Was immer sich Tag für Tag im amerikanischen Wahlkampfgetümmel so tut, wer nun wie auch immer gerade punktet, es gibt einige Konstanten bei den US-Wahlen, an denen sich all die Jahre, die erwachsene amerikanische Staatsbürger aller Couleur nun wählen dürfen, nichts geändert hat. Eine dieser Konstanten ist die Tatsache, dass Afro-Amerikaner überwiegend demokratisch wählen. Und da Präsidentschaftswahlen in den Swing States entschieden werden und die schwarzen Wähler dort auch diesmal das Zünglein an der Waage sein dürften, versucht Trump diese natürlich in besonderem Maße zu umgarnen, was bei ihm natürlich mit »verarschen« und »über den Tisch zu ziehen« zu übersetzen ist. Wie es um seine Chancen, damit durchzukommen, bestellt ist? Besser als man meinen möchte. Die Angst vor einem autoritären Staat, die wir hier in all unserer Naivität sehen wollen, schlägt dabei nämlich überhaupt nicht zu Buche. Sehen wir uns das mal etwas genauer an …
Das »allgemeine« Wahlrecht ist, man vergisst das gern immer wieder mal, eine eher moderne Erfindung. Zwar konnte hier und da schon in der Antike gewählt werden, aber das Recht des Volks, seine Vertreter durch Wahlen zu bestellen, fußte auf einem »Bürgerrecht«, und das stand eben nicht jedem zu. Und selbst in England, der Wiege des modernen Parlaments, durften nur die Betuchten ihre Vertreter wählen. Erst die Französische Revolution (1789) und die Deutsche Revolution (1848) sah zumindest ein allgemeines Wahlrecht für Männer vor. Das galt nach der Amerikanischen Revolution (1776) auch in den USA, aber das Wahlrecht blieb dort Sache der Bundesstaaten und fiel recht unterschiedlich aus. Entsprechend bekamen Frauen das Wahlrecht sukzessive hier und da, auf Bundesebene jedoch erst 1920. Schwarze Amerikaner, 1865 aus der Sklaverei »befreit«, mussten noch 45 Jahre warten. Anders gesagt: Ein allgemeines Wahlrecht gibt es in den USA erst seit 1965.
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanz, dass schwarze Amerikaner bei den Wahlen im November allgemeinem Dafürhalten nach, das Zünglein an der Waage spielen dürften. Weniger weil von den etwas über 240 Millionen Amerikanern (über 18), die im November wählen dürfen, satte 34,4 Millionen Afro-Amerikaner sind, sondern weil die Wahl wie immer in den Swing States entschieden wird. Und dort zählt, wir hatten das ja schon hier behandelt, nicht nur jede Stimme, sondern sie zählt das x‑fache der Stimmen in anderen Bundesstaaten. Was natürlich auch für schwarze Stimmen gilt. Und wenn man sich die Wähler der sechs Swing States – Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, Pennsylvania und Wisconsin – ansieht, erkennt man, dass schwarze Stimmen durchaus wahlentscheidend sein könnten.
Wie sieht es mit den Anteilen Schwarzer bzw. schwarzer Wähler in diesen Bundesstaaten aus? Nun, Arizona hat da, ich richte mich hier nach der »Volkszählung« von 2020,1 gerade mal 4,4%. Georgia bringt es immerhin auf 30,6%. Sie erinnern sich, das ist der Staat, in dem Trump theoretisch ein Prozess ins Haus steht? »Sehen Sie zu, dass Sie mir 11.780 Stimmen auftreiben.« Man stelle sich vor: In einem Land, mit über 240 Millionen Wählern! Michigan, bringt es auf 13,5%. Das ist der Staat mit der »Motor City«, Detroit, eine Stadt mit einer einst pulsierenden schwarzen Kultur, in der schwarze Autoarbeiter nach der Schicht zum Abdröhnen in eine der zahllosen Blues-Bars gingen. Und eine der Städte, in denen die Rassentrennung bis in die 1970er Jahre2 hinein besonders schlimm war. Nevada hat gerade mal 9,4% Schwarze, Pennsylvania 10,5% und Wisconsin 6,2%.
