Man muss kein Fan von Rudy Giuliani gewesen sein, noch nicht einmal in seiner großen Zeit als Bürgermeister von New York, wo er, jedenfalls landläufiger Meinung nach, mit der Kriminalität aufgeräumt hat, aber er genoss zweifelsohne enormen Respekt als harter Law-and-Order-Mann. Dass er sich jetzt, nach mehreren kostspieligen Urteilen gegen ihn dem Vernehmen nach finanziell am Ende, für seine Mitwirkung am Wahlmänner-Komplott verantworten muss, ist nur ein letztes Symbol für den tiefen Sturz des Mannes. Und dass er sich nach seiner erkennungsdienstlichen Behandlung in Arizona nicht nur keiner Schuld bewusst ist, sondern sich sich obendrein auch noch stolz auf sein Handeln gibt, steht für den Realitätsverlust des MAGA-Kults an sich. Der wiederum ein Problem für die USA an sich ist und damit schlussendlich auch für uns hier in der alten Welt …
Am Montag, den 10. Juni stellte Donald Trumps ehemaliger Anwalt und Berater Rudy Giuliani in Phoenix, Arizona, dem Sheriff zur erkennungsdienstlichen Behandlung und kam nach Hinterlegung einer Kaution von gerade mal 10.000 Dollar wieder auf freien Fuß. Vorgeworfen wird dem 80-jährigen die Beteiligung am so genannten Wahlmänner-Komplott, in dessen Rahmen man – in mehreren Bundesstaaten – noch vor Erscheinen der amtlichen Wahlmänner eine Reihe beliebiger Leute antreten ließ, die sich als selbige ausgaben, um dann für den abgewählten Präsidenten Trump zu stimmen. Allem Anschein nach ist so etwas illegal, und so steht den Verantwortlichen, neben Giuliani auch Trumps ehemaligem Stabschef Meadows und dem Leiter der Trump 2020 Election Day Operations, Michael Roman, entsprechende Klagen ins Haus. Selbstverständlich plädierten alle auf »nicht schuldig« in allen neun Anklagepunkten, und Giuliani erklärte darüber hinaus ausdrücklich seinen Stolz für die Teilnahme an der Aktion, schließlich habe man damit nur einem Wahlbetrug nie gekannten Ausmaßes korrigieren wollen.1
Rudolph »Rudy« Giuliani wurde 1944 im New Yorker Borough Brooklyn geboren, war zunächst Anwalt, um dann als Mitglied der Republikanischen Partei in die Politik zu gehen. Von Januar 1994 bis Ende Dezember 2001 war er der 107. Bürgermeister von New York. Als solcher war er mit dem Law-and-Order-Mandat angetreten, die Stadt aus dem Sumpf des Verbrechens zurück ans Licht der Sonne zu heben. Und so unterschiedlich die die Ansichten über den Weg dorthin auch ausfallen, Tatsache ist, dass einige Jahre später die Ordnung auf den Straßen wiederhergestellt war: Die Kriminalität war so weit zurückgegangen, dass New York laut FBI die sicherste Großstadt Amerikas war. Die Arbeitslosigkeit ging zurück, 400.000 Menschen weniger waren von der Sozialhilfe abhängig. Die Steuern von Internet-Millionären sorgten für gefüllte Stadtsäckel. Anderthalb Millionen Touristen durchströmten die Straßen und bestaunten eine neue Welt »im Wert von vier Milliarden Dollar. … Das Time Magazine, das die Stadt 1990 in einer Titelstory mit dem Titel »Die Verrottung des Big Apple« fast für tot erklärt hatte, bejubelte das Comeback der Stadt. Und Rudy Giuliani war der Held des Aufschwungs.«.2 Dieser Ruhm hielt sich, bis zu einem der für Amerika so typischen Fälle von rassisch motivierter Polizeigewalt: Am 4. Februar 1999 ein unbewaffneter schwarzer Straßenhändler namens Amadou Diallo im Kugelhagel von vier New Yorker Polizisten. Auch hierüber gehen Darstellungen und Ansichten weit auseinander, Tatsache war, dass der Vorfall Bürgermeister Giuliani in eine gewaltige Krise stürzte. Innerhalb eines Tages wurde die Stadt von einer gewaltigen Moralgeschichte ergriffen, die die nächsten drei Monate anhielt.3 Von Polizeibrutalität und anderen Schattenseiten der schönen neuen Welt war plötzlich die Rede. Es war fast schon surreal, die Person, die man vor allem mit der Wiedergeburt der Stadt verband, in einem ganz neuen Licht und damit politisch am Abgrund stehen zu sehen.
