Allen Behauptungen Donald Trumps zum Trotz steht die Republikanische Partei nicht mehr ganz so geschlossen hinter ihm und seiner mittlerweile in den schieren Wahnsinn abgedrifteten Politik. Was zwar nichts an seinem Wahlsieg und dem darauf folgenden Untergang unserer wenigstens noch mehr oder weniger demokratischen Welt ändern dürfte, aber dennoch – und sei es auch nur als historische Fußnote – erwähnenswert ist. Sehen wir uns kurz und bündig einige seiner ehemals engsten Mitarbeiter an, die sich etwas entschiedener und öffentlich gegen Trump und seine Politik gestellt haben.
Wir haben uns ja bereits mit Mike Pence befasst, der seinen ehemaligen Chef nicht mehr öffentlich unterstützen möchte. Ob dahinter tatsächlich ein Rückgrat steckt oder lediglich Kalkül, ist nicht so recht zu sagen. Immerhin hat er erklärt, Biden – und damit doch wohl die Demokratie im herkömmlichen Sinn – käme für ihn nicht in Frage, und dass er nicht ausdrücklich gesagt hat, er würde Trump nicht wählen, gibt doch zu denken. Schließlich geht ja seine Stimme wohl indirekt an Biden, wenn er die durchgeknallte Orange nicht wählt und sich der Stimme enthält. Man kann nicht ausschließen, dass er nur persönlich beleidigt ist, weil sein alter Chef ihn am 6. Januar zu gern hätte baumeln sehen. Oder vielleicht findet er, es sehe in der Öffentlichkeit nicht gut aus, wenn er ihm weiter die Stange hält und damit als kriecherisches Weichei dasteht. Wie auch immer, er beruft sich jedenfalls auf »tiefgreifende Differenzen«.1
Sehen wir uns also einige andere ehemalige Mitarbeiter Trumps auf höchster Ebene an, die sich deutlicher von ihm distanziert haben, die zum Teil sogar ihr Abgeordnetenamt in Washington hingeschmissen haben, weil dort keine Politik mehr zu machen sei oder der Kongress, besser gesagt, nur noch der Umsetzung von Trumps durch und durch selbstsüchtigem politischen Wahnsinn diene.
- Ganz oben auf der Liste ehemaliger Trump-Gefolgsleute, die ihrem alten Chef den Rücken gekehrt haben, steht wohl John Kelly. Vier-Sterne-General, ehemals Chef des Ministeriums für Innere Sicherheit und dann Stabschef unter Trump, ist der Mann – wie Pence – erzkonservativ. Und dennoch: Kelly, so der Journalist und Autor Jim Sciutto, habe ihm gesagt, eine zweite Amtszeit Trumps wäre von Grund auf eine Katastrophe für die Amerikaner, insbesondere, wenn der Mann sich keine Sorgen um eine Wiederwahl machen müsste. Kelly merkte 2016 rasch, dass Trump weit »dümmer, unmoralischer, ignoranter und fauler« war, als er anfangs gedacht hatte.2 Kelly bekam es buchstäblich mit der Angst ob so viel Ignoranz. Er verbrachte seine Amtszeit als Trumps Stabschef in dem Versuch, sich um den Mann zu kümmern, ihn in Zaum zu halten, um den Schaden seiner Präsidentschaft zu so gering wie möglich zu halten. So war er es, der Trump nahelegte, im Falle von Kim etwas leiser zu treten und sich mit dem Mann anzufreunden, anstatt ihn zu provozieren. Und er stand selbst in einigen mehr als grenzwertigen Situationen zu seinem Präsidenten.3 Ab dem Juli 2018 jedoch hatte er zunehmend Probleme mit Trumps Äußerungen in der Öffentlichkeit. Im Dezember 2018 schließlich sah Kelly sich von Trump gefeuert. Kellys Fazit über Trump: »Ein Mensch, der keine Ahnung hat, wofür Amerika steht und worum es Amerika geht.«
- Nehmen wir als nächstes John Bolton, einen altgedienten Republikaner, der schon unter Reagan und den beiden Regierungen Bush hohe Ämter bekleidete und dann Trumps Nationaler Sicherheitsberater war. Ihn zitiert Jim Sciutto in seinem Buch The Return of Great Powers4 folgendermaßen: »Ich glaube einfach nicht, dass er genug Verstand hat, um [hinsichtlich Amerikas Chinapolitik] eine konsequente Meinung zu haben, da er alles und jedes durch das Prisma ›Was schaut dabei für Donald Trump heraus?‹ sieht … ›Wenn ich eine gute Beziehung zu Xi Jinping habe, dann ist auch zwischen USA und China alles bestens.‹« Boltons Ansicht nach würde Trump dort weitermachen, wo er zum Ende seiner ersten Amtszeit aufgehört hatte, und von da an ginge es weiter bergab. Und er ist noch nicht einmal der Meinung, dass Trump Amerika zwangsläufig in den Abgrund schubsen würde, schließt das aber auch keinesfalls aus.
