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Eine Fra­ge der Zeit – Vir­gi­nia Woolf über den Moder­nen Essay (2)

Hier der zwei­te Teil von Vir­gi­nia Woolfs Essay über die Ent­wick­lung hin zu dem, was sie in einer fünf­bän­di­gen Samm­lung mit dem Titel The Modern Essay fand. Das Publi­kum habe sich geän­dert, so kon­sta­tiert sie, von einem mit der nöti­gen Muse sogar für eine wie­der­hol­te Lek­tü­re geseg­ne­ten Leser hin zu einem, der die­se Muse nicht mehr kennt. Von einem Essay­is­ten, der für ein höchst, wenn auch spe­zi­fisch vik­to­ria­nisch gebil­de­tes Publi­kum schreibt, hin zu einem, der sich den Anwei­sun­gen eines Wor­te zäh­len­den Chef­re­dak­teurs zu fügen hat. Ob sich die Gute wohl hät­te vor­stel­len kön­nen, dass über einem Arti­kel die Zeit in Minu­ten zu ste­hen hat, die der geneig­te Leser für die Lek­tü­re benö­ti­gen wird? 

Doch auch wenn der Essay, in höhe­rem Maße als Bio­gra­phie oder Fik­ti­on, unver­mit­tel­te Bra­vour und Meta­pho­rik erlaubt und sei­ne Ober­flä­che sich auf Hoch­glanz polie­ren lässt, es birgt dies durch­aus auch Gefah­ren. Wir gera­ten hier näm­lich rasch in den Zier­rat. Und eh man sich’s ver­sieht, fließt die Strö­mung, die das Lebens­eli­xier der Lite­ra­tur ist, eher trä­ge; und statt zu fun­keln und zu blit­zen oder sich mit jenem ruhi­ge­ren Impe­tus zu bewe­gen, der auf tie­fe­re Wei­se zu erre­gen ver­mag, gerin­nen die Wor­te zu gefro­re­nen Bijou­te­rien, die eine Nacht lang glit­zern wie Trau­ben an einem Weih­nachts­baum, aber am nächs­ten Tag stau­big und absto­ßend sind. Die Ver­su­chung zur Deko­ra­ti­on ist gera­de dann groß, wenn das The­ma an sich womög­lich kaum von Bedeu­tung ist. Was inter­es­siert es ande­re, dass man eine Wan­de­rung genos­sen hat oder sich mit einem Spa­zier­gang durch Che­ap­si­de1 ver­lus­tiert und sein Blick dabei an den Schild­krö­ten in Mr. Sweetings Schau­fens­ter hän­gen­bleibt? Ste­ven­son und Samu­el But­ler wähl­ten sehr unter­schied­li­che Metho­den, um unser Inter­es­se an der­lei haus­ba­cke­nen The­men zu wecken. Ste­ven­son hat sei­nen Stoff natür­lich in der tra­di­tio­nel­len Form des acht­zehn­ten Jahr­hun­derts auf­be­rei­tet und dar­ge­legt. Das ist bewun­derns­wert, aber man kann sich im Lau­fe des Essays der Befürch­tung nicht erweh­ren, das Mate­ri­al könn­te unter den Fin­gern des Hand­wer­kers zer­ge­hen. Das Werk­stück ist so klein, unauf­halt­sam die Arbeit dar­an. Und viel­leicht ist das der Grund, war­um die Per­o­ra­ti­on

Still zu sit­zen und zu betrach­ten, sich an die Gesich­ter von Frau­en zu erin­nern, ohne zu begeh­ren, sich an den Groß­ta­ten von Män­nern zu erfreu­en, ohne nei­disch zu wer­den, für alles und über­all Sym­pa­thie zu emp­fin­den und doch damit zufrie­den zu blei­ben, wo und was man ist – 

