Amerika hatte seine Debatte. 67 Millionen Amerikaner haben sie mitverfolgt. Das sind Einschaltzahlen, wie sie sonst nur die Super-Bowl hat. Vermutlich haben eine Menge mehr Ausschnitte der einen oder anderen vorbelasteten Provenienz daraus gesehen. Zu schweigen von einem Tsunami von Memes, die das TV-Duell gezeitigt hat. Nach einer programmatisch eher kargen, dafür aber an Angriffen um so reicheren Debatte zwischen den beiden Kandidaten stellt alle Welt erst mal nur eine einzige Frage: »Wer hat gewonnen?« Die Meinungen darüber sind geteilt und wir werden Sie hier im Einzelnen auch nicht durchgehen, aber man kann wohl sagen, dass selbst hartgesottene Trumpianer, sofern sie nicht dem ahnungslosen Fußvolk aus seiner Sekte angehören, nicht so recht von einem Sieg sprechen wollen. Und einige versuchen das auch erst gar nicht. Aber wen auch immer man da nun zum Sieger erklärt, spielt das denn auch tatsächlich eine Rolle? Wird diese Debatte sich tatsächlich auf die Wahl auswirken?
Gleich auf seiner ersten Wahlkampfrede nach der Debatte spricht Trump, unter dem Jubel seiner umnachteten Anhänger, von einem »monumentalen Sieg«. Was selbst, wenn man ihn zum Sieger erklärt, eine seiner üblichen monumentalen Übertreibungen wäre. Aber bevor wir darüber müde lächeln, werfen wir besser einen Blick auf die Umstände, unter denen er das sagt. Arizona, einer der für beide Kandidaten entscheidenden Swing States, macht eine Hitzeperiode durch, und dennoch stehen – bei sengenden 37,8 Grad! die Hilfskräfte sind pausenlos im Einsatz – etwa 5000 Trumpianer Schlange vor der Linda Ronstadt Music Hall in Tucson, die kaum die Hälfte von ihnen zu fassen vermag.1 Da kann Kamala Harris sich lustig darüber machen, dass die Leute während seiner Wahlreden den Saal verlassen, die Szene hier spricht eine andere Sprache. Und vergessen wir nicht, Arizona hat eine knapp 600 Kilometer lange Grenze zu Mexiko. Will sagen, was hier passiert, weist darauf hin, dass der harte Kern der Trump-Wähler weiß, wem er seine Stimme geben wird, Debattensieg hin oder her. Auch dass Trump, trotz seiner vollmundigen Erklärung, gewonnen zu haben, hier bekannt gibt, dass es keine zweite Debatte geben wird, ficht seine Getreuen nicht an. »Erschwingliches Wohnen« und »keine Steuer auf Trinkgelder« spielen für seine Wähler dort weniger eine Rolle, als dass er sie vor dem Zustrom von Menschen schützt, die Hunde, Katzen und die Gänse aus dem Stadtpark essen, und natürlich vor den Kommunisten: »Wir haben einen monumentalen Sieg über die Genossin Kamala Harris errungen.« Übrigens spricht er hier wieder ihren Namen bewusst falsch – nachdem er ihr während der Debatte nicht mal in die Augen sehen konnte.
Harris, ebenfalls im Siegestaumel (nicht dass Trumps Taumel von seinen üblichen Schwindelanfällen zu unterscheiden wäre), begeht womöglich einen großen Fehler, weiter die Stichelschiene zu fahren, auf der sie Trump nach Ansicht der meisten Zuschauer so souverän stehen ließ. Sie sollte sich darüber im Klaren sein, dass das nicht nur Trump selbst, sondern auch manchen Erzkonservativen aufstoßen dürfte. Und auch da haben sich ja noch längst nicht alle Wahlberechtigten registriert. Dennoch geht sie aufs Ganze, versucht das auszureizen, indem sie auf eine weitere Debatte drängt, die ihr Gegner ablehnt, schließlich hat er ja »monumental« gewonnen.
