Im April 1861 begann in den Vereinigten Staaten ein Bürgerkrieg, der über einer Million Amerikanern das Leben kostete. Wesentlicher Auslöser für diesen blutigen Bruderzwist war der Versuch des amerikanischen Südens, sich von der Union loszusagen. Wesentlicher Grund für diesen Sezessionsversuch wiederum war der Streit um Beibehaltung oder Abschaffung der Sklaverei. Die Union gewann den Krieg vier Jahre später. Die Sklaverei fand damit ein Ende. 1868 schließlich sprach der Kongress in einem 14. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung, nicht nur den eben befreiten Sklaven Bürgerstatus und Rechtsschutz zu, sondern legte darin auch fest, dass Putschisten, die je als »officer of the United States« einen Eid auf die Verfassung geschworen hatten, nie wieder ein öffentliches Amt, bekleiden sollten – schon gar nicht das eines Präsidenten.
Wie so vieles im amerikanischen Selbstverständnis war das nie ein Problem gewesen. Schon deshalb nicht, weil niemand auf die Idee gekommen wäre, gewaltsam eine gewählte Regierung stürzen zu wollen. Aber dann kam ein orangener Heißluftballon, der aus den luftigen Höhen seiner krankhaften Einbildung Nebelgranaten unters amerikanische Stimmvieh warf. Und in diesem Nebelschleier am 6. Januar 2021 tatsächlich zum Sturm auf Washington rief.
Und als sich dies, wie jedes »geschäftliche Unterfangen« in seinem Leben, als Schuss in den Ofen erwies und er sich nun dafür zur Rechenschaft gezogen sieht, beruft er sich, wie bei ihm üblich, auf eine alternative Auslegung der Fakten, in diesem Fall unter anderem auf eine alternative Exegese der US-Verfassung. So ist seiner Ansicht nach ein Präsident kein »officer of the United States« und außerdem hätte es sich bei der ganzen Geschichte ja wohl nicht um einen »Aufstand« oder gar eine »Rebellion«1 gehandelt. So hat sich denn nun einmal mehr die amerikanische Gerichtsbarkeit mit Trumps entrückter Weltsicht auseinanderzusetzen.
Wir kennen den »Officer« aus amerikanischen Krimis als Bezeichnung für einen Polizisten, der im Gegensatz zum Kriminaler, dem »Detective«, eine Uniform trägt. Gelegentlich wird daraus ein »ossifer«, was auf die Trunkenheit des von einem Polizisten angehaltenen Kraftfahrers weisen soll. Das ist nicht weiter kompliziert, außer dass der als »Detective« addressierte sich zuweilen ans Bein gepisst fühlt, weil er »Sergeant« oder gar ein »Lieutentant« ist. Im Deutschen würde man sich eine ähnlich unkomplizierte Anrede für einen Polizeibeamten wünschen, denn der »Wachtmeister« ist doch etwas angestaubt und oft auch gar nicht zutreffend, weil die Dienstgrade viel zu kompliziert für den Laien und die Rangabzeichnen nicht für jeden ersichtlich sind. Ist ja nicht wie beim Barras.
Im Englischen bezeichnet der »officer« über den uniformierten Polizisten hinaus aber eine ganze Reihe weiterer Personen, allen voran natürlich den des Offiziers beim Militär. Dann fallen unter den Begriff eine Reihe Angehöriger des Personenkreises, der bei uns unter den »Beamten« fällt und damit Staatsdiener bezeichnet. Dann haben wir in der Wirtschaft Leute wie den »CEO«, den »Chief Executive Officer«, also den Chef eines Unternehmens, Begriffe, die längst auch hier etabliert sind. Da gibt es eine ganze Reihe mehr, den »Chief Operating Officer« (den leitenden Geschäftsführer), den »CFO« (Finanzdirektor) etc. Und schließlich haben wir noch allerhand »Funktionäre«, Vorstandsmitglieder etwa eines Klubs.
Woran sich die amerikanische Politik, eigentlich nur Trumps Behauptung wegen, hochzieht, das ist der Begriff »officer of the United States« und die daraus resultierende Frage: »Ist der Präsident nun ein solcher officer of the United States oder nicht?« Das ist wichtig, da er ein solcher sein muss, um überhaupt für den mutmaßlich angezettelten Putsch belangt werden zu können. Mit anderen Worten: Hat er als »officer of the United States« einen Eid auf den Schutz der Verfassung geschworen?
