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Trump-Wör­ter­buch #29: Janu­ary, 6th

Seit dem 11. Sep­tem­ber 2001 hat sich kein Datum der ame­ri­ka­ni­schen Geschich­te dem Gedächt­nis so ein­ge­prägt wie der 6. Janu­ar 2021. An die­sem Tag wur­den die Ame­ri­ka­ner Zeu­gen von etwas bis dahin Unvor­stell­ba­rem – eines gewalt­sa­men Putsch­ver­suchs auf Geheiß eines eben abge­wähl­ten Prä­si­den­ten der USA. Vier Jah­re demo­kra­ti­schen Nie­der­gangs fan­den ihren Höhe­punkt im Ver­such eines Staats­streichs, mit dem Donald Trump das Ergeb­nis einer Wahl zu kip­pen ver­such­te, das nicht sei­nem Wunsch und Wil­len ent­sprach. Bis dahin hät­ten Ame­ri­ka­ner sich schlicht nicht vor­stel­len kön­nen, dass eine ihrer bei­den staats­tra­gen­den Par­tei­en dem Gedan­ken einer von einer schier als Hei­lig­tum ver­ehr­ten Ver­fas­sung garan­tier­ten Demo­kra­tie den Rücken keh­ren könn­te, auch wenn deren Ent­wick­lung genau­ge­nom­men erst 1965 mit der Ver­ab­schie­dung des Voting Rights Act ihre Blü­te erreich­te. Und damit soll jetzt, wenn es nach Trump und sei­ner Sek­te gehen soll­te, schon wie­der Schluss sein?

Dem Free­dom-in-the-World-Index der NGO Free­dom House zufol­ge, die sich der För­de­rung libe­ra­ler Demo­kra­tien ver­schrie­ben hat, sank die Punk­te­zahl von 100 mög­li­chen, die sie Staa­ten für demo­kra­ti­sches Geba­ren ver­leiht, im Fal­le der USA von 90, was in etwa der von Kana­da, Ita­li­en, Frank­reich, Deutsch­land, Japan, Spa­ni­en und dem Ver­ei­nig­ten König­reich ent­sprach, 2021 auf 83. Die­ser Wert war nicht nur nied­ri­ger als der aller eta­blier­ten Demo­kra­tien in West­eu­ro­pa, son­dern auch nied­ri­ger als der neu­er oder his­to­risch schwie­ri­ger Demo­kra­tien wie Argen­ti­ni­en, der Tsche­chi­schen Repu­blik, Litau­en und Tai­wan.1

Die letz­ten Wochen der Prä­si­dent­schaft Donald Trumps, so heißt es in dem Bericht von Free­dom House, sei­en geprägt gewe­sen von bei­spiel­lo­sen Angrif­fen auf eine der sicht­bars­ten und ein­fluss­reichs­ten Demo­kra­tien der Welt: »Nach­dem der schei­den­de Prä­si­dent vier Jah­re lang behörd­li­ches Fehl­ver­hal­ten gedul­det und sogar begna­digt, sich vor der Rechen­schafts­pflicht für sei­ne eige­nen Ver­feh­lun­gen gedrückt und ras­sis­ti­sche und rechts­extre­me Kräf­te ermu­tigt hat­te, ver­such­te er nun offen, sei­ne Wahl­nie­der­la­ge auf ille­ga­le Wei­se zu kip­pen, was dar­in gip­fel­te, dass er einen bewaff­ne­ten Mob auf­sta­chel­te, um die Bestä­ti­gung der Wahl­er­geb­nis­se durch den Kon­gress zu stö­ren.«2

