Man könnte kaum sagen, was schlimmer ist: dass wir in einer Welt leben, in der sich eine angeblich so freiheitsliebende Nation wie die Amerikaner eine faschistoide Pestbeule wie Donald Trump an den Hals wählt oder dass einer dieser Idioten dieses Geschwür auf probate amerikanische Weise durch eine Kugel zu heilen versucht. Was für eine erneute Wendung in der amerikanischen Wahl-Soap: Da materialisiert sich eines schönen Samstagabends aus heiterem Himmel eine von Trumps bevorzugten Projektionen – die Liberalen trachten mir nach dem Leben! Wenn auch mit dem ironischen kleinen Dreh, dass der Schütze anscheinend einer seiner eigenen Wähler war! Wird der Anschlag die Nation etwas näher zusammenrücken lassen oder weiter spalten? Dumme Frage! Er besiegelt Donald Trumps nächste Präsidentschaft.
Wollte man zynisch sein, so könnte man sagen: Das war knapp vorbei! Was, du Dumpfbacke, hat dir deine bis an die Zähne bewaffnete Leibgarde, was haben dir deine ausgebildeten Scharfschützen auf den Dächern rundum genutzt? Und da denkst du Volltrottel, unbedarfte Lehrer mit Schießeisen in die Klassen zu stellen, könnte zu mehr Sicherheit an Schulen führen? Aber mal im Ernst, auch wenn man sich womöglich in nicht allzu langer Zeit die »Hitler-Frage« stellen wird, der politische Mord ist selbst im Falle eines metastasierenden Krebsgeschwürs wie Donald Trump nicht akzeptabel. Schon gar nicht durch einen pickeligen kleinen Schwachmaten, der »Stauffenberg« noch nicht einmal buchstabieren hätte können. Das ist die eine Facette daran, die andere ist, dass ein Mord den Mann, der sich ohnehin schon als Märtyrer und Christus verkauft (mein Körper ist voller Wunden), vollends verklären würde …
Während die Demokraten das Attentat geschlossen verurteilt haben, scheinen die MAGA-Republikaner bereits wieder an der Hass-Schraube zu drehen. Joe Biden habe den Befehl zu den Schüssen gegeben! Vergessen wir nicht, dass dieser Vorwurf bereits nach Mar-a-Lago laut geworden war. Marjorie Taylor Greene, die republikanische Abgeordnete aus Georgia, hatte die Razzia damals als einen von Justizministerium und FBI gemeinsam ausgeheckten Versuch eines Attentats auf Trump bezeichnet. Den Befehl dazu, so Paul Gosar, ein republikanischer Abgeordneter aus Arizona, habe Präsident Joe Biden gegeben.1 Selbst wenn derlei Vorwürfe auch diesmal wieder eher von Spinnern wie den beiden zitierten kommen, die Republikaner werfen Biden durchaus vor, was sie selbst von Anbeginn aller Tage getan haben, nämlich Gewalt zu schüren: »Trumps Verbündete geben sofort der Rhetorik Bidens und der Demokraten die Schuld. Trumps Darstellung als Gefahr für die Demokratie habe diese Gewalttat provoziert …«2
Noch einmal, Zynismus ist hier fehl am Platz, aber es muss einem einfach aufstoßen, dass hier einmal mehr die Realität auf den Kopf gestellt wird. Man fragt sich unwillkürlich, ob die Aufmerksamkeitsspanne heute wirklich nicht mehr über den unmittelbaren Augenblick und die Affektreaktionen darauf hinausreicht. Man kann den Vorwurf, der jetzt laut wird, die »radikale Linke« habe dieses Attentat mit dem Gerede von Trump als »nächstem Hitler« geradezu herbeigeredet, nicht ohne Kulisse sehen: all die Jahre, die Trump nun mehr oder weniger direkt zur Gewalt aufruft, den 6. Januar (»Proud Boys, haltet euch bereit!