Kaum ein Thema macht in letzter Zeit so viele Schlagzeilen wie die Künstliche Intelligenz. Kaum eine Branche, kaum ein Beruf, der sich nicht bedroht fühlt. Womöglich werden bald autonome, sprich von KI gesteuerte Waffen unterwegs sein. Jede Nachricht muss zunächst einmal in Zweifel gezogen werden. Aber auch die Politik muss sich Sorgen machen, können sich doch weder Politiker noch Wähler darauf verlassen, was sie da hören, was sie da sehen, seien es persönliche Angriffe, seien es Aussagen von Politikern aus dem Ausland. Wie soll man da noch seine Entscheidungen fällen.
»Wir werden nächstes Jahr eine Menge KI-generierten Content sehen … Wenn wir dem nicht zuvorkommen, wird die Wahl im nächsten Jahr von künstlicher Intelligenz dominiert.«1 Diese warnenden Worte sprach 2023 Blake Lemoine, ein ehemaliger Software-Ingenieur, der bei Google für die ethischen Aspekte von KI zuständig war. »Und diese Systeme«, so führte er aus, »sind ausgesprochen intelligent und überzeugend. Es würde mich nicht wundern, wenn die Wahlkampfreden des einen oder anderen Kandidaten auf der Basis von Datenanalysen von einer KI geschrieben würden. Die Trump-Kampagne [2015] analysierte eine Menge Daten, testete reihenweise Slogans auf ihren Anklang beim Publikum. Und jetzt, mit den neuen KI-Systemen, bin ich in der Lage, anhand dieser Datenmenge einfach genau die Rede zu generieren, die beim Publikum die am besten ankommt. Und dann natürlich, auf der dunkleren Seite, lassen sich Falschinformationen über den Gegner kreieren.«2 Lemoine verlor seinen Job, nachdem er öffentlich behauptet hatte, dass Googles Chatbot-Generator LaMDA eine Persönlichkeit, eine Seele, entwickelt hätte.3
Ihre Wissenschaftler waren so damit beschäftigt, was sie machen könnten, dass sie nicht überlegt haben, ob sie es machen sollten.
– Jurassic Park, 1993
Wir brauchen jedoch gar nicht so weit zu gehen und den Geist in der Maschine sehen, um zu verstehen, wie sehr Daten an sich schon Einfluss auf einen Wahlkampf nehmen können. Denken wir nur an den gezielten Einsatz von Bots mit Trump-freundlichen Botschaften in den sozialen Netzwerken bei der Präsidentschaftswahl 2015. 40.000 bis 50.000 maßgeschneiderte Werbebotschaften wurden da täglich an Adressaten verschickt, deren Reaktion – in Form von Likes, Shares und Antworten – ausgewertet und zum Feinschliff der jeweiligen Botschaft verwendet wurde.4 Denken wir zurück an den Skandal um die Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica, die bei Facebook Nutzerdaten zu eben dieser Art von Micro-Targeting erworben hatte.5
In diesen und ähnlichen Fällen ging es noch um den Einsatz massiver Datenmengen für Manipulationen von Menschenhand. Künstliche Intelligenz geht da einen Schritt weiter. Hier werden nicht nur Daten, sondern auch Bild und Stimme zur Verbreitung von Informationen benutzt. Nehmen wir nur die Robocalls, mit denen in New Hampshire Joe Bidens Stimme die Wähler bei den Vorwahlen telefonisch aufforderte, ihre Stimme für die »eigentliche Wahl aufzusparen«, mit anderen Worten, bei der Vorwahl nicht wählen zu gehen. Es genügen einige Tonaufnahmen des Präsidenten, um ihn mittels KI sagen zu lassen, was immer man will.6 Noch wirksamer wird das unter Einsatz von Bild- und Videomaterial in Form von Deep-Fakes wie etwa im Falle des dystopischen 30-Sekunden-Spots »Beat Biden«, mit dem die Republikaner auf die Bekanntgabe von Joe Bidens Kandidatur reagierten: »Wie wir soeben erfahren, können wir Joe Biden zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklären«, lautet der Text im Stil einer Nachrichtensendung. Die Schlagzeile unter einem strahlenden Joe Biden lautet: »Was, wenn der schwächste Präsident, den wir je hatten, wiedergewählt würde?« Dann beginnt eine Aufzählung von Katastrophenmeldungen: »Heute morgen fällt, dadurch ermutigt, China in Taiwan ein. Die Finanzmärkte sind im freien Fall, nachdem 500 Regionalbanken ihre Türen geschlossen haben. Grenzschützer wurden gestern von einer Welle von 80.000 Illegalen überrollt. Der Stadtrat von San Francisco schloss heute morgen die Stadt. Grund dafür, so heißt es, seien die eskalierende Gewalt und die Fentanyl-Krise.« Hierzu lautet die Schlagzeile: »Was, wenn wir keine Grenze mehr haben?« Die düsteren Aufnahmen dazu könnten direkt aus einem Katastrophenfilm stammen. »Wer hat hier das Sagen? Man könnte meinen, dass hier ein Zug entgleist« heißt es dann. Unter dem Video heißt es, dass die Schlagzeilen nicht echt seien, aber irgendwie wird das Ganze wird praktisch als computergenerierte Hochrechnung verkauft: »Ein KI-generierter Blick auf die mögliche Zukunft unseres Landes im Falle einer Wiederwahl Joe Bidens 2024.«7
