als Euro­pä­er und Anglo­phi­ler – ich bin mit den Beat­les auf­ge­wach­sen, Edgar Wal­lace, James Bond und Alan Sili­toe, den ihr irgend­wie ver­ges­sen zu haben scheint? – ver­ab­schie­de ich mich hier­mit von euch. Ohne Groll, aber – als Euro­pä­er und Anglo­phi­ler – doch her­be enttäuscht.

Nicht dass mir nach über 30 Jah­ren eng­li­schen Radi­os & Fern­se­hens (Astra sei Dank) nicht klar gewor­den wäre, wie sehr ihr uns Deut­sche – humor­lo­se, lau­te Nazis – hasst, die Fran­zo­sen – nach Käse und Kacke stin­ken­de Kapi­tu­lan­ten – ver­ach­tet und Spa­ni­en gera­de mal tole­riert, weil es euren Rent­nern seit eh und je vor eurem lau­si­gen Kli­ma Zuflucht gewährt. Und das ist auch schon Euro­pa für euch. Was die Grie­chen angeht, wart ihr ja nur alle laut­hals heil­froh, nicht in der Euro­zo­ne zu sein – sonst hät­tet ihr ja womög­lich auch was bei­steu­ern sol­len. Na gut, viel­leicht soll­ten wir die Hol­län­der noch erwäh­nen, die fin­det ihr ganz urig, deren Akzent lässt sich so schön nach­ma­chen; und dann natür­lich wegen Ams­ter­dam1

Aber ich erin­ne­re mich noch durch­aus an die – mei­ner per­sön­li­chen Erfah­rung nach – »ers­ten Euro­pä­er«, die Bri­ten, die im spa­ni­schen Tor­re­mo­li­nos in den Sieb­zi­gern den Second-Hand-Book­shop betrie­ben oder den gepfleg­ten Pub am Strand. Nicht dass ihr denen bei eurer unse­li­gen Abstim­mung sei­ner­zeit eine Stim­me gege­ben habt. Aber das ist nun mal Euro­pa für euch … 

Wie auch immer, das gera­de­zu hass­erfüll­te »they« – »die da drü­ben« –, mit dem ihr uns die letz­ten Jah­re zuneh­mend bedacht habt, wird wohl so schnell nicht wie­der ver­klin­gen, denn was immer pas­siert, viel bes­ser wird es euch näm­lich im Allein­gang nicht gehen als mit uns – und wenn ihr zehn­mal wie­der selbst die Hand am Steu­er und damit wie­der die vol­le Kon­trol­le über eure vor sich hin brö­ckeln­de Insel habt. Was immer pas­sie­ren wird, es wird unse­re Schuld sein. Ihr seid aus­ge­stie­gen, weil ihr einen Sün­den­bock für eure rück­schritt­li­chen Pro­jek­tio­nen braucht, und dar­an wird sich auch nichts ändern, schon gar nicht wenn bei euch alles teu­rer wird.

Ich fra­ge mich nur, wo zum Gei­er ihr groß hin wollt. Ihr seid – eige­ner Ein­bil­dung nach – die sechst­größ­te Export­na­ti­on, jeden­falls habe ich das die letz­ten Jah­re über auf BBC gehört; laut Wiki­pe­dia seid ihr auf Platz 10. Aber selbst wenn sich der Rang nur auf Euro­pa bezie­hen soll­te – und jetzt mal abge­se­hen von der Fra­ge, wo ihr da noch groß hin wollt –, ihr bil­det euch offen­sicht­lich groß was drauf ein. Dass ihr das inner­halb der EU erreicht bzw. gehal­ten habt, scheint euch nicht so recht auf­ge­gan­gen zu sein.

War­um, so fragt man sich unwill­kür­lich, habt ihr nicht von innen her an einer Ver­än­de­rung der EU mit­ge­wirkt? So rich­tig ver­knallt in Brüs­sel, so wie es sich gibt, sind schließ­lich auch die nicht, die Euro­pä­er sein wol­len; es ist ein »work in pro­gress«, es gäbe da durch­aus eini­ges zu tun. Aber was macht ihr? Ihr schickt ein kor­rup­tes Wie­sel wie Nigel Fara­ge nach Brüs­sel, der eige­nen Anga­ben nach sein Amt mit der selbst gestell­ten Mis­si­on antrat, die EU von innen her­aus sabo­tie­ren zu wol­len? Kon­struk­tiv ist das nicht.

