Selbst wenn Harris gewinnen sollte, ist die Wahl nicht gegessen, sind die USA die Orange nicht los. Das Vertrauen in das politische System ist durch Trumps unablässigen Strom von Lügen und Verschwörungstheorien aller Art derart gesunken, dass es ein Leichtes sein dürfte, republikanischen Wählern erneut die Lüge von einer gestohlenen Wahl einzureden. Nur dass man diesmal erst gar nicht warten wird, Zweifel an einem Wahlergebnis zu säen, diesmal arbeitet bereits ein Heer von Anwälten und anderen Handlangern, den Wahlprozess an sich in Zweifel zu ziehen.
Während Trump nun auch noch falsche 2‑Dollar-Noten – »von $39 auf $19.99 reduziert« – mit seinem erkennungsdienstlichen Konterfei und seiner »berühmten Unterschrift« loszuschlagen versucht, ist, fast unbemerkt, eine Verschwörung im Gange, die dafür sorgen soll, dass MAGA-Amerika ein Wahlergebnis zugunsten von Harris/Walz schlicht nicht akzeptieren wird.
Die Strategie der Republikaner für 2020 war relativ einfach gewesen. Roger Stone hatte sie seinen Handlangern eingebläut, Steve Bannon hatte sie, fünf Tage vor der Wahl am 4. November, einigen Vertrauten erklärt: »Folgendes, Trump wird einfach hergehen und sich zum Sieger erklären … was nicht heißt, dass er gewonnen hat … Er sagt nur einfach, er hat gewonnen … Die Demokraten … wählen per Briefwahl, so dass sie von der Natur der Sache her im Nachteil sind, und das wird Trump ausnutzen. Das ist unsere Strategie. Wenn Sie also am Mittwochmorgen aufwachen, geht es rund.«1
So kam es denn auch, brachte aber nicht wirklich was. Zusätzlich versuchten die Republikaner das Ergebnis gerichtlich anzufechten. Vor dem mit Ereignissen des 6. Januar 2021 befassten Sonderausschuss des Repräsentantenhauses sagte schließlich am 13. Juni 2022 Benjamin Ginsberg, Spezialist für Wahlrecht, juristischer Berater der Trump-Kampagne und damit Trumps eigener Mann: »Ich habe mir die über 60 Fälle angesehen, die mehr als 180 Punkte umfassen, und nein. Tatsache ist, die Klagen der Trump-Kampagne hielten einfach nicht stand.«2 Ginsberg hatte sich schon während des Wahlkampfs 2020 gegen Trumps falsche Behauptungen verwandt und in einem Interview mit PBS gesagt: »Diese Vorwürfe kamen schon vor der Wahl unter Berufung auf Wahlen in der Vergangenheit auf, ohne auch nur den geringsten Beweis.«3
So lief das damals. Dieses Jahr will man das Ergebnis nicht erst im Nachhinein anfechten, dieses Jahr sorgen die Republikaner im Vorfeld schon für saubere Wahlen – mit ihren üblichen unsauberen Mitteln versteht sich. Schon im März berichtete die New York Times über eine Flut von Klagen gegen die Wählerverzeichnisse (QVF: Verzeichnis Stimmberechtigter Wähler) der nach wie vor umkämpften Swing-Staates. Bei diesen Qualified Voter Files handelt es sich um top-down zentral geführte Datenbanken registrierter Wähler mit Namen, die Privatanschrift, Führerscheinnummer, Stimmbezirksnummer, digitalisierter Unterschrift und einer Übersicht über das Wahlverhalten jedes einzelnen Wählers im Staat.4 Das Zentralorgan der Republikaner, das Republican National Committee (RNC), ist nun seit Monaten dabei, diese Verzeichnisse juristisch anfechten zu lassen. Grundlage ist dabei im Prinzip die Behauptung, diese Listen umfassten mehr als 100% aller wahlberechtigten Bewohner des einen oder anderen Bezirks. Und das Infame daran ist, dass man Klage gegen die gewählten Leiter der County-Verwaltung einreicht, denen man vorwirft, ihrer Sorgfaltspflicht bei der Pflege der Wählerverzeichnisse nicht nachzukommen. Man beruft sich dabei auf Diskrepanzen zwischen diversen Listen, Verzeichnissen und Registern, die zum Teil auf bloßen Schätzungen bzw. Hochrechnungen der RNC-Anwälte beruhen. So verglich das RNC im Falle von Nevada das Wählerverzeichnis des Innenministeriums von Nevada mit den Ergebnissen einer bundesweiten Volkszählung, deren Daten auf einen Fünf-Jahres-Schnitt gerechnet sind. Berücksichtigt sind dabei weder die Zehntausenden von Menschen, die während der Pandemie nach Nevada gezogen sind, noch all die, die zwar rechtmäßig als Wähler registriert sind, sich aber vorübergehend woanders aufhalten, wie z. B. College-Studenten und Angehörige des Militärs. Bei einer anderen Hochrechnung handelt es sich um nichts weiter als die Ansicht der RNC-Anwälte, wie hoch die Wählerregistrierung gemessen an einer Erhebung unter 54.000 Amerikanern aus ganz Amerika, als nicht speziell unter Nevadanern, sein sollte. Laut der Staatssekretärin in Nevadas Justizministerium Leana St-Jules komme das einem Vergleich von »Äpfeln mit Orang-Utans« gleich.5
Erschwert wird das Ganze in den USA durch die verfassungsmäßig garantierte Unabhängigkeit der einzelnen Staaten hinsichtlich der Gestaltung des Wahlprozesses, was die Auszählung der Stimmzettel mancherorts länger dauern lässt. Und dann waren 2020 immerhin 160 Millionen Stimmzettel auszuwerten.6 Dazu kommt die Logistik, gerade in abgelegenen Teilen des Landes. Dennoch, sieht man sich den Aufwand an Aufsicht, Kontrolle und Technik an,7 der seit dem Debakel von Bush gegen Gore im Jahr 2000 erheblich überarbeitet und intensiviert wurde, kann man die Effizienz und Sicherheit des Prozesses nur bewundern.
Was die Wahl 2020 anbelangt, so hat Trumps eigenes Heimatschutzministerium (Department of Homeland Security ) diese in einer Presseverlautbarung zur sichersten in der amerikanischen Geschichte erklärt. Es gebe »keinerlei Anzeichen dafür, dass auch nur eines der Wahlsysteme Stimmen gelöscht, verloren oder verändert hätte oder sonst in irgendeiner Weise kompromittiert gewesen« sei.8 David Becker, Gründer und Chef des überparteilichen Non-Profits Center for Election Innovation & Research, bezeichnete die Wahl 2020 als im höchsten Maß transparent und verifiziert.9
Dennoch hat es ein ganzes Heer rechtslastiger Aktivisten und angeblich patriotischer Kontrollettis auf sich genommen, durch allerhand Manipulationen und Spiegelfechtereien schon im Vorfeld »gegen jeden Wahlbetrug« im November anzugehen. Unter der Führung von Trumps Schwiegertochter Lara Trump hat das RNC das größte »Programm zur Wahrung der Wahlintegrität der amerikanischen Geschichte« aufgezogen – mit über 100.000 Anwälten und Freiwilligen.10 Dass sich unter den Anwälten mindestens einer befindet, dem bereits der Prozess als »fake elector« droht, spricht nicht eben für die propagierte Integrität.11
Letztlich geht es darum, Zweifel zu säen, das Vertrauen in ein System zu unterminieren, das von Beteiligten aller Parteien als unanfechtbar bezeichnet wird. Trump und die seinen wollen die Saat für den nächsten 6. Januar ausbringen. Und wie bei so gut wie jeder krummen Tour des Ex-Präsidenten hat er auch hier wieder ausgezeichnete Karten. Man kann nur hoffen, dass er dabei ebenso baden geht wie mit so gut wie allen seiner geschäftlichen Unterfangen.
Anmerkungen
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