Ob es sich dabei nun um die Fol­ge einer maß­lo­sen Angst vor Woke­ness und wach­sen­der Diver­si­tät han­delt3 oder um die fina­le Aus­prä­gung einer für Ame­ri­ka von Anfang an typi­schen und ab den 1980er-Jah­ren aus dem Ruder lau­fen­den mate­ri­el­len Gier, 4 sei dahin­ge­stellt, uns soll es hier um den 6. Janu­ar 2021 und sei­ne Bedeu­tung gehen. Gesell­schaft­li­che Viel­falt, kul­tu­rel­ler Back­lash und rechts­extre­me Par­tei­en sind in west­li­chen Demo­kra­tien all­ge­gen­wär­tig, aber nur in den USA haben sol­che Extre­mis­ten bis­lang tat­säch­lich die Kon­trol­le über die Regie­rung erlangt und zum Sturm auf die Fun­da­men­te der Demo­kra­tie gebla­sen.5

Schon im Juli 2020 mel­de­te Trump sei­ne Zwei­fel hin­sicht­lich des Brief­wahl­sys­tems an.6 Es ist offen­sicht­lich, dass er eine Abwahl als Wahl­be­trug abtun wird. Im Sep­tem­ber dann wei­gert er sich wäh­rend einer Prä­si­dent­schafts­de­bat­te sich von gewis­sen rechts­ra­di­ka­len Ele­men­ten zu distan­zie­ren: »Proud Boys, hal­tet euch zurück und bereit.«7 Besag­te Proud Boys erle­ben dar­auf einen nie gekann­ten Zulauf wei­ßer Natio­na­lis­ten. Da klar war, dass die lang­sa­me­re Aus­zäh­lung der die Demo­kra­ten favo­ri­sie­ren­den Brief­wahl­stim­men den Repu­bli­ka­nern einen gewis­sen Vor­sprung geben wür­de, woll­te Trump das zu der Behaup­tung nut­zen, er hät­te gewon­nen und die unver­meid­li­che Ver­schie­bung bei den Wahl­er­geb­nis­sen zuguns­ten Joe Bidens sei nichts als Betrug. So erklärt Ende Okto­ber Ste­ve Ban­non sei­nen Mit­ar­bei­tern, Trump habe eine »Stra­te­gie«: »Trump wird ein­fach sei­nen Sieg erklä­ren. Klar? Er wird den Sieg ver­kün­den. Was nicht bedeu­tet, dass er der Sie­ger ist. Er wird nur ›sagen‹, dass er gewon­nen hat.«8

Bereits einen Tag nach der Wahl am 3. Novem­ber behaup­tet Trump bereits, man wür­de die Leu­te, die für ihn gestimmt haben, ent­rech­ten wol­len und dass er das nicht hin­neh­men wür­de. Er möch­te, dass der Obers­te Gerichts­hof die Wahl für abge­schlos­sen und gewon­nen erklärt, »nicht, dass die um 4 Uhr mor­gens irgend­wel­che Stimm­zet­tel fin­den und sie auf die Lis­te set­zen … Wir waren drauf und dran, die­se Wahl zu gewin­nen. Offen gesagt, wir haben die­se Wahl gewon­nen«. Man beginnt damit, Aus­zäh­lun­gen zu stö­ren und umfas­sen­den Betrug zu unter­stel­len. Außer­dem beginnt man, als Biden die erfor­der­li­che Mehr­heit von 270 Wahl­män­ner­stim­men über­schrei­tet, auf­grund »über­wäl­ti­gen­der Bewei­se für Wahl­be­trug« eige­ne Wahl­män­ner ein­zu­set­zen. Der Kopf hin­ter der »Fake-Electors«-Kampagne scheint Ken­neth Che­se­b­ro zu sein.9 Die rechts­na­tio­na­len Oath Kee­pers laden per Text­nach­richt zu einer Grund­aus­bil­dung nach Ohio ein – um für die Amts­ein­set­zung im Janu­ar gerüs­tet zu sein. Am 10. Novem­ber erklärt CIA-Direk­to­rin Gina Has­pel dem Vor­sit­zen­den der Joint Chiefs Mil­ley unter vier Augen, das Land sei »auf dem bes­ten Weg zu einem rech­ten Putsch«.10