– von jener Art von Sub­stanz­lo­sig­keit ist, wel­che den Ver­dacht auf­kom­men lässt, dass er am Ende nichts Hand­fes­tes mehr hat­te, mit dem sich arbei­ten ließ. But­ler wähl­te die genau ent­ge­gen­ge­setz­te Metho­de. Den­ke dei­ne eige­nen Gedan­ken, scheint er zu sagen, und sprich sie so deut­lich aus, wie du kannst. Die­se Schild­krö­ten im Schau­fens­ter, deren Köp­fe und Füße aus ihren Pan­zern zu quel­len schei­nen, sug­ge­rie­ren eine fata­le Treue zu einer fixen Idee. Und so schrei­ten wir unbe­küm­mert von einer Idee zur nächs­ten und legen dabei eine gro­ße Stre­cke zurück; stel­len fest, dass einen Anwalt zu ver­let­zen eine sehr erns­te Sache ist; dass Mary Queen of Scots ortho­pä­di­sche Schu­he trägt und in der Nähe des Hor­se Shoe in der Tot­ten­ham Court Road zu Anfäl­len neigt; dür­fen sicher sein, dass nie­mand sich wirk­lich für Æschylus inter­es­siert; und kom­men so, unter vie­len amü­san­ten Anek­do­ten und eini­gen tief­grün­di­gen Über­le­gun­gen, zu dem Schluss, dass er bes­ser auf­hö­ren soll­te, schließ­lich hat­te man ihn ange­wie­sen, in Che­ap­si­de nicht mehr zu sehen, als sich auf zwölf Sei­ten der Uni­ver­sal Review dru­cken ließ. Und doch ist But­ler offen­sicht­lich min­des­tens so sehr auf unser Ver­gnü­gen bedacht wie Ste­ven­son; und so zu schrei­ben wie man eben schreibt, und es nicht als Schrei­ben zu bezeich­nen, ist eine weit schwie­ri­ge­re Stil­übung als zu schrei­ben wie Addi­son2 und zu behaup­ten, man schrei­be gut.

Doch so sehr sie sich auch im Ein­zel­nen unter­schei­den mögen, etwas war den vik­to­ria­ni­schen Essay­is­ten gemein. Sie schrie­ben mit län­ge­rem Atem als heu­te üblich, und sie schrie­ben für ein Publi­kum, das nicht nur Zeit für eine ernst­haf­te Beschäf­ti­gung mit dem Maga­zin sei­ner Wahl hat­te, son­dern auch kul­tu­rell über einen hohen, wenn auch spe­zi­fisch vik­to­ria­ni­schen Stan­dard ver­füg­te, an dem es sich ori­en­tie­ren ließ. Es war die Mühe wert, sich in einem Essay zu erns­ten The­men zu äußern, und kei­nes­wegs absurd, dabei so gut als mög­lich zu schrei­ben, da das­sel­be Publi­kum, das den Essay in einer Zeit­schrift begrüßt hat­te, ihn in ein oder zwei Mona­ten in einem Buch noch ein­mal sorg­fäl­tig lesen wür­de. Dann jedoch erfolg­te ein Wech­sel von einem klei­nen Publi­kum kul­ti­vier­ter Zeit­ge­nos­sen zu einem grö­ße­ren, das nicht ganz so kul­ti­viert war. Die Ver­än­de­rung war nicht völ­lig zum Schlech­ten. Mit Mr. Bir­rell3 und Mr. Beer­bohm4 fin­den wir Bei­spie­le dafür in Band III. Es lie­ße sich sogar sagen, dass es zu einer Rück­be­sin­nung auf den klas­si­schen Typus kam und der Essay sich durch Ver­lus­te an Umfang und Klang­fül­le mehr dem Essay von Addi­son und Lamb annä­her­te. Auf jeden Fall gähnt eine gewal­ti­ge Kluft zwi­schen Mr. Bir­rells Essay über Car­lyle und der Art von Essay, die Car­lyle ver­mut­lich über Mr. Bir­rell geschrie­ben haben dürf­te. Es fin­den sich kaum Ähn­lich­kei­ten zwi­schen »A Cloud of Pina­fo­res« von Max Beer­bohm und »A Cynic’s Apo­lo­gy« von Les­lie Ste­phen. Aber der Essay ist durch­aus leben­dig; es besteht kein Grund zur Ver­zweif­lung. Ändern sich die Bedin­gun­gen, so passt sich der Essay­ist, der von allen Gewäch­sen am emp­find­lichs­ten auf die öffent­li­che Mei­nung reagiert, eben an, und ver­steht er sein Hand­werk, macht er das Bes­te aus die­ser Ver­än­de­rung, und taugt er nichts, dann eben das Schlech­tes­te. Und da Mr. Bir­rell sein Hand­werk zwei­fel­los ver­steht, stel­len wir fest, dass er zwar erheb­lich an Gewicht ver­lo­ren hat, sein Her­an­ge­hen aber weit­aus direk­ter und sei­ne Bewe­gun­gen geschmei­di­ger sind.

