Cineasten älteren Schlags erinnern den Schatten eines Nosferatu, eines Golem oder sonstiger Ungeheuer, der langsam über die flimmernde Leinwand fällt, bevor selbige schließlich eine entsetzliche Fratze füllt. Dieser Schatten hatte sich 2016 über die USA zu legen begonnen, jetzt beginnt die groteske seelische Fratze des Ungeheuers, dem er gehört, überdeutlich diese Leinwand zu füllen. Niemand vermag den Schatten dieses Fürsten der Finsternis besser zu deuten, kaum jemand hat mehr unter ihrem Wirken gelitten als die beiden Personen, die in diesem Kapitel unseres Wahlbegleiters zu Wort kommen sollen. Und wenn sie das für zu pathetisch halten, merken Sie auf.
Ungezählte amerikanische Familien können sich dem Vernehmen nicht einmal mehr an den großen Feiertagen zu einer gepflegten Mahlzeit zusammensetzen, so spinnefeind sind sie sich geworden, seit Donald Trump die politische Bühne betrat. Längst haben sie selbst den Versuch aufgegeben, man weiß, dass es nur wieder Streit geben wird. Die einen sind ihm in blinder Ergebenheit verfallen, als liege ein Fluch über ihnen, die anderen können schlicht nicht verstehen, wie man einen Menschen, der lügt, wenn er den Mund aufmacht, der Vitriol verspritzt, wenn er über andere spricht, der Hass predigt und Zwietracht sät. Und dieser Riss durch die Familien zieht sich durch die ganze Nation.
Und diese Spaltung wiederum, diese Krankheit einer Nation hat ihrerseits ihren Ursprung in einer Familie, deren Stammvater, Frederick Christ »Fred« Trump Sr., nichts weniger als ein »Soziopath« war – und das »im klinischen Sinne«, wie seine Enkelin Mary L. Trump, die Tochter von Donalds älterem Bruders, sagt.1 Die promovierte Psychologin kann ein Lied singen über Psyche und Wirken der Familie Trump. Ihre Kindheit bei den Trumps hat ihr ein posttraumatisches Syndrom beschert, das sie mit ihrer Beschäftigung mit dem Clan wenigstens zu lindern versucht. Heilen könne man so etwas nicht, sagt sie, man könne bestenfalls damit umgehen lernen.2
Die Familie Trump, so sagt sie bei der Vorstellung ihres jüngsten Buches zum Thema, lasse sich schier als Metapher für ihre Heimat verstehen. »Wir haben uns als Land verändert. So wie ich das sehe, neigen schwache Systeme sich dem gestörtesten Mitglied zu, und genau das haben wir, wir führen die Debatte nach Maßgaben, die Donald entgegenkommen.«3 Und seit er auf den Plan getreten, seit er an die Macht gekommen sei, sei Amerika zu einem furchtbaren finsteren Ort geworden. Alle Amerikaner teilten seine Zorn, seine Ängste, seine Unzufriedenheit.
Donald sei ihrer Meinung nach immer so gewesen, wie er heute ist, er habe sich nie geändert. Nie schien er an anderen interessiert. Immer schon habe sich bei ihm alles darum gedreht, »was er machte, um seine Leistungen, seine Erfolge – oder seine eingebildeten Leistungen, sollte ich besser sagen.«4
Donald sei das Produkt einer Familie, in der es keine Liebe gab, keine richtige Zuneigung, das Produkt einer Familie, in der nur Geld zählte. Dem Familienethos nach war nur der etwas wert, der Geld hatte, und je mehr man hatte, desto mehr war man wert. Donald, so sagt sie, hatte den Vorteil, seinen weit ältern Bruder, Marys Vater, mit der Last seines Imperiums zu betrauen, einer Last, der Freddy Trump unterlag. Er hatte einfach nicht den nötigen Biss und versagte, nicht zuletzt unter der maßlosen Verachtung seines Vaters. Und so konnte Donald mitverfolgen, wie sein Bruder vor die Hunde ging, weil er nicht das Zeug dazu hatte – was immer das in den Augen seines Vaters gewesen sein mochte. Und so sei Donald irgendwann, wie beim Bockspringen, über den Rücken seines Bruders hinweggsetzt und habe das Ruder übernommen. Elf Jahre habe ihr Vater sich krank gerackert in dem Versuch, es seinem Vater recht zu machen. Das Verhältnis der beiden Bruder, so befindet sie, sei fortan das von Eroberer und Erobertem gewesen. In der ganzen Familie habe immer nur einer gezählt, und das war Fred Sr. Und als der sich für Donald entschied, zählte außer er selbst nur noch der. Von da an hieß es, der Sieger bekommt alles, alle anderen gehen leer aus. Donald war der Auserwählte. Der Rest der Familie rang um Sinn, um ein bisschen Wert, um Selbstwertgefühl, um irgendeinen Hinweis darauf, dass man zählte. Aber sie mussten einsehen, dass in dieser Familie nur Grausamkeit zählte und dass man Güte als Schwäche sah.
