Die Wahl im Sinne der Stimmabgabe in den USA hat hier und da bereits begonnen. Ebenso wie die Versuche, sie ins größtmögliche Chaos zu stürzen und damit das Wahlergebnis im Vorfeld schon auszuhebeln. Den MAGA-Republikanern, denen zumindest gefühlt, die Felle davonzuschwimmen scheinen, ist alles, aber auch wirklich alles lieber, als den Beweis zu führen, dass ihr politisches Programm das Bessere ist. Trump mag psychisch Tag für Tag aus dem Leim zu gehen, aber der moralische, philosophische und politische Bankrott, für den er steht, bleibt bestehen. Und nach allem, was wir bisher über seine Machenschaften erfahren haben, ist sein Zerfall womöglich eher eine Frage der persönlichen Eitelkeit, um nicht zu sagen Symptom seiner Krankheit, als die politische Sorge, weil MAGA insgeheim längst viel weiter ist, als der Rest Amerikas das wahrhaben will.1
Trumps Wirken hat längst so viel Sand ins Getriebe des gesamten demokratischen Systems der USA gestreut, dass man den, wenn überhaupt, auf Jahrzehnte nicht mehr loswerden wird. Seine Richter am Obersten Gerichtshof haben mit der Abschaffung von Roe v. Wade für Angst, Unsicherheit und Chaos in den Bundesstaaten gesorgt; ihr Entscheid, der Präsident sei, was Amtshandlungen angehe, strafrechtlich immun, wird Trump und ähnlich gearteten Nachfolgern womöglich die gerechte Strafe ersparen. Jetzt haben weitere MAGA-Getreue zugeschlagen.
In Georgia haben Trumps Leute nun zum nächsten Schlag gegen das offenbar verhasste System ausgeholt. Wir erinnern uns: Georgia gehört zu den unsicheren von Amerikas Kantonen, den Swing-States und gehört mit seinen sechzehn Wahlmännerstimmen in dieser Kategorie zu den Top Ten. Und dann gehört Georgia zu den Indikator-Staaten: Acht der letzten zwölf Sieger dort wurden schließlich Präsident. Biden hatte dort 2020 mit einer knappen Mehrheit gewonnen, der erste Sieg der Demokraten dort sein 1992.2 Ein Sieg, der Donald Trump zu dem historischen Anruf veranlasste, in dem er Georgias Innenminister Brad Raffensperger – unter Androhung von Konsequenzen – aufforderte, ihm 11780 Stimmen aufzutreiben, um die Zahl der Wahlmänner zu seinen Gunsten zu manipulieren.3 Wäre da nicht Raffenspergers Chefberaterin – Jordan Fuchs – gewesen, die den Anruf in der Überzeugung, dass Trump am Wahlergebnis zu drehen versuchte, aufgezeichnet, die ganze Geschichte wäre sicher nicht vor Gericht gekommen. Trumps Anruf, wie der »Ukraine-Anruf« ein »Verbrechen gegen die Demokratie«,4 brachte ihm denn auch eine Anklage ein, von der mittlerweile ein Vorwurf nach dem anderen abzubröckeln scheint. Aber das ist nicht, was uns hier interessiert.
Für uns ist interessant, dass Trump, der nun mal nicht verlieren kann, seinerzeit eine händische Auszählung sämtlicher Stimmen verlangte, die jedoch Bidens Sieg bestätigte. Nach der Zertifizierung des Ergebnisses sprach man alle sechzehn Wahlmänner (Sie erinnern sich: Der Sieger bekommt den ganzen Staat.) Joe Biden zu. Trump sprach darauf von »systemischem Betrug« und verlangte eine weitere Zählung, diesmal eine maschinelle. Diese würde schon zeigen, wer da gewonnen hatte. Während dieser Auszählung versuchte er, noch im Dezember, durch einen Anruf in Raffenspergers Dienststelle Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Am 2. Januar 2021 kam es schließlich zu dem Anruf bei Raffensperger selbst: »Leute, ich brauche 11000 Stimmen, nun seid doch nicht so!« Im Februar leitet die Chefanklägerin des Fulton County, Fani Willis, Ermittlungen in der Sache ein5 und erhebt Anklage.