Aber wie gesagt, was immer pas­sie­ren, d.h. wenn euer welt­wei­ter Allein­gang nicht ganz nach euren sehn­li­chen Wün­schen ver­lau­fen soll­te, die Schuld wer­det ihr »uns« geben – Euro­pa, den Eurpoä­ern, dem Kon­ti­nent. Da seid ihr schon mal fein raus.

Was eure ganz spe­zi­el­len Pro­ble­me mit uns Deut­schen angeht …

Ich kann mir gut vor­stel­len, ihr habt euch auch die­ses Weih­nach­ten Ste­ve McQueens Sprung über den Zaun in The Big Escape gege­ben und denkt ver­mut­lich, dass wir Deut­sche alle den Nazis den Dau­men drü­cken und hof­fen, dass Ste­ve McQueen es nicht schafft. Herr­gott, selbst mei­ne Eltern waren zu jung für den Scheiß! Was ihr euch nie über­legt habt ist, was Gre­at Bri­tain so »gre­at« gemacht hat. Man scheint euch in der Schu­le nie bei­gebracht zu haben, dass ihr dafür über Jahr­hun­der­te hin­weg welt­weit Leu­te umge­bracht, unter­drückt und aus­ge­raubt habt?

Ich will auch nicht die deut­sche Kolo­ni­al­ge­schich­te ver­ges­sen oder gar beschö­ni­gen, aber ihr habt ein paar Jahr­hun­der­te lang blu­tig über Welt und Wel­len geherrscht, lan­ge bevor es das von euch so gehass­te »Deutsch­land« über­haupt gab.

Eure indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on bau­te ja nicht zuletzt dar­auf, mehr oder weni­ger aus der gan­zen Welt bil­lig Roh­stof­fe zusam­men­zu­raf­fen, um den Bestoh­le­nen eure teu­ren Fer­tig­pro­duk­te zu ver­kau­fen. Nehmt nur die indi­sche Baum­woll­in­dus­trie: die Inder durf­ten den Roh­stoff nicht selbst ver­ar­bei­ten; sie muss­ten die Tex­ti­li­en von euch kau­fen; eine Jahr­hun­der­te alte Indus­trie habt ihr so zer­stört. Nur als Bei­spiel. Und wer hat die Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger erfun­den? Doch wohl ihr Bri­ten im Buren­krieg, und das lan­ge bevor es über­haupt Nazis gab.

Das ist nicht böse gemeint, es sind nur Tat­sa­chen. Meint ihr da nicht, die gan­ze wei­te Welt müss­te euch genau­so has­sen wie ihr uns, wenn alle so ein Ele­fan­ten­ge­dächt­nis hät­ten wie ihr?

Aber was ich sagen will: Baut euer wie­der erwach­ter Traum von der »sple­ndid iso­la­ti­on« nicht arg auf dem Irr­glau­ben, wie­der in die­se »gute alte Zeit« anknüp­fen, wenn schon nicht zurück zu kön­nen? Das wird wohl kaum gehen. Wenn Deutsch­land nach dem Krieg wie­der groß wur­de – wir sind offen­sicht­lich auf Platz 3 der Lis­te der größ­ten Export­na­tio­nen, dann eben nicht durch kolo­nia­le Gewalt. Kolo­nia­lis­mus könnt ihr kni­cken; ihr müsst euch da jetzt kraft eige­ner Arbeit aus der Gru­be schau­feln, die ihr euch mit Brexit gegra­ben habt. Und das geht sicher nicht, indem ihr gan­ze Lon­do­ner Stra­ßen­zü­ge an die rus­si­sche Mafia ver­hö­kert. Herr­gott­noch­mal! Und es wird auch nicht ohne all die – sagen wir nur mal – Polen gehen, auf die ihr einen sol­chen Brass habt, obwohl sie euch auf unte­rem Level die hal­be Arbeit erle­di­gen. Ihr könnt von Glück reden, wenn euch nicht die gan­zen euro­päi­schen Brum­mi­fah­rer davon­lau­fen, die bei euch als Gast­ar­bei­ter unter­wegs sind, aber eben doch nicht zu den qua­li­fi­zier­ten Beru­fen gehö­ren, die ihr künf­tig als Gast­ar­bei­ter auf eurer Insel dul­den wollt.

