Okay, die Teams beider Seiten stehen. Vize-Präsidentin Kamala Harris hat mit Tim Walz ihren künftigen Vize gekürt. Das ist nun offiziell, muss nur noch vom Parteitag abgesegnet werden, aber das ist reine Formsache. Ab sofort kann der Wahlkampf in die heiße Phase gehen. Aber bevor wir uns Tim Walz näher ansehen, sollten wir rasch noch einen Blick auf ein typisches Merkmal dieses Wahlkampfs werfen, das zwar so neu nicht ist, sich aber jetzt, wo es auch auf der demokratischen Seite zur vollen Entfaltung zu gelangen scheint, zu einem Parallelkrieg auf einer ganz anderen Ebene entwickelt hat …
Selbst die Älteren unter uns haben mittlerweile mitbekommen, was ein Mem oder Meme ist: ein Gedanke, der, durch Kreativität und Engagement der Masse in Bild und /oder Ton gefasst, in ständig neuen Mutationen vor allem im Internet ins Kraut schießt. Als Baby Boomer drängt sich einem da unwillkürlich der Gedanke auf, dass da nun die Gen Z in die politische Arena eindringt. Und das buchstäblich en masse. Und das sind ja wohl Leute, die »Scrollen« mit »Lesen« verwechseln. Die Emojis für diskurstaugliche Sprache halten. Die mit anderen Worten auf simple »Reizwörter«, Pardon, »Trigger« reagieren, auf die sie durch ihre exzessive Teilnahme an den sozialen Medien kalibriert sind.
Und da ist vermutlich was dran. Was braucht man groß Meinungsbildung zu betreiben, wenn man mit einem »Like« easy mal etwas übernehmen und für die Verbreitung solcher Memes sorgen und so locker vom Hocker am öffentlichen Leben teilnehmen kann. Ohne sonst groß eine Ahnung zu haben. Also, was bedeutet es dann, wenn Kamala Harris jetzt, von Memes nach oben gespült, diese Meme-Welle surft?
Aber das ist etwas vorschnell geurteilt. Zumal Harris erst mal mitnichtne von Memes, sondern von einer Welle massiver Erleichterung hochgespült wurde, die die Demokraten erfasste, nachdem sie sich nach all den deprimierenden Szenen um Biden von den Fesseln der Stagnation und der Hoffnungslosigkeit befreit sahen. Das war die Welle, die dann auch die Memes um die Kandidatin nach oben spülten.
Aber bevor wir zu diesen kommen …
Trump und seine rechten Konsorten arbeiten schon weit länger mit diesen Triggern, diesen Abkürzungen, die das Denken ersparen und eine gewünschte Emotion auslösen. Und ich meine nicht nur seine kindische Sprache und sein Sandkastengehabe, alles, was missliebig ist, als »klein« (Little Marco Rubio oder »dumm« (Nikki Birdbrain Haley) herunterzukacken, oder denken Sie an Sleepy Joe Biden. Memes haben Trump ins Weiße Haus gebracht. Denken Sie an die Gadsden-Flagge, die zum Biss aufgerichtete Klapperschlange, die in den USA seit dem Unabhängigkeitskrieg allerhand Widerspenstigen oder auch nur Unzufriedenen zum Emblem geworden ist – vom Ku Klux Klan bis hin zu Frauenrechtlerinnen. Die der Reichskriegsflagge nachempfundene Kekistan Flag, die man sich auf 4chan ausgedacht hat und Pepe der Frosch gehören ebenso dazu wie die Südstaatenflagge oder Trump-Nation-Flaggen in Blau oder Rot. Zu schweigen von Q. Sie alle hatten im Namen einer Vielzahl von rechten Gruppen das Internet bevölkert, und so unterschiedlich diese Gruppen im Einzelnen sein mochten, sie einte der Gedanke, Donald Trump im Weißen Haus zu sehen. Was man denn auch schaffte. Und das erste Mal, dass diese Subkulturen aus obskuren Winkeln des Internets einander tatsächlich begegneten, war am 6. Januar 2021.
