Der amerikanische Wahlkampf ist nun doch noch spannend geworden. Die Würfel schienen ja von Anfang an gefallen, das Ergebnis festzustehen. Sleepy Joe war einfach kein Gegner für den Donald. Da kann dieser eine Lüge nach der anderen erzählen, wenn ihm keiner Kontra zu geben vermag, ist da Hopfen und Malz verloren. Da kann einer noch so viel vorzuweisen haben, wenn sich alles nur noch darum dreht, ob der Mann die nächste Treppe schafft oder auch nur den nächsten Satz zu Ende bringt. Und jetzt? Eine schwere Last fällt einem von den Schultern: Joe Biden tritt von der Kandidatur zurück, schlägt seine Vize-Präsidentin vor und Kamala Harris nimmt die Kandidatur, mehr lachend als weinend, an. Und nicht nur startet sie auch gleich voll durch, sie sorgt sogar für die Art von Begeisterung, die bei den Demokraten völlig verloren gegangen schien.
Zum ersten Mal seit langem herrscht wieder echte Begeisterung bei den Demokraten. Und wenn die jetzt nicht ihre Energien auf Gegenkandidaten verpulvern, sondern sich geschlossen hinter Kamala Harris stellen, dann locken sie vielleicht noch so einige bisher Unentschlossene oder aus welchen Gründen auch immer Wahlunwillige hinterm Ofen hervor. So wie es aussieht, hat sie jedoch bereits die nötige Stimmenzahl zur Bestätigung ihrer Kandidatur beisammen.1 Außerdem hat sie in den paar Tagen seit Biden Rücktritt schon eine Rekordsumme von weit über 100 Millionen Dollar in die Wahlkampfkasse gebracht. Und besonders wichtig ist dabei, dass viele der Spender zum ersten Mal gegeben haben.2 Außerdem meldeten sich seither über 60.000 Wahlkampfhelfer, das heißt Leute, die zum Beispiel von Tür zu Tür gehen.
Das ging von unten nach oben … Die Leute stellten sich spontan hinter sie. Die Begeisterung in dieser großen, diversen und repräsentativen Partei war ganz erstaunlich. Sie was greifbar. Zum Schneiden dick. – Chuck Schumer3
Kamala Harris ist Jahrgang 64 und damit schon mal bei weitem jünger als Trump (Jg. 46). Womit Trump schon mal einen seiner »schlagenden« Punkte – sich über Bidens Alter lustig zu machen – verliert. Harris hat es zwar nicht nötig, Trump deshalb runterzumachen, immerhin hat sie tatsächlich ein politisches Programm, sollte es aber durchaus hin und wieder erwähnen, wenn Trump auf stichhaltige Fragen wieder mal nichts als Lügen, Müll und Beleidigungen zu bieten hat. Erfahrung bringt sie selbstredend mit, nicht nur als Vize-Präsidentin, sondern auch als Senatorin für und Justizministerin von Kalifornien. Die gebürtige Kalifornierin arbeitete sich nach dem Jurastudium bei der Staatsanwaltschaft nach oben. Was einer der Punkte sein dürfte, der ihr bei der Wahl schaden könnte, immerhin habe sie, so die Unterstellung »über 1.500 Schwarze wegen Marihuana-Delikten ins Gefängnis gebracht und dann darüber gelacht hat, als sie gefragt wurde, ob sie jemals Marihuana geraucht hat«.4 Auch wenn etwas irreführend ist, Munition für den Wahlkampf ist es allemal. Sie selbst behauptet, man habe Leute eher selten wegen kleiner Drogendelikte weggesperrt, räumt aber ein, dass wir, »so eilig wie wir es hatten, die Straßen zu säubern, eine öffentliche Gesundheitskrise kriminalisierten«.5 Immerhin spielte ihr ihre Vergangenheit bei der Staatsanwaltschaft ihre erste heftige Spitze gegen Trump in die Hand: Als Staatsanwältin habe sie es mit Straftätern aller Art zu tun gehabt, sagte sie bei ihrer ersten Wahlkampfrede. »Serientäter, die Frauen missbrauchten, Hochstapler, die Verbraucher abzockten, Betrüger, die zu ihrem eigenen Vorteil gegen die Regeln verstießen … Sie können mir also glauben, wenn ich sage, ich kenne Donald Trumps Typ.«6 Sie begann ihren Wahlkampf übrigens ausgerechnet in Milwaukee, der Stadt, in der die Republikaner eine Woche zuvor noch ihren Parteitag hatten. Eine köstliche Ironie, wie man auf MSNBC meint.7
Trump reagiert damit wieder mit seiner – offenbar genial auf seine unterbelichtete Zielgruppe zugeschnittene – infantilen Sandkastentaktik und wirft mit Kacke: Kamala Harris sei »verrückt«, »bekloppt«, »dumm wie Brot«8 und eine »Wahnsinnige vom linksradikalen Rand«.9
Aber rhetorische Spitzen und andere ironische Köstlichkeiten beiseite, mal ehrlich: In der amerikanischen Politik jemanden zu hören, der sich tatsächlich wie ein Politiker anhört, wie wir sie uns in Europa vorstellen, das tut gut. Sicher, Biden hat auch über sein Programm gesprochen, aber es fehlte eben einfach der Saft. Oder besser: »Wir litten an einem Mangel an Begeisterung«, wie Claire McCaskill, eine ehemalige Senatorin aus Missouri, es ausdrückte.10
Ich hab’ dich im Auge, Kid.
– Joe Biden an Kamala Harris
Die große Frage ist jetzt letztlich, ob die Unlust, demokratisch zu wählen, mehr auf Bidens Konto ging oder auf die Plattform der Demokraten selbst. Wer von beiden war unterm Strich für die lauen Umfrageergebnisse verantwortlich? Man möchte hoffen, dass da endlich wieder über Politik gesprochen wird. Und wenn Trump wieder mal irgendwelche Verbrechen illegaler Zuwanderer aufzählt,11 sollte man ihm nicht nur entgegenhalten, dass er den Beginn einer Lösung der Grenzkrise mit allen Mitteln verhindert hat, man sollte ihm auch die Zahl all derer entgegenhalten, die durch die Weigerung seiner Partei sterben, irgend etwas gegen all die automatischen Waffen im Land zu tun. Harris sollte dem Mann auch nicht eine seiner Hetzreden und faustdicken Lügen durchgehen lassen. Sie sollte ihn als den verlogenen Idioten dastehen lassen, der er tatsächlich ist. Und sie sollte ruhig sein eigenes Argument gegen Biden benutzten, nämlich dass er – Trump – zu alt für diesen Job ist.
Könnte die »radikale Linke«, wie Trump Harris nennt, die Amerikaner dazu bringen, endlich Farbe zu können: Wollen sie auf die weltweit übliche demokratisch chaotische Weise weiterwursteln oder wollen sie eine von Trump als absoluter Herrscher gegängelte Diktatur.
Anmerkungen
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