Am 14. Novem­ber ver­sam­meln sich MAGA-Anhän­ger auf der Washing­to­ner Free­dom Pla­za zur Unter­stüt­zung von Trumps Behaup­tung einer mani­pu­lier­ten Wahl. Proud Boys, Oath Kee­pers und Three Per­cen­ters sind mit dabei. Die nächs­ten Tage über kommt es zu Geran­gel bei der Zer­ti­fi­zie­rung der aus­ge­zähl­ten Stim­men. Am 23. Novem­ber erklärt Jus­tiz­mi­nis­ter Barr sei­nem Prä­si­den­ten, die US-Staats­an­walt­schaft hät­te selbst nach zwei­wö­chi­gen Ermitt­lun­gen kei­ne Hin­wei­se auf Wahl­be­trug gefun­den, und mahnt den Prä­si­den­ten, das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um sei »kein ver­län­ger­ter Arm Ihres juris­ti­schen Teams«.11

Die ers­ten bei­den Dezem­ber-Wochen ver­ge­hen in hek­ti­schem Hin-und-Her, bei dem Trump offen­bar in maß­lo­sem Zorn sei­ne Behaup­tung von der gestoh­le­nen Wahl umzu­set­zen ver­sucht. Auf Face­book pos­tet er eine Rede dar­über. Über­haupt ver­brei­tet man dort Fehl­in­for­ma­tio­nen zur Wahl und ruft zu poli­ti­scher Gewalt auf. Ken Che­se­b­ro erklärt in einem inter­nen Memo die Absicht hin­ter der Fake-Elec­tors-Kam­pa­gne: Man wol­le mit den fal­schen bzw. »alter­na­ti­ven« Wahl­män­nern die offi­zi­el­le Aus­zäh­lung im Kon­gress sabo­tie­ren, um Zeit zu gewin­nen. Ari­zo­na Repu­bli­ka­ner fra­gen ihre Mit­glie­der, ob sie bereit sei­en, im Kampf um das Wahl­er­geb­nis ihr Leben zu geben. Es kommt zu wei­te­ren Auf­mär­schen der Proud Boys in Washing­ton, Pro-Trump-Kund­ge­bun­gen gegen die Wahl­er­geb­nis­se, von einem Bür­ger­krieg ist eben­so die Rede wie von der Ver­nich­tung der GOP. Trump sol­le sich auf das Auf­stands­ge­setz beru­fen. Trump tweetet sei­ne Aner­ken­nung. Vier Kir­chen wer­den verwüstet.

Am 14. Dezem­ber gewinnt Biden die Wahl im Elec­to­ral Col­lege. Die Stim­men der »alter­na­ti­ven« Wahl­män­ner aus Ari­zo­na, Geor­gia, Michi­gan, Neva­da, Penn­syl­va­nia und Wis­con­sin wer­den ver­wor­fen. Der Streit radi­ka­li­siert sich. Jus­tiz­mi­nis­ter Barr tritt end­gül­tig zurück. Die Miliz The Three Per­cen­ters behaup­tet einen umfas­sen­den Betrug am ame­ri­ka­ni­schen Volk und erklärt, man ste­he Gewehr bei Fuß. um das Land aus den Klau­en des schie­ren Bösen zu befrei­en. Micha­el Flynn schlägt vor, das Kriegs­recht aus­zu­ru­fen – Vene­zue­la habe bei der Wahl die Fin­ger im Spiel gehabt. Am 19. Dezem­ber kün­digt Trump auf Twit­ter eine Kund­ge­bung für den 6. Janu­ar an: »Be the­re, will be wild!« Ein Auf­ruf, der sich wie ein Lauf­feu­er ver­brei­tet. Es wird um die Her­aus­ga­be der Wahl­ma­schi­nen gestrit­ten. Trump for­dert Pence auf, die Zäh­lung der Stim­men am 6. Janu­ar abzu­leh­nen, woge­gen Pence mah­nend Ein­spruch erhebt. Auch sein Nach­fol­ger Als Jus­tiz­mi­nis­ter Jef­frey Rosen und sein Stell­ver­tre­ter Richard Donoghue wei­sen dar­auf hin, dass das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um die Wahl nicht ein­fach kip­pen kön­ne. Wor­auf Trump meint: »Sagen Sie ein­fach, dass die Wahl kor­rupt war, und über­las­sen Sie den Rest mir und den Repu­bli­ka­nern im Kon­gress.« Inter­ne War­nung davor, sich mit Trump ein­zu­las­sen, wer­den laut. Trump hetzt wei­ter auf You­Tube. Einer sei­ner Anhän­ger pro­phe­zeit für den 6. Janu­ar über eine Mil­li­on bewaff­ne­ter Ame­ri­ka­ner zu einer »roten Hoch­zeit«. Auf der eigens ein­ge­rich­te­ten Domain wildprotest.com plant man klein­tei­lig den Auf­stand. Die Bür­ger­meis­te­rin des Dis­trict of Colum­bia for­dert die Natio­nal­gar­de an, die sie nicht bekom­men wird; Laden­in­ha­ber in der Innen­stadt ver­ram­meln ihre Geschäfte.

