Jetzt ist es offiziell. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten (DNC ) bestätigte die Partei das Gespann Kamala Harris / Tim Walz. Und das nicht nur einmütig, sondern unter Begeisterungsstürmen, die über das ohnehin schon hysterische Level an Jubel bei amerikanischen Wahlveranstaltungen noch hinausgehen. Vom 19. — 22. August ging es rund im Chicagoer United Center. Kein Geringerer als Steven Spielberg soll bei der Planung der Megaveranstaltung der Demokraten in Chicago mit Hand angelegt haben. Und wie immer sein Beitrag ausgesehen haben mag, der Parteitag war ein Riesenerfolg. Hier einige Schlaglichter auf die Beiträge einiger illustrer Gäste, die bei der Veranstaltung zu Wort kamen.
Präsident Joe Biden, der im Juli von der Kandidatur zurückgetreten war, eröffnete den DNC mit einer leidenschaftlichen einstündigen Rede, in der er unter anderem erklärte, warum er überhaupt noch mal angetreten war: »Ich kandidierte 2020 für das Amt des Präsidenten wegen dem, was ich im August 2017 in Charlottesville sah. Da kamen Extremisten aus dem Unterholz, mit Fackeln, die Adern am Hals geschwollen. Das Hakenkreuz der Nazis in der Hand, skandierten sie die antisemitische Hetze aus dem Deutschland der frühen 30er-Jahre. Neonazis, weiße Rassisten, der Ku-Klux-Klan, ermutigt durch den damaligen Präsidenten im Weißen Haus, in dem sie einen Verbündeten sahen … Da marschierte der Hass auf. Alte Gespenster in neuen Gewändern, die uralte Kluften wieder aufrissen, die uralte Ängste schürten und Sauerstoff für uralte Kräfte waren, die Amerika so lange zu spalten versuchten. Es kam dabei eine junge Frau ums Leben. Als ich ihre Mutter kontaktierte, fragte ich sie, was passiert sei. Sie sagte es mir. Als man den Präsidenten fragte, was da seiner Meinung nach passiert sei, sagte Donald Trump, und ich zitiere: ›Wir haben da großartige Menschen auf beiden Seiten.‹ Mein Gott, das hat er wirklich gesagt … und auch so gemeint … Da wurde mir klar … dass ich da nicht einfach zuschauen konnte. Und so habe ich kandidiert.«1 Er zählt seine und – das betont er immer wieder – Kamalas Verdienste auf und versicherte zum x‑ten Mal, dass er niemandem böse sei, der ihm den Rücktritt nahegelegt hat.
Eines wird deutlicher denn je auf diesem Parteitag: die an den Kräften zehrende Macht der Negativität, die das Land seit Trumps Eintritt in die politische Arena vor acht Jahren zu zerfressen begann. All die Energie, die jeder Atemzug dieses Mannes das Land kostete, all das Gewinsel, die Beleidigungen eines selbstbesessenen Narzissten, die die demokratische Hälfte des Landes in einen Sumpf aus Depression und Selbsthass zogen, all diese negative Energie scheint sich jetzt umzukehren in einen positiven Tsunami der Freude. Aus den Worten praktisch aller Redner ist diese Freude zu hören. So spricht denn Michelle Obama gleich zu Beginn ihrer Ansprache »die ansteckende Kraft der Hoffnung« an, die das Land spürbar erfasst habe: »Die Chance, die Dämonen der Angst, der Spaltung und des Hasses zu besiegen, die an uns zehren, und weiter an der Erfüllung des unvollendeten Versprechens dieser großen Nation zu arbeiten. An dem Traum, für den unsere Eltern und Großeltern Opfer brachten, kämpften und starben. Amerika, die Hoffnung feiert ein Comeback!« Sie löse die Angst vor der Zukunft ab. Und niemand, so betont sie, habe das Monopol darauf, was es heißt, ein Amerikaner zu sein. Michelle Obama spricht Werte an, die sie mit Kamala Harris teile, menschliche Werte, die ihre Mütter ihnen vermittelt hätten: für seinen Nachbar da zu sein und mehr zu geben, als man nehme. Und das obwohl ihre Mütter einen Ozean voneinander entfernt aufgewachsen seien, erklärt sie in Anspielung ihrer beider Erbe. Ihrer beider Mütter seien nach Amerika gekommen, um sich ihren amerikanischen Traum zu erfüllen. Durch harte Arbeit. Donald Trump dagegen habe es sich leisten können, durch Betrug und Gejammer vorwärtszukommen und die Regeln zu ändern, wann immer etwas nicht nach seinem Kopf gegangen sei. Und was Trumps Versuche angeht, Zweifel an Kamals Harris zu säen, so merkt Michelle an, könne sie und ihr Gatte ein Lied von seinen Versuchen singen, der Nation Angst vor ihnen zu machen. »Sehen Sie, seine begrenzte enge Weltsicht ließ ihn sich bedroht fühlen von der Existenz zweier hochgebildeter, fleißiger und erfolgreicher Leute, die zufällig auch noch schwarz sind.« Das Publikum tobt vor Begeisterung. Und, so frage sie sich, wer wird Trump wohl sagen, dass der Job, um den er sich da gerade bewirbt, womöglich einer von diesen »schwarzen Jobs« sei, von denen er ständig spricht.
