Donald Trump behauptet so gern wie oft, die Republikaner seien zur reinen MAGA-Partei geworden, die Grand Old Party stünde, mit anderen Worten, zu 100 Prozent hinter ihm und seinem Programm zur Abschaffung der Demokratie in den USA. So ganz richtig ist das, wen wollte das bei der durchgeknallten Orange wundern, allerdings nicht. Wie so einige seiner Wähler wenden sich auch immer mehr Parteigenossen von dem Mann ab. Spät und aus welchen Gründen auch immer, aber immerhin. Ein Mann, der bereits viel früher Rückgrat gezeigt und seinem Boss Paroli entschieden geboten hat, ist Trumps ehemaliger Vize Mike Pence.
Mike Pence ist Republikaner durch und durch und, daran besteht nicht der geringste Zweifel, erzkonservativ. Der ehemalige Gouverneur des Bundesstaats Indiana und spätere Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses, tat sich vor allem durch seine Anti-Abtreibungsinitiaven, die Förderung privater – sprich kostenpflichtiger – Bildung, und die größten Steuersenkungen in der Geschichte Indianas hervor.1 Mit seiner Vorlage zu einem Religious Freedom Act2, einem Gesetz zur Wiederherstellung der Religionsfreiheit, stieß er selbst in seiner eigenen Partei auf Widerstand, geschweige denn bei all denen, die nicht der Vorstellung des weiß-christlichen Mainstreams von Männlein und Weiblein entsprachen. Sie befürchteten eine Diskriminierung unter anderem aufgrund von sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität. Auch seine Schusswaffenpolitik entspricht ganz der Linie der National Rifle Association.
Das nur kurz vorab, um klarzustellen, dass der Mann alles andere als ein Liberaler ist. Obwohl er sich 2016 zunächst für Ted Cruz stark gemacht hatte, unterstützte er plötzlich, praktisch über Nacht, Donald Trump. Als Grund dafür nannte er seine Dankbarkeit dafür, dass Trump sich gegen die Abwanderung von Arbeitsplätzen von Indiana nach Mexiko stark gemacht hatte.3 Kurz darauf sah Pence sich zu Trumps Vize ernannt und unterstützte seinen Präsidenten mit unerschütterlicher Loyalität. Nicht nur dessen Afghanistan-Politik, er stand ihm auch bei unzähligen Kontroversen zur Seite, so etwa im Falle des »Access Hollywood«-Tapes4, bei Trumps Eintreten für Wladimir Putin gegenüber den US-Geheimdiensten sowie nach der tödlichen Kundgebung Rechtsradikaler in Charlottesville5 und vielem mehr.6
Darüber ist Pence, der bereits in der Politik war, als man von Trump im politischen Kontext noch nicht einmal sprach, für viele derjenige, der die konservativ gläubige Rechte auf Trump gebracht oder sie ihm zugeführt hat. Alyssa Farah Griffin, Sprecherin für Trump und Pence, sagte dazu: »Überall im Land gibt es Menschen wie mich, die ihm vertrauen. Sie halten ihn für einen Mann des Glaubens. Wahrscheinlich ist er derjenige, der sie 2016 von Trump überzeugt hat.«7
Mittlerweile hat er sich von Trump distanziert.
Frage: … aber von Ihnen haben wir nichts gehört. Werden Sie Ihren ehemaligen Präsidenten unterstützen, schließlich waren Sie beim letzten Mal mit ihm auf seiner Liste?
Nun, Martha, ich weiß die Frage zu schätzen, und es dürfte niemanden überraschen, dass ich Donald Trump dieses Jahr nicht unterstützen werde. Sehen Sie, ich bin unglaublich stolz auf die Bilanz unserer Regierung. Es war eine konservative Bilanz, die Amerika wohlhabender und sicherer gemacht hat, und … und die Konservative ernannt sah auf unserem Kurs in eine friedlichere Welt … äh … aber … äh … so weit, so gut, während meiner Präsidentschaftskampagne habe ich jedoch deutlich gemacht, dass es tiefgreifende Differenzen gibt zwischen mir und … und Präsident Trump in einer Reihe von Fragen … und … und … und nicht nur, äh, unsere Differenzen in Bezug auf meine verfassungsmäßigen Pflichten, denen ich am 6. Januar nachkam.
