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König Leo­polds Selbst­ge­spräch (8)

Die Vor­komm­nis­se im Bel­gisch-Kon­go mögen an das, was Hit­ler und Sta­lin ver­bro­chen haben, zwar nicht ganz her­an­kom­men, aber zehn (Twa­ins »fünf­zehn« sind etwas etwas »über­trie­ben«) Mil­lio­nen ermor­de­te Kon­go­le­sen sind wohl durch­aus genug. Leo­pold II. schlägt damit womög­lich die Brü­cke von Atti­la und Dschin­gis Khan hin zu den bei­den Erst­ge­nann­ten. Laut Twa­in selbst jeden­falls stand Leo­polds Höl­le his­to­risch kon­kur­renz­los da, und aus der­lei gru­se­li­gen Sta­tis­ti­ken einen Wett­be­werb machen zu wol­len, ist ver­mut­lich so maka­ber wie Twa­ins Sati­re selbst. 

Die Unvor­stell­bar­keit sol­cher Zah­len ver­ur­teilt ohne­hin jeden Ver­gleich zur Sinn­lo­sig­keit. Hal­ten wir also ein­fach fest, was wir bis­her erfah­ren haben: Der gesam­te rie­si­ge Kon­go-Staat war Pri­vat­be­sitz eines euro­päi­schen Herr­schers, Leo­pold II. von Bel­gi­en. Und er beu­te­te die­sen Staat gna­den­los und mit größ­ter Bru­ta­li­tät, ja, er press­te die­sen Staat buch­stäb­lich, möch­te man sagen, aus. Bei dem kost­ba­ren Saft, der aus­ge­presst wur­de, han­del­te es sich Kau­tschuk, und woll­te man die Ana­lo­gie auf die Spit­ze trei­ben, wo wären die Ein­ge­bo­re­nen dabei der blu­ti­ge Tres­ter gewe­sen. »Red Rub­ber« war denn auch ein Syn­onym für den dort gewon­ne­nen Gum­mi. Hier böte sich der Ver­gleich zu den heu­ti­gen »Blut­dia­man­ten« an.

Wie auch immer, die im Text erwähn­te Con­go Reform Asso­cia­ti­on gab »King Leopold’s Soli­lo­quy« als Bro­schü­re für fünf­und­zwan­zig Cent her­aus, aber Twa­in, so hieß es gleich vor­ne, lehn­te jeg­li­chen finan­zi­el­len Gewinn dar­an ab, viel­mehr soll­te der gesam­te Erlös in Hilfs­leis­tun­gen für die Men­schen im Kon­go gehen. 

Mark Twa­in

König Leo­polds Selbst­ge­spräch
Eine Ver­tei­di­gung sei­ner Herr­schaft im Kongo

1905

in der Über­set­zung von Bern­hard Schmid © 20231


[Fort­set­zung von hier]

Aber das2 sind sie ja immer, wenn es um mich geht. Sie kön­nen bei der Erwäh­nung mei­nes Namens eben­so wenig still blei­ben, wie ein Glas Was­ser mit einer Por­ti­on Seid­litz-Pul­ver in sei­nen Ein­ge­wei­den sein Auf­wal­len zu unter­drü­cken ver­mag. Dabei könn­ten die Aus­ge­bur­ten ihrer von mir inspi­rier­ten Phan­ta­sien gro­tes­ker nicht sein! Bie­tet mir doch Eng­län­der eine Quo­te von drei zu eins und wet­tet mit mir, um was auch immer mir genehm sei, bis zu 20.000 Gui­ne­as, ich wür­de auf zwei Mil­lio­nen Jah­re der auf­fäl­ligs­te Aus­län­der in der Höl­le sein. Der Mann ist so außer sich vor Rage, dass er gar nicht merkt, wie töricht sein Ansin­nen ist. Töricht und vom geschäft­li­chen Stand­punkt unsin­nig, schließ­lich gäbe es kei­nen Gewin­ner, wären wir doch bei­de Ver­lie­rer – wir wür­den bei­de die Zin­sen für unse­re Ein­sät­ze ver­lie­ren! Bei vier oder fünf Pro­zent, mit Zin­ses­zins, wür­de sich das auf – was weiß ich, wie viel genau – belau­fen, nur dass man sich, wenn die Zeit abge­lau­fen und die Wet­te fäl­lig wäre, mit dem auf­ge­lau­fe­nen Kapi­tal die Höl­le selbst wür­de kau­fen können.