Letzteres bestätigt ihm, wie Arizona zeigt, der harte Kern seiner Anhänger. Und es spielt dabei auch keine Rolle, was er sich bezüglich der Debatte jetzt aus den Fingern saugt: dass Harris die Fragen vorab bekommen, dass sie einen Empfänger im Ohr hatte oder Audio-Ohrringe trug etc..2
Dennoch sollte man nicht ganz außer Acht lassen, dass so manche alte Republikaner, die MAGA-Sperenzchen nicht mehr hören können und, wenn schon nicht scharenweise, so doch publikumswirksam von der Fahne gehen. Da gibt es allerdings zunächst noch die, die seine Niederlage beim TV-Duelle erkannt haben und eingestehen. Was sagt Trump zu den Leuten, die ihm den Rücken kehren? Die habe China in der Tasche! China habe die kompromittiert!
Das ist, gestatten Sie mir den Exkurs, ein ziemlicher Hammer von jemandem, der »geheime« Bankkonten in China unterhält und dort mehr Steuern gezahlt hat als in den USA!
Donald Trumps Steuerabgaben an China haben die sozialen Medien dort – so etwa Sina Weibo –, wo man seine Steuerangelegenheiten aufmerksam zu verfolgen scheint, so amüsiert wie verwirrt. Vom »Genossen Trump« ist dort in Memes und Kommentaren die Rede, der »seinen Mitgliedsbeitrag bei der KP entrichte«. »Das Mutterland wird seine Beiträge nie vergessen.« Man kann dort nicht fassen, dass Trump offenbar Hunderttausende von Dollar an Steuern in China bezahlt, aber so gut wie keine in den USA. Andere User können nicht fassen, dass Trump als Präsident einen Handelskrieg vom Zaun gebrochen hat, während er allem Anschein nach seine eigenen persönlichen Interessen in China verfolgt.3
Einige Republikaner, allen voran Robert F. Kennedy Jr., haben Trumps klägliche Niederlage eingeräumt. Selbst Fox-News-Moderator Neil Cavuto sagte, Trump habe entschieden verloren.4 Sie werden ihn jedoch weiter unterstützen. Ganz anders verhält es sich da mit Rich Logis, einem konservativen Journalisten aus Florida, der »den ehemaligen Präsidenten in Artikeln und Op-eds verteidigte und dessen Kritiker und politische Rivalen, wie Hillary Clinton und Präsident Joe Biden, aufs Heftigste angriff«.5 Lange, so schreibt er, habe er an Make America Great Again geglaubt, schrieb er in Newsweek.6 »Ich hatte mir fest eingeredet, dass der Sieg einer Hillary Clinton oder eines Joe Biden das Ende der Vereinigten Staaten bedeuten würde, wie wir sie kennen.« Leute wie diesen Herrn wird man nicht übersehen können. Um ihn hat sich eine Organisation mit dem Namen »Leaving MAGA« gebildet. Er erklärt Ben Meiselas ausführlich den Grund für seine künftige Zusammenarbeit mit den einstigen Erzfeinden von MeidasTouch.7 Er erklärt, dass er viel gutzumachen habe und den Menschen die Möglichkeit geben wolle, wieder miteinander zu reden. Bei MAGA, so sagt er, gehe es nach dem Grundsatz »Wir sind die richtigen Amerikaner, alle anderen sind die falschen Amerikaner. Wir sind auf der richtigen Seite der Geschichte, alle anderen sind auf der falschen Seite der Geschichte.« Diese »wirklich traumatische, ausschließende Mythologie innerhalb der MAGA-Gemeinschaft ist, was wirklich hinter Trumps Rhetorik, hinter dem, was er sagt, steht.«8
Interessant bei seinen Ausführungen ist, dass er verständlich zu erklären vermag, wie und warum er zu Trump gekommen war: »Ich war weder Republikaner noch Demokrat, bevor Trump 2016 kandidierte. Ich fand, beide Parteien ein und dasselbe, ich dachte, das politische System an sich würde davon profitieren, wenn man es plattmachen und neu aufbauen würde. Und als dann Trump kandidierte, obwohl er als Republikaner kandidierte, war das ein Gutteil seines Markenzeichens als Kandidat. Da kam einer, der sagte, die Politiker hätten uns im Stich gelassen haben, sie würden uns nicht repräsentieren, man sollte dieses System mit dem Flammenwerfer angehen, man sollte alles von Grund auf ändern, und obwohl ich nicht vom Fleck weg begeistert war von seiner Kampagne, nickte ich doch immer wieder: Da ist was dran.«9
Das ist genau das, was sich die »Unzufriedenen« sagen, die weltweit Populisten auf den Leim gehen.