Angehörige von Minderheiten waren von der Polizei in ihren eigenen Vierteln so oft schikaniert und gedemütigt worden, dass sie die Polizei als Besatzungsmacht sahen; der Tod des afrikanischen Straßenhändlers war der letzte Tropfen. Giuliani war für sie der eiskalte Mensch ohne Verständnis für den Schmerz der Schwarzen. Weigerte er sich nicht schon seit Jahren weigerte, sich mit ihnen zu treffen? Das Attentat vom 9. September 2001 brachte eine abermalige Wende, als New York einen besorgten, empathischen Bürgermeister auf seinen Straßen sah. Bei einer Gedenkfeier für die 6000 Toten im Yankee Stadium stellte Oprah Winfrey Giuliani als »America’s Bürgermeister« vor.4
Donald Trump kannte Giuliani als New Yorker Immobilienmogul natürlich schon seit langem. 1989 kandidierte der ehemalige US-Staatsanwalt für den Bezirk New York Süd für das Bürgermeisteramt und Trump war zweiter Vorsitzender seiner ersten Spendenaktion für den Wahlkampf. (Seine Spende von 3000 Dollar nimmt sich eher knausrig aus, schon gar wo er Giulianis Konkurrenten ebenfalls 3000 Dollar gab.) Als Giuliani 2000 für den US-Senat kandidierte, sah er sich ebenfalls von Trump unterstützt. Trump war Gast bei Giulianis dritter Hochzeit 2003; Giuliani revanchierte sich 2005 mit seinem Besuch von Trumps dritter Hochzeit in Mar-a-Lago. 2008 bewarb sich Giuliani dann erfolglos um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, liebäugelte 2010 mit einer Kandidatur als Gouverneur von New York und kandidierte 2012 erneut für das Präsidentenamt. Ab 2016 tat Giuliani kurzzeitig als prominentes Sprachrohr Trumps hervor, gab im April 2016 bekannt, dass er bei den Vorwahlen in New York für Trump stimmen würde, begann diesen bei Kundgebungen vorzustellen und trat in Trumps Namen im Fernsehen auf.5 Nach Trumps Wahl war Giuliani kurzzeitig als Außenminister im Gespräch. Im Januar 2017 wurde er Berater für Cybersicherheit der Regierung Trump. Nebenbei blieb er Trumps informeller Berater und sprach für ihn mit der Presse. Als Mitglied von Trumps Anwaltsteam vertrat er den Präsidenten bei den laufenden Ermittlungen zur russischen Einmischung in die Wahl 2016. Als Trump Michael Cohen schasste, begann Giulianis Amtszeit als Anwalt des Präsidenten.
Man kann wohl getrost sagen, dass Giulianis spektakulärer Fall an dem Tag begann, an dem er sein Schicksal mit dem seines Präsidenten verknüpfte. Wer sich einmal in dem von Trump gesponnen Netz von Lügen verstrickt, kommt da nicht wieder raus. Alles, was er spätestens seit der Wahlniederlage Trumps im Spätherbst 2020 öffentlich von sich gab, flog ihm prompt und teils kostspielig um die Ohren. So wiederholte er, ohne auch nur den geringsten Beleg dafür zu haben, Trumps Lüge von der getürkten Wahl. Er verstieg sich dabei sogar zu der Behauptung, venezolanische Kommunisten hätten ihre Hände im Spiel gehabt. Die Behauptung, die Wahlmaschinen des kanadischen Herstellers Dominion seien manipuliert gewesen, brachte ihm eine Klage über 1,3 Milliarden Dollar ein.6 Der ebenfalls gegenstandslose Manipulationsvorwurf gegen zwei Wahlhelferinnen in Georgia bescherte ihm eine Klage über 148 Millionen Dollar.7 Darüber hinaus verlor er seine Zulassung als Anwalt sowohl in New York als auch in Washington, DC. Im Dezember 2023 erklärte er den Bankrott. Mittlerweile tut er es seinem Kultführer nach, nur während der Bibeln und Sneakers zu verhökern versucht, probiert Giuliani es mit seiner eigenen Marke Kaffee.
Nachdem der einstige »Gigant der US-Politik«, der »heute eher eine Art politischer Paria« ist8 sich nicht entblödet, immer noch Trumps Lüge von der gestohlenen Wahl zu verbreiten, und auch noch von seinem Stolz an seinem Zutun spricht, brauchen wir uns hier nicht groß zu genieren, die Verfahren gegen ihn noch einmal zusammenzufassen:
Man könnte sich fragen, ob Giuliani mit seiner unnachgiebigen Haltung hinsichtlich seiner Beihilfe zu Trumps Versuch, das Wahlergebnis zu kippen, nicht auf eine Begnadigung durch den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten spekuliert. Die Frage wäre dann freilich, was diese Trump bringen würde, denn um sich diesen Sündennachlass zu erkaufen, dazu fehlt Giuliani das Geld.
Anmerkungen
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