welt schnurz zu sein scheint. Oder falls Sie in Ihrer Auf­merk­sam­keits­not­durft nach Ihren »Likes« auf Face­book gucken, füh­len Sie sich womög­lich ja sogar durch­aus geschmei­chelt, vor der Kame­ra zu ste­hen. Aber was, wenn die­se nun auch bald in Sie reinschauen?

Was das mit dem Über­set­zen zu tun hat, fra­gen Sie? Nun, eine klei­ne Seuf­zer­brü­cke gäbe es da schon, zumin­dest ist mir eine auf­ge­fal­len, auf der ich jetzt steh. Ich muss­te mich da im Rah­men mei­ner Arbeit über ein von der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on geför­der­tes For­schungs­pro­jekt schlau machen. Die­ses nennt sich SEWA und das wie­der­um steht für »Auto­ma­tic Sen­ti­ment Ana­ly­sis in the Wild«. Und da ich bei »in the wild« erst mal an besag­te »freie Wild­bahn« den­ke, an Tie­re »in Frei­heit« und, wenn schon nicht gleich an »die Wild­nis« (schließ­lich fall ich als Pro­fi auf fal­sche Freun­de längst nicht mehr rein), so doch an die »freie Natur«. Aber wenn man sich das dann anschaut, so hat das gan­ze mit Natur und Vie­chern herz­lich wenig, son­dern aus­schließ­lich mit uns nack­ten Affen zu tun. Es geht näm­lich um die Ent­wick­lung von Metho­den, Model­len & Algo­rith­men zum maschi­nel­len Erken­nen von mimi­schem, stimm­li­chem und ver­ba­lem Ver­hal­ten. Für Sie und mich: Es geht dar­um, Com­pu­tern bei­zu­brin­gen, auch in Sie rein­schau­en zu kön­nen. Letzt­lich zunächst mal mit dem Ziel, an Ihrer jewei­li­gen Befind­lich­keit able­sen zu kön­nen, wonach dem Käu­fer in Ihnen gera­de so ist. Was Ihnen, falls Sie zu den »Han­dyl­e­sern« gehö­ren, ver­mut­lich auch egal, wenn nicht gar lieb ist, weil Sie eh rum­lau­fen, als hät­te Ihnen ein Waren­haus gra­de den Sai­son­ka­ta­log über den Kopf gekippt. Und Sie sich dabei auch noch als das heu­te so viel­be­müh­te Indi­vi­du­um füh­len. (Wie geht das eigent­lich bei gra­de mal einem hal­ben Dut­zend Iden­ti­tä­ten, die man Ihnen heu­te noch erlaubt? Aber sei’s drum…)

Als Über­set­zer hät­te mich schon im Namen der Käu­fer des best­sel­ler­träch­ti­gen Schin­kens inter­es­siert, den ich gra­de ins Deut­sche zer­re. Aber sie­he da: die Euro­päi­sche Kom­mis­si­on scheint gar nicht so scharf dar­auf, dem deut­schen Steu­er­zah­ler auf die Nase zu bin­den, wofür sein Geld in Form von Zuschüs­sen unter die For­scher bringt. (Falls ich im Eifer des Gefechts nur die deut­sche Ver­si­on der Sei­te nicht gefun­den habe, bit­te, beleh­ren Sie mich unten in einem Kom­men­tar.) Immer­hin fin­det ein Gut­teil die­ser For­schung an der Pas­sau­er Uni statt, wo man tat­säch­lich auch für den deut­schen Inter­es­sier­ten les­bar sagt, worum’s geht: »SEWA — Com­pu­ter ler­nen Gefüh­le erken­nen«. Und hier fin­de ich denn auch, wonach ich gesucht habe, eine mehr oder weni­ger »offi­zi­el­le« Über­set­zung des Pro­jekt­na­mens: »SEWA«, so heißt es da, »steht für ›Auto­ma­tic Sen­ti­ment Ana­ly­sis in the Wild‹ — was über­setzt so viel bedeu­tet wie auto­ma­ti­sche Ver­hal­tens­ana­ly­se im All­tag.« Den Über­set­zer in mir freut das natür­lich erst mal, nicht nur weil er was gefun­den hat, son­dern weil hier Sinn über­setzt und wur­de und nicht blo­ße Wör­ter. Der Pro­fes­sor weiß ja, wovon er spricht. Aber dem Indi­vi­du­um in mir, oder von mir aus: dem alten Grantl­hu­ber in mir, der nichts zu tun haben möch­te mit den geschnie­gel­ten Opfern ziel­ge­rich­te­ter Wer­bung rund­um, wird emo­tio­nell ganz grau bei dem, was das bedeu­tet: »Die Maschi­nen sol­len also die Men­schen und ihre Reak­tio­nen in ihrer natür­li­chen Umge­bung ver­ste­hen lernen.«

Die Kon­se­quen­zen die­ser For­schung wer­den im Augen­blick viel­leicht nur den hoch­gra­di­gen Para­noi­kern unter uns – den Leu­ten mit dem Sta­niol­helm auf der Omme – so rich­tig klar. Für die betei­lig­ten For­scher aber soll­te doch auf der Hand lie­gen, was sie da tun. Ich fra­ge mich, wie lan­ge es dau­ert, bis die­se Leu­te sich bei der Stadt­ver­wal­tung mel­den, ob sie nicht die vie­len Vide­os von ihren Bür­gern haben kön­ne, die da ahnungs­los durch die Stadt lau­fen. Da könn­te man doch super »in the wild« aus­pro­bie­ren, was man mit bezahl­ten Ver­suchs­per­so­nen im Labor erar­bei­tet hat. Dage­gen sind dann die Face­book-Expe­ri­men­te ein Kin­der­ge­burts­tag und Cam­bridge Ana­ly­ti­ca & Kon­sor­ten kön­nen so rich­tig an die Arbeit gehen…

Aber zurück zum The­ma Über­set­zen: Kann es sein, dass da jemand den Tier­ver­such an sei­nen Mit­men­schen mit einem Euphe­mis­mus zu kaschie­ren versucht?

Bei dem Bei­trags­bild mit den ver­bis­se­nen Schwim­mern oben han­delt es sich um eine Col­la­ge von Win­s­ton Kel­ley. Der nicht nur inter­es­san­te Kunst macht, son­dern auch ein amü­san­tes Büchl über Ame­ri­ka­ner in Fran­ken geschrie­ben hat …

SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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