Aber was nun hat Mr. Beer­bohm dem Essay gege­ben und was hat er ihm genom­men? Das ist eine weit kom­pli­zier­te­re Fra­ge, da wir es hier mit einem Essay­is­ten zu tun haben, der kon­zen­triert zu Wer­ke gegan­gen und zwei­fels­oh­ne ist der Größ­te in sei­nem Fach.

Was Mr. Beer­bohm gege­ben hat, das ist natür­lich er selbst. Die­se Prä­senz, die den Essay seit der Zeit Mon­tai­gnes eher unbe­stän­dig beglückt, hat­te seit dem Tod Charles Lambs im Exil geweilt. Weder war Matthew Arnold für sei­ne Leser »Matt«, noch kürz­te man Wal­ter Pater lie­be­voll in tau­send Häu­sern zu »Wat«. Sie haben uns viel gege­ben, aber das gaben sie uns nicht. So dürf­ten, irgend­wann in den Neun­zi­gern, die Leser, an Ermah­nun­gen, Infor­ma­tio­nen und Anwür­fe gewöhnt, über­rascht gewe­sen sein, von der trau­li­chen Stim­me eines Men­schen ange­spro­chen zu wer­den, der nicht grö­ßer schien als sie selbst; eines Men­schen, der, von pri­va­ten Freu­den und Sor­gen betrof­fen, kein Evan­ge­li­um zu pre­di­gen und kein Wis­sen zu ver­mit­teln hat­te. Der Mann war er selbst, ein­fach und direkt, und er ist selbst geblie­ben. Ein­mal mehr haben wir in ihm einen Essay­is­ten, der mit dem geeig­nets­ten, aber auch gefähr­lichs­ten und hei­kels­ten Werk­zeug des Essay­is­ten zu han­tie­ren ver­steht. Er hat die Per­sön­lich­keit in die Lite­ra­tur ein­ge­bracht, und das nicht unbe­wusst und unrein, son­dern so bewusst und rein, dass wir nicht wis­sen, ob es eine Bezie­hung gibt zwi­schen Max, dem Essay­is­ten, und Mr. Beer­bohm, dem Men­schen. Wir wis­sen nur, dass der Geist sei­ner Per­sön­lich­keit jedes sei­ner Wor­te durch­dringt. Der Tri­umph ist hier der Tri­umph des Stils. Denn nur wer zu schrei­ben ver­steht, kann in der Lite­ra­tur von sei­nem Selbst Gebrauch machen; von jenem Selbst, das zwar für die Lite­ra­tur uner­läss­lich ist, aber auch ihr gefähr­lichs­ter Wider­sa­cher. Nie­mals und doch stets man selbst zu sein – das ist das Pro­blem. Eini­gen der Essay­is­ten in Mr. Rhys’ Samm­lung gelingt die Lösung die­ses Pro­blems, um ganz offen zu sein, eher weni­ger. Es möch­te einem gar übel wer­den, die Fäul­nis seich­ter Per­sön­lich­kei­ten in der Ewig­keit des Gedruck­ten mit­an­zu­se­hen. Als Gespräch hat so etwas zwei­fels­oh­ne sei­nen Charme, und trä­fe man sich auf eine Fla­sche Bier, erwie­se sich der Autor sicher als guter Kerl. Aber die Lite­ra­tur ist streng; es nützt nichts, char­mant zu sein, tugend­haft oder gar gelehrt und bril­lant, erfüllt man nicht, wie sie uns immer wie­der zu sagen scheint, ihre ers­te Bedin­gung: zu wis­sen, wie man schreibt.

