Er hat einen weiten Weg hinter sich: Anwalt und persönlicher Berater Donald Trumps, mehrjähriger Aufenthalt in der Pension Riegelfest, mittlerweile Trumps ärgster Feind und mittels zweier Bestseller und enormem Insiderwissen hofierter Medienstar. Er gilt als Lügner, gibt freimütig zu, wiederholt gelogen zu haben. Man weiß nicht so recht, was man von ihm halten soll. Können ein paar Jahre Knast ein Schlitzohr charakterlich tatsächlich ändern? Will er sich nur rächen? Tatsache ist, dass er aus seiner Geschichte Kapital zu schlagen weiß. Und interessant ist sein Standpunkt allemal.
Michael Cohen, Jahrgang 1966, war von 2006 bis 2018 sowohl als Anwalt und persönlicher Berater Donald Trumps als auch in anderen Funktionen für die Trump Organization, Trump Entertainment und die Eric Trump Foundation tätig. Er galt gemeinhin als Trumps »Fixer«, der Mann, der Mann der für den Boss gewisse Dinge regelte, die im Licht der Öffentlichkeit nicht so gut ausgesehen hätten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Cohens eigener Aussage vor dem Kongress zufolge sah er sich von Trump angewiesen, sämtlichen von ihm besuchten Schulen unter Androhung rechtlicher Schritte die Herausgabe von Noten bzw. Zeugnissen seines Chefs zu verbieten. Was laut Barbara Rees, einer anderen langjährigen Mitarbeiterin Trumps nichts anderes bedeutete, als dass Trump ein nicht eben beeindruckender Schüler war und er nicht möchte, dass das jemand erfährt.1
Das zweite Beispiel dafür, dass Cohen schon »richtete«, was der Donald angerichtet hatte, ist natürlich die sattsam bekannte Stormy Daniels-Affäre. Nach dem Access Hollywood-Sturm (»Pussygrabgate«2) waren Trumps Umfragewerte leicht eingebrochen und ein Sieg Clintons schien unvermeidlich, die Geschichte mit der Pornodarstellerin hätte ihn Kopf und Kragen kosten können. Der Sender ABC hatte Daniels angeblich 150.000 Dollar für die Story geboten. Trump bangte dabei laut Cohen weniger um seinen Ruf als um die Summe, die er »Melania zahlen müsste … Wenn das rauskommt, also ich bin mir nicht sicher, wie das bei meinen Anhängern ankommen würde. Aber ich möchte drauf wetten, die finden es cool, dass ich mit einem Pornostar geschlafen habe«.3
Wie auch immer, nach langem Hin-und-Her biss Cohen – am »Tiefpunkt meiner Zeit mit Trump« – in den sauren Apfel und erklärte sich bereit, privat 130.000 Dollar Hypothek aufzunehmen um die Zeche »für Trumps Sexspielchen in einem Hotelzimmer in Utah vor zehn Jahren« zu zahlen, obwohl er befürchtete, dass Trump ihn genauso übers Ohr hauen würde wie Pecker vom National Enquirer, als der Trump mit 150.000 Dollar im Fall von Playmate Karen McDougal ausgeholfen hatte. So oder so, die Verschwiegenheitserklärung war unter Dach und Fach.
Verstehen Sie mich nicht falsch — ich habe für Donald Trump eine ganze Menge Sachen in Ordnung gebracht, einige verabscheuungswürdige Dinge für ihn getan, und Trump ist ein absolut abscheulicher Mensch. Aber das Steele-Dossier und die darin enthaltenen Anschuldigungen gegen mich, das stand auf einem ganz anderen Blatt.
