Interviews gehören zum Wahlkampf wie die Butter zum Brot. Wie sonst sollte man sich ein Bild von einem Kandidaten machen? Das gilt natürlich doppelt, wenn eine Kandidatin praktisch aus dem Nichts kommt wie Kamala Harris. Die Beifahrer im Weißen Haus werden, so fleißig sie auch im Hintergrund wirken mögen, nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Und was bietet sich einem Gegner wie Trump besser zur Krittelei als der Vorwurf, Harris drücke sich um eine klare Aussage über ihre politischen Absichten herum?
Am 29. August 2024 war es endlich so weit. Kamala Harris stellte sich beim Sender CNN den Fragen der Moderatorin Dana Bash. Und mit Tim Walz brachte sie auch gleich ihren Vize mit. Trump wäre nicht Trump, hätte er nicht seit Wochen frotzelnd Druck auf die Kandidatin gemacht. Immerhin spürte der seinen Vorsprung bei den Umfragen schrumpfen. Und dann hatte sie bereits eine halbe Milliarde Dollar an Spenden eingesackt. Aber wie auf all die anderen Sticheleien und Beleidigungen war sie nie darauf eingegangen. Die Frau ist clever genug und offenbar auch nicht gar so dünnhäutig wie ihr Gegner, der »weird« gleich elfmal wiederholte, als er langatmig darauf bestand, dass weder er noch Vance »weird«, sondern solide Leute seien. Was »weird« ist, denn das Gegenteil von »weird« wäre ja einfach »normal«.
So ging Harris auch erst gar nicht auf die Frage ein, was sie von Trumps Behauptung halte, sie sei erst jetzt, von heute auf morgen, aus politischen Gründen schwarz geworden. »Derselbe abgedroschene alte Text, meinte sie nur. »Nächste Frage.«
Es gab auch wirklich Wichtigeres, denn Trump hin oder her, es war höchste Zeit zu erklären, wofür sie eigentlich politisch steht. Freude (»joy«) hin oder her, dass sie dem Wahlkampf und der Partei neues Leben eingehaucht hatte und jünger ist als Joe Biden, genügt einfach nicht. Und eben zu Politik galt es sich – unter anderem – zu äußeren: Würde sie dessen Programm in Bausch und Bogen übernehmen? Würde Sie sich gegen ihn abgrenzen und inwiefern? Angesichts der Bedeutung eines landesweit ausgestrahlten TV-Interviews zu diesem Zeitpunkt ist es nur verständlich, dass sie und ihre Berater nichts überstürzen wollten.
Aber was haben die beiden nun groß gesagt? Nun, nicht wirklich Großes. Im Gegenteil, die Welt war enttäuscht. Aber vermutlich hatte die Welt zu viel erwartet. Aber immerhin waren ihre Antworten klar, kurz und bündig und nicht querfeldein wie die Donald Trumps. Und von Hannibal Lecter war auch keine Rede.
Frage: »Eines Ihrer Wahlkampfthemen ist: ›Wir gehen nicht zurück!‹ Ich frage mich jedoch, was Sie Wählern sagen, die zurück wollen, was die Wirtschaft angeht, weil unter Trumps Präsidentschaft ihre Lebensmittel nicht so teuer und das Wohnen erschwinglicher war.«
Worauf Harris durchaus eine, wenn auch kaum spektakuläre Antwort hat: Sie werde die Kosten für Alltagsgüter wieder senken und gegen die Preistreiberei vorgehen. Die Kosten etwa für Insulin für Senioren habe man ja bereits erheblich gesenkt. Eine Reihe von unseren Maßnahmen, so sagt sie in Bezug auf die Regierung Biden, haben realiter dazu geführt, dass Amerika sich schneller erholt hat als irgendeine andere der Reichen Nationen auf der Welt. Und die Inflation, so schiebt sie nach, ist jetzt unter 3% Prozent.1 Als mit die höchste wirtschaftliche Priorität ihrer Präsidentschaft kündigt sie die Unterstützung und Stärkung der Mittelschicht an. Angesichts der Wünsche, Ziele und Ambitionen, die sie bei ihren Landsleuten sehe, halte sie diese für bereit, einen neuen Weg nach vorne einzuschlagen, und das, wie Generationen vor ihnen, unter den Triebkräften Hoffnung und Optimismus.
Aber Kalendersprüche mal beiseite, sie habe einen Plan für etwas, was sie als Wirtschaft der Chancen bezeichnet. Sie wird in die Geschäfte von Amerikas Mittelstand investieren. Sie werde den Herstellungssektor sanieren, indem sie dessen Arbeitsplätze ins Land zurückholte. Immerhin habe die Regierung Biden in diesem Bereich bereits über 800.000 Stellen geschaffen. Sie werde für weniger Abhängigkeit von anderen Nationen sorgen.
Sie werde in die Familie investieren, etwa dadurch, den Kinderfreibetrag bei der Steuer fürs erste Jahr; dazu kämen steuerliche Vergünstigungen beim Kauf des ersten eigenen Heims.