Nun, diese »verfassungsmäßigen Pflichten« bedeuteten am 6. Januar 2021, dass Mike Pence als Senatspräsident der offiziellen Auszählung der Wahlmännerstimmen vorsaß. Er hatte zu tun, was Joe Biden im Januar 2017 getan hatte, nämlich das Gespann mit der Stimmenmehrheit zu Präsident und VP zu erklären.8 2017 hatte Biden anstandslos, wenn auch vermutlich zähneknirschend, das Team Trump/Pence zum Sieger über das Team Clinton/Kaine erklärt. Die Frage, ob Mike Pence, der Trump immerhin vier Jahre lang geradezu hündisch gedient hatte, diesen Pflichten nachkommen würde, stand schon Ende des Vorjahres im Raum: »Werden Mike Pences verfassungsrechtliche Pflichten ihm die politische Zukunft ruinieren? Vier Jahre lang hat er versucht, sich als Trumps Nachfolger zu positionieren, doch nun hat er gegen den Widerstand seines Chefs den Vorsitz über Bidens Amtsantritt zu übernehmen.«9 Mike Pence kam dieser Verpflichtung nach und erklärte das Team Biden/Harris zu Präsident und VP. Und Trump in seiner psychopathischen Art sah in Pences Pflichtbewusstsein nicht nur einen Verrat, sondern den Verrat schlechthin. Und wer immer Trumps Meinung dem Mob gesteckt hatte, dieser brüllte den Zorn seines Sektenführers vor laufenden Kameras skandierend hinaus in die Welt:
Mob: Hängt Mike Pence! Hängt Mike Pence!
Sie erinnern sich an die Sprechchöre: Hängt Mike Pence! Hängt Mike Pence?
Nun, mit Jack Smith’s Ermittlungen vertrauten Quellen zufolge sagte Trumps ehemaliger persönlicher Assistent, Nick Luna, Bundesermittlern gegenüber, Trump hätte, als er erfuhr, man hätte seinen Vizepräsidenten schnell in Sicherheit bringen müssen, mit einem ›Na und?‹ reagiert.
Außerdem habe Luna denselben Quellen zufolge Ermittlern gegenüber ausgesagt, Trump hätte durchaus ›zugelassen, dass einem seiner bis dahin engsten Verbündeten etwas zustieß‹
»Mike Pence«, so twitterte Trump noch am selben Nachmittag, »hatte nicht den Mut, zu tun, was zum Schutz unseres Landes und unserer Verfassung hätte getan werden müssen, nämlich den [Bundes]Staaten die Möglichkeit zu geben, einen korrigierten Sachverhalt abzusegnen und nicht den betrügerischen oder ungenauen, den sie zuvor bestätigen sollten.«10
Mike Pence hätte also mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses warten sollen, bis die auf Geheiß seines Präsidenten »korrigierten« Resultate eintrudelten. »In der Zeit zwischen der Wahl und dem Aufruhr drängte Trump die lokalen Wahlbeamten, die Wahlergebnisse in ihren Bundesstaaten rückgängig zu machen, übte Druck auf … Mike Pence aus, die Bestätigung der Stimmen zu stoppen, und behauptete fälschlicherweise, die Wahl sei gestohlen worden — eine Behauptung, die von Richtern wiederholt zurückgewiesen wurde.«11 Natürlich hätte Pence als Senatspräsident und Vorsitzer der Auszählung mauern können, etwa mit Trumps Gegreine, wie unfair das doch alles gelaufen sei. Tatsache ist, dass Pence wohl noch den Funken Anstand hat, der seinem Herrn und Meister so völlig abgeht, er hätte sich also wohl geniert, das so offensichtlich korrekte Ergebnis anzuschwärzen.
In seinen Memoiren So Help me God12 wirft Mike Pence Donald Trumpvor allem vor, seine Familie und all die Menschen in Gefahr gebracht zu haben, die am 6. Januar 2021 am Capitol ihrer Arbeit nachgingen oder ihren Dienst taten. Die Aufständischen, so Pence, »waren gekommen, jum gegen das Wahlergebnis zu protestieren und den Kongress daran an der Erfüllung seiner Pflichten zu hindern, nämlich die Stimmen der Wahlmänner zu öffnen und zu zählen. Dass sie auch nach ihm gesucht hatten, habe er erst später erfahren.
Sein Buch beginnt mit den Worten »Ich war Präsident Trump gegenüber immer loyal.« Vier Jahre, so schreibt er, hätten sie beide eng zusammengearbeitet und nach Ablauf ihrer Amtszeit hätten sie sich freundschaftlich getrennt, »aber als der Präsident sich wieder der Rhetorik befleißigte, die er vor diesem tragischen Tag gepflegt hatte, und öffentlich all die von uns kritisierte, die die Verfassung verteidigt hatten, kam ich zu dem Schluss, dass es wohl das Beste sei, wenn sich unsere Wege trennten.«
Interessant freilich ist, dass Pence in seinem Buch nicht ein einziges Mal Bidens fairen Wahlsieg bestätigt. Und dass er seither zwar gesagt hat, er würde Trump nicht unterstützen, ohne dabei ausdrücklich zu sagen, dass er den Mann nicht wählen würde, spricht wohl Bände. Biden jedenfalls, das hat er ausdrücklich gesagt, käme für ihn nicht in Frage. Da ist bei allem Rückgrat der religiöse Ultra in ihm wohl doch stärker als der verfassungskonforme Patriot.
Anmerkungen
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