Mark Twain brachte 1905 — mit all der ihm gemeinhin zugeschriebenen Naivität — sein Entsetzen über die ruchbar gewordenen Gräuel zum Ausdruck, die man im Namen des belgischen Königs Leopold II. im Kongo beging. Er tat dies in Form eines fiktiven Monologs, in dem der König seine Handlungsweise auf himmelschreiende Weise zu rechtfertigen versucht. Ich frage mich, ob sich nach diesem Muster nicht auch Satire auf Putin und Konsorten schreiben ließe — nicht weniger naiv, aber auch nicht weniger wirkungsvoll …
Wer irgendwann mal, und sei es auch noch so kurz, Briefmarken gesammelt hat, dem dürften neben zahlreichen farbigen kleinen Stickern unseres hauseigenen Potentaten auch gezahnte kleine Porträts seines belgischen Gegenstücks Leopold II.1 untergekommen sein. Eine interessante kleine Randbeobachtung dabei ist, dass Ersterer eine bestimmte Barttracht für seine Nachwelt auf immer ruiniert hat, während Letzterer, obwohl er weit früher regiert hat, einen für heutige Begriffe geradezu hippen Sauerkohl trug.
Aber mal abgesehen davon verbinden die beiden auch eine ganze Reihe selbstherrlicher Gräuel, die wiederum ebenso aktuelle wie brisante Parallelen zu einem dritten Potentaten aufkommen lassen, der zwar keinen Bart, aber dafür umso mehr Botox mit sich herumträgt.
Mit Blick auf Letzteren, Wladimir Putin – und andere absolute Machthaber, die sich augenblicklich ganz ungeniert als menschenverachtende Schlächter gebärden – möchte ich hier in Übersetzung ein hierzulande bislang wohl eher unbekanntes Werk des amerikanischen »Humoristen« Mark Twain vorstellen, in dem der geistige Vater von Huckleberry Finn und Tom Sawyer den belgischen König in einem Selbstgespräch über die Methoden seiner Herrschaft im Kongo sinnieren lässt.
Mark Twain
König Leopolds Selbstgespräch
Eine Verteidigung seiner Herrschaft im Kongo
1905
in der Übersetzung von Bernhard Schmid © 20232
»Leopold II. ist der absolute Herr über die Gesamtheit in- und auswärtiger Aktivitäten des Unabhängigen Staates Kongo. Die Organisation von Justiz‑, Armee‑, Industrie- und Handelswesen untersteht unumschränkt ihm allein. Er könnte, und das mit größerem Anrecht als Ludwig XIV., sagen: ›Der Staat, das bin ich.‹«
Prof. F. Cattier, Universität Brüssel3
»Wiederholen wir, im Gefolge so vieler anderer, was zum Gemeinplatz geworden ist: Der Erfolg der Arbeit in Afrika ist das Werk eines einzigen lenkenden Willens, unbeeinträchtigt durch das Zaudern zaghafter Politiker, umgesetzt unter seiner alleinigen Verantwortung, – intelligent, überlegt, sich der Gefahren wie der Vorteile bewusst, mit bewundernswertem Weitblick auf die großen Resultate einer nahen Zukunft.«
aus M. Alphonse Poskin, »Bilans Congolais«4
[Wirft die Pamphlete hin, in denen er gelesen hat. Kämmt mit fahrigen Fingern seinen wallenden Bart; drischt mit den Fäusten auf den Tisch; stößt in kurzen Intervallen deftige Salven unheiliger Sprache aus, senkt zwischen den Salven reumütig den Kopf, um das Ludwigs-[XI.]-Kruzifix zu küssen, das er um den Hals gehängt trägt, Küsse, die von gemurmelten Entschuldigungen begleitet sind; schließlich erhebt er sich, schwitzend, das Gesicht gerötet, und beginnt gestikulierend auf und ab zu gehen]5
– — ! ! — – ! ! Wenn ich die bei der Gurgel hätte! [Küsst hastig das Kreuz, fährt murmelnd fort] Die letzten zwanzig Jahre habe ich Millionen ausgegeben, damit die Presse beider Hemisphären den Mund hält, und trotzdem sickert immer wieder etwas durch. Weitere Millionen habe ich für Religion und Kunst ausgegeben, und was bekomme ich dafür? Nichts. Nicht einmal ein Kompliment. Derlei Großzügigkeit wird von der Presse geflissentlich ignoriert. Gedruckt sehe ich nichts weiter als Verleumdungen — und wieder Verleumdungen — und weitere Verleumdungen, und noch einmal Verleumdungen obendrauf! Und wenn Sie zehnmal wahr sind, na und? Gegen einen König geäußert, sind und bleiben es Verleumdungen.
Fortsetzung folgt …
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