Ein ande­rer Ver­rück­ter gedenkt aus mei­nen fünf­zehn Mil­lio­nen Schä­deln und Ske­let­ten ein Denk­mal zur Ver­ewi­gung mei­nes Namens zu errich­ten und gebär­det sich mit rach­süch­ti­ger Begeis­te­rung ob sei­nes kurio­sen Pro­jekts. Er hat alles aus­ge­rech­net und maß­stabs­ge­treu geplant. Aus den Schä­deln gedenkt er mir eine Kom­bi­na­ti­on von Monu­ment und Mau­so­le­um zu errich­ten, das exakt der gro­ßen Che­ops­py­ra­mi­de ent­spre­chen soll, deren Grund­flä­che gut fünf Hekt­ar beträgt und deren Spit­ze 137 Meter über dem Boden liegt. Er wünscht sich, mich aus­stop­fen und auf die­ser Spit­ze in den Him­mel stel­len zu kön­nen, in Ornat und Kro­ne, mit mei­ner »Pira­ten­flag­ge« in der einen Hand und einem Schlach­ter­mes­ser und Hand­schel­len in der ande­ren. Er gedenkt, die Pyra­mi­de inmit­ten eines ent­völ­ker­ten Gebie­tes zu errich­ten, inmit­ten einer brü­ten­den Ein­öde voll Unkraut und den ver­mo­dern­den Rui­nen nie­der­ge­brann­ter Dör­fer, wo die Geis­ter der Ver­hun­ger­ten und Ermor­de­ten in alle Ewig­keit ihre Kla­gen vor­tra­gen wer­den, im Gesäu­sel eines unste­ten Winds. Von der Pyra­mi­de aus­ge­hend, wie die Spei­chen eines Rades, sol­len vier­zig gro­ße Pracht­stra­ßen ent­ste­hen, jede fünf­und­drei­ßig Mei­len lang und zu bei­den Sei­ten von schä­del­lo­sen Ske­let­ten gesäumt; in einer Rei­he auf­ge­stellt, in andert­halb Metern Ent­fer­nung, an den Hand­ge­len­ken mit guten alten Hand­schel­len ver­bun­den, in die mein pri­va­tes Mar­ken­zei­chen – ein Kru­zi­fix gekreuzt mit einem Schlach­ter­mes­ser – ein­ge­prägt ist, dazu das Mot­to: »Unter die­sem Zei­chen flo­rie­ren wir«; jeder die­ser knö­cher­nen Zäu­ne soll aus 200.000 Ske­let­ten je Sei­te bestehen, also 400.000 an jeder Allee. Mit Genug­tu­ung stellt man fest, dass so (ein­rei­hig) ins­ge­samt drei- oder vier­tau­send Mei­len von Ske­let­ten zusam­men­kä­men – alles in allem 15.000.000 –, was einer Stre­cke quer über den ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent von New York bis San Fran­cis­co ent­spricht. Wei­ter bemerkt man – im hoff­nungs­vol­len Ton­fall einer Eisen­bahn­ge­sell­schaft, die prot­zig auf die geplan­te Erwei­te­rung ihres Schie­nen­net­zes ver­weist, dass mein Aus­stoß 500.000 Lei­chen pro Jahr betra­ge, wenn mei­ne Fabrik auf Hoch­tou­ren läuft, und dass es daher, wenn ich zehn wei­te­re Jah­re unge­scho­ren davon­kä­me, genug fri­sche Schä­del geben wür­de, um die Pyra­mi­de um 53 Meter auf­zu­sto­cken, was sie bei wei­tem zum höchs­ten Bau­werk der Erde machen wür­de; außer­dem gäbe es damit genü­gend fri­sche Ske­let­te, um die trans­kon­ti­nen­ta­le Rei­he (auf Pfäh­len) tau­send Mei­len weit in den Pazi­fik hin­aus­zu­trei­ben. Die Kos­ten dafür, die Mate­ria­li­en von mei­nen »unzäh­li­gen und weit ver­streu­ten Pri­vat­fried­hö­fen« zusam­men­zu­tra­gen, sowie für den Bau des Monu­ments und der Prunk­stra­ßen belau­fen sich, ord­nungs­ge­mäß kal­ku­liert, auf Mil­lio­nen von Gui­ne­as, und dann – ja, war­um eigent­lich? – ( — -! ! — - -! !) ver­langt die­ser Schwach­kopf von mir, das Geld dafür auf­zu­brin­gen! [Plötz­li­che und exal­tier­te Ges­te mit dem Kru­zi­fix] Er erin­nert mich dar­an, dass mein jähr­li­ches Ein­kom­men aus dem Kon­go Mil­lio­nen von Gui­ne­as betra­ge, und dass für sein Unter­fan­gen doch »nur« 5.000.000 erfor­der­lich wären. Tag für Tag ver­übt man die irr­wit­zigs­ten Anschlä­ge auf mein Porte­mon­naie; nicht dass sie mich berüh­ren, sie kos­ten mich auch nicht einen Gedan­ken. Aber die­ser – die­ser macht mir Sor­gen, die­ser macht mich ner­vös; denn man kann nie wis­sen, was so eine geis­tig ver­wirr­te Krea­tur sich als nächs­tes aus­den­ken wird … Falls er an Car­ne­gie den­ken soll­te – aber die­sen Gedan­ken muss ich aus mei­nem Kopf ver­ban­nen! er beun­ru­higt mich tags­über, er stört mei­nen Schlaf. Das treibt mich noch in den Wahn­sinn. [Nach einer Pau­se] Es geht nicht anders – ich muss Car­ne­gie aufkaufen.