Und genau da, so ihr Resümee, befinde sich jetzt Amerika. Um erfolgreich zu sein, »so bläut man uns ein, muss man tough sein, grausam, unnachgiebig«.5 Mit Güte und Freundlichkeit bleibe man auf der Strecke. Amerika, so sagt sie, gleich jetzt ihrer Familie. Es zählte nur einer, und das war »mein Großvater, und der kürte Donald zum Einzigen, der zählen durfte. Alles war ein Nullsummenspiel, das nur einer gewinnen konnte, alle anderen mussten verlieren. Grausamkeit war die Währung unserer Familie, und Güte wurde als Schwäche gesehen. Genau da sind wir jetzt«.6
Donald Trump ist sofort wiederzuerkennen, wenn sie sagt, er sei »der Beste, der Größte, der Gescheiteste« gewesen. Nicht dass auch nur den geringste Beweis dafür gegeben hätte. Und doch hätten sich alle diesem Mythos fügen müssen. Das Bemühen, Donald Trump zur Norm zu machen, sei »atemberaubend«, der »laserscharfen Fokus auf Präsident Bidens Alter und geistige Schärfe oder den Mangel daran … jetzt, wo Donald der Älteste ist, der je als Präsident kandidiert hat, ist doch recht schockierend, wenn man bedenkt, dass Donald fast ständig nur noch sinnloses Zeug von sich gibt.«
Schuld an der »Normalisierung« Donald Trumps haben ihrer Ansicht nach nicht zuletzt die traditionellen Medien. Sie seien zu dem Schluss gekommen, dass ihre Aufgabe nicht mehr in der Berichterstattung bestehe, nein, sie meinen, sie müssten uns dolmetschen, was der Mann sagt. Daraus ergebe sich ein zweifaches Problem: »Erstens, sie sagen uns nicht, dass sie das tun. Sie berichten darüber so, als reime sich tatsächlich, das Donald da sagt. Und zweitens dolmetschen sie nicht wirklich, weil sein Gefasel nicht wirklich übersetzbar ist. Sie erfüllen seine Wort mit einem Sinn, den sie gar nicht haben, was weit gefährlicher ist.«7
Als Psychologin diagnostiziert sie Donald als »irreparabel kaputte Person«, die zudem nie an sich gearbeitet habe, so dass er sich auch nie hätte bessern können. »Es wird nur immer schlimmer werden mit ihm, was wir ja mit eigenen Augen sehen.« Und das Wesentliche sei: »Er hat keinerlei Einsicht in sich selbst … Wir sehen das an der Art, wie er seinen Wahlkampf führt … Es ist mehr als deutlich, dass seine Rhetorik immer intensiver wird … sie wird immer heftiger, die Zahl der Leute, auf die er losgeht, nimmt von Tag zu Tag zu.«8
Eine weitere Person, die aus persönlicher Erfahrung über Trumps Wirken und Wirkung zu berichten weiß, ist Caroline Rose Giuliani, die Tochter seines ehemaligen Anwalts Rudy Giuliani. Sie habe, so sagt sie, mitansehen müssen, wie ihr Vater in die gnadenlosen Mühlen von Trumps psychischen Defekten, um nicht zu sagen seiner seelischen Leere geriet. Auch sie spricht die Verwerfungslinie innerhalb zahlloser amerikanischer Familien an, die Gefahren der wachsenden Toxizität, für die Trump gesorgt hat, dass da ein Angehöriger, jemand den man immer furchtbar gern hatte, die Person verteidigt und wählen wird, von der man sich bedroht fühlt.9 In einem Artikel in Vanity Fair, in dem sie auch ihre Unterstützung von Kamala Harris bekanntgibt, erzählt sie vom Niedergang ihres Vaters und ihrer Angst, zumal als Frau mit Kinderwunsch, vor Trumps neuer Welt. Ihrer Ansicht nach steht Amerika »an einem Scheideweg der Geschichte, an dem die Zukunft nicht nur unserer Demokratie, sondern auch unseres Planeten auf dem Spiel steht«.10 Amerika sei den angehenden Tyrannen schon einmal losgeworden, dass es nun noch einmal so weit gekommen sei, könne sie nicht verstehen. »Ich denke, wenn er wieder Präsident wird, dann haben wir womöglich eine tödliche Krankheit in unserem Land, und das macht mir wirklich Angst.«