Nach Syl­ves­ter über­stür­zen sich die Ereig­nis­se. Women for Ame­ri­ca First bekommt für den 6. Janu­ar die Geneh­mi­gung für einen »Marsch für Trump«. Auch von ande­rer Sei­te ver­si­chert man dem abge­wähl­ten Prä­si­den­ten, die »Kaval­le­rie« wür­de kom­men. Trump wirft Pence vor, »zu ehr­lich« zu sein. Trump will in Geor­gia gewon­nen haben und ver­langt vom zustän­di­gen Minis­ter Brad Raf­fen­sper­ger, »11.780 Stim­men« auf­zu­trei­ben, und warnt ihn, er gehe ein “gro­ßes Risi­ko” ein, wenn er sich nicht hin­ter die fal­sche Behaup­tung eines Trump-Sie­ges stel­le. Drei­zehn US-Sena­to­ren und 100 Repu­bli­ka­ni­sche aus dem Reprä­sen­tan­ten­haus ver­spre­chen ihren Ein­spruch gegen die Zer­ti­fi­zie­rung der Wahl. Die Capi­tol Poli­ce sieht sich nicht vor wüten­den Demons­tran­ten, son­dern auch vor wei­ßen Ras­sis­ten und rechts­extre­men Mili­zen gewarnt, die am 6. Janu­ar den Kon­gress angrei­fen wür­den. Eine »Ral­ly to Revi­val« bekommt die Geneh­mi­gung für eine Kund­ge­bung am 5. Janu­ar auf dem Free­dom Pla­za. Trump möch­te Jef­frey Clark, der sei­ne Wahl­be­trugs­lü­ge unter­stützt, als Chef des Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums sehen. Rosen, Donoghue und ande­re dro­hen mit dem Rück­tritt. Im Hin­ter­grund läuft die Dis­kus­si­on um die Hil­fe­stel­lung durch die Natio­nal­gar­de. Der Chef der Proud Boys wird in D.C. ver­haf­tet und ange­klagt; er hat­te am 12. Dezem­ber ein Black Lives Mat­ter-Ban­ner ver­brannt und zwei beson­ders dimen­sio­nier­te und damit ver­bo­te­ne Maga­zi­ne für Schuss­waf­fen mit. Die Demons­tran­ten pla­nen heim­lich mit Insi­dern aus dem Wei­ßen Haus die Aus­wei­tung ihres Pro­tests hin zum Kapi­tol. Nach wie vor ver­sucht man fie­ber­haft, alter­na­ti­ve Stim­men auf­zu­trei­ben. Trump behaup­tet wei­ter­hin, in jedem Staat mit min­des­tens 100.000 Stim­men gewon­nen zu haben. Pence davon soll die Stim­men­aus­zäh­lung zu behin­dern oder wenigs­tens ver­zö­gern. Ste­ve Ban­non sagt sein Pod­cast-Publi­kum am 5. Janu­ar: »Mor­gen wird hier die Höl­le los sein. Wir ste­hen … kurz vor dem Angriff … schnallt euch an.« Alter­na­ti­ve Wahl­män­ner-Stim­men aus Wis­con­sin und Michi­gan tref­fen ein.