Was auch immer von dieser übrigbleiben mag, Tatsache ist, dass jetzt das State Election Board, das für die Wahlen im Bundesstaat zuständige Gremium, eine Regelung verabschiedete, derzufolge a) die Stimmzettel händisch auszuzählen sind und b) jeder berechtigt ist, eine weitere Suche nach »Unregelmäßigkeiten« zu verlangen, die man noch einmal definiert. Die Abstimmung des Boards verlief 3–2, und es wird nicht weiter verwundern, dass die drei Leute, die für diese kaum zu bewältige Tortur für alle Beteiligten stimmten, erst jüngst von Trump bei einer Wahlveranstaltung namentlich und einzeln gelobt wurden.6 Die Drei, so sagte er, kämpften »wie Pitbulls für Ehrlichkeit, Transparenz und den Sieg«. Dreimal dürfen Sie raten, wem die neue Regelung zugutekommen wird. Tipp: Sie hat keinerlei praktischen Sinn außer den, die Zertifizierung hinauszuzögern. Sie haben es erraten!
Sie nützt allein Don Donald und seinem MAGA-Kult. Einmal mehr arbeitet er mit den Soprano-Methoden, die ihm seinerzeit sein Mentor, der Mafia-Anwalt Roy Cohn, eingebläut hat. Mal abgesehen davon, dass laut den Offiziellen diese Art der Zählung binnen zwei Tagen nur in den kleinsten Wahlbezirken möglich wäre und Zählungen von Hand nie so akkurat sein könnten wie maschinelle, gibt es auch so einige Stimmen, deren Ansicht nach die Entscheidung des Election Boards dessen Kompetenz überschreite.
Wenn man in Betracht zieht, dass 2020 eine ähnliche Auszählung in einem vergleichbaren Bezirk, dem Maricopa County in Arizona, über zwei Monate dauerte, kann man sich vorstellen, worum es hier geht: das größtmögliche Chaos anzurichten. Alles in allem könnte, so knapp wie das Rennen ist, so eine Verzögerung der Zertifizierung des Ergebnisses die ganze Wahl kippen. »Sollte der Gouverneur nicht in der Lage sein, die Wählerstimmen seines Staates zu bestätigen, kann er auch kein Zertifikat darüber an den Kongress schicken. Sein Wahlmännergremium kann nicht zusammentreten, theoretisch. Was dazu führen könnte, dass Georgias sechzehn Wahlmännerstimmen nicht mitgezählt werden. Und was passiert, dank eines recht praktischen neuen – Trump-freundlichen – Bundesgesetzes, wenn Georgia seine sechzehn Stimmen nicht schickt? Man zieht diese sechzehn Stimmen von der Gesamtsumme ab, man zwar von der Spitze. Wenn also Kamala Harris den Staat Georgia für sich entschieden hätte und Georgia seine Wahlmänner nicht in den Kongress schicken kann, würde man diese sechzehn Stimmen, ihre sechzehn Stimmen streichen und sie sähe sich um ganze sechzehn Stimmen gebracht.«7
Bundesgesetz schreibt vor, dass alle Wahlmännerstimmen bis 11.12. zertifiziert in Washington zu sein haben. Das Wahlmännergremium selbst tritt am 14.12 zusammen.
Selbst wenn der dortige Justizminister, selbst Republikaner, mit seiner Ansicht, die Regelung sei ungesetzlich, durchkommt, kann es dauern, bis sie aufgehoben wird. Die Demokraten haben bereits gegen eine andere Regelung geklagt, die es Countys erlauben würde, die Zertifizierung hinauszuschieben, die Anhörung dazu ist für den ersten Oktober anberaumt, aber auch das kann sich hinziehen. Und es ist letztendlich, dass das alles vor dem Obersten Bundesgericht landet. Und was das bedeutet, dürfte jedem klar sein.
Georgia hat 159 Countys, aber letztlich geht um das Fulton County und den ländlichen »Black Belt«, wo es historisch schon immer zur massiven Unterdrückung von Wählerstimmen kam. Joy Reid spricht von Methoden der alten »Dixiekraten«, einer kurzlebigen Partei, die für die Beibehaltung der Rassentrennung war und 1948 einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl stellte.8
Alles in allem könnte man sich wirklich fragen, ob die Gewissheit darüber, dass alles im Chaos enden wird und er nicht verlieren kann, Trump eine eher ruhige Kugel schieben bzw. Golf spielen lässt. Dass er sich so aufregt, hat womöglich tatsächlich mehr mit seiner gekränkten Eitelkeit zu tun. Immerhin hat er eine Debatte gegen eine Frau verloren. Eine Schwarze obendrein.
Anmerkungen
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