- Bill Barr war bereits Ende 1991 bis Januar 1993 US-Justizminister im Kabinett von George H. W. Bush. Donald Trump ernannte ihn im Februar 2019 zum Justizminister, im Dezember 2020 trat Barr zurück. Barr zufolge wusste Trump 2020 sehr wohl, dass er die Wahl verloren hatte.5 Er bezeichnet die Handlungsweise, die ihm in der einschlägigen Anklage zur Last gelegt wird, als »ekelhaft« und »verabscheuungswürdig«. »Jemand, der ein Verfahren, das für unser System und unsere Selbstverwaltung von grundlegender Bedeutung ist, auf diese Weise unter Druck setzt, sollte nicht einmal in der Nähe des Oval Office sein.«6 Barr ist jedoch einer jener Fälle, die zeigen, wie extrem die GOP nach rechts gerückt ist, schließt er doch nicht aus, letztlich doch Trump zu wählen. »Sie haben kürzlich NBC News gegenüber auf die Frage, ob Sie Trump unterstützen würden, gesagt, von der Brücke würden Sie springen, wenn es soweit ist. … Sind Sie bereit, von dieser Brücke zu springen?« – »Nein, ich muss die konkrete Situation abwarten. Dann wähle ich mein Gift … Übrigens halte ich auch Biden für das Amt nicht geeignet … Meiner Ansicht nach hat Biden die Schlüssel des Königreichs den radikalen Progressiven übergeben. Und was seine persönliche Ethik angeht, so gibt es da meiner Meinung nach einige Warnsignale, auf die man achten sollte. Ich glaube nicht, dass er Trump moralisch unbedingt überlegen ist.«7 Nachtrag: Bill Barr hat es sich mittlerweile wieder anders überlegt: »Ich habe immer gesagt, dass es meine Pflicht ist, bei zwei schlechten Entscheidungen die Person zu wählen, die meiner Meinung nach dem Land am wenigsten schaden würde”, antwortete Barr. »Ich denke, ich werde für die Republikaner stimmen, die republikanische Plattform unterstützen. Für mich ist die wahre Gefahr für das Land, die wahre Gefahr für die Demokratie, sagen wir mal, ist die progressive Agenda. Trump mag russisches Roulette spielen, aber eine weitere Biden-Regierung kommt meiner Ansicht nach einem nationalen Selbstmord gleich.«8 Diese würdelose Wende ist wohl weniger ein Zeichen von Rückgratlosigkeit als eine Reaktion auf die tiefsitzende Angst vor einer sich verändernden Welt – selbst wenn deren Veränderungen noch nicht mal über das hinausgehen, was die Konservativen ohnehin schon immer wollten. Diese Leute wollen in ihrer panischen Angst das Rad der Zeit zurückdrehen freilich in eine Ära, die es nur in ihrer Phantasie gegeben hat.
- Kommen wir zu Mark Milley, von Oktober 2019 bis Ende September 2023 Generalstabschef der US-Streitkräfte.9 Milley hatte, wie schon John Kelly, ein Problem mit der Politisierung des Militärs.10 Milley hatte schon nach Trumps Abwahl im November 2020 vor einem »Reichstag-Augenblick« gewarnt, soll sogar Parallelen zwischen Trump und Hitler gezogen haben.11 In einem Telefonat mit Nanci Pelosi, der er seine Entschlossenheit versichern wollte, Amerikas nukleares Arsenal vor Trumps Zugriff zu schützen, pflichtete er dieser bei, dass Trump verrückt sei – und das schon seit langem.12 Einer »heimlichen Korrespondenz« mit China wegen, bei der Milley Trump zufolge die Chinesen über die Gedankengänge des Donald unterrichtet haben soll, erklärte Trump ihn zum Verräter – früher hätte man Leute wie Milley gehängt. Milley sagte zum Abschied: »Wir leisten unseren Eid nicht einem Möchtegern-Diktator. Wir leisten einen Eid auf die Verfassung und … auf die Idee, für die Amerika steht.«
- Rex Tillerson war vom Februar 2017 bis Ende März 2018 Außenminister der USA im Kabinett Trump. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt äußerte Tillerson sich mehrfach kritisch über die politische Richtung seines Präsidenten. So sah er eine »wachsende Krise von Ethik und Integrität“ und warnte vor einer »Dämmerung der Demokratie«, wenn die Führungsspitze der USA es auch im Kleinen mit der Wahrheit nicht mehr so genau nähmen. Er habe Trump immer wieder darauf hinweisen müssen, seine Vorschläge und Vorstellungen verstießen gegen geltendes Recht. »Sein Verständnis für das Weltgeschehen«, so sagte er, »sein Verständnis für die Weltgeschichte und sein Verständnis für die Geschichte der USA war mehr als beschränkt. Es ist wirklich schwer, ein Gespräch mit jemandem zu führen, der nicht einmal das Konzept des Gesprächsbedarfs über dies und jenes versteht.«13
