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Eine Fra­ge der Qua­li­tät und der feh­len­den Über­zeu­gung – Vir­gi­nia Woolf über den Moder­nen Essay (3)

Im drit­ten und letz­ten Teil – die Drei­tei­lung stammt frei­lich von mir – äußert Vir­gi­nia Woolf sich dazu, was denn das Bestehen des Essay­is­ten vor dem Hin­ter­grund sich ver­än­dern­der Lese­ge­wohn­hei­ten aus­macht. Es ist die Qua­li­tät: Prä­zi­si­on, Wahr­heits­treue und Phan­ta­sie, so meint sie, schla­gen alle­mal die unprä­zi­se, plau­si­ble und plat­te Schrei­be min­de­rer Autoren. 

Im fünf­ten Band der moder­nen Essays, so scheint es, haben wir uns ein Stück weit vom Ver­gnü­gen und der Kunst des Schrei­bens ent­fernt. Um jedoch den Essay­is­ten von 1920 gerecht zu wer­den, müs­sen wir sicher sein, dass wir die berühm­ten nicht loben, weil sie schon gelobt wur­den, und die toten nicht, weil wir sie nie in Gama­schen in der Pic­ca­dil­ly Street sehen. Wir müs­sen wis­sen, was wir mei­nen, wenn wir sagen, dass sie schrei­ben kön­nen und uns Ver­gnü­gen berei­ten. Wir müs­sen sie ver­glei­chen, wir müs­sen die Qua­li­tät her­aus­stel­len. Wir müs­sen auf etwas wie das Fol­gen­de hin­wei­sen und sagen, dass es gut ist, weil es prä­zi­se, wahr­heits­ge­treu und phan­ta­sie­voll ist:

Nein, Män­ner kön­nen sich nicht zurück­zie­hen, wenn ihnen danach ist; noch tun sie es, gebö­te es die Ver­nunft; den­noch har­ren sie unge­dul­dig des Pri­vat­le­bens, selbst im Alter und in der Krank­heit, wel­che das Dun­kel erfor­dern: wie alte Städ­ter: die noch immer vor ihrer Haus­tü­re sit­zen, obwohl sie dadurch das Alter dem Spott preis­ge­ben …((Fran­cis Bacon (1561–1626), »Of Gre­at Place« ))

und auf das hier, und sagen, es sei schlecht, weil es unprä­zi­se ist, plau­si­bel, platt:

Höf­li­chen und prä­zi­sen Zynis­mus auf den Lip­pen, dach­te er an stil­le, jung­fräu­li­che Gemä­cher, an sin­gen­de Gewäs­ser unter dem Mond, an Ter­ras­sen, von denen seuf­zend makel­lo­se Musik in die offe­ne Nacht erklang, an rei­ne, müt­ter­li­che Gelieb­te mit schüt­zen­den Armen und wach­sa­men Augen, an schlum­mern­de Fel­der im Son­nen­licht, an Mei­len von Oze­an, die unter dem war­men, beben­den Him­mel wog­ten, an hei­ße Häfen, pracht­voll und duf­tend …((J. C. Squi­re, »A Dead Man«))

Es geht noch wei­ter, aber längst sind wir ver­wirrt von dem Wort­ge­klin­gel und füh­len und hören nichts mehr. Der Ver­gleich erweckt den Ver­dacht, das Rück­grat der Schreib­kunst bestehe im erbit­ter­ten Fest­klam­mern an einer Idee. Auf dem Rücken einer Idee – etwas, an das man mit Über­zeu­gung glaubt oder das man so prä­zi­se vor Augen hat, dass es Wor­ten sei­ne Form auf­zwingt – erreicht denn auch das bun­te Fähn­lein, zu dem Lamb und Bacon, Mr. Beer­bohm und Hud­son, Ver­non Lee1 und Mr. Con­rad, Les­lie Ste­phen und But­ler und Wal­ter Pater gehö­ren, das ande­re Ufer. Sehr unter­schied­li­che Talen­te haben hier die Umset­zung der Idee in Wor­te ent­we­der beför­dert oder behin­dert. Eini­ge kom­men gera­de mal so durch, ande­re nut­zen flie­gend jeden güns­ti­gen Wind. Doch sehen sich Mr. Bel­loc und Mr. Lucas und Mr. Squi­re nicht eigent­lich ver­bis­sen an etwas gebun­den. Sie tei­len das zeit­ge­nös­si­sche Dilem­ma, das Feh­len einer hart­nä­cki­gen Über­zeu­gung, die flüch­ti­ge Klän­ge durch die duns­ti­ge Sphä­re von jeder­manns Spra­che in jenes Land zu heben ver­mag, in dem es eine ewi­ge Ehe, eine ewi­ge Ver­ei­ni­gung gibt. So vage alle Defi­ni­tio­nen auch sind, ein guter Essay muss die­se dau­er­haf­te Qua­li­tät haben; er muss sei­nen Vor­hang um uns zie­hen, der jedoch ein Vor­hang sein muss, der uns ein- und nicht etwa ausschließt.

  1. Pseud­onym von Vio­let Pia­get, 1856–1936 []
SlangGuy

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