Und diesen Leuten sei die einleuchtende Erklärung ans Herz gelegt, die Rich Logis für seine Desillusionierung hat. Zunächst einmal sei er nie der Ansicht gewesen, dass man den Republikanern 2020 die Wahl gestohlen hätte. Ron DiSantis, Floridas Gouverneur, sei der Auslöser dafür gewesen. Er habe ihn während der Pandemie für einen fähigen Führer gehalten, findet das immer noch, was Covid angeht, aber dann sprachen er und seine Leute plötzlich der Presse gegenüber davon, dass der Impfstoff die Erbmasse verändern würde. Und darauf hin, hier sollten alle Impfgegner und sonstige Unzufriedene aufmerken, tat er etwas, »was ich jahrelang, in meiner Zeit in der MAGA-Community, nicht getan habe: Ich habe hinsichtlich der Quellen diversifiziert, aus denen ich meine Nachrichten und Informationen bezog. Ich hatte mich damit ja ausschließlich bei den Webseiten versorgt, für die ich schrieb: rechts, wirklich, wirklich weit rechts stehende Nachrichtenmedien und Meinungen.«
Und als er sich umfassender, nicht mehr nur aus rechtslastigen Medien, zu informieren begann, merken Sie auf, begann er sich nach und nach aus der Blase zu befreien. Er begann sich über Covid hinaus auch näher mit dem 6. Januar zu befassen. Nicht dass er damit was am Hut gehabt hätte. Er war nicht dort, wäre auch nicht hingegangen, hätte man ihn eingeladen. Aber er kannte Proud Boys persönlich; er hatte mit Roger Stone zu Abend gegessen. Rich Logis war, anders gesagt, nicht irgend jemand. Er hielt alle diese Leute für Hobby-Politiker, bis er darauf kam, dass das eben nicht der Fall war, dass da eine Menge Geld dahintersteckte. Und noch etwas, womöglich das Schlimmste, wie er sagt: Diese Leute hatten den Segen der mächtigsten Person der Welt.
Schließlich, so erzählt er, erklärte die Partei, nicht etwa deren extreme Flügel, nein, die Republikanische Partei erklärte den Aufstand zum legitimen politischen Diskurs. Der letzte Tropfen dann, so erklärt er, sei schließlich das Massaker an der Grundschule von Uvalde gewesen. Nach langem Hin-und-Her wollten die inneren Alarmglocken seiner Gewissensbisse einfach nicht mehr verstummen. Und so entschloss er sich, seine Abkehr von MAGA nicht weniger öffentlich zu vollziehen als seine frühere Unterstützung für Donald Trump. Ben Meiselas von MeidasTouch, der das Interview führte, sagte, daraufhin hätten »erst Tausende, dann Zehntausende, und – ich habe sie nie wirklich gezählt – möglicherweise Hunderttausende von ehemaligen Trump-Fans« begonnen, seinen Podcast zu sehen: »Was die Leute anspricht«, so Meiselas, seien »diese umfassenderen Ideale und Prinzipien, die Tatsache, dass unser Patriotismus nicht nur aus Slogans besteht, sondern darin, aufzuzeigen, wie sich den Amerikanern helfen lässt. Und die Leute erzählten mir, woran sie zerbrochen seien. Also begann ich, die Geschichten zu lesen, und so hob ich eine Massen-Exodus-Serie, wie ich es genannt habe, aus der Taufe, von Leuten, die MAGA den Rücken gekehrt haben. Und das wurde immer größer, und dann sahen wir ja, dass das ein Hauptthema auf der Democratic National Convention wurde, auf der Sie gesprochen haben.« Rich Logis war einer der desillusionierten Republikaner, die auf dem DNC zu Wort kamen. Rich Logis ist ein gutes Beispiel für den Ausbruch aus der MAGA-Blase, der Echokammer, in der sich jeder zuschreit, was er selbst hören möchte, ohne dass man sich über die eigene Blase hinaus informiert.
