Wirtschaft ist für uns Normalverbraucher ebenso ein Buch mit sieben Siegeln wie für all die studierten Volksökonomen, die zwar eine Menge abwechselnd populärer Theorien haben und viele der Mechanismen verstehen, aber unterm Strich die Politik auch nicht havariefrei durch das Gewusel nationaler und internationaler Ereignisse zu lotsen vermögen. Und wo schon die Zentralbanken herzlich machtlos gegen die Butzemänner »Inflation« und »Rezession« zu sein scheinen, kann der Wähler nur den Kopf einziehen ob der unfehlbaren Heilmittel, mit denen sich Links und Rechts bombardieren. Und da man mit eingezogenem Kopf überhaupt nichts mehr mitbekommt, lässt sich die Wirtschaft fürs Stimmvieh überhaupt nur »gefühlt« verstehen.
Zahlen sprechen für sich, heißt es, und das mag auch richtig sein, aber dazu müsste man sie sich eben auch tatsächlich ansehen. Und das gar nicht so einfach. So finden sich im WWW eine Menge seriöser Versuche, die wirtschaftliche Situation unter Trump und Biden zu vergleichen.1 Sie alle kommen in etwa zum selben Schluss: Beide verbuchten Erfolge, beide verbuchten Misserfolge, aber unterm Strich schneidet Biden etwas besser ab, mit im Augenblick weiter steigender Tendenz. Und dennoch trauen die Leute Trump – offensichtlich »gefühlt«, da die Zahlen keine Rolle spielen – in Sachen Wirtschaft mehr zu als Biden.
Ganz obenan bei der gefühlten wirtschaftlichen Situation steht die Inflation. Da hilft es auch nicht, dass zahlenmäßig die Löhne im Zeitraum Trump/Biden minimal stärker gestiegen sind als die Inflation. Tatsache ist, dass der Anteil ihres Einkommens, den Amerikaner für ihre Lebensmittel ausgeben müssen, so hoch ist wie seit 30 Jahren nicht mehr.2 Trumps lockerer Umgang mit Zahlen, etwa wie wenn er von einem »Kamala-Preis-Anstieg« spricht, der die amerikanische Durchschnittsfamilie statt 8.500 Dollar3 angeblich 28.000 Dollar im Jahr kostet, ist da Öl ins Feuer.4 Wen interessiert schon, dass kein Mensch sich erklären kann, wie er auf diese Zahl kommt,5 wen interessiert, dass er »Biden« dabei aus taktischen Gründen durch »Kamala« ersetzt. Wie auch immer, Tatsache ist, dass es niemandem groß nützen wird, wenn sein Einkommen etwas mehr steigt als die Inflation; die Inflation frisst die Lohnerhöhung so gut wie auf.
Man könnte darauf hinweisen, dass Trump eine halbwegs intakte Wirtschaft und Biden eine Covid-Ruine geerbt hat und dass Trump eine lustlose, aber funktionierende Wirtschaft mit Steuererleichterungen und massiven Staatsausgaben ankurbelte. Objektiv gesehen surfte er auf den Ausläufern der längsten ökonomischen Expansionsperiode der amerikanischen Geschichte.6 Sinnlos, heute darauf hinzuweisen, dass seine viel gerühmten Steuererleichterungen vor allem den oberen Einkommensklassen »half« und die Einkommensschere weiter öffneten7 und dass die Staatsausgaben der Regierung Trump alle Rekorde brachen,8 die Staatsschulden um 39% stiegen und das Verhältnis von Staatsschuld und BIP so hoch war wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Was übrigens eine ungeheure Belastung für die Regierung Biden darstellt, von der niemand spricht.9 Aber wer will’s hören? Man sollte jedoch sehr wohl darauf hinweisen, dass Trump, seine großmäuligen Versprechen, die Staatsausgaben zu kürzen und die Staatsschuld zu beseitigen, schlicht nicht gehalten hat. Die einzige Möglichkeit, die er hätte, seinen Bundeshaushalt in den Griff zu bekommen, bestünde darin, im rahmen einer weiteren Reduzierung des Staats all die teuren Probleme, wie etwa das Bildungsministerium, an die Bundesstaaten zurückzugeben. Und sich mit Alaska-Öl auf Kosten von Umwelt und Klima dumm und dusslig zu verdienen.10 Das Fazit der Washington Post: »Während Trumps Amtszeit stiegen Löhne und Gehälter der einfachen Arbeitnehmer um 15,4 Prozent – fast doppelt so stark wie die Inflation. Das gab den Menschen das Gefühl, voranzukommen. Im Gegensatz dazu haben die Löhne der einfachen Arbeiter unter Biden kaum mit dem Preisanstieg von 19 Prozent Schritt halten können.«11
Das wirkt sich auch im Bereich der Ungleichheit bei den Einkommen aus. Die Unterschiede zwischen den Einkommen verschiedener Gruppen ging unter Biden zwar beträchtlich zurück, aber je weniger der Einzelne verdiente, desto weniger merkte er das angesichts des Preisanstiegs. Ob das unterm Strich Harris oder Trump nützen wird, lässt sich kaum sagen.