Die Obamas wären nicht mit Abstand das Glamour-Paar der Demokraten schlechthin, stünde Michelles Gatte hinter den brillanten Ausführungen seiner Frau zurück. Und er setzt noch einen drauf mit einem Scherz über Trump, der für Memes sorgen dürfte, als er den Hinweis auf die Besessenheit des 78-jährigen Milliardärs mit der »Größe seines Publikums« mit einer Geste begleitet, die eindeutig einen Penis bemisst. Der Saal tobt.2
Wie die meisten Redner auf dem Parteitag spricht auch Barack Obama eher von »Freiheit« als von »Demokratie«. Darauf scheint sich die Partei ebenso geeinigt zu haben wie darauf, sich einige der Verhaltensweisen der Republikaner zu eigen zu machen, etwa die bedruckten Klamotten und Kopfbedeckungen oder das rhythmisch skandierte »USA! USA! USA!«
Die große Entdeckung dieses Wahlkampfs, Tim Walz, der womöglich der erste Vizepräsident wird, von dem man mehr sehen wird, als wir das gewohnt sind, macht seinem Ruf als politisches Naturtalent alle Ehre. Journalisten, die nach Vergleichen aus der Vergangenheit suchen, sind ratlos. Er hat das Talent des Trainers, blitzschnell alles auf den Punkt zu bringen, nicht lange herumzureden, man bekommt eine klare geistreiche bis gescheite Antwort von ihm. Der Mann aus der ländlichen Kleinstadt pocht auf leben und leben lassen, auf Nachbarschaftshilfe und die Unterstützung des Staats für die Mittelschicht. Stolz ist er auf seine Erfolge als Gouverneur: »Während andere Staaten an ihren Schulen Bücher verboten, haben wir dem Hunger an unseren Schulen ein Ende gemacht.« Auch er spricht von »Freiheit«, mit der man es bei ihm zuhause in Minnesota besonders ernst nehme, da man die Entscheidungen seiner Nachbarn für eine bestimmte Lebensart respektiere. »Und auch wenn wir für uns andere Entscheidungen treffen, so haben wir eine goldene Regel: Kümmere dich verdammt noch mal um deinen eigenen Kram!« Und das gelte auch für Fruchtbarkeitsbehandlungen und IVF – das heiße Thema des Wahlkampfs nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes gegen die reproduktiven Rechte der Frau. Auch die schreibe man in Minnesota ganz groß. »Wenn Republikaner Freiheit sagen, dann meinen sie, dass es dem Staat freistehen sollte, in die Praxis Ihres Arztes einzubrechen, dass es Unternehmen freistehen sollte, Ihre Luft und Ihr Wasser zu verschmutzen, und dass es Banken freistehen sollte, ihre Kunden über den Tisch zu ziehen. Wenn wir Demokraten Freiheit sagen, meinen wir die Freiheit, ein besseres Leben für sich selbst und die zu schaffen, die man liebt, die Freiheit, eigene Entscheidungen über Ihre Gesundheit zu treffen, und ja, die Freiheit Ihrer Kinder, zur Schule zu gehen, ohne befürchten zu müssen, das man sie auf dem Flur erschießt.«
Es-Politiker, Kongressabgeordnete, Senatoren, Gewerkschafter, Minoritäten- und Kirchenvertreter, Leute aus der Unterhaltungsbranche, sogar einige abtrünnige Republikaner, die Liste der Redner über vier Tage hinweg ist schier endlos. Allen voran natürlich die Clintons. Bill Clinton, zwei Tage vor seinem Auftritt 78 geworden, gestattet sich eine nette ironische Spitze: »Und die einzige Eitelkeit, die ich mir hier erlaube ist: Ich bin immer noch jünger als Donald Trump.« Und er stellt die entscheidende Frage: Wird der nächste Präsident Amerika zurückwerfen oder vorwärtsbringen? Und er stellt eine Rechnung auf, die er dreimal gecheckt haben will: »Seit Ende des kalten Kriegs, 1989, haben wir in Amerika 51 Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen … Und der Spielstand? Demokraten 50, Republikaner 1.«