Die­se Kunst beherrscht Mr. Beer­bohm in Per­fek­ti­on. Nur hat er das Wör­ter­buch nicht nach viel­sil­bi­gen Wör­tern durch­sucht. Er hat weder star­re Peri­oden gedrech­selt, noch unse­re Ohren mit ver­schlun­ge­nen Kaden­zen und fremd­ar­ti­gen Melo­dien ver­führt. Eini­ge sei­ner Weg­ge­fähr­ten – Hen­ley und Ste­ven­son zum Bei­spiel – sind im ers­ten Augen­blick beein­dru­cken­der. Den­noch hat »A Cloud of Pina­fo­res« die Art von unbe­schreib­li­cher Ungleich­heit, Bewe­gung und end­gül­ti­ger Aus­drucks­kraft, die zum Leben gehört und zum Leben allein. Man ist mit dem Essay nach sei­ner Lek­tü­re eben­so wenig fer­tig, wie eine Freund­schaft endet, nur weil es Zeit für die Tren­nung ist. Das Leben wallt auf, ver­än­dert sich und fügt hin­zu. Selbst die Bücher im Regal ändern sich, wenn sie leben­dig sind; wir wol­len ihnen wie­der begeg­nen; wir fin­den sie ver­än­dert vor. So bli­cken wir auf einen Essay nach dem ande­ren von Mr. Beer­bohm zurück und wis­sen, dass wir uns im Sep­tem­ber oder Mai mit ihnen zusam­men­set­zen und reden wer­den. Den­noch ist es so, dass der Essay­ist von allen Schrift­stel­lern am emp­find­lichs­ten auf die öffent­li­che Mei­nung reagiert. Der Salon ist der Ort, an dem heut­zu­ta­ge viel gele­sen wird, und die Essays von Mr. Beer­bohm lie­gen, mit einer exqui­si­ten Wür­di­gung all des­sen, was die Posi­ti­on erfor­dert, auf dem Salon­tisch aus. Hier gibt es kei­nen Gin, kei­nen star­ken Tabak, kei­ne Wort­spie­le, kei­ne Trun­ken­heit, kei­nen Wahn­sinn. Man redet mit­ein­an­der, Damen wie Her­ren, und man spricht natür­lich so man­ches nicht aus.

Aber wenn es schon töricht wäre, Mr. Beer­bohm auf einen Raum begren­zen zu wol­len, noch törich­ter und unse­li­ger­wei­se wäre es, in ihm, dem Künst­ler, dem Mann, der uns nur sein Bes­tes gibt, den Reprä­sen­tan­ten unse­rer Zeit zu sehen. Im vier­ten und fünf­ten Band der vor­lie­gen­den Samm­lung fin­den sich kei­ne Essays von Mr. Beer­bohm. Sein Zeit­al­ter scheint schon ein wenig fern, und der Salon­tisch beginnt, je wei­ter er zurück­weicht, eher einem Altar zu glei­chen, auf dem die Men­schen einst Opfer­ga­ben hin­ter­leg­ten – Früch­te aus ihren eige­nen Obst­gär­ten, eigen­hän­dig geschnitz­te Geschen­ke. Nun haben sich die Bedin­gun­gen erneut geän­dert. Die Öffent­lich­keit braucht Essays so drin­gend wie eh und je, wenn nicht gar noch drin­gen­der. Die Nach­fra­ge nach der leich­ten Mit­te, die nicht mehr als fünf­zehn­hun­dert oder in beson­de­ren Fäl­len sieb­zehn­hun­dert­fünf­zig Wör­ter umfasst, über­steigt das Ange­bot bei wei­tem. Wo Lamb einen Essay geschrie­ben hat und Max viel­leicht zwei, pro­du­ziert Mr. Bel­loc nach gro­ber Berech­nung drei­hun­dert­fünf­und­sech­zig. Sie sind sehr kurz, das ist wahr. Doch mit wel­cher Geschick­lich­keit nutzt der ver­sier­te Essay­ist sei­nen Platz – er beginnt so nah am obe­ren Rand des Blat­tes wie mög­lich, wägt sorg­fäl­tig ab, wie weit er gehen muss, wann es abzu­bie­gen gilt, und wie er, ohne auch nur eine Haa­res­brei­te Papier zu opfern, kehrt machen und genau auf eben dem letz­ten Wort lan­den kann, das ihm sein Redak­teur gewährt! Als Kunst­stück ist das durch­aus sehens­wert. Nur nimmt die Per­sön­lich­keit, auf die Mr. Bel­loc – wie Mr. Beer­bohm – ange­wie­sen ist, dar­un­ter Scha­den. Sie erreicht uns nicht mit der natür­li­chen Fül­le der Sprech­stim­me, son­dern ange­strengt und dünn, vol­ler Manie­ris­men und Affek­te, wie die Stim­me von einem, der an einem win­di­gen Tag durch ein Mega­phon auf eine Men­schen­men­ge ein­schreit. »Klei­ne Freun­de, mei­ne Leser«, sagt er in dem Essay mit dem Titel »Ein unbe­kann­tes Land«, und dann erzählt er uns –