– Michael Cohen
Im Januar 2017, wenige Tage vor Trumps Vereidigung, begann für Cohen ein Alptraum in Gestalt des so genannten Steele-Dossiers, das Ergebnis eines von den Demokraten in Auftrag gegebenen Versuchs zur Oppositions-Aufklärung. Der Verfasser, Christopher Steele, ein ehemaliger britischer Geheimdienstler, berichtete darin über Kontakte von Trumps Lager, insbesondere auch Cohen selbst, mit russischen Kreisen. Cohen selbst erklärt das Zustandekommen des Berichts damit, dass die Demokraten schlicht keine Ahnung hatten, mit wem sie es da zu tun hatten. »Es war, als könnten sie schlicht nicht glauben, was sie da sahen – die schiere, hasserfüllte Wut, das irrsinnige Maß an Lügen und die unbeirrbare Zielstrebigkeit Trumps … Die Demokraten wollten wissen, wer eigentlich dieser Gegner war.«4 Steele fasste, was immer er an Informationen über Trump und Russlands Versuche, den Kandidaten 2016 zu unterstützen, um ihn möglicherweise später zu erpressen, für glaubwürdig hielt, in siebzehn Memos zusammen. Heute größtenteils als Gerüchte, Hörensagen und schlichte Lügen diskreditiert, sorgte das Dossier damals für weltweite Schlagzeilen und einen Riesenskandal. Weder fand sich »Kompromat« gegen Trump bezüglich der angeblichen »Natursektspiele« in Moskau, noch fanden sich Beweise für geheime Absprachen, so etwa dass Cohen 2016 in Prag gewesen sei, um sich mit den Russen über Bemühungen abzustimmen, Hillary Clinton zu hacken. Cohen selbst bestritt selbst nach seinem Zerwürfnis mit Trump der Zusammenarbeit mit FBI-Ermittler Robert Mueller, jemals in Prag gewesen zu sein.5 Mueller stellte lediglich fest, dass einige Leute aus dem Trump-Lager, Paul Manafort und Carter Page, aisgiebige Kontakte zu russischen Agenten hatten, Beweise für Treffen mit Kreml-Vertretern fand er nicht. Im Großen und Ganzen hatte Steele recht mit der Behauptung, russische Agenten hätten Trumps inneren Kreis ins Visier zu nehmen versucht, irrte sich aber ihn zahlreichen Details.6
Michael Cohen sah sich mit Leuten in einen Topf geworfen, die man unter die Lupe nahm, »weil sie in eine Verschwörung verwickelt waren, die es nicht gab, oder in meinem Fall, an der ich gar nicht beteiligt war … Es ist gut zu verstehen, warum so einige das nicht geglaubt haben. Ich habe für Donald Trump gelogen – meist im Zusammenhang mit Bagatellen. Aber meine Glaubwürdigkeit war kompromittiert, und ich habe einen hohen Preis für meine Fehler bezahlt.«7
Vor allem besteht er darauf, zu keinem Zeitpunkt sein Land verraten zu haben. Trump habe sich, seinem Lager und seinem Land weit Schlimmeres angetan, als er am 27. Juli 2016 Russland bei einer Pressekonferenz dazu aufforderte, Hillary Clintons E‑Mails zu hacken: »Russland, falls da jemand zuhört, ich hoffe, ihr seid in der Lage, die 30.000 fehlenden E‑Mails zu finden, ich denke, unsere Presse wird euch mächtig dankbar dafür sein.« Nur Stunden später schien die Hauptverwaltung für Aufklärung (GRU) in Moskau dem Ruf zu folgen und nahm neben Clintons Privatbüro auch mehr als siebzig Konten der Clinton-Kampagne ins Visier.8
Der Wind drehte sich Anfang Januar 2018, als das Wall Street Journal berichtete, Cohen habe einer gewissen Stormy Daniels kurz vor der Wahl 2016 über eine Firma in Delaware namens Essential Consulting, LLC, 130.000 Dollar gezahlt. Was natürlich der Wahrheit entsprach, aber eben doch nicht die ganze Wahrheit war. Cohen kam auf die Idee, seine Seite der Geschichte in einem Buch zu erzählen. Als der Buch-Deal ruchbar wurde, war sofort der Teufel los. Cohen zufolge wollte Daniels seiner Darstellung, die noch nicht mal die ganze Wahrheit sollte, um des Reibachs willen zuvorzukommen. Letztlich platzte Cohens Buch-Deal, er sah sich gezwungen, die Zahlung öffentlich einzugestehen, nicht jedoch dass er das Geld von Trump in Form getürkter Anwaltshonorare zurückbekam. Die ganze Geschichte resultierte in einer ganzen Menge offener Fragen, allen voran: Warum sollte er jemandem aus eigener Tasche Schweigegeld für eine Verfehlung seines Klienten zahlen? Nun, weil so ein Skandal Trump, auch wenn nichts dran war, eben doch hätte schaden können. Das war die offizielle Darstellung. Selbst Melania erzählte Cohen, zu seinem eingestandenen Leidwesen, denselben Scheiß. Nicht dass die darauf reingefallen wäre. Der einzige, der auf Trump hereinfiel, war Cohen selbst. Am 9. April 1918 vollzog das FBI einen Durchsuchungsbeschluss der Bundesanwaltschaft gegen Cohen drehte alles auf links, was auch nur irgendwie in Cohens Besitz zu sein schien, Wohnungen, Bankkonten, Schließfächer etc.
