Sieht ganz so aus, als sei 2024 weltweit gesehen das Wahljahr schlechthin. Über sechzig Länder mit nahezu der Hälfte der Weltbevölkerung stellen dieses Jahr Urnen auf. Bis Anfang September haben bereits über eine Milliarde Menschen ihre Stimme abgegeben. Die EU hat bereits ihre Leute für Brüssel gewählt, die Briten für haben sich für eine erhoffte Richtungsänderung, die Russische Föderation hat sich bereits im März angeblich geschlossen hinter ihren amtierenden Präsidenten gestellt; nicht weniger problematisch hat sich Selenskyj dafür entschieden, erst mal Präsident der Ukraine zu bleiben. Taiwan hat die regierende Demokratische Fortschrittspartei bestätigt, sehr zum Missfallen des chinesischen Nachbarn, nimmt man an. Und auch in Indien erklärte sich der amtierende Premier Narendra Modi nach den Parlamentswahlen zum Sieger. Ob das überall so demokratisch vonstatten ging wie behauptet, sei dahingestellt, die für die weltweite Demokratie nach allgemeinem Dafürhalten wichtigste Wahl, die in den USA, steht noch aus. Ein gutes Zeichen sehen die Anhänger demokratischer Verhältnisse in Amerika im Anstieg der Zahl der Frauen bestimmter Bevölkerungsgruppen, sie sich nach Kamala Harris’ Eintritt in den Wahlkampf, in die Wählerverzeichnisse haben eintragen lassen.1
Gespannt blicken nicht nur die Amerikaner auf Umfrageergebnisse hinsichtlich der US-Wahl im November, und das obwohl politische Umfragen angeblich seit Jahren an Verlässlichkeit verlieren.2 Diese besagen, dass Kamala Harris – Stand 30. August – Trump in drei der sieben Swing States den Rang abgelaufen hat: Pennsylvania, Michigan und Wisconsin. In drei weiteren – Georgia, Nevada und North Carolina – stehen die beiden Kopf an Kopf, und nur in Arizona hat Trump die Nase noch deutlich vorn.3 Aber selbst wenn diese Erhebungen verlässlicher wären, als sie es für gewöhnlich sind, weit interessanter ist es, sich an einige Fakten zu halten, die stehen.
Zwei dieser Fakten sind a) ein enormer Anstieg der Begeisterung unter allen Wählern4, wobei diese unter Demokraten merklich stärker zugenommen hat als unter Republikanern, und b) der Anstieg der Zahl registrierter Wähler in bestimmten Bevölkerungsgruppen nach dem 21. Juli 2024. Und bei Letzteren handelt es sich um Schlüsselgruppen.
So ist die Zahl junger schwarzen Frauen, die sich nach Bekanntwerden von Kamala Harris’ Kandidatur in die Wahllisten haben eintragen lassen, im Vergleich zum selben Zeitraum 2020 um satte 175,8 Prozent gestiegen.5 So Target Smart, eigenen Angaben zufolge der Branchenführer für politische Daten und deren Anwendungen.6 »Veränderungen bei der Wählerregistrierung von auch nur annähernder Größe sind unglaublich ungewöhnlich«, sagt Tom Bonier, Chefberater der Firma. »Nur zu Erinnerung, 175%, das entspricht einer Verdreifachung der Registrierungsrate in dieser Gruppe. So was ist bei Wahlen schlicht nicht normal.« Target Smart begann die Analyse am Tag der Bekanntgabe von Harris’ Einstieg als Kandidatin. Die hohe Bedeutung dieser Registrierungswelle erklärt sich folgendermaßen: Schwarze Frauen bilden seit jeher eine verlässliche demokratische Wählerbasis; die Mehrheit dieser Gruppe hat Biden/Harris gewählt. Nun zeigte aber eine Umfrage von KFF,7 dass vor Harris’ Eintritt in den Wahlkampf viele schwarze Frauen sich weder für die eine noch für die andere der beiden Parteien erwärmen und mit den Kandidaten nichts anfangen konnten. Gerade schwarze Frauen traf die Pandemie wirtschaftlich unverhältnismäßig hart, ihre Arbeitslosenquote war höher als die anderer Rassen und ethnischer Gruppen, Männern wie Frauen. Nach der Pandemie sorgten – trotz Rückgangs der Arbeitslosigkeit – steigende Inflationsraten gerade bei dieser Gruppe für Schwierigkeiten die grundlegenden Haushaltsausgaben zu bestreiten. Der KFF-Umfrage zufolge standen schwarze Frauen Präsident auch 2024 noch weitgehend hinter Biden, aber viele von ihnen wollten im Herbst schlicht nicht wählen. Am 21. Juli scheinen eine Menge dieser Frau aufgewacht zu sein, von neuem Feuer, neuer Hoffnung erfüllt. Und grundsätzlich gehen Leute, die sich so spät und aus speziellem Anlass noch registrieren lassen, auch mit höherer Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich zur Wahl.