«), das Gerede von Rache und Vergeltung und dass es zu einem Blutbad kommen würde, falls »ihr mich nicht wählt«. Natürlich hilft es da nicht gerade, wenn eine bekannte Schauspielerin Biden kurz vor dem Attentat auf Instagram dazu aufruft, Trump – mit eben diesem Argument, dass er der nächste Hitler sei – beseitigen zu lassen. Das Oberste Gericht habe ihn doch soeben mit einer Art präsidialer Allmacht ausgestattet. Man kann nicht ganz leugnen, dass das einen jungen sozialen Außenseiter motivieren könnte. Man denke an das Attentat auf Salman Rushdie durch einen kaum viel älteren jungen Schwachkopf, der seine ganze Kindheit hindurch Computerspiele gespielt und sich von islamistischen Parolen im Web hat aufhetzen lassen. Womöglich dachte der Trump-Attentäter, man würde ihn mal als eine Helden feiern, wenn er Trump eine Kugel in den Kopf jagt. Und wer weiß, wenn die amerikanische Rechte ihr Programm durchzieht, dann denkt man ja vielleicht tatsächlich noch mal mit Wehmut an ihn zurück. Wie auch immer, Tatsache ist, dass Trumps Rhetorik von Anfang von mehr oder weniger verbrämten Aufrufen zur Gewalt durchzogen war und dass Trump und Konsorten wie Roger Stone den Gewaltstreich vom 6. Januar von langer Hand vorbereitet hatten. Müsste man jetzt all die Absichtserklärungen der durchgeknallten Orange aufrollen: »Die Republikaner denken bereits darüber nach, was wir mit Biden und den Kommunisten machen, wenn wir an der Reihe sind.«3 Und man muss in der politischen Debatte auf diese Fakten hinweisen können, ohne dass einem jemand eine Strick draus dreht.
Tatsache ist auch, dass das christo-faschistoide Manifest Project 2025, dessen Kenntnisnahme Trump plötzlich leugnen zu müssen meint, die totale Übernahme des Staats vorsieht.4 Der Chef der Heritage Foundation, die hinter dem Fahrplan für die ersten 180 Tage nach der Machtübernahme steht, macht keinen Hehl daraus: »Wir sind im Begriff, uns dieses Land zurückzuholen. Wir erleben gerade die zweite Amerikanische Revolution, die unblutig bleiben wird, wenn die Linke es zulässt.«5 Hinter jedem Wort der amerikanischen Rechten lauert die Androhung von Gewalt. Und was Zynismus angeht: Sie erinnern sich noch an Trumps Reposting eines QAnon-Posting nach der Hammer-Attacke auf Nancy Pelosis Gatten? Trump forderte eben noch durch ein Reposting eines anderen Posts Militärgerichte für seine Feinde – Pardon, die »Feinde der Demokratie«.
Die Motive des jungen Schützen sind noch nicht klar, spielen aber letztlich gar keine Rolle. Schon gar nicht interessiert, was die Nachrichtenkanäle brummen lässt, wer denn nun Schuld an dem ungesicherten Flachdach hat, von dem aus der Schwachkopf geschossen hat. Viel interessanter ist, was jetzt passieren wird. Wie werden sich die Schüsse auf die amerikanischen Wähler auswirken? Welche Schlüsse werden sie daraus ziehen? Werden sich die Reihen hinter Trump wieder schließen, seine Gläubigen neue Kraft schöpfen? Selbstverständlich! Immerhin hat Gott selbst seine schützende Hand über ihn gehalten. Werden nun doch endlich Zweifel an seiner Waffenpolitik aufkommen? Ach was. Kann Biden überhaupt in irgendeiner Art und Weise davon profitieren? Nein. Schon gar nicht wenn der arme Alte auf seiner Kandidatur besteht. Nie wird die demokratische Partei noch einmal gemeinsam hinter Joe Biden stehen. Und bei den Wählern steht der Stimmenverlust für den Mann kurz vor dem Dammbruch.6
Anmerkungen
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