Noch während Trump selbst die Aktionen des FBI gegen Cohen als Schande und »Hexenjagd« bezeichnete und Cohen damit – »wie ein Mobboss« – in Sicherheit wiegte, machte Trump Anfang Mai 2018 Rudy Giuliani zu seinem Rechtsberater, was bei Cohen den Groschen fallen ließ: Trump sah die beste Lösung für sich darin, sich von Cohen zu trennen. »Mich loszuwerden gab ihm zusätzlich die Möglichkeit, zu leugnen, dass er was mit den Aktivitäten zu tun hatte, mit denen er alles zu tun hatte, und gleichzeitig so zu tun, als würde er mich im Namen der Gerechtigkeit bestrafen.«9 Vor allem gab es Donald Trump einmal mehr Gelegenheit dazu, sich von seinem Tun zu distanzieren und sich als Opfer darzustellen. Und, interessanter noch, Trump deichselte das Cohens Ansicht nach ganz bewusst so, dass Cohen in den Mittelpunkt der Ermittlungen gegen seinen ehemaligen Chef geriet.
»Giuliani und Trump haben mich reingelegt«, schrieb Cohen in seinem Buch Revenge. »Trump hatte Angst, dass ich mit der Staatsanwaltschaft reden würde, also stellte er sich einmal mehr als Opfer dar. Falls ich mir etwas zuschulden hatte kommen lassen, wusste er nichts davon. Und wenn ich irgendwas ausgeplaudert hätte, was er sich hatte zuschulden kommen lassen? Dann musste ich ja wohl lügen, schließlich hatte er keinen Grund zur Annahme, dass ich was angestellt hatte, da ER ja nichts angestellt getan hatte.« Das sei sein Prinzip als Hochstapler und Bauernfänger: alles so hinzudrehen, dass er als Opfer der Korruptheit anderer dasteht. »Aber er ist der Strippenzieher hinter der Täuschung. Er steht im Mittelpunkt der Korruption – und wir alle, die für ihn gearbeitet haben, haben, manchmal wissentlich und manchmal unwissentlich, seiner Korruptheit in die Hände gearbeitet.«10
Und da die vom FBI auch nur Menschen seien, so Cohen, seien auch sie auf den Mann reingefallen. Eine Razzia in einer Anwaltskanzlei sei mehr als ungewöhnlich, schon gar beim persönlichen Anwalt des Präsidenten. Alle Welt ging davon aus, dass das Justizministerium im Interesse der Öffentlichkeit der Öffentlichkeit handelt, aber es ging einzig darum, sich vor Donald Trump zu stellen.
Wie inzwischen jedem klar ist, hat Donald Trump die geradezu übernatürliche Fähigkeit, den Konsequenzen für sein Handeln aus dem Weg zu gehen.
– Michael Cohen
»Wie inzwischen jedem klar ist, hat Donald Trump die geradezu übernatürliche Fähigkeit, den Konsequenzen für sein Handeln aus dem Weg zu gehen … Ich habe x‑mal mit der Staatsanwaltschaft geredet. Ich habe im Kongress gegen Trump ausgesagt … und trotzdem hat man Donald Trump nie für die Straftaten angeklagt, die er inszeniert, die er mich für sich hatte begehen lassen.«11 Und einmal mehr kam Trump mit seinen Machenschaften davon. Was ihn Cohens Ansicht nach unverwundbar machte.