Was die Energie anbelangt, so werde sie in eine mit sauberer Energie arbeitende Wirtschaft investieren. Sie werde weiter den Green New Deal unterstützen. Hier muss sie sich fragen lassen, was denn aus ihrer Befürwortung eines Fracking-Verbots geworden sei, für das sie sich 2019 ausgesprochen habe. Nun, da habe sie bereits 2020 gesagt, sie kontert sie, dass sie sich das anders überlegt hätte, und versprach, Fracking auf keinen Fall zu verbieten. Es genüge in Sachen Klima, den bisherigen Kurs zu verfolgen, da käme man dann auch ohne ein Verbot von Fracking aus. Man darf hier nicht vergessen, dass das gerade in Pennsylvania ein heißes Eisen ist – ein Bundesstaat, dessen Stimmen sie unbedingt braucht.
Das heißeste aller Eisen, die Einwanderung, kommt ebenfalls zur Sprache. Die Moderatorin spricht die Rekordzahlen an illegalen Zuwanderern unter ihrer und Bidens Regierungszeit an. Hier habe sie bereits erfolgreiche Arbeit mit den Staaten im nördlichen Mittelamerika geleistet, wo die USA Rekordinvestitionen getätigt hätten, damit die Menschen zuhause bleiben. Das habe bereits erste Wirkung gezeigt. Sie wies jedoch ausdrücklich darauf hin, dass Biden und sie mit dem Kongress überparteilich ein Grenzprogramm ausgearbeitet und als Vorlage eingebracht hätten. Aber Trump habe den Entwurf durch Anrufe an die republikanischen Abgeordneten sabotiert. Das Gesetz hätte auch das Fentanyl-Problem gelindert. Wenn das Gesetz durchkäme, würde sie es auf der Stelle unterzeichnen. Etwas wischiwaschi, immerhin wirft das Gesetz praktisch alles über Bord, woran die Demokraten bis dahin gestanden hatten, beruft sie sich darauf, dass es schließlich Gesetze gebe und dass deren Überschreitung Konsequenzen haben müsste. »Und lassen Sie mich eine klarstellen, in diesem Wahlkampf bin ich die Einzige, die Anklage gegen grenzüberschreitend arbeitete kriminelle Organisationen geführt hat, die Waffen, Drogen und Menschen verschieben. Ich bin die Einzige in diesem Wahlkampf, die tatsächlich als Justizministerin in einem Grenzstaat gedient und für die Einhaltung unserer Gesetze gesorgt hat. Und das würde ich auch als Präsidentin tun.«
Auf die Frage, wie sie den Wählern die Veränderung in ihrer Politik erklären wolle – mehr Erfahrung? Mehr Informationen? –, sagt sie lapidar: »Meine Werte haben sich nicht geändert.« Sie weist jedoch darauf hin, wie wichtig es sei, zu einem Konsens zu kommen, eine gemeinsame Basis darüber zu finden, wie Probleme tatsächlich zu lösen seien.
Und wo man schon dabei sei, so die Moderatorin: »Werden sie einen Republikaner mit in Ihr Kabinett holen?« Ja, das werde sie sehr wohl, immerhin habe sie ihre ganze Laufbahn hindurch auf Diversität der Meinung bestanden. »Und ich denke, dass die amerikanische Öffentlichkeit von einem Republikaner in meinem Kabinett profitiert.«
Walz musste sich zu einigen Schnitzern in der Vergangenheit befragen lassen, die er als Versprecher abtut: Seine Frau, die Englischlehrerin, sage immer, seine Grammatik sei lausig. Er habe jedoch immer alles öffentlich gemacht, die Leute, die ihn kennen, wüssten, dass Verlass auf ihn sei. Na ja …
Mehrmals spricht Harris an, der amerikanischen Nation geben zu wollen, was sie verdiene, nämlich einen neuen Weg nach vorne. Das letzte Jahrzehnt über habe man zu viel Gewicht auf das Gegenteil dessen gelegt, worin der Geist der Nation wirklich bestehe. Die Stärke eines Staatsoberhaupts, so führt sie in Anspielung an Trump aus, messe sich nicht daran, wie gut er darin sei, seine Nation herunterzumachen, sondern daran, wie gut er darin sei, einem Mut zu machen. Und die Geschichte werde zeigen, wie umwälzend Biden Regierungszeit war, was man erreicht habe – auch hinsichtlich der Einigung von Amerikas Verbündeten.
Was den Nahen Osten angehe, so betont sie, gelte es, auf eine Zwei-Staaten-Lösung hinzuarbeiten und Sicherheit für beide Seiten zu schaffen, wozu auch Selbstbestimmung für die Palästinenser gehöre. Sie betont dabei ihr unerschütterliches Bekenntnis zu Israel. Auch auf Israels recht auf Selbstverteidigung nach dem Massaker vom Oktober 2023. Auf der anderen Seite habe man zu viele Palästinenser getötet. Das Ganze ist, gelinde gesagt, von der Stange des Politikers, der es sich mit keinem Verderben will.
Anmerkungen
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