Hatte etwa Michelle Obama nur nebenbei die Probleme angesprochen, die Kamala Harris und Tim Walz mit Leuten haben werden, die weiterhin die Vermehrung des eigenen Reichtums über das Wohl aller stellen, so wird Bernie Sanders konkret. Und so vereint die Demokraten sich im Augenblick auch geben, bei Sanders’ Ansprache bleibt der bei allen anderen Rednern frenetische Jubel wie zu erwarten immer wieder mal aus, ist stellenweise bestenfalls pflichtbewusst bis lau. Und die eben noch strahlenden Gesichter wirken desinteressiert bis unangenehm berührt. Man meint zu spüren, dass den Leuten da einer mit einer expliziten Agenda in die vor Begeisterung überkochende, aber letztlich doch eher aus vagen emotionellen Ingredienzen bestehende Suppe spuckt. Auch wenn er selbst sagt, dass sein Programm, von dem er hofft, dass Kamala Harris es weitgehend zum Programm ihrer Präsidentschaft macht, mitnichten radikal sei, man darf vermuten, dass es für viele genau das ist. »Wir eine Wirtschaft, die für uns alle funktioniert, nicht nur für die Milliardärsklasse … denn 60% unserer Bevölkerung leben von Lohntüte zu Lohntüte, und die oberen 1% hatten es noch nie so gut. Und diese Oligarchen sagen uns, wir sollten die Reichen nicht besteuern, die Oligarchen sagen uns, wir sollten nicht gegen Preiswucher vorgehen, wir sollten Medicare nicht auch auf Zahnarzt, Hören und Sehen erweitern. Und wir sollten die Sozialversicherungsleistungen für notleidende Senioren nicht erhöhen.« Ganz oben auf seiner »To-do-Liste steht die Notwendigkeit, Big Money aus dem politischen Prozess herauszubekommen! Milliardäre beider Parteien dürfen keine Wahlen kaufen können … Wir müssen aus dem Mindestlohn einen Lohn machen, von dem es sich leben lässt … wir müssen dafür sorgen, dass Arbeiter sich gewerkschaftlich organisieren können … wir müssen das staatliche Bildungssystem stärken, die Gehälter der Lehrer erhöhen und dafür sorgen, dass alle Amerikaner, ungeachtet ihres Einkommens, die höhere Bildung bekommen, die sie brauchen … Wir müssen auf den Stand der restlichen industrialisierten Welt kommen, wo Gesundheitsfürsorge für alle ein Menschenrecht ist und kein Privileg … Wir müssen uns Big Pharma vornehmen, um die Preise für Medikamente zu senken … wir müssen uns Big Oil vornehmen, Big Egg, Big Tech und all die anderen Monopolisten, deren Gier dem Fortschritt der arbeitenden Leute im Wege steht.« Was alles nicht radikal sei, wie er betont. Was dagegen radikal sei, das sei Trumps Project 2025 und zu einer Zeit massiver Einkommens- und Wohlstandsungleichheit Milliardären weitere Steuererleichterungen zu gewähren, durch Budgetkürzungen die soziale Sicherheit, Medicare und Medicaid zu untergraben und zuzulassen, dass Umweltverschmutzer unseren Planeten zerstören. Das alles geht womöglich etwas weiter, als vielen Demokraten lieb ist. Vergessen wir nicht, dass es auch steinreiche Demokraten – die »corporate Democrats«, wie Bernie Sanders sie nennt – gibt und dass man Hillary Clinton seinerzeit den Vorwurf gemacht hat, für die Interessen der Wall Street zu stehen.