Neu­lich besuch­te ein Schä­fer den Schaf­markt von Fin­don, der mit sei­nen Scha­fen aus dem Osten über Lewes gekom­men und des­sen Augen voll der Erin­ne­rung an Hori­zon­te waren, wel­che die Augen von Hir­ten und Berg­stei­gern von denen ande­rer Men­schen unter­schei­det … Ich setz­te mich zu ihm, um zu hören, was er zu sagen hat­te, denn Hir­ten reden ganz anders als ande­re Menschen. 

Glück­li­cher­wei­se hat­te die­ser Schaf­hirt selbst unter dem Ein­fluss des unver­meid­li­chen Krugs Bier wenig zu sagen über das Unbe­kann­te Land, beweist sei­ne ein­zi­ge Bemer­kung doch, dass er ent­we­der ein min­de­rer Dich­ter und für die Betreu­ung von Scha­fen unge­eig­net oder dass er Mr. Bel­loc selbst hin­ter der Mas­ke eines Füll­fe­der­hal­ters ist. Das ist die Stra­fe, auf die sich der gewohn­heits­mä­ßi­ge Essay­ist heu­te ein­stel­len muss. Er muss sich mas­kie­ren. Er kann es sich von der Zeit her weder leis­ten, er selbst, noch ein ande­rer zu sein. Er hat flüch­tig über die Ober­flä­che der Gedan­ken zu glei­ten und das auf Kos­ten der Kraft der Per­sön­lich­keit. Er hat uns wöchent­lich einen abge­grif­fe­nen Half­pen­ny zu geben, anstatt ein­mal im Jahr einen soli­den Sovereign.

Aber nicht nur Mr Bel­loc hat unter den heu­te herr­schen­den Bedin­gun­gen gelit­ten. Die Essays, die die Samm­lung in das Jahr 1920 brin­gen, mögen nicht die bes­ten ihrer Autoren sein, aber wenn wir uns – von Autoren wie den Her­ren Con­rad und Hud­son, die sich eher zufäl­lig in das Metier des Essays ver­irrt haben, ein­mal abge­se­hen – auf die­je­ni­gen kon­zen­trie­ren, die für gewöhn­lich Essays schrei­ben, wer­den wir fest­stel­len, dass sie von der Ver­än­de­rung ihrer Umstän­de stark betrof­fen sind. Wöchent­lich, ja täg­lich zu schrei­ben, in Kür­ze zu schrei­ben, für viel­be­schäf­tig­te Men­schen zu schrei­ben, die mor­gens zum Zug müs­sen oder für sol­che, die abends müde nach Hau­se kom­men, ist eine herz­zer­rei­ßen­de Auf­ga­be für Män­ner, die hand­werk­lich Gutes von Schlech­tem zu unter­schei­den wis­sen. Sie schrei­ben, brin­gen aber instink­tiv alles Kost­ba­re, das durch den Kon­takt mit dem Publi­kum Scha­den neh­men könn­te, in Sicher­heit oder räu­men alles Schar­fe, das ihm unter die Haut gehen könn­te, aus dem Weg. Und so spürt man, liest man Mr. Lucas, Mr. Lynd oder Mr. Squi­re in einem Zuge, kann man sich des Gefühls nicht erweh­ren, das Sil­ber ihrer Ober­flä­che sei ein ein­heit­li­ches Grau. Sie sind von der schö­nen Extra­va­ganz eines Wal­ter Pater eben­so weit ent­fernt wie von der unbän­di­gen Offen­heit eines Les­lie Ste­phen. Schön­heit und Mut sind gefähr­li­che Geis­ter, ver­sucht man sie in die Fla­sche von andert­halb Kolum­nen zu ban­nen; und Gedan­ken haben es, einem braun ver­pack­ten Päck­chen in der Wes­ten­ta­sche gleich, an sich, die Sym­me­trie eines Arti­kels zu stö­ren. Sie schrei­ben für eine freund­li­che, müde, apa­thi­sche Welt, und was dabei ver­wun­dert, ist, dass sie es nicht müde wer­den, wenigs­tens gut schrei­ben zu wollen.