Am Mor­gen des 5. Janu­ar ver­sam­meln sich Tau­sen­de von Trump-Anhän­gern auf der Free­dom Pla­za in der Nähe des Wei­ßen Hau­ses, um gegen die Bestä­ti­gung von Joe Biden als gewähl­ter Prä­si­dent zu pro­tes­tie­ren. Im Lauf des Tages begin­nen die offi­zi­el­len Kund­ge­bun­gen: March to Save Ame­ri­ca, Stop the Ste­al, Eigh­ty Per­cent Coali­ti­on. Laut Ver­tre­tern der Poli­zei, des Mili­tärs, der Natio­nal­gar­de und diver­sen Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den gab es kei­ne Hin­wei­se auf einen koor­di­nier­ten gewalt­sa­men Angriff auf das Kapi­tol der Ver­ei­nig­ten Staa­ten durch Tau­sen­de bewaff­ne­ter Auf­stän­di­scher. Trotz­dem heißt es, die Natio­nal­gar­de sei in Bereit­schaft ver­setzt und die Capi­tol Poli­ce auf die Pro­tes­te vor­be­rei­tet. Wei­te­re ope­ra­ti­ve Hil­fe bei der Bewäl­ti­gung der erwar­te­ten Pro­test­men­ge sei unnö­tig. An die­sem Tag scheint jemand vor den Büros der natio­na­len Zen­tra­len von RNC und DNC zwei Rohr­bom­ben plat­ziert zu haben, die man tags dar­auf fand. Im Wil­lard Hotel hat­te Trump eine Kom­man­do­zen­tra­le ein­rich­ten las­sen. Trumps per­sön­li­cher Anwalt Giu­lia­ni führ­te zusam­men mit Ban­non, East­man und Boris Epsh­teyn das Team. Nach wie vor hofft man auf alter­na­ti­ve Wahl­män­ner­lis­ten und auf die Mit­ar­beit von Mike Pence. Ob die­ser über­haupt die Befug­nis hat, die Wahl­er­geb­nis­se anzu­fech­ten, wird diskutiert.

6. Janu­ar 202112

Nur zur Erin­ne­rung: Die COVID-19-Pan­de­mie sorg­te für erheb­li­che Beein­träch­ti­gun­gen bei der ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­dent­schafts­wahl 2020. Die Sicher­heit der Wäh­ler ging vor. So ver­län­ger­te man etwa die Fris­ten für die vor­zei­ti­ge Stimm­ab­ga­be und locker­te die Anfor­de­run­gen für Bean­tra­gung oder Abga­be von Brief­wahl­stim­men. Nicht zuletzt weil Trump das Aus­maß der Pan­de­mie und den Ernst der Krank­heit wie­der­holt her­un­ter­ge­spielt hat­te, mach­ten die demo­kra­ti­schen Wäh­ler in höhe­rem Maße von der Brief­wahl Gebrauch. Das führ­te zu gericht­li­chen Kla­gen der Repu­bli­ka­ner gegen das Ver­fah­ren und zu Vor­wür­fen, die Wahl wür­de durch die Demo­kra­ten mani­pu­liert. Bereits am 4. Novem­ber, dem Tag nach der Wahl, erklär­te sich Trump, an sei­nem fal­schen Nar­ra­tiv fest­hal­tend, zum Sie­ger und die lau­fen­de Aus­zäh­lung der Brief­wahl­stim­men zum »Betrug am ame­ri­ka­ni­schen Volk«.

Nach­dem die Wahl­män­ner der Bun­des­staa­ten am 14. Dezem­ber ihre Stim­men abge­ge­ben und Biden mit 306 zu 232 Wahl­män­ner­stim­men den Sieg davon­ge­tra­gen hat­te, began­nen Trump und sei­ne Gefolgs­leu­te sich auf den 6. Janu­ar zu kon­zen­trie­ren, den Tag, an dem – wie gesetz­lich fest­ge­legt – in einer gemein­sa­men Sit­zung des Kon­gres­ses die fei­er­li­che Öff­nung und offi­zi­el­le Aus­zäh­lung der Wahl­män­ner­stim­men statt­fin­den soll­te. Vize­prä­si­dent Mike Pence soll­te den Vor­sitz über die Aus­zäh­lung führen. 