Die Bedeutung dieser Zahlen? Nun, es besteht kein Zweifel daran, dass insbesondere schwarze Stimmen Biden 2020 ins Weiße Haus brachten. »2020 vereinigte Biden bundesweit 92% aller schwarzen Wähler auf sich, Trump gerade mal 8%«,3 so das Pew Research Center, eine gemeinnützige und durchaus vertrauenswürdige amerikanischen Einrichtung in Sachen Meinungs- und Wahlforschung. Und auch 2024 falle, so das Institut, schwarzen Wählern eine Schlüsselrolle zu. Aber obwohl »schwarze Wähler weiterhin mit überwältigender Mehrheit demokratisch ausgerichtet sind und Joe Biden mit großem Vorsprung vor Donald Trump unterstützen, ist Bidens Vorsprung bei dieser Gruppe nicht mehr so groß wie [2020].«4 Die Frage ist nur, was jüngste Umfragewerte tatsächlich besagen. So heißt es bei USA Today: »Wie eine neue Umfrage unter schwarzen Wählern in Michigan und Pennsylvania zeigt, hat Biden dort Stimmen verloren – aber nicht an Trump.« Das heißt, in diesen beiden Swing States besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Wähler Biden nicht weiter im Weißen Haus sehen wollen, und das obwohl sie Trump weit weniger mögen als Biden.5 Bei Newsweek dagegen liest sich das so: Trump »fand in Michigan und Pennsylvania 2020 weniger als 10 Prozent Unterstützung bei schwarzen Wählern, laut der jüngsten Umfrage jedoch haben ihm etwa 15 Prozent der schwarzen Wähler in Michigan und 11 Prozent in Pennsylvania ihre Unterstützung zugesagt«.6 Dazu kommt, dass es ja noch andere Kandidaten gibt: »Die Umfrage ergab, dass die meisten schwarzen Wähler, die Biden nicht unterstützen wollen, sich an der Urne nicht Trump zuwenden werden, sondern eher unabhängigen Kandidaten wie Cornel West oder Robert F. Kennedy Jr. Fast 15 Prozent der Wähler in beiden Staaten ziehen die Kandidaten von Drittparteien Biden oder Trump vor; 14 Prozent gaben an, sich noch nicht entschieden zu haben.«7
Die Probleme, die schwarze Wähler in den genannten Staaten vorrangig interessieren, sind die Wirtschaft, Inflation, also letztlich ihre eigene wirtschaftliche Situation, und die Grenze zu Mexiko. Und in allen diesen Bereichen trauen sie offensichtlich Trump mehr zu als Biden. Ihrer Ansicht nach ging es ihnen vor Biden besser. Alles ist teurer geworden, die Löhne aber nicht merklich höher.
Zu der Einsicht, dass nicht zuletzt Trumps Einfuhrzölle für die Teuerung verantwortlich sind, reicht es wohl nicht. Interessant ist in diesem Kontext auch, dass von dem sagenhaften Börsenboom der letzten paar Jahre offensichtlich nichts oder herzlich wenig nach unten gesickert ist.
All die neuen Stellen, die Biden geschaffen hat? Das Problem ist nur, dass viele Menschen zwei oder drei dieser Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen.8 Die Wirtschaft funktioniert nur für die Millionäre. Und dass Biden über 7 Milliarden Dollar in schwarze Colleges bzw. durch Schuldenerlass in schwarze Studenten investiert hat? Wen interessiert das, wenn er am Fließband steht? Diese Menschen interessiert ihre Familie, die Situation, in der sie morgens aufwachen, mehr als Börsenbooms und politische Schreckgespenster wie das eines offensichtlich autoritären und rassistischen Staats. Zu schweigen von den 14% Schwarzen, die seinerzeit Reagan gewählt haben, obwohl sie ihn für einen Rassisten hielten.9
Gut möglich, dass die enttäuschte bis feindselige Haltung gegenüber Biden zum Teil auf eine »Informationslücke« zurückzuführen ist. Diese ist demokratischen Wahlkampfleuten vor Ort zufolge enorm: »In einer kürzlich von BlackPAC einberufenen Fokusgruppe schwarzer Wähler in North Carolina sagten Teilnehmer, die 2020 Biden unterstützen, sie hätten das Gefühl, er hätte seine Versprechen ihrer Community gegenüber nicht erfüllt.« Wenn man den Leuten dann sagt, »›Hier, schaut mal, das hat die Regierung Biden gemacht!‹, vor allem in Bezug auf Themen, die den schwarzen Communities am Herzen liegen, dann sind die Leute überrascht.«10
Sicher nicht weniger überrascht als unsereins hierzulande, wenn man sich die Stückchen ansieht, die Trump sich gegenüber schwarzen Wählern leistet. So wiederholt er etwa oft gerne, wie beliebt er unter Schwarzen sei, wie sehr er den Finger am Puls der schwarzen Bevölkerung habe, weshalb er ihr goldene Sneakers anzudrehen versucht – und natürlich mögen sie ihn schon deshalb, weil sie als Kriminelle alle ein erkennungsdienstliches Foto haben wie er. Die Trumpianer unter den Schwarzen scheint’s nicht zu stören. Sie scheint nicht einmal die mehr als grenzwertigen Tricks zu stören, mit der sich Trump bei schwarzen Wählern lieb Kind zu machen versucht. Der Mann lässt sich auf Fotos von Schwarzen umarmen, die sich durch die Bank als Leute aus seiner Entourage entpuppen; der Mann mietet eine schwarze Kirche und spricht vor einer fast ausschließlich weißen »Gemeinde«, als wäre sie schwarz; er bringt den Besitzer eines schwarzen Barbershops durch einen Trick dazu, seinen Laden für eine Veranstaltung herzugeben, die sich als Wahlkampf-Event entpuppt.11 Man möchte meinen, wenigstens das sollte ihn einige schwarze Stimmen kosten.
