In den USA droht nun endgültig das Chaos im Kampf gegen das Ende der demokratischen Welt. Was bislang nur privat gemunkelt wurde, wird zunehmend laut ausgesprochen: Biden möchte doch vom Wahlkampf zurücktreten, wenn, so die Befürchtung, sein Erbe nicht darin bestehen soll, die USA einem übergeben zu haben. Niemand zweifelt an Bidens bisheriger Leistung als Präsident, aber in der Politik, so heißt es bekanntlich, zählt nur die Zukunft. Und es geht auch nicht darum, ob Biden eine zweite Amtszeit schafft, da wäre dann ja immer noch Kamala Harris, es geht den zunehmend kritischen Stimmen darum, ob Biden mit all seinen Aussetzern das Vertrauen von genügend Swing-State-Wählern zu gewinnen vermag. Die Sorge ist bislang nicht zur massiven Aufforderung zum Rücktritt geworden, dazu hat man zu viel Respekt vor dem Mann, aber die Mahnung zur Einsicht in die eigenen Grenzen steht nun endgültig ausgesprochen im Raum.
Wie immer vor der Wahl guckt man in den USA mehr oder weniger verzweifelt auf notorisch unsichere Umfragewerte. So klammert sich der demokratisch geneigte Sender MSNBC an eine jüngste Umfrage des Washington Post/Ipsos-Gespanns, der zufolge Trump und Biden bei eingetragenen Wählern mit 46% zu 46% Kopf an Kopf liegen.1 Der Sender versäumt jedoch dabei zu erwähnen, dass die Post auch andere landesweite Umfragen ausgewertet hat, denen zufolge Trump im Durchschnitt mit 3,5 Prozentpunkten vorne liegt und Biden zu diesem Zeitpunkt des Wahlkampfs vor vier Jahren zwischen neun und 11 Punkten vor Trump vorneweg lief.2 Interessanter ist da vielleicht, das nach »der Debatte« 50% der Wähler von Biden weniger überzeugt waren als zuvor, von Trump dagegen nur 22%. Nicht nur das, nur 7% sahen Biden danach in einem besseren Licht, Trump dagegen mochten satte 27% danach mehr. So sinnlos die Debatte an sich gewesen sein mochte, Biden hat gewaltig an Vertrauen verloren. Soviel steht fest. Über die Hälfte der Demokraten sind der Ansicht, Biden sollte in den Ruhestand gehen.
Fest steht auch, dass die Demokraten, die mehr zu sagen haben als nur durch ihre Stimme als Wähler, zunehmend kopfscheu werden und ihre bislang nur still gehegten Zweifel auch tatsächlich laut äußern. Sie halten Joe Biden aufgrund seines geistigen Abbaus nicht länger für den richtigen Mann. Doch wer soll es ihm beibringen? Zwei der Schwergewichte unter den Demokraten, Nancy Pelosi und Barack Obama, versuchten – mehr oder weniger direkt – auf Biden einzuwirken, die Stafette doch bitte abzugeben.3 Acht Demokraten im Kongress legten ihm den Ausstieg nahe, jetzt kommt der erste Senator dazu.4 Letzterer, Michael Bennet (Colorado) prophezeit einen Erdrutschsieg Trumps, falls Biden nicht einsichtig wird und seine Kandidatur niederlegt. Für ihn ist das weder eine Frage der Umfragen, ja, noch nicht einmal eine Frage der Politik, sondern eine moralische Frage um die Zukunft der Vereinigten Staaten.
Als mit einem Schuss Empathie gestrafter Beobachter schmerzt es einen von White-House-Journalisten die Frage zu hören, ob Joe Biden, der weniger Pressekonferenzen abgehalten hat als irgendein Präsident vor ihm, endlich eine »Big Boy«-Pressekonferenz abhalten wird, mit anderen Worten, ob er sich endlich – in langen Hosen, wie ein großer Bub – harten Fragen zu stellen gedenkt. Viele von Bidens Freunden und Anhänger äußern sich nach dem Besuch der einen oder anderen Spendenveranstaltung privat bestürzt über Bidens Zustand. Und Susie Wiles, die Chefberaterin von Trumps Kampagne bezeichnet Joe Biden als »Geschenk« für Trump.5 Das sollte auch denn auch den Letzten aufhorchen lassen.
Jetzt freilich, und das ist durchaus ein Hoffnungsschimmer, hat sich kein Geringerer als Danny Ocean in die Flüsterdebatte eingemischt. Unterschätzen wir den Mann nicht, er hat mit seinen Leuten nicht nur kinokassenträchtige Millionencoups durchgezogen, er ist in seiner besten Rolle als George Clooney auch der erfolgreichste Spendensammler, den die Demokraten je gehabt haben. Und jeder, der auch nur eine Handvoll Interviews mit ihm gesehen hat, der weiß, dass der Mann weit mehr ist als nur ein »pretty face«. Unterm Strich soll das heißen, ich traue dem Mann mehr Wirkung auf die Wählerschaft zu als jedem Politiker. Und im Gegensatz zur zweiten öffentlichen Promi-Geheimwaffe der Demokraten, Taylor Swift, sagt er den Leuten, wen sie wählen sollen.