Und noch was weit Beun­ru­hi­gen­de­res: Nach­dem ihr nun schon Kriegs­schif­fe flott­macht, um eure Fische zu ver­tei­di­gen, ent­sin­ne ich mich noch der Wor­te eures Kon­ter­ad­mi­rals eini­ge Tage nach dem Volks­ent­scheid über Brexit, der den Spa­ni­ern im Fal­le von Gibral­tar zei­gen woll­te, »wer wir sind«; der gute Jere­my Vine hat in sei­ner Mit­tags­show auf Radio 2 das Zitat gleich meh­re­re Male ein­ge­spielt, so ent­setzt war er. Mal abge­se­hen von der Fra­ge, was ihr heu­te noch dort – oder auf den Falk­lands, wo wir schon davon reden – ver­lo­ren habt, gibt eine sol­che Men­ta­li­tät doch wohl ziem­lich zu den­ken. Denn genau die­se steckt hin­ter der gan­zen lei­di­gen Brexit-Geschich­te. Ihr schaut nach hin­ten, anstatt nach vor­ne. Da stol­pert es sich schon mal …

Ich wür­de also sagen: Nun spinnt euch mal aus. Auch wenn ihr alle unlie­bi­gen Aus­län­der von eurer Insel ver­treibt, bei euch wird’s eng wer­den, wo seit Jah­ren schon hal­be Dör­fer ins Meer fal­len und eini­ge Gegen­den bald Land unter mel­den wer­den, wenn die­ses Kli­ma­mal­heur sich wei­ter in die­sem Tem­po ent­wi­ckelt. Viel­leicht braucht ihr uns dann ja doch noch. Oder wenigs­tens die Hol­län­der, um euch bei­zu­brin­gen, wie man den Wel­len trotzt …

Nicht dass ich mir da Sor­gen mache: Kein Mensch hier hegt auch nur die gerings­te Abnei­gung gegen euch, auch wenn ihr so eini­gen hier ver­ständ­li­cher­wei­se lang­sam auf den Zei­ger geht mit eurem Allein­gang und der alber­nen For­de­rung, wir müss­ten euch groß was geben: ihr pfeift auf uns und kos­tet die EU eine Stan­ge Geld. Aller­dings wür­de ich es nicht über­trei­ben mit dem Säbel­ge­ras­sel, mit der Geld­wä­sche für die Rus­sen und dem geplan­ten Steu­er­pa­ra­dies für Anle­ger. Das kommt gar nicht gut. Schon gar nicht vor dem Hin­ter­grund eurer oben auf­ge­führ­ten mod­ri­gen alten Vor­wür­fe gegen uns.

Ihr wer­det – ich hof­fe, ich ste­he da nicht allein – immer will­kom­men sein. Auf der ande­ren Sei­te trin­ke ich jetzt erst mal deut­schen Tee und wer­de kom­men­des Jahr wohl auch auf mei­nen heiß gelieb­ten Cath­re­dal Ched­dar ver­zich­ten. Tja, wohl auch auf Chi­vers’ Lemon Curd … Was Ange­la Mer­kels merk­wür­di­ge Bemer­kung von »unse­rer« Lie­be zu eurem Bier angeht, so konn­te ich das ohne­hin nicht nach­voll­zie­hen. Mir ist da ein iri­sches Kil­ken­ny oder Guin­ness alle­mal lieber.

Also dies­mal unser letz­tes gemein­sa­mes »Old Lang Syne«.

So long!

  1. Wäre inter­es­sant zu wis­sen, wel­che büro­kra­ti­schen Ver­ren­kun­gen künf­tig für einen Abste­cher dort­hin nötig sein wer­den. Aber ver­mut­lich seid ihr Brexi­te­ers an einem sol­chen noch nicht ein­mal inter­es­siert … []
SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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