Aber falls dem so sein sollte, sind es genügend, um die grassierende Wahlmüdigkeit unter schwarzen Wählern zu kompensieren? Einer Umfrage der Washington Post im Verein mit Ipsos vom Vormonat zufolge ist die Lust auf die Wahlurne unter schwarzen Amerikanern in diesem Jahr stark zurückgegangen im Vergleich zu vor vier Jahren. Nur noch 62% der schwarzen Wähler sind sich dieses Jahr absolut sicher, wählen zu gehen: im Juni 2020 waren das immerhin noch 74%. Bei der Gesamtheit der amerikanischen Wahlberechtigten fiel die Lust zu wählen nur um 4% von 72% auf 68%.12
Besonders krass fällt der Rückgang der Wahlfreude bei schwarzen Frauen, dem historischen Rückgrat der Demokraten, aus. Die eben zitierte Umfrage zeigt, »dass 41 Prozent der Schwarzen im Alter von 18 bis 39 Jahren mit Sicherheit zur Wahl gehen werden, gegenüber 61 Prozent im Juni 2020. Bei den schwarzen Frauen in dieser Altersgruppe sank diese Gewissheit von 69 Prozent 2020 auf 39 Prozent in diesem Jahr«.13
Und um auf Georgia zurückzukommen, der Swing State, in dem ein sattes Drittel aller Wähler schwarz sind. Hier, so meint der Mann der Neuen Züricher Zeitung vor Ort, könnte die Frustration und Apathie der schwarzen Wähler im November die Wahl entscheiden: »Nur wenn viele von ihnen zur Wahl gehen, kann Biden seinen historischen Triumph in Georgia wiederholen. Vor vier Jahren hatten rund 90% der Schwarzen für ihn gestimmt … wenn auch nur mit einem hauchdünnen Vorsprung von knapp 12.000 Stimmen.«14 Laut einer jüngsten Umfrage der New York Times wollen derzeit nur 66 % der Afroamerikaner in Georgia für Biden stimmen, 20 % unterstützen Trump. Insgesamt liegt der ehemalige Präsident in den Umfragen um fünf Prozentpunkte vorn.15
Kompliziert wird die Wahl dieses Jahr durch Israels Härte im Gaza-Streifen. Die israelische Rhetorik gegenüber den Palästinensern erinnert gerade viele Schwarze an die eigene Vergangenheit.16 Deshalb werden sie weder Trump noch Joe Biden wählen. Noch nicht mal die Rassismus-Karte zieht mehr: 2020 stand die Wahl nicht zuletzt unter dem Zeichen des Mords an George Floyd. Heute heißt es eher »Bidens Mitwirkung am Völkermord in Gaza vs. Trumps Autoritarismus«.17
Und dann ist da immer noch die alte Geschichte von 1994, als Joe Biden für den Violent Crime Control and Law Enforcement Act, mitverantwortlich war, ein Gesetz, das gemeinhin unter dem Namen »Crime Bill«. Das ist ein ungemein kompliziertes Thema, aber unterm Strich lief es darauf hinaus, dass es im Schulterschluss mit dem Anti-Drug Abuse Act von 1986 zur Inhaftierung von vor allem Schwarzen führte. Letzterer sah eine Mindesthaftstrafe für fünf Gramm Crack von fünf Jahren vor, während es 500 Gramm pulverisierten Koks brauchte, um für fünf Jahre einzufahren. Wer rauchte wohl das billigere Crack? Leute in Armenvierteln, die vorwiegend – Sie haben es erraten – von Schwarzen bewohnt sind.18 Auch wenn das im Fair Sentencing Act von 2010 etwas »fairer« wurde, fünf Jahre Knast, nur weil man schwarz ist, das würde Joe Biden auch unsereins kaum verziehen.
Das Wahlverhalten Schwarzer und damit ihre Unterstützung für Trump oder Biden ist also weit komplexer, als man sich vorstellen möchte. Wir sollten uns da kein Urteil erlauben. Aber hoffen dürfen wir, dass Biden noch mal die knappe Mehrheit von einigen paar Tausend Stimmen schafft …
Anmerkungen
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