Cohen sah sich schließlich vor Gericht gestellt und bekannte sich in acht Anklagepunkten für schuldig: mehr als 4 Millionen Dollar nicht erklärte Einkünfte und 280.000 Dollar an unrechtmäßigen Wahlkampfspenden und falschen Angaben gegenüber einer Bank im Rahmen eines Kreditantrags. Cohen selbst sieht sich bestenfalls bedingt schuldig; für ihn ist das Ganze ein abgekartetes Spiel. Auch dass er wegen Steuerhinterziehung einfuhr, schon gar als Ersttäter, ist in seinen Augen alles andere als normal. Das seiner Ansicht nach unangemessen harte Urteil im Dezember: drei Jahre in einer Bundeshaftanstalt und eine Geldstrafe. Er saß von Mai 2019 bis Mai 2020; den Rest sollte er in Hausarrest abbrummen. Am Tag, an dem man ihm seine elektronische Fußfessel anpassen wollte, passierten die merkwürdigsten Dinge. So sollte er etwa, entgegen jedem Usus, eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Er hatte im Gefängnis sein erstes Buch geschrieben, das im Herbst erscheinen sollte. Er erkannte auf der Stelle die Handschrift Trumps. Nachdem er zu verhandeln versuchte, sah er sich bald wieder im Gefängnis in Otisville. Unter verschärften Bedingungen. Seine Frau fand eine geeignete Anwältin, die das Ganze sofort durchschaute: »Ich habe sofort gesehen, dass der Staat sich da überhoben hatte … Ein Jurastudent im ersten Jahr konnte das sehen … Am Ende des Tages bin ich mir sicher, dass das bis in die höchsten Ebenen ging, und angesichts der offenen Grenzen zwischen dem Justizministerium und dem Weißen Haus hat Donald Trump keine Mühen gescheut, Michael Cohen zu bedrohen und lächerlich zu machen. Es würde mich überraschen, wenn er sich dessen nicht bewusst gewesen wäre.«12 Und wie Cohen später von Reportern erfahren haben will, hatte Trump in der Tat damit geprahlt, ihn wieder in den Knast gebracht zu haben. Ein Richter ordnete seine unverzügliche Entlassung mit der Begründung, es handelte sich bei seiner erneuten Inhaftierung um einen offensichtlichen Racheakt. Einige Wochen später, nach weiteren 15 Tagen Einzelhaft, konnte er seinen Hausarrest denn doch noch antreten; im November 2021 war Cohen wieder ein freier Mann.
Cohen sieht sein Schicksal als beispielhaften Probelauf für das, was zahllosen anderen Amerikanern im Falle einer Wiederwahl Donald Trumps drohen könnte. Es gibt einem eine Vorstellung davon, wie Trump noch diesen Herbst mit seinen »Feinden« verfahren würde. »In diesen Tagen habe ich wirklich geglaubt, der Präsident der Vereinigten Staaten wollte meinen Tod.«13
Nach zwei Bestsellern hatte Michael Cohen im Mai 2024 seinen großen Auftritt als Starzeuge bei dem New Yorker Prozess gegen Trump. Er nahm dabei kein Blatt vor dem Mund. Von jedem der vorgelegten Beweise fühlt er sich bestätigt, wie er auf MSNBC sagte.14 Mit Trump hatte er seit Jahren kein Wort mehr geredet. Mit seinen Podcasts führt er einen erbarmungslosen Kampf gegen die Wiederwahl seiner Nemesis. Er fasste seine auf persönlichen Erfahrungen gegründeten Befürchtungen in einigen prägnanten Aussagen zusammen:
So werde die Pressefreiheit in den USA ganz nach Art der Sowjetunion oder Russlands verschwinden. »Warum? Weil er nichts Negativ über sich hören möchte. Dass Sie Ihre Fernsehsendung hier haben, dass Sie die Möglichkeit haben, die Wahrheit über die Herrschenden zu sagen, all das wird verschwinden, wenn der Mann noch mal Präsident wird. Aber was ich beschämender als alles andere finde, das ist, dass die Abgeordneten, im Kongress oder wo auch immer, dieses Verhalten unterstützen, diese Art von Rhetorik, dieses Verhalten, schließlich haben die ihre Positionen nur wegen dem Ersten Verfassungszusatz, an den Donald Trump nicht glaubt.«
Warum sie ihn dann unterstützten?
»Die denken, dass sie, falls er gewinnt und sie zu ihm stehen, dass sie dann unbegrenzte Macht haben, womit sie natürlich unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung und damit unbegrenzte Verdienstmöglichkeiten hätten. Einer der Denkfehler dabei ist freilich, dass Trump nicht teilt. Ihm geht es nur um sich, nicht mal um seine Kinder oder seine Familie. Wenn die sich also an ihn dranhängen in der Hoffnung daraus Kapital zu schlagen, sei es in Form von Macht, sei es in Form von Geld oder Beziehungen und so weiter, also so funktioniert das nicht, er wird das nicht zulassen. Und dann geht das wie bei Putin: Ist man erst mal zu selbstüberzogen, fliegt man schnell mal aus dem Fenster … Da landet man dann schnell mal, wie Donald gern sagt, in Gitmo, in Guantanomo Bay … Er hat ja schon gesagt, dass er SEAL Team Six einsetzen will, um seine politischen Feinde zusammenzutreiben … General Mark Milley, Mike Pence, Hillary Clinton, die Biden, die ganze Familie … das ist kein Witz …«15
Anmerkungen
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