Nicht jeder Republikaner, der mit Trump nichts am Hut hat, kann das verstehen, kann verstehen, weshalb man deshalb gleich Harris unterstützen kann. »›Republicans for Harris‹ ist eine wachsende Bewegung. Die ich nicht verstehe«, schreibt die Journalistin Ingrid Jacques jüngst in einer Opinion für USA Today. 2016 habe sie und ihre Kollegen Trump nicht wählen wollen. »Was haben wir stattdessen getan? Als konservative Redaktion [der Detroit News], brachten wir es nicht über uns … Hillary Clinton zu unterstützen, sie war zu weit links und dann hatten wir Probleme mit ihrem Charakter.« Man habe sich republikanischen Ersatz gesucht, der sich als Niete erwies. Denn schreibt sie: »Was ich nie verstehen werde ist, wie so genannte Never-Trump-Republikaner mit solcher Begeisterung jemanden wie … Kamala Harris unterstützen können … Und deren Ziel ist nicht einfach nur, vor Trump zu warnen, sondern, wie der Name besagt, ein aktives Engagement dafür Harris, zu wählen.« Harris’ Wirtschaftspolitik sei inakzeptabel, schrieb sich.
Sie steht da nicht allein, aber den Republicans for Harris scheint die Abkehr von Trump und MAGA eben nicht genug. Die Liste renommierter Republikaner, die sich für Harris ausgesprochen haben, ist schier endlos. Sie reicht von ehemaligen Vizepräsidenten, Mike Pence und Dick Cheney, über frühere Kabinettsmitglieder – John Bolton, Dan Coats, Mark Esper, John F. Kelly, H. R. McMaster, William Cohen, John Danforth, Alberto Gonzales, Chuck Hagel, Ray LaHood – über Scharen von gegenwärtigen und ehemaligen Senatoren bis hinab in die Lokalpolitik. Nicht alle, aber viele von ihnen unterstützen Harris offiziell.
Ob das etwas gegen die Masse des harten MAGA-Kerns auszurichten vermag, wird erst die Wahl selbst zeigen. Selbst auf Umfragewerte, denen zufolge Harris nach und nach an Beliebtheit zulegt, besagen historisch nicht viel. Immerhin hat Harris laut Financial Times10 jetzt zum zweiten Mal auf die Frage, wem man wirtschaftlich mehr zutraue, Trump oder ihr, die Nase leicht vorne, jedenfalls im Swing-State Michigan. Das ist ein gutes Zeichen, da Trump nach wie vor der Mythos des geschäftlich gewieften Fuchses hilft. Den übrigens ein NYT-Journalistengespann in einem brandneuen Buch mit dem Titel Lucky Loser: How Donald Trump Squandered His Father’s Fortune and Created the Illusion of Success endgültig dem Erdboden gleichmachen.
Auf der Basis einer sechsstelligen Zahl von geprüften Finanzberichten, Steuererklärungen, Bankunterlagen, Hauptbüchern und juristischen Dokumenten, die ihnen Donalds Nichte, Mary Trump, übergab, tragen die beiden Pulitzer-Preisträger den Mythos Lüge um Lüge ab – angefangen von der, dass er von seinem Vater nur ein Darlehen in Höhe von 1 Million Dollar erhalten hätte. Sein Erbe betrug mehr als 400 Millionen Dollar. Trump sei selbst zu seinen Glanzzeiten mit allem Schiffbruch erlitt, was er in die Hand nahm. Sie belegen massive jährliche Verluste in in seinem Kerngeschäft, beweisen, dass Trump ohne die Unterstützung seines Vaters nichts gewesen wäre.11
Aber so spannend sich das liest, den Bildern seiner Veranstaltungen oder den Aufnahmen vom 6. Januar 2021 nach zu urteilen, sieht der harte Kern der wählenden Trump-Sekte nicht nach großen Lesern aus.
Anmerkungen
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