Und so began­nen denn auch die Ereig­nis­se des 6. Janu­ars mit einem Tweet des Ex-Prä­si­den­ten »Wenn Vize­prä­si­dent @Mike_Pence sei­nen Teil tut, wer­den wir die Prä­si­dent­schaft gewin­nen.« Offen­bar hat­te man Trump ein­ge­re­det, die Rol­le des Vize­prä­si­den­ten bei der Aus­zäh­lung der Wahl­stim­men ver­lei­he ihm die Befug­nis, demo­kra­ti­sche Wahl­män­ner­lis­ten durch repu­bli­ka­ni­sche zu erset­zen und damit die Bestä­ti­gung von Bidens Sieg durch den Kon­gress zu blo­ckie­ren. Und so heiz­ten, wäh­rend sich die Demons­tran­ten ein­zu­fin­den began­nen, Trump, »Stop the Ste­al«, QAnon, Oath Kee­pers, Proud Boys und Kon­sor­ten den gan­zen Mor­gen über die Stim­mung auf und schau­kel­ten sich gegen­sei­tig hoch an die­sem »Ers­ten offi­zi­el­len Tag der Rebel­li­on«. Schon um acht Uhr mor­gens mel­den Leu­te vom Secret Ser­vice das mili­tä­ri­sche Equip­ment so eini­ger Demonstranten. 

Kurz vor zwölf wen­det Trump sich auf einer der Kund­ge­bun­gen an sei­ne Anhän­ger. Proud Boys umge­hen der­weil das Kapi­tol und durch­bre­chen auf der West­sei­te des Kapi­tols die Absper­rung der Poli­zei. Mike Pence hat offen­sicht­lich nicht die Absicht, sich Truzps Wunsch zu beu­gen. Trump sagt sei­nen Anhän­gern zum Abschied: »Wenn ihr nicht kämpft wie die Teu­fel, habt ihr bald kein Land mehr … Wir gehen jetzt die Penn­syl­va­nia Ave­nue hin­un­ter … zum Kapitol.« 

Dann ver­folgt er von sei­nem Spei­se­saal aus im Fern­se­hen die Unru­hen um das Kapi­tol. Um halb eins beginnt die gemein­sa­me Sit­zung des Kon­gres­ses. und die Gesetz­ge­ber beob­ach­ten, wie Beam­te der Capi­tol Poli­ce schnell durch die Säle gehen. Kurz dar­auf spricht die Poli­zei von einem Auf­stand am Kapi­tol. Um zwei kommt es zu ers­ten Ver­su­chen, Fens­ter und Türen des Kapi­tols auf­zu­bre­chen, und ver­su­chen, in das Gebäu­de ein­zu­bre­chen. Pat Cipol­lo­ne, Rechts­be­ra­ter des Wei­ßen Hau­ses, ver­sucht mit Ivan­ka Trump und dem Stabs­chef des Wei­ßen Hau­ses, Mark Mea­dows, Trump zu einer Erklä­rung zu bewe­gen. Trump bleibt unge­rührt. Zu kei­nem Zeit­punkt tele­fo­niert er um Hil­fe. Um 14 Uhr 13 gelan­gen die ers­ten Ran­da­lie­rer ins Kapi­tol. Das Ple­num löst sich auf; die Sit­zung wird ver­tagt. Die jewei­li­gen Sicher­heits­teams schaf­fen ihre Schütz­lin­ge hin­aus. Trump gießt auf Twit­ter Öl ins Feu­er: »Mike Pence hat­te nicht den Schneid zu tun, was nötig gewe­sen wäre, um unser Land und unse­re Ver­fas­sung zu schüt­zen … Die USA ver­lan­gen die Wahr­heit!« Pence wei­gert sich, das Kapi­tol zu ver­las­sen, der Secret Ser­vice bringt ihn und sei­ne Fami­lie in einen Bereich im Unter­ge­schoss. Mea­dows sieht sich mit Text­nach­rich­ten von repu­bli­ka­ni­schen Abge­ord­ne­ten bom­bar­diert: Trump sol­le sei­ne Anhän­ger dazu bewe­gen, den Angriff auf­zu­ge­ben und nach Hau­se zu gehen. Selbst eine Trump-Getreue wie Mar­jo­rie Tay­lor Gree­ne bit­tet Mea­dows, auf Trump einzuwirken.

