Die Diskussion um Sinn und Unsinn von Wahldebatten im Fernsehen ist so alt wie deren Erfindung. Der Prozentsatz der Wähler, die sich diese Fernsehduelle anguckt, ist in der Regel noch nicht einmal sonderlich hoch. Die Debatte zwischen Trump und Harris jedoch sahen mit 67 Millionen Amerikanern um fast 16 Millionen mehr als die zwischen Trump und Biden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Veranstaltung dieses Mal womöglich tatsächlich zählt. Trump hatte die Präsidentschaft nach dem bedauernswerten Auftritt von Biden praktisch in der Tasche. Harris’ Einspringen für den Präsidenten wirkte zwar wie eine B12-Spritze auf die Demokraten und mobilisierte Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen, aber Trump hat nun mal seinen festen Kern, und das gerade in der Handvoll Staaten, auf die es jetzt ankommt. Vergessen Sie nicht, in den USA wird der Präsident nicht von Wählern, sondern von Bundesstaaten gewählt. Es ist durchaus möglich, dass die Wahl diesmal, egal, wie viele Wähler sich bundesweit für den einen oder anderen Kandidaten entscheiden, von einer einzigen Wahlmännerstimme in einem der notorisch unentschlossenen Swing States entschieden wird.
Donald Trump and Kamala Harris begegneten sich dem Vernehmen nach zum ersten Mal persönlich. Beide haben sich, jeder auf seine Weise, auf die von ABC News übertragene Debatte in Philadelphia vorbereitet. Harris war sechs Tage in1 Pittsburgh im Trainingslager und übte sich mit einem Team von Sparringspartnern im Schlagabtausch. Trump wurde dem Vernehmen nach von dem republikanischen Abgeordneten Matt Gaetz und der Ex-Demokratin Tulsi Gabbard betreut,2 ließ es sich jedoch nicht nehmen, die letzten Tage über noch fleißig Lügen zu verbreiten (etwa dass Harris die Sozialversicherung abschaffen wolle) und Beleidigungen austeilte: »Wir werden von Schwachköpfen, totalen Schwachköpfen regiert, das haben wir ja bei der Debatte mit Joe gesehen, und das werden auch am Dienstagabend wieder sehen.« Darüber hinaus drohte er schon jetzt all den Wahlhelfern mit langen Haftstrafen, die ihn um seinen Wahlsieg bringen würden.3 So postete er am Samstag auf seiner eigenen Plattform, TruthSocial: » … die Wahl 2024, für die jetzt erst Stimmen abgegeben werden, wird unter strengster professioneller Aufsicht stattfinden, und WENN ICH GEWINNE, werde die, die GESCHUMMELT haben, mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden, wozu auch lange Haftstrafen gehörten, damit diese Pervertierung der Gerechtigkeit nicht noch einmal vorkommt.«
Die Debatte selbst? Beim Auftritt von links und rechts geht Harris bestimmt auf ihn zu, hält ihm die Hand entgegen und stellt sich vor, während Trump den Eindruck macht, dass er sich einfach lieber hinter sein Pult gestellt hätte. Souverän jedenfalls wirkt nur sie.
Dennoch beginnt sie nervös, hat sich aber nach zwanzig Minuten im Griff und bleibt vom Auftritt her überlegen. Trump gibt sich von Anfang an ungewohnt stoisch, nur sein Blick verrät seinen verhaltenen Zorn, als sie zu sticheln beginnt, bis er schließlich nicht mehr an sich halten kann. Man sieht es seiner Gesichtsfarbe an, dass er unter dem Orangenteint rot anläuft. Interessant ist, dass Trump ihr nicht in die Augen schauen konnte. Nicht ein einziges Mal sieht man den festen, arroganten Blick, mit dem er Joe Biden unaufhörlich fixierte. Auch baute er sich nicht grimassierend hinter Harris auf wie seinerzeit hinter Hillary Clinton, noch erlaubte man ihm, Harris erst gar nicht zu Wort kommen zu lassen, wie er das 2019 bei Sleepy Joe gemacht hatte. Dazu waren die Regeln zu klar, zu streng. Ein paar Mal konnte er nicht an sich halten, aber auch Harris versuchte ihm zweimal dreinzureden, bekam aber von ihm gleich was drauf.
Während sie auf die Fragen eingeht und beim Thema bleibt, wenn sie nicht von vorneherein ausweicht, tut Trump sich schwer, an sich zu halten, und kommt immer wieder, ungeachtet der Frage, auf seine mäandernde Art auf seine Lieblingsthemen zurück. Egal, wie die Frage lautet, die illegalen Einwanderer, die mordend und plündernd durch das Land ziehen und jetzt auch noch die Haustiere der Einheimischen essen, sie müssen rein.
Trump ist nun mal der Trump, den wir kennen, auch wenn er sich besser im Griff hat, als wir es gewohnt sind. Er fällt zwar zunehmend auf ihre bewussten Sticheleien herein, aber letztlich nicht aus dem Rahmen. Man sieht nur, dass er vor Wut zu kochen beginnt.
Kamala Harris hat bei diesem Duell so viel zu gewinnen wie zu verlieren. Als unbeschriebenes Blatt sieht sie sich vor der schwierigen Aufgabe, sich zu definieren, den Leuten zu zeigen wer sie ist und was sie will. Sie muss sich von Biden abheben, ohne sich zu distanzieren, muss eine eigene Politik formulieren, ohne herunterzumachen, was sie mit Biden bisher gemacht hat. Auf der anderen Seite darf sie die Wähler nicht daran erinnern, dass die Demokraten auch einen Mann wie Bernie Sanders an Bord haben, der tatsächlich die Milliardäre kräftiger zur Kasse zu bitten gedenkt – zu leicht könnte sie so manchen damit verprellen.
Letztlich hat sie weniger ein neues Programm als eine Botschaft: Es sei an der Zeit einen neuen Anfang zu machen, einen neuen Weg einzuschlagen, die Nation nicht weiter zu spalten, sondern gemeinsam in eine für alle gedeihliche Zukunft zu führen. Und mit direktem Bezug auf Trump sagt sie: »Wir gehen nicht zurück!«
Die Debatte wird jeder nach seinen Sympathien beurteilen. Wäre dem nicht so, die amerikanische Politik wäre Trump längst los. Immerhin lässt sich feststellen, dass eingetragene Wähler beider Parteien, deren Meinung darüber, wer besser abschneiden würde, vor der Debatte noch exakt bei jeweils 50% lag, sich zu dieser Frage einer Umfrage von SSRS4 zufolge hinterher zu 63% für Harris, zu 37% für Trump entschieden.5 Die Befragten mussten die Debatte natürlich verfolgt haben; das Ergebnis reflektiert also nicht die gesamte Wählerschaft.
Angeblich schaltete eine »signifikante Zahl« Amerikaner die Debatte ein, die nicht wussten, wen sie wählen sollten6. Unmittelbar vor der Debatte bekräftigten die Republikaner Dick Cheney7 und seine Tochter Liz noch einmal offiziell ihre Unterstützung für Harris, während Nikky Haley, warum auch immer, noch einmal versicherte, falls Trump sie brauche, sie stehe Gewehr bei Fuß.8
Tatsache ist, dass keine Geringere als Taylor Swift sofort nach der Debatte ihre uneingeschränkte Unterstützung für Harris bekanntgab.9
Anmerkungen
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