Die Antwort mag auf den ersten Blick klar sein, aber wer immer mal mit dem Recht zu tun gehabt hat, der weiß, dass da je nach Interessenlage eine Menge gedeutelt wird. So auch hier. Die einen sagen ja, der Präsident der Vereinigten Staaten sei ein Staatsdiener im Sinne der Gründungsväter, also im Sinne der Verfassung von 1788, andere wiederum lehnen diese Ansicht ebenfalls unter Berufung auf die Verfassung ab.
Die erste Fraktion, die Trump für rechenschaftspflichtig hält, stützt sich auf einen im August 2023 erschienen Artikel der Professoren William Baude and Michael Stokes Paulsen, laut dem Trump für das Amt des Präsidenten nicht mehr in Frage komme, da seine Handlungsweise am 6. Januar die Bedingungen eines Aufstands erfüllten. Was in 21 Bundesstaaten Bestrebungen auslöste, Trump von den Wahlzetteln streichen zu lassen. Das Problem war nur, die beiden Juristen setzten dabei den »officer«-Status des Präsidenten mehr oder weniger stillschweigend voraus. Das nun bestreiten vehement Juristen wie Josh Blackman und Seth Barrett Tillman. Ihnen zufolge habe »officer of the United States« im Absatz 3 des 14. Zusatzartikel dieselbe Bedeutung wie in der Verfassung von 1788 – und eben deshalb sei »der gewählte Präsident kein ›officer of the United States‹.«2
So kam das Oberste Gericht in Colorado kurz vor Weihnachten zu dem Schluss, dass Trump dem Wortlauf von Zusatzartikel 3 zufolge von der Vorwahl von der Vorwahl auszuschließen und damit vom Stimmzettel zu streichen sei: »Wenn alle Mitglieder des 39. Kongresses und deren Zeitgenossen den Begriff ›officer‹ in seiner üblichen Bedeutung auf den Präsidenten anwandten, halten wir es für gegeben, dass dies dieselbe Bedeutung ist, die von Verfassern im Abschnitt 3 beabsichtigt war.« Man führte eine Handvoll Beispiele für die Verwendung von »officer of the United States« auf den Präsidenten an.
Darüber, dass der orangefarbene Troll sich nicht als Staatsdiener sieht, braucht man nicht groß zu diskutieren. Er sah sich als »König« und träumt mittlerweile von einer absoluten Diktatur. So argumentierte er in seiner Einlassung zum Urteil von Colorado, es gebe »keine einzige Autorität, laut der der Präsident ein officer of the United States ist … keinen Fall, kein Gesetz, kein Kongressprotokoll, keinen allgemeinen Sprachgebrauch, keine Stellungnahme des Justizministers. Nichts«. Die Juraprofessoren Heilpern und Worley haben sich eine Menge Mühe gemacht, Belege dafür zusammenzutragen, dass dem nicht so ist.3
Da der Supreme Court sich denn doch zur Beratung über Trumps Fall entschlossen hat, harrt man seinem Spruch mit großer Spannung entgegen. Überspitzt gesagt läuft das Ganze darauf hinaus, ob ein künftiger US-Präsident seine politischen Rivalen vom SEAL-Team Six, dem Killerkommando der Navy, beseitigen lassen kann, ohne dafür belangt zu werden. Zusätzliche Brisanz gewinnt die Frage durch die Ermordung des russischen Regimegegners Alexei Nawalny, mit der Putin – durch das von Trumps Äußerungen zur NATO geschaffene Klima ermutigt – Zeichen zu setzen versucht. Und dass Trump auf dessen Spuren zu wandeln gedenkt, hat er ja die letzten Monate über mitzunehmender Deutlichkeit gesagt. Und dass das orangene Rumpelstilzchen nicht aufgeben wird bei seinem Versuch, wieder an die Macht zu kommen, allein schon um sich der Verantwortung für den 6. Januar zu entziehen, ist ebenfalls klar.4
Was die Geschichte vollends zum filmreifen Thriller macht, ist dann noch die Frage, ob Richter Clarence Thomas sich für befangen erklärt und sich der Entscheidung enthalten wird. Immerhin hat dessen Frau Ginni sich im Vorfeld des 6. Januar nachweislich für ein Kippen der Wahlhttps://www.youtube.com/watch?v=Xzt5iz4QXEo&t=230s von 2020 stark gemacht.5
Anmerkungen
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