Trump begnügt sich mit einem völ­lig unan­ge­mes­se­nen Tweet: »Bit­te unter­stüt­zen Sie unse­re Kapi­tols­po­li­zei und die Voll­zugs­be­am­ten. Sie ste­hen auf der Sei­te unse­res Lan­des. Bleibt fried­lich!« EIne Hor­de Proud Boys dringt eine; eine Ran­da­lie­re­rin wird von der Poli­zei erschos­sen.13 Der Ein­satz der Natio­nal­gar­de wird geneh­migt. Um 15 Uhr 53 wie­der ein zahn­lo­ser Tweet des Ex-Prä­si­den­ten: »Ich bit­te alle im US-Kapi­tol, fried­lich zu blei­ben. Kei­ne Gewalt! Denkt dar­an: WIR sind die Par­tei von Recht und Ord­nung – respek­tiert das Gesetz und unse­re groß­ar­ti­gen Män­ner und Frau­en in Blau. Thank you!« Mea­dows fin­det bei ihm kein Gehör. Gegen 16 Uhr beginnt die Poli­zei, mas­siv gegen die Ran­da­lie­rer vor­zu­ge­hen. Um 16 Uhr 17 schließ­lich sen­det Trump eine Video­bot­schaft, in der er sei­ne Anhän­ger auf­for­dert, nach Hau­se zu gehen Wie­der spricht er von Wahl­be­trug. Um halb fünf grei­fen Ran­da­lie­rer vor dem Kapi­tol die Poli­zis­ten vor dem West Ter­race Arch­way zum Teil mit Knüp­peln an. Sol­da­ten der Natio­nal­gar­de tref­fen ein. Um 18 Uhr wird eine Aus­gangs­sper­re über Washing­ton ver­hängt. Trump twit­tert: »So was pas­siert nun mal, wenn ein hei­li­ger Erd­rutsch­sieg gro­ßen Patrio­ten, die so lan­ge schlecht und unfair behan­delt wur­den, so kur­zer­hand und bös­ar­tig ent­ris­sen wird. Geht in Lie­be und Frie­den nach Hau­se. Erin­nert euch für immer an die­sen Tag!«

Nach einer Durch­su­chung des Kapi­tols eröff­net Mike Pence um 20 Uhr 06 erneut die Sit­zung. Bei­de Häu­ser spre­chen sich, wenn auch alles ande­re als ein­stim­mig, gegen die von Trump gefor­der­te Ableh­nung bestimm­ter Wahl­män­ner­lis­ten aus. 

Trägt Donald Trump die Schuld am Auf­stand vom 6. Janu­ar? Nun, einer umfas­sen­den Stu­die der Har­vard Uni­ver­si­ty über die Beweg­grün­de der Ran­da­lie­rer vom 6. Janu­ar zufol­ge sind die die Daten ein­deu­tig: Am häu­figs­ten nann­ten die 417 Ran­da­lie­rer, die alle vor Gericht gestellt wur­den, Donald Trump und sei­ne Lügen über die Wahl. Man woll­te Trump am 6. Janu­ar in DC unter­stüt­zen, und mach­te sich Sor­gen um die Inte­gri­tät der Wah­len. Die Ergeb­nis­se geben der Abge­ord­ne­ten Liz Che­ney Recht, die bereits gesagt hat­te, Trump habe den Mob nach Washing­ton zitiert, in der Nähe des Kapi­tols ver­sam­melt und ein Streich­holz in die Men­ge gewor­fen.14