Kamala Harris, die frisch gekürte Kandidatin, hat einen Rekordsprint hinter sich. Kein Kandidat vor ihr hat den Wahlkampf seiner Partei in einem so atemberaubenden Tempo aus der Flaute geholt, unter Segel gesetzt und auf Kurs gebracht. Aber es ist wohl weniger konkrete Politik, die ihre Segel bläht, als die schiere Hoffnung auf eine Änderung in Richtung einer strahlenden Zukunft anstatt in Richtung der düsteren Vision ihres Kontrahenten Trump, die letztlich ein Zurück in die Vergangenheit ist. Aber auch wenn sie nicht von Hannibal Lecter oder den angeblichen Lobhudeleien blutrünstiger Autokraten schwärmt, nur um nicht über Politik sprechen zu müssen, was ihre Präsidentschaft anbelangt, bleibt sie Details schuldig. Bernie Sanders war da etwas deutlicher, was wie gesagt eher laue Aufnahme fand. Also ist es womöglich genau das, was ihren Erfolg ausmacht. Vermutlich haben gerade ihre eher vagen Aussagen allen Faktionen innerhalb der Partei unter einen Hut gebracht.
Was vor allem zählt, ist der »Vibe«.3 Die Bürgerrechtler sehen die erste farbige Frau nominiert; das impliziert die Hoffnung auf ihr Engagement für die Gleichberechtigung aller Rassen. Die Klimaleute verlassen sich darauf, dass sie Bidens Bemühungen um Naturschutz und saubere Energie fortführt. Desgleichen verlassen sich die Gewerkschafter darauf, dass sie wie Biden Streikposten steht. Ob sie nun »Mitte/Links, nicht weit links« regieren wird, wie ein bekehrter Republikaner empfiehlt,4 die Wähler draußen im Land scheinen der Überzeugung, dass sie für sie da sein wird. Mit einem Blick auf Donald Trump fällt ihnen das nicht schwer. Sie stößt wohl keinem der Unentschlossenen vor den Kopf. Und dann brachte es vielleicht Überraschungsgast Oprah Winfrey auf den Punkt, die Harris und Walz als die Kandidaten von »Anstand und Respekt« bezeichnete. Auch hier hilft ein Blick auf Trump und seine Mischpoke sicher nach. »Ich appelliere an alle Unabhängigen und Unentschlossenen«, sagte Winfrey. »Mehr als alles andere zählen Werte und Charakter, in Führungspositionen wie im Leben an sich.«5 Wie auch immer, das Level an Hoffnung ist mit einem Mal so hoch wie seit Obama 2008 nicht mehr. Wenn ihr etwas die nötige Nasenlänge zu verschaffen vermag in diesem knappen Rennen, dann ist es vermutlich genau das. Jede konkrete Aussage zu konkreten Plänen kostet sie womöglich Stimmen.
Konkret versprach sie, die Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente zu senken und gegen den Preiswucher bei Lebensmitteln anzugehen. Konkret versprach sie eine Steuergutschrift über 25.000 Dollar für Erstkäufer von Wohneigentum. Konkret ist sie für die Verabschiedung der parteiübergreifenden Einwanderungsgesetzgebung, die bislang blockiert wurde. Konkret versprach sie, sich für ein Bundesgesetz stark zu machen, das das Grundrecht auf Abtreibung bundesweit garantiert, um konservativen Verboten in den Bundesstaaten zuvorzukommen. Und dann natürlich, was jeder Kandidat verspricht: »Ich verspreche, eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein. Sie können sich immer darauf verlassen, ich stelle das Land über die Partei und mich selbst.« Der mitreißende Applaus verstärkte die aufgeblühte Hoffnung. So konkret wie vermutlich problematisch ist ihr Bekenntnis zu Israels Recht auf Selbstverteidigung. Allerdings könne das herzzerreißende Leid in Gaza nicht weitergehen. Da sei sie mit Präsident Biden dran. Das ist ein Minenfeld; das kann sie Stimmen kosten.
Wie eingangs gesagt, der DNC war ein durchschlagender Erfolg. Sicher, nicht jeder hatte das Zeug, eine Menschenmenge mitzureißen, aber einige der Ansprachen würden sich in einer Anthologie politischer Reden durchaus gut machen.
Dieser Parteitag lässt keine Zweifel daran, wem die unmittelbare Zukunft gehören sollte: einer Partei der Hoffnung und der Offenheit und nicht dem deprimierenden, hasserfüllten, bücherverbrennenden Kult eines greinenden Milliardärs. Man kann nur hoffen, dass die von Kamala Harris geweckte Hoffnung sich nicht als falsch erweist.
Anmerkungen
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