Es gehörte nicht eben zu den Gewohnheiten ihres Vaters, ihr von seinen Absichten zu erzählen. Aber dass er Trumps Anwalt zu werden gedacht, das sagte er ihr eines Tages. Und nachdem sie ausgeheult hatte, bearbeitete sie ihren Vater drei Stunden lang, doch bitte von dieser unheiligen Allianz abzusehen. Sie empfand das als vom Himmel geschickte Gelegenheit, der »Ausbreitung von Trumps finsterem Schatten« etwas entgegenzusetzen. »Ich brachte all meine Bedenken vor – über Trumps offenen Rassismus, seine zügellose Frauenfeindlichkeit und seinen völligen Mangel an Empathie.« Sie schäme sich, so sagte sie ihm, für ihren Namen, wann immer sie diesen durch eine Schlagzeile mit Trump in Verbindung gebracht sah. Aber der Vater hörte nicht auf seine Tochter. Bei all ihren Bedenken ob des moralisch abschüssigen Wegs, den ihr Vater da einzuschlagen gedachte, hätte sie nicht ahnen können, welches Maß an Verwüstung ihrem Vater seiner herzlich einseitigen Loyalität zu einem Hochstapler wegen ins Haus stand. Aber »nichts in meinem Leben hatte mich auf die so öffentliche wie gnadenlose Implosion der Existenz meines Vaters vorbereitet.«
Im Gegensatz zu Mary Trump, die ernsthafte psychische Probleme zu verarbeiten hatte, kommt Caroline Giuliani eher wie das privilegierte Gör rüber, das, im Palast des Bürgermeisters von New York aufgewachsen, nie genug Aufmerksamkeit bekommen und ein Hühnchen mit ihrem Vater zu rupfen hat. Um die Zeit ihrer Geburt war dieser, nach einer Karriere als Staatsanwalt, seinen politischen Ambitionen gefolgt und kandidierte zum ersten Mal für das Amt des Bürgermeisters von New York.11 Irgendwie passend zur vernachlässigten Prinzessin folgte dann 2010, sie war damals 20, eine Anklage wegen Ladendiebstahls, Kosmetika im Wert von über 100 Dollar.12 Elf Jahre später outet sie sich dann, nach Aufmerksamkeit heischend, wie man meinen könnte, in einem Artikel für Vanity Fair als Anhängerin der Polyamorie, insbesondere des Trios.13
Das ändert freilich nichts an ihrer einzigartigen Perspektive zum Absturz ihres Vaters und der magischen Anziehungskraft, die Donald Trump auf gewisse Menschen ausübt. Sich näher mit diesem Typus zu befassen, wäre durchaus der Mühe wert, schließlich reicht seine Bandbreite von dumpfen Prolls bis hin zu hochintelligenten Größen aus Politik und Wirtschaft. Wobei, nur ganz nebenbei erwähnt, Intelligenz nicht immer mit Gescheitheit gleichzusetzen ist, wie man am Beispiel eines Mannes wie Elon Musk sieht.
Als Zwölfjährige schon habe sie mit ihrem Vater über Politik gesprochen, und schon damals sei sie frustriert gewesen, wie wenig Einfluss sie auf ihn hatte.14 Wow! Solche Ansprüche machen sie zur Vorreiterin des Kindermobs, der heute »politisch korrekt« über die sozialen Medien die Kulturlandschaft bis hin zur Sprachregelung terrorisiert. Dennoch, wenn sie sagt, sie hätte keine andere Wahl gehabt, als sich öffentlich erst hinter Obama, dann hinter Hillary Clinton und vier Jahre später hinter das Team Biden/Harris zu stellen, dann kann man ihr das abnehmen. Gerade als intelligenter, pansexueller15 – wie selbst sagt – Freigeist, der aus der ersten Reihe miterlebt hat, was Politik ist und was sie aus Menschen macht, hat das Wort der erfolgreichen Filmemacherin, Autorin und Regisseurin durchaus Gewicht. Was sie über Trump sagt, ist so wichtig wie das, was sie über die Demokratie weiß: »Eine Demokratie«, so schreibt sie, »kann man per definitionem nicht festlegen oder verknöchern lassen. Sie muss die Flexibilität haben, sich nach den Wünschen des Volkes zu richten, nicht nach den despotischen Träumen eines Einzelnen.« Und über den Einzelnen sagte sie: »Glauben Sie mir, Trump macht alles kaputt, was er auch nur berührt. Ich habe das am Beispiel meiner Familie gesehen. Lassen Sie nicht zu, dass das mit der