Anmer­kun­gen

  1. Sarah Repuc­ci and Amy Slipo­witz, »Demo­cra­cy under Siege«. ↩︎
  2. Ebda. ↩︎
  3. Ste­ven Levits­ky und Dani­el Ziblatt, Tyran­ny of the mino­ri­ty: How Demo­cra­cy Dies. New York: Crown Publi­shing Group, 2023. ↩︎
  4. Gucken Sie dazu Fil­me wie Cock­tail, Das Geld ande­rer Leu­te, Der Kon­zern oder The Wolf of Wall Street. Lesen Sie Robert Reichs Ret­tet den Kapi­ta­lis­mus oder Titel von Ber­nie San­ders wie etwa Es ist okay, wütend auf den Kapi­ta­lis­mus zu sein, Tro­pen, Ber­lin 2023 oder Unse­re Revo­lu­ti­on: Wir brau­chen eine gerech­te Gesell­schaft, Ull­stein, Ber­lin 2017. ↩︎
  5. Ste­ven Levits­ky und Dani­el Ziblatt. ↩︎
  6. Remarks by Pre­si­dent Trump in Press Brie­fing | July 30, 2020. ↩︎
  7. KATHLEEN RONAYNE and MICHAEL KUNZELMAN, »Trump to far-right extre­mists: ‘Stand back and stand by’« AP, Sep­tem­ber 30, 2020. ↩︎
  8. Dan Fried­man, »Lea­k­ed Audio: Befo­re Elec­tion Day, Ban­non Said Trump Plan­ned to Fal­se­ly Cla­im Victory›That’s our stra­tegy. He’s gon­na decla­re hims­elf a win­ner.‹« . Mother Jones, July 12, 2022. ↩︎
  9. Em Steck, Andrew Kac­zyn­ski, Mar­shall Cohen und Alli­son Gor­don, »Exclu­si­ve: Key figu­re in fake elec­tors plot con­cea­led dam­ning posts on secret Twit­ter account from inves­ti­ga­tors«. CNN. Febru­ary 26, 2024. ↩︎
  10. Wil­liam M. Arkin, »‘We Are On the Way to a Right-wing Coup,’ the CIA Direc­tor Pri­va­te­ly War­ned« News­week. 11/11/21. ↩︎
  11. Chris Cil­liz­za, »The 14 most com­pel­ling lines from today’s Janu­ary 6 com­mit­tee hea­ring«. CNN, June 14, 2022. ↩︎
  12. Das Fol­gen­de baut in ers­ter Linie auf den Erkennt­nis­sen von Bryan Duignan, »Janu­ary 6 U.S. Capi­tol attack: riot, Washing­ton, D.C., U.S. [2021]«. Bri­tan­ni­ca, Apr 18, 2024. Jon Green­berg and Amy Sher­man, »Jan. 6 hea­ring details Trump’s inac­tion as Capi­tol riot unfold­ed« Poli­ti­Fact, July 22, 2022. »Time­line of the Janu­ary 6 United Sta­tes Capi­tol attack«. »Sturm auf das Kapi­tol in Washing­ton 2021«. ↩︎
  13. Lau­ren Irwin, »Jan. 6 rio­ter who film­ed Ash­li Bab­bitt shoo­ting sen­ten­ced to 6 years in pri­son«. The Hill, 04/27/24. ↩︎
  14. Ben Coll­ins, Ryan J. Reil­ly and Jacob Ward, »In Har­vard stu­dy of Jan. 6 rio­ters, top moti­va­ti­on is clear: Trump«. NBC News, July 20, 2022. ↩︎
SlangGuy

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Keine von Trumps zweifelhaften Entscheidungen bei der Vergabe von Posten im Weißen Haus wäre besser…

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Trump-Wör­ter­buch #25: Abtrün­ni­ge & Verräter

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