[Ver­stört geht er eine Wei­le brum­melnd auf und ab, dann greift er wie­der zu den Kapi­tel­über­schrif­ten des Kon­suls. Liest]

»Staat ließ die Kin­der einer Frau ver­hun­gern und töte­te ihre Söh­ne.«
»Gemet­zel an Frau­en und Kin­dern.«
»Ein­ge­bo­re­ne durch Hoff­nungs­lo­sig­keit zu Wesen ohne Ehr­geiz gemacht.«
»Frau­en von Kau­tschuk­ein­trei­bern am Hals anein­an­der­ge­ket­tet.«
»Frau­en wei­gern sich, Kin­der zu gebä­ren, weil es sich mit einem Baby im Arm schlecht vor den Sol­da­ten ver­ste­cken lässt.«

»Frau­en am Hals anein­an­der gekettet«

»Aus­sa­ge eines Kin­des. ›Ich, mei­ne Mut­ter, mei­ne Groß­mutter und mei­ne Schwes­ter, wir sind in den Busch davon­ge­lau­fen. Eine gro­ße Zahl von uns wur­den von den Sol­da­ten getö­tet … Dann sahen die Sol­da­ten den Kopf mei­ner Mut­ter und sie kamen zu uns her­über­ge­lau­fen und fin­gen uns ein, mei­ne Groß­mutter, mei­ne Mut­ter, mei­ne Schwes­ter und ein ande­res Kind, das jün­ger war als wir. Jeder woll­te mei­ne Mut­ter zur Frau neh­men und so gerie­ten sie dar­über in Streit, so dass sie schließ­lich beschlos­sen, sie ein­fach zu töten. Sie schos­sen ihr mit einem Gewehr in den Bauch und sie fiel um, und als ich das sah, wein­te ich sehr, weil sie mei­ne Groß­mutter und mei­ne Mut­ter getö­tet hat­ten und ich allein zurück­blieb. Ich habe das alles gesehen!‹«

Das klingt durch­aus irgend­wie bedau­erns­wert, auch wenn es nur Schwar­ze sind. Ich füh­le mich in die Ver­gan­gen­heit zurück­ver­setzt, in die Zeit, als mei­ne Kin­der noch klein waren und davon­lie­fen, wenn sie mich kom­men sahen … sozu­sa­gen in den Busch [nimmt die Lek­tü­re der Kapi­tel­über­schrif­ten im Bericht des Kon­suls wie­der auf]

»Kind mit einem Mes­ser in den Bauch gesto­ßen.«
»Sie hack­ten allen die Hän­de ab und brach­ten sie zu C. D. (einem wei­ßen Offi­zier) und brei­te­ten sie in einer Rei­he aus, damit er sie zäh­len konn­te.«
»Gefan­ge­ne Kin­der von Sol­da­ten im Busch dem Tode über­las­sen.«
»Freun­de kamen, ein gefan­ge­nes Mäd­chen frei­zu­kau­fen; aber der Wäch­ter wei­ger­te sich und sag­te, der wei­ße Mann wol­le es ihrer Jugend wegen behalten.«