Covid, das nur zwischendurch, ist bei alledem ein zweischneidiges Schwert, das sich letztlich für und wider die beiden Kontrahenten einsetzen ließe. Alle hier zitierten Arbeiten sind den jeweiligen Angaben zufolge »Covid-bereinigt«, soweit das irgendwie geht.
Was Arbeitsplätze angeht, so hatte Trump vor der Pandemie bereits 6,7 Millionen neu geschaffen, von denen Covid Millionen verschlang. Letztere sind natürlich abzuziehen von den 15,7 Millionen Jobs, die Biden geschaffen hat. Unterm Strich haben heute 6 Millionen Menschen mehr Arbeit als vor Covid. Dabei ist zu beachten, dass die Arbeitsplatzsituation unter Trump bereits vor Corona wieder abzuflauen begann, während sie unter Biden nach wie vor in Besserung begriffen ist.12 Was nicht stimmt, ist Trumps Behauptung, dass »praktisch 100% von Bidens Netto-Jobs an Migranten« gegangen seien. Auch wenn die Zahl der im Ausland geborenen Arbeitnehmer weit schneller gestiegen als die der in den USA geborenen.13 Und wie immer wirft Trump dabei »Migranten« und »im Ausland geboren« in einen Topf, vergisst naturalisierte Zuwanderer und vor all die Tatsache, dass im fraglichen Zeitraum eine Menge gebürtige Amerikaner in Rente gegangen sind.14 Laut der Washington Post hat Biden in Sachen Arbeitsplätze, wenn auch nur knapp, die Nase vorn.15
Interessant ist eine Aufschlüsselung der Arbeitsmarktzahlen nach Countys: Das Wirtschaftswachstum kommt nicht allen im gleichen Maß zugute. Ein geographischer Vergleich der Washington Post von »2019 (ein starkes Trump-Jahr) und 2023 (ein starkes Biden-Jahr)« zeigt Gewinner und Verlierer beider Präsidentschaften in Sachen Arbeitslosigkeit in den Countys auf. »Unter Biden schnitten insgesamt mehr Landkreise besser ab, aber Landkreise in bestimmten Swing States, insbesondere Michigan und Nevada, schnitten unter Trump besser ab.«16
Was Arbeitsplätze im Fertigungsbereich und den Bau neuer Fertigungsbetriebe in den USA anbelangt, so hat Biden definitiv die Nase vorne. Seit dem Amtsantritt des Teams Biden/Harris im Januar 2021 wurden mehr als 775.000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Sektor geschaffen. Ein Trend, der sich, falls das Gesetz zum Abbau der Inflation der beiden greift, weiter fortsetzen wird. Während Trumps Amtszeit war das Beschäftigungswachstum im verarbeitenden Sektor bereits vor Covid praktisch zum Stillstand gekommen.17 Alles in allem sind heute im verarbeitenden Sektor so viele Menschen beschäftigt wie seit der Großen Rezession (2008) nicht mehr.18
Was die Kinderarmut anbelangt, so ging diese gegen Ende von Trumps Amtszeit leicht zurück, erreichte 2021 einen Tiefststand, als Biden Familien mit Kindern weitere Steuererleichterungen zusprach. Als diese ausliefen, schnellte die Zahl wieder auf die Werte vor Pandemie zurück. Hier sollte klargestellt werden, dass der von Trump kontrollierte Kongress sich gegen eine Verlängerung des Programms sperrte.19
Die Zahl der Geschäftsgründungen ist wieder auf dem Niveau vor der Pandemie. Überhaupt hat ein Rekordanteil von Amerikanern ein eigenes Geschäft.20 Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass zahlreiche Arbeitnehmer, die sich während der Pandemie plötzlich auf der Straße sahen, sich entschlossen, es auf eigene Faust zu versuchen.
Der Medianwert eines eigenen Zuhauses ist von ca. 320.000 Dollar zum Zeitpunkt von Trumps Amtsantritt auf 420.000 Dollar im ersten Quartal 2024 gestiegen. Das ist nicht schlecht, wenn man eines besitzt, aber für die meisten zur Miete lebenden Amerikaner dürfte ein eigenes Heim damit in weite Ferne gerückt sein.21 Und auch wenn die Kosten für Hypotheken »nur« um 2,5% und nicht – wie Trump behauptet – um 4% gestiegen sind,22 Stimmung macht das nicht.
Aber Stimmung ist nun mal alles, und was die Verbraucherstimmung angeht, so ist Trump Harris immer noch um Längen voraus. Die wirtschaftliche Stimmung war besser bei seinem Amtsantritt, und er schraubte sie noch nach oben. Die Menschen hatten ein gutes Gefühl. Biden und damit Harris macht der Inflationsschock von 2022 zu schaffen. Fraglich, ob sich die Stimmung bis zur Wahl noch erholt.
Anmerkungen
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