Ein Attentat auf einen Präsidentschaftskandidaten dient allemal lediglich den 24/7‑Laber-News-Sendern und, sofern es missglückt, der Person im Visier. Mit Sicherheit dienen weder Mordversuch noch Mord der Institution, die bei dieser US-Wahl auf dem Spiel steht, der Demokratie. Egal wie groß und welcher Art die Befürchtungen, der Mord an einem mutmaßlich autoritären Kandidaten sollte in einer Demokratie nicht zur Debatte stehen. Schon gar nicht bei Demokraten.
Nachdem der Secret Service jetzt, Mitte August, mit der Suspendierung von fünf Agenten1 erste Konsequenzen aus den Schüssen auf den orangefarbenen Troll gezogen und dieser, selbst nach Kamala Harris’ Nominierung, nichts Besseres zu tun hat, als den offensichtlich nicht ganz sauberen Anhängern seines MAGA-Kults nach goldenen Sneakern (Made in China) nun auch noch digitale Sammel- und Tauschkarten ($99 pro Satz) anzudrehen2, ist es an der Zeit, sich kurz mit dem Attentatsversuch zu befassen.
Sie erinnern sich an Trumps absurden Vorwurf, das FBI hätte ihn bei der Razzia in Mar-a-Lago auf Bidens Geheiß liquidieren sollen? Vermutlich nicht mehr nach allem, was in der rasanten Trump-Soap von Tag zu Tag so passiert. Nun, am 13. Juli 2024 überlebte Donald Trump tatsächlich – buchstäblich um Haaresbreite – ein Attentat auf einer Wahlkampfveranstaltung bei Butler, Pennsylvania. Und das vermutlich nur weil er den Kopf wandte, um seinem Publikum ein Diagramm über die Zahlen zur illegalen Einwanderung in die USA zu präsentieren. »Die illegale Einwanderung hat mir das Leben gerettet«, meinte er.3 Und da der Attentäter nur das Ohrwaschel erwischte, hat er damit vermutlich recht. Dafür tötete der 20-jährige Thomas Matthew Crooks aus Bethel Park, Pennsylvania, versehentlich einen Mann hinter Trump und verletzte zwei weitere Umstehende schwer. Er selbst wurde darauf von einem Scharfschützen des Secret Service erschossen, der für den Schutz des Ex-Präsidenten verantwortlich war.
Ende August gibt das FBI bekannt, dass man nach fast tausend Vernehmungen und umfassenden Recherchen noch immer nicht schlauer hinsichtlich der Motive des Attentäters sei.4 Das psychologische Profil gleicht eher dem Klischee des zeitlebens schikanierten Einzelgängers, bei dem sich jeder Verdacht einer Verabredung mit anderen mit Sicherheit ausschließen lässt. Tatsache ist, dass er bereits 2019, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen, im Internet für ein Attentat zu recherchieren begann.
Nach der Beschäftigung mit seinem Computer, seiner Internet-History und diversen Chats hatte der Attentäter dem FBI zufolge bereits geraume Zeit nach einem Ziel für einen Anschlag welcher Art auch immer gesucht. Er hatte eine Reihe von Zielen und Personen in Betracht gezogen, darunter auch Joe Biden.5 Trump scheint sich offensichtlich angeboten zu haben, weil er in Pennsylvania, eine Autostunde vom Wohnort des jungen Mannes entfernt, sprach. Crooks hatte zuvor, nach der Bekanntgabe der Veranstaltung, Aufklärungsarbeit vor Ort geleistet und dann noch einmal, unmittelbar vor der Veranstaltung, mit einer Drone.6
So wie ihm lange nicht klar war, um welche Art Anschlag es sich handeln sollte und gegen wen, er hatte auch Bomben gebastelt, so scheint er auch »ideologisch« eher richtungslos unterwegs gewesen zu sein. So hatte er Veranstaltungen sowohl der Republikaner als auch der Demokraten als mögliche Ziele recherchiert. Attentäter wie Lee Harvey Oswald und Ethan Crumbley, der Todesschütze aus Michigan, hatten ihn interessiert.7 Man kann, so das FBI, davon ausgehen, dass der Mann nicht politisch motiviert war.
Das FBI hat mittlerweile, wie immer nach solchen Attentaten, aus welchen Gründen auch immer sehnlich erwartet, Fotos der Waffe veröffentlicht, ein AR-15, die Einzelfeuerversion des beim US-Militär genutzten Sturmgewehrs M‑16. Sein Vater hatte die Waffe schon vor Jahren legal gekauft. Crooks war außerdem Mitglied im örtlichen Schützenverein.
Die Einzelheiten des Tathergangs interessieren bestenfalls Ermittlungsbehörden und hartgesottene Reality-Crime-Freaks. Auch wer nun welche Fehler begangen hat und wie der Todesschütze – offenbar gar nicht so unbemerkt – auf das Dach hatte kommen können, tun hier nichts zur Sache. Tatsache ist, dass das Attentat auf Trump nur insofern mit ihm zu tun hatte, dass seine Veranstaltung die erste Gelegenheit zu einer Gewalttat war, die sich ihm nach einigen Jahren Recherche bot. Der Umstand, dass all die Ermittlungen noch immer kein Motiv zutage gefördert haben, weist darauf hin, dass hinter der Tat ein psychologisches Problem steckt, das Crooks erst gar nicht zu politisch zu verbrämen versuchte. Er ist noch nicht mal ein für eine Sache radikalisierter junger Kerl wie der arme Irre, der Salman Rushdie ein Auge gekostet hat. Jeder wäre ihm recht gewesen, und wäre Trump nicht zufällig ganz in der Nähe seines Wohnorts aufgetreten, er hätte ein anderes Ziel als Ventil für seine offenbar tiefe Verzweiflung gefunden. Das entschuldigt ihn nicht, aber es hat mit dem, womit wir uns hier befassen eben nur am Rande zu tun.
Auch dass man jetzt dem Vater des Jungen auf den Leib rückt, ob und was genau der wohl von den Plänen seines Sohnes gewusst habe, interessiert im Rahmen der Präsidentschaftswahl nicht die Bohne. Im Haushalt der Familie, die Eltern sind beide unbescholtene Sozialarbeit, waren Schusswaffen gang und gäbe, alle nutzten regelmäßig den Schießstand des Clairton Sportsmen’s Club. Dass der Junge ein ausgezeichneter Schütze auf weite Entfernungen war, bot keinen Grund zur Sorge. Da wäre schon eher die schwere depressive Störung interessant gewesen, an die der arme Kerl offenbar litt.8 Auch hier die Parallele zu Ethan Crumbley, der 15-Jährige, der an Depressionen litt und Gewaltfantasien hegte.9
Alles in allem sei der Vorfall hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Es gibt interessantere und wichtigere Entwicklungen in der Soap um Donald Trump.
Anmerkungen
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