In einer Meinung in der New York Times vom 10.7. fordert Clooney, offenbar nach Absprache mit Barack Obama und dessen Segen, Joe Biden zum Rückzug aus dem Wahlkampf auf: »Ich habe Joe Biden für mein Leben gern. Aber wir brauchen einen neuen Kandidaten.«6 Clooney, zeitlebens Demokrat, schreibt, dass er Biden »als Senator. Als Vizepräsident und als Präsident« möge. »Ich betrachte ihn als Freund, und ich glaube an ihn. Ich glaube an seinen Charakter. Ich glaube an seine Moral. In den letzten vier Jahren hat er viele der Schlachten, die er zu bestehen hatte, gewonnen. Aber die eine Schlacht, die er nicht gewinnen kann, ist die gegen die Zeit. Keiner von uns kann das. So niederschmetternd es ist, aber der Joe Biden, mit dem ich vor drei Wochen im Wahlkampf war, war v*rdammt noch mal nicht der große Zampano von 2010. Er war nicht einmal der Joe Biden von 2020. Er war genau der Mann, den wir alle bei der Debatte [gegen Trump] sahen.«7
Mein lieber Scholli! Und das von einem Freund! Wenn das die Chef-Schlafmütze im Weißen Haus nicht aufrüttelt. Biden freilich gibt sich weiter fest entschlossen, kein Wort von, ach was, kein Gedanke an Rückzug auf der jüngsten Pressekonferenz. Es gibt den Begriff des »Altersstarrsinns«, von dem man spricht, wenn »Menschen im Alter ›schwierig‹ werden.8 Aber schwierig und unfähig, einen Deppen wir Trump der dreistesten Lügen zu strafen? Michael Moore, der Filmemacher, bringt es auf den Punkt: »Ich sage das Folgende, um ihn vor einer aus dem Ruder gelaufenen Parteimaschine zu schützen, die panisch überlegt, was sie machen soll. Wer immer jetzt schweigt, macht sich dessen schuldig, was man unter dem Begriff ›Missbrauch und Misshandlung von älteren Menschen‹ versteht. Lasst Mr. Biden in Ruhe. Lasst ihn ausruhen. Lasst ihn nach Hause gehen. Er hat seine Arbeit getan. Lasst ihm seine Würde. Tut ihm die Liebe und sagt der Presse, Präsident Biden hätte darum gebeten, sich von einem unabhängigen Ärzteteam einer vollständigen medizinischen Bewertung seiner geistigen und körperlichen Gesundheit unterziehen zu lassen. Teilt der Öffentlichkeit gemeinsam mit dem Präsidenten die vollständigen Ergebnisse und ihre ehrliche Einschätzung mit: ›Im Interesse seines Wohlergehens muss er seine Arbeit einstellen und zurücktreten.‹ Tags darauf wird Präsident Biden in einer kurzen, schönen Erklärung auf dem Südrasen des Weißen Hauses seinen Abschied nehmen. Der Rasen wird pickepackevoll sein mit Tausenden von dankbaren Amerikanern von der Straße – Köchen und Lehrern, Maurern und Krankenschwestern, schwulen Teenagern und Veteranen, Obdachlosen, Gewerkschaftern und Altenpflegern –, die alle wissen, dass das, was er tut, zum Wohle des Landes tut, das er so sehr liebt.«9
In dem Filmklassiker Das Schweigen der Lämmer befragt der – von Trump eingestandenermaßen über die Maßen bewunderte – Serienkiller Hannibal Lecter seine Gegnerin vom FBI Clarice Starling zu einem auf ein Kindheitstrauma zurückgehenden Alptraum. Sie hatte das Ausmerzen von Märzlämmern miterlebt und sie durch das Öffnen des Pferchs zu retten versucht. Aber anstatt davonzulaufen, standen sie nur verwirrt da. Das Bild erinnert bislang an die Herde der amerikanischen Demokraten, denen einige den Pferch zu öffnen versuchen. Aber noch stehen sie nur verwirrt da. Ob in diesem Bild Joe Biden der Pferch ist oder einfach der einzige, der seine Herde durch die Opferung seiner selbst dazu bewegen könnte, ihren Pferch zu verlassen, sei dahingestellt. Das Problem ist, dass er sie im Pferch sicherer wähnt und damit womöglich der ist, der sie auf die Schlachtbank führt.
Anmerkungen
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