»Aus­zug aus dem Zeug­nis eines Ein­ge­bo­re­nen­mäd­chens. ›Unter­wegs fan­den die Sol­da­ten ein klei­nes Kind, das lach­te, als man es töten woll­te, wor­auf­hin ein Sol­dat mit dem Kol­ben sei­nes Gewehrs auf das Kind ein­schlug und ihm dann den Kopf abhieb. Eines Tages töte­ten sie mei­ne Halb­schwes­ter und hack­ten ihr Kopf, Hän­de und Füße ab, weil sie Arm­rei­fen trug. Dann fin­gen sie eine ande­re Schwes­ter ein und ver­kauf­ten sie an die W.W.-Leute, bei denen sie jetzt als Skla­vin lebt.‹«

Das klei­ne Kind hat gelacht! [Eine lan­ge Pau­se. Er über­legt.] Die­ses unschul­di­ge Geschöpf. Irgend­wie – wünsch­te ich, es hät­te nicht gelacht. [Liest]

»Ver­stüm­mel­te Kin­der.«
»Die Regie­rung ermu­tigt den Skla­ven­han­del zwi­schen den Stäm­men. Die unge­heu­ren Geld­stra­fen, die Dör­fern auf­er­legt wer­den, wenn sie mit ihren Lebens­mit­tel­lie­fe­run­gen in Ver­zug gera­ten, zwin­gen die Ein­ge­bo­re­nen, ihre Stam­mes­an­ge­hö­ri­gen – selbst Kin­der – an ande­re Stäm­me zu ver­kau­fen, um die Stra­fe zu zahlen.«

»Ein Vater und eine Mut­ter sehen sich gezwun­gen, ihren klei­nen Jun­gen zu ver­kau­fen.«
»Wit­we sieht sich gezwun­gen, ihr klei­nes Mäd­chen zu verkaufen.«

[Irri­tiert] Zum Teu­fel mit die­sem ein­tö­ni­gen Nörg­ler! Was soll ich denn tun? Eine Wit­we frei­las­sen, nur weil sie Wit­we ist? Er weiß ganz genau, dass es längst nur noch Wit­wen gibt. Ich habe nichts gegen Wit­wen als Klas­se, aber Geschäft ist Geschäft, und ich muss doch auch leben, oder etwa nicht, auch wenn dar­aus dem einen oder ande­ren Unbill erwächst? [Liest]

»Män­ner, die durch Fol­ter ihrer Frau­en und Töch­ter ein­ge­schüch­tert wer­den. (Um die Män­ner zum Bei­brin­gen von Gum­mi und Fura­ge zu zwin­gen, um ihre gefan­ge­nen Frau­en aus Ket­ten und Gefan­gen­schaft zu befrei­en). Der Auf­se­her erklär­te mir, dass er die Frau­en auf Anwei­sung sei­nes Arbeit­ge­bers ein­ge­fan­gen und (Hals an Hals anein­an­der­ge­ket­tet) her­ge­bracht hat.«
»Ein Beam­ter erklär­te, er sehe sich ange­hal­ten, erst Frau­en, dann Män­ner ein­zu­fan­gen, da die Män­ner dann schnel­ler Mate­ri­al und Fura­ge bei­bräch­ten; er erklär­te jedoch nicht, wie die Kin­der, ihrer Eltern beraubt, sich ernähr­ten.«
»Eine Rei­he aus 15 (gefan­ge­nen) Frauen.«

Man lässt Frau­en und Kin­der in den Gefäng­nis­sen Hun­gers sterben.«

[Sin­nie­rend] Tod durch Hun­ger. was für ein lan­ges, schlei­chen­des Elend muss da wohl sein. Tage­lang und noch mal tage­lang. Nach und nach ent­schwin­det dem Kör­per die Kraft, – ja, es muss wohl von allen Arten zu ster­ben die schlimms­te sein. Und dabei zu sehen, wie Essen her­bei­ge­bracht wird, Tag für Tag, und nichts davon abha­ben zu kön­nen. Natür­lich schrei­en die klei­nen Kin­der danach, was den Müt­tern das Herz zer­reißt … [Ein Seuf­zen] Nun, das lässt sich nun mal nicht ändern; die Umstän­de machen der­lei Dis­zi­plin uner­läss­lich. [Liest]

  1. THE P. R. WARREN CO., BOSTON, MASS. 1905, Copy­right, 1905 By Samu­el L. Cle­mens; ein Ori­gi­nal des gemein­frei­en Tex­tes fin­den Sie hier []
  2. »maß­los«: sie­he am Ende letz­ter Fol­ge []
SlangGuy

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