- Die Liste lässt sich beliebig verlängern: Mick Mulvaney, Chris Christie, H.R. McMaster, Stephanie Grisham, Richard Spencer, Tom Bossert, Michael Cohen, Ty Cobb, Alyssa Farah Griffin, Omarosa Manigault Newman, Sarah Matthews, Cassidy Hutchinson, James Mattis, Nikki Haley, Mike Gallagher und
- Anthony Scaramucci: »The Mooch« war im Juli 2017 als Trumps Kommunikationschef vorgesehen. Trump zu seiner Ernennung: »Anthony ist jemand, vor dem ich großen Respekt habe, und er wird diese Regierung sinnvoll ergänzen.« Scaramucci selbst zu seiner Ernennung: »Präsident Trump hat in kurzer Zeit unglaublich viel erreicht, und ich bin stolz darauf, der Regierung eines Präsidenten beizutreten, der weiterhin alles für das amerikanische Volk tun wird.«14 Elf Tage herrschte im ohnehin schon chaotischen Weißen Haus Wrestlemania pur. Pressesprecher und in Personalunion auch Trumps Kommunikationschef Sean Spicer wirft das Handtuch und geht. Als alter Freund Trumps hat Scaramucci offensichtlich erst mal dessen Ohr. In dem Versuch, in seinem Sinne im Weißen Haus aufzuräumen, stürzt The Mooch sich mit schier unglaublicher Vehemenz auf Trumps Stabschef Reince Priebus,15 dem er vorwirft, seiner Ernennung im Wege gestanden zu haben. Überhaupt droht er, die ganze Presseabteilung zu feuern. Trump mag das offensichtlich, er hat ja eine Schwäche für harte Knochen. Dann kommt John Kelly als neuer Stabschef ins Weiße Haus, der den Saustall auszumisten gedenkt. Und mit der erste, der über die Klinge springt, ist The Mooch. Am 30. Juli 2017. Völlig unvermutet.16 Obwohl er Trump einen Intellekt bestätigt, »der ihn für die Präsidentschaft auf einzigartige Weise geeignet« macht, und er den »Mann von der Straße verstehe«17, hat Scaramucci in den Jahren seither kein Hehl aus seiner Ansicht gemacht, dass Trump nicht noch einmal Präsident sein dürfe und dass er zu Präsident Biden steht. Im September 2020 sagte er Bidens Sieg voraus.18 Zwei Jahre später sagte er, Trump habe »das Land schwächer, kranker und ärmer gemacht«.19 Auf CNN beantwortete Scaramucci die Frage nach seiner Stimme für 2024 folgendermaßen: Frage: »Wollen Sie damit sagen – womöglich habe ich Sie falsch verstanden –, dass Sie diesmal Biden unterstützen werden?« Scaramucci: »Nein, nein, hundertprozentig, Sie haben mich da völlig richtig verstanden. Falls Donald Trump der Kandidat ist, … äh … Ich bin in erster Linie Patriot, in zweiter Linie parteiisch, es handelt sich hier um einen Kampf um die amerikanische Demokratie, um einen Kampf für die Freiheit. Wenn Ihnen jemand sagt, dass er vom ersten Tag an wie ein Diktator handeln und seine Gegner verfolgen wird, läuft das dem nun über 200 Jahre währenden Experiment Amerika zuwider. Es ist genau das, was Ihre und meine Familie in diesem Land erfolgreich gemacht hat, und das müssen wir dem amerikanischen Volk erklären … wir müssen das System erhalten.«20
Das sind Leute, die Trump aus engster Nähe kennen und man ist sich da relativ einig. Die Partei funktioniert nicht mehr, ist nur mehr eine Funktion Donald Trumps .… es ist keine Politik mehr zu machen außer Trumps … und diese ist nur noch ein nackter Überlebenskampf, besteht nur noch aus Beleidigungen, Anwürfe und glatten Lügen …
Unterm Strich sollte man diese Aussagen jedoch nicht überbewerten. Der Nachtrag zu Bill Barr ist das beste Beispiel dafür. Chris Sununu (»Ich werde 2024 nicht kandidieren. Trump zu schlagen ist wichtiger.«21) ist ein weiteres Beispiel für einen solchen Heimkehrer. Marco Rubio (»Ein tough guy? Der Typ hat 200 Millionen geerbt. Er musste sich nie anstrengen.«22) spekuliert auf den Posten des Vize. Machen wir uns keine Illusionen, all diese Leute macht noch nicht einmal ein Donald Trump zu Liberalen; sie sind bestenfalls von der MAGA-Fahne gegangen, mit Bidens Mitte-Rechts-Politik kann keiner etwas anfangen. Sie ist ihnen zu »progressiv« und macht ihnen Angst. Eine Gemeinsamkeit all dieser Abtrünnigen ist wohl weniger eine Abkehr von erzkonservativen Werten als die Besorgnis um den Charakter, vor allem die gnadenlose Eigensucht ihres ehemaligen Präsidenten, mit anderen Worten die Überzeugung, dass sich dies weiterhin nicht nur auf seine persönlichen Entscheidungen, sondern auch auf die Beziehungen der USA zu den Großmächten auswirken wird.
Anmerkungen