Es besteht jedoch kein Anlass, Mr. Clut­ton-Brock die­ser Ver­än­de­rung der Bedin­gun­gen für den Essay­is­ten wegen zu bedau­ern. Er hat aus sei­nen Umstän­den ein­deu­tig das Bes­te gemacht und nicht das Schlech­tes­te. Man zögert sogar, zu sagen, dass er sich bewusst hät­te anstren­gen müs­sen, so selbst­ver­ständ­lich voll­zog er den Über­gang vom pri­va­ten zum öffent­li­chen Essay­is­ten, vom Salon zur Albert Hall. Para­do­xer­wei­se ging mit der Abnah­me des Umfangs eine ent­spre­chen­de Zunah­me an Indi­vi­dua­li­tät ein­her. Wir haben nicht mehr das »Ich« von Max und Lamb, son­dern das »Wir« öffent­li­cher Kör­per­schaf­ten und ande­ren heh­ren Per­sön­lich­kei­ten. »Wir« sind es, die die Zau­ber­flö­te hören; »wir« sind es, die von ihr pro­fi­tie­ren soll­ten; »wir« sind es, die sie als Kör­per­schaft einst auf geheim­nis­vol­le Wei­se selbst geschrie­ben haben. Denn wol­len sie bis in die hin­ters­ten Win­kel der Albert Hall getra­gen wer­den, müs­sen Musik, Lite­ra­tur und Kunst sich der glei­chen Ver­all­ge­mei­ne­rung unter­wer­fen. Dass Mr. Clut­ton-Brocks Stim­me, so auf­rich­tig und unei­gen­nüt­zig wie sie ist, so weit trägt und so vie­le erreicht, ohne sich der Schwä­che der Mas­se oder deren Lei­den­schaf­ten anzu­die­nen, muss uns allen eine legi­ti­me Genug­tu­ung sein. Aber wäh­rend »wir« zufrie­den sind, ist »ich«, der wider­spens­ti­ge Part­ner in der mensch­li­chen Gemein­schaft, ver­zwei­felt. »Ich« muss Din­ge für sich selbst den­ken, Din­ge für sich selbst füh­len. Sie in ver­wäs­ser­ter Form mit der Mehr­heit der gebil­de­ten und wohl­mei­nen­den Män­ner und Frau­en zu tei­len, ist für ihn eine schie­re Qual; und wäh­rend der Rest von uns auf­merk­sam zuhört und zutiefst pro­fi­tiert, ver­krü­melt »Ich« sich in Wäl­der und Wie­sen, um sich über einen ein­zel­nen Gras­halm oder eine ein­sa­me Kar­tof­fel zu freuen.

  1. Frü­her auch »The Cheap« ist eine Lon­do­ner Stra­ße, die frü­her mal eine bekann­te Ein­kaufs­stra­ße, ja prak­tisch eines der Ein­kaufs­zen­tren von Lon­don war; nimmt Bezug auf den Essay »Ramblings in Che­ap­si­de« von Samu­el But­ler im sel­ben Band. []
  2. Joseph Addi­son []
  3. Augus­ti­ne Bir­rell []
  4. Max Beer­bohm []
SlangGuy

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