Eine Reihe selbstgebastelter »Deep-Fakes« sind grottenschlecht, aber wer schaut schon so genau hin, zumal wenn er auf den ersten Blick sieht, was er sehen will. Man übersieht sogar, dass da einer drei Arme hat. Besser sind da schon Dutzende Fotos, die die Beliebtheit von Trump unter Schwarzen belegen sollen. Eines zeigt ihn, umringt von Schwarzen, die Hände um die Schultern zweier schwarzer Frauen rechts und links von ihm gelegt. Auf einem anderen sitzt er vor einem Haus mit einer Gruppe Schwarzer beisammen.8 Ersteres wurde vom Team eines rechtslastigen Radio-Moderators aus Jacksonville, Florida, mit Hilfe eines AI-Dienstes angefertigt; der Moderator hat nach Bekanntwerden der Geschichte seinen Job verloren.9 Zweiteres stammt vom X‑Account eines Typs namens Shaggy, einem Trump-Anhänger aus Michigan.10 Millionen von Menschen haben diese KI-generierten Fotos gesehen. Unkommentiert muss man schon sehr misstrauisch sein, diese nicht für echt zu halten, wenn man beiläufig auf sie stößt. Es gibt so gut wie immer Hinweise auf die Fälschung und auch eine Reihe professioneller Dienste im Web. Aber wenn wir so weit wären, dass jeder jede Information wie ein News-Profi angeht, dann hätte sich das Phänomen erst gar nicht in dem Maß entwickelt. Nicht zu vergessen, dass die Leute nun mal belogen werden wollen.
Um auf die Gefahren von Deep-Fakes hinzuweisen, hat eine Journalisten-Gruppe namens Arizona Agenda ein Deep-Fake-Video der ehemaligen Fernsehmoderatorin und Trump-Propagandistin Kari Lake angefertig. Dieses Video ist als Fälschung gekennzeichnet und warnt vor dem Einsatz von KI bei den Wahlen im November. »Willkommen in der beängstigenden neuen Zeit der KI-generierter Deep-Fakes. Wir stehen erst am Anfang. Die Wahl von 2024 wird die erste in der Geschichte sein, in der jeder Schwachkopf mit einem Computer im Handumdrehen überzeugende Videos über gefakte Ereignisse von weltweiter Bedeutung herstellen und sie der Welt präsentieren kann. Wir selbst nicht ausgeschlossen.«11
Wir haben einen knienden Donald beim Gebet und beim Gerangel mit uniformierten Polizisten, die ihn offensichtlich festnehmen wollen;12 wir haben eine Audiodatei mit der Stimme von Joe Biden, die unmittelbar nach der Pleite zweier großer Tech-Banken erklärt, dass alles Geld futsch sei und ein Kollaps unmittelbar bevorstehe;13 wir haben ein Video, in dem Senatorin Elizabeth Warren erklärt, man sollte die Republikaner von der Wahl ausschließen;14 wir haben ein Video mit dem Schnipsel aus der Rede einer offenbar betrunkenen Kamala Harris;15 wir haben ein Foto, auf dem Trump den gebeutelten Dr. Fauci zeigt;16 wir haben Trump beim Tanz mit einem offensichtlich minderjährigen Mädchen;17 wir haben ein Video, in dem Biden Kiew mit der Krim verwechselt (als müsste man derlei Schnitzer fälschen).18 Man möchte nicht wissen, wie viele solcher Fälschungen, von Millionen für bare Münze genommen, in den sozialen Netzwerken zirkulieren.
Ob all die getürkten Fotos, Videos und Audio sich tatsächlich auf die Wahl auswirken, sei dahingestellt. Aber jeder, der mal einer negativen Falschmeldung über einen sympathischen Star aufgesessen ist, weiß sehr gut um die abträgliche Wirkung solche Sperenzchen. Letztlich werden wir die Antwort auf diese Frage erst nach der Wahl erfahren, wenn sich, vermutlich auf die Meldung eines Whistle-Blowers, Journalisten und Forscher dahinterklemmen.
Anmerkungen
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