Am 6. Januar, dem Tag des blutigen Aufstands, zu dem Trump aufgerufen hatte, sah man all diese Memes vermutlich zum ersten Mal auf einem Haufen. Die Idee dahinter war, dass man Trump um den Wahlsieg betrogen betrogen wähnte. Die Parole #StopTheSteal war denn auch ein weiteres Meme, das »in drei kurzen Worten … den komplexen Gedanken vermittelte, dass Joe Biden ein illegitimer Präsident sei und Donald Trump von einem mächtigen System, das den Willen des Volkes zu untergraben versuchte, Unrecht getan wurde, und es verkündete die Mitgliedschaft in der MAGA-Community«.1 Die Menge war divers, sie reicht von Republikanern über Alt-right-Leuten bis hin zu den Moonies,2 die einzigen Aufrührer, die eindeutig zuzuordnen waren, dürften die Angehörigen der Proud Boys gewesen sein mit ihrem Motto »Stand back and stand by!« Seit Jahren hatten diese Communities sich gegenseitig in ihren randständigen Ideen bestärkt und diese in die gesellschaftliche Mitte gepusht, durch Memes, durch das Trollen Prominenter, Journalisten und Politiker und allerhand Chaos, und am 6. Januar, standen sie dann plötzlich in Fleisch und Blut auf den Stufen des Kapitols – auf Trumps Geheiß. Der hatte fleißig für Retweets ihrer Ideen und Memes gesorgt.
Es ist nun nicht so, dass es keine Memes gegen Trump gegeben hätte, weit gefehlt, aber während Trump sich durch seine Retweets aktiv ins Meme-Getümmel stürzte, scheinen Trump-feindliche Memes erst seit Kamala Harris’ Eintritt in den Wahlkampf offiziellen Charakter angenommen zu haben.
Witzigerweise hat ausgerechnet Tim Walz, der eben zum Vize-Kandidaten bestimmt wurde, für das eines der beliebtesten auf Trump bezogenen Memes gesorgt: Schon bevor er in die Endauswahl um die Vize-Kandidatur kam, hatte der Governeur aus Minnesota Donald Trump die Republikaner als »just weird« (schlicht absonderlich) bezeichnet.3 Und während das viral ging, weidet er das nun kräftig aus: “Ich muss das einfach sagen. Man weiß es einfach. Man spürt es. Diese Leute sind gruselig und, ja, schlicht und ergreifend verdammt weird.«
Kamala Harris hatte sofort ein Meme weg, das auf eine Aussage von ihr selbst zurückgeht: »Ihr meint wohl, ihr seid grade vom Kokosbaum gefallen.« Sie sagte dies anlässlich der Vereidigung des Präsidialausschusses zur Förderung der Bildungsgleichheit und zitierte damit ihre Mutter. Gemeint ist damit, wie sie selbst ausführte, dass »niemand in einem Silo lebt« und »alles einen Kontext hat«. Ihr lebt im Kontext all dessen, was um euch herum existiert und was vor euch da war.4 Das Meme ist noch nicht einmal gegen Trump gerichtet, aber so viral wie es im Web weitergereicht wird, dürfte es eine erkleckliche Zahl von Wählern mobilisieren.
Ein anderes Meme, das im Kontext zu Kamala Harris ebenfalls gerade die sozialen Medien sprengt, ist »brat« – ein »Gör«. Die Britin Charli XCX hat ihr das Prädikat verpasst. Der Stern, so würde ich sagen, hat am besten beschrieben, was es damit auf sich hat.5 Ältere Semester mögen sich jetzt wundern ob der Idiotie, die wohl dahinter stecken muss, all diese absolut & völlig egoistischen & gesellschaftlich irrelevanten Eigenschaften des »Görs« mit einer Frau in Verbindung zu bringen, die doch einiges mehr zuwege gebracht hat, als auf Normen zu pfeifen (»Brats machen ohnehin nur das, was sie wollen«), die gerade mal für eben diese Gruppe dummer kleiner Mädchen gelten, die – bar jeder Verantwortung – mit dem Rüssel im Handy durchs Leben laufen. Aber, so könnte man sich weiter denken, es genügt für diese Generation nun mal, zwei Dinge/Menschen/Sachverhalte mit einem Klick zu verbinden, und die Sache ist geritzt. Aber auf der anderen Seite, wenn man sich all die Anwürfe ansieht, denen sich Kamala Harris ausgesetzt sieht, dann könnte man auch sagen: Sie steht zu sich, macht trotzdem weiter, macht, was sie für richtig hält, ist also ganz das »Gör«. Kamala Harris mag sich über Zuspruch und Stimmen freuen und mehr oder weniger verstehen, warum sie »brat« ist, aber unterm lindgrünen Strich ist das, so der Verdacht des alten Kackers, dieselbe Spezies gehirnamputierter Wähler, die Trump ins Weiße Haus gehievt hat.
Zunächst mal dürfte jedoch alles egal sein, wichtig ist nur, dass die so genannte oder auch Demokratie vier Jahre Verschnaufpause bekommt …
Anmerkungen
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