Bei schwarzen Frauen an sich stieg die Zahl der Neuregistrierungen um 98,4%, verdoppelte sich also im Vergleich zu 2020. Auch das dürfte Harris zugute kommen. Insgesamt ließen sich 85,8% mehr schwarze Wähler registrieren als bei der letzten Wahl, aber das kann auch Trump zugute kommen. Vergessen wir nicht, dass, hätte man im März 2024 gewählt, 17% der schwarzen Wähler sich für Trump entschieden hätten. 2016 hatte Trump laut Umfragen gleich nach der Stimmenabgabe zufolge 9% der schwarzen Wählerstimmen erhalten, die höchste Zahl seit George Bush im Jahr 2000, und es dann 2020 auf 12% gebracht hat.8 Anlass zur Hoffnung ist, dass sich vom 21. Juli an unterm Strich mehr Demokraten in die Wählerverzeichnisse eintragen ließen als Republikaner.
Eine weitere Gruppe, die mit Harris’ Start aufzuwachen schien, waren junge Latinas, d.h. junge Frauen hispanischer Herkunft. Bei dieser Wählergruppe stieg die Zahl der Neuregistrierungen im Vergleich zu 2020 um 149,7 Prozent. Das ist ebenfalls eine ganze Menge, auch wenn diese Gruppe vermutlich nicht so homogen ist wie die erste. Ausgehend von den Halbzweitwahlen 2022 lässt sich feststellen, dass Latinas grundsätzlich eher einen demokratischen Kandidaten für das Repräsentantenhaus wählten. Bei Latino-Wählern unter 30 ließ sich feststellen, dass junge Männer mit 40% doppelt so häufig republikanisch wählten wie junge Frauen (21%). Umgekehrt unterstützten drei von vier Latinas unter 30 demokratische Kongresskandidaten, verglichen mit 56% ihrer männlichen Altersgenossen. Der Vorsprung der Demokraten bei jungen Latino-Wählern errechnet sich demnach aus dem Frauenanteil, was darauf schließen, dass eine hohe Wahlbeteiligung bei den Latinas für die Demokraten durchaus von Bedeutung ist.
Grundsätzlich ließen sich in der Woche nach dem 21. Juli 83,7% mehr junge Frauen in die Wählerverzeichnisse eintragen als in der entsprechenden Juli-Woche 2020.
Um eine Binsenweisheit zu wiederholen: Frauen werden auch 2024 eine entscheidende Rolle beim Wahlausgang spielen. Sie sind nicht nur die größte Gruppe eingetragener Wähler, sie neigen auch dazu, tatsächlich zur Wahl zu gehen. 2020 wählten immerhin 68,4 Prozent von ihnen Und schwarze und Frauen hispanischer Herkunft sorgten dafür, dass Biden 2020 die Nase knapp vorne hatte; Erstere wählten ihn zu 90 und Letztere zu 69 Prozent. Aber vergessen wir nicht, dass weiße Frauen mit 40 Prozent den größten homogenen Wählerblock bilden und die größte Untergruppe weiblicher Wähler sind.9 Und bei dieser Gruppe erfreut sich Trump nach wie vor großer Beliebtheit. 92 Prozent der Frauen, die ihn 2020 gewählt haben, sagten, sie würde ihn dieses Jahr wieder wählen. Und nicht weniger wichtig: Nicht eine aus diesem Block hätte Biden gewählt und 7 Prozent lieber jemand anderen.10 Deshalb ist das von Harris geweckte Interesse weiblicher Wähler so wichtig, aber an der Knappheit und damit der Offenheit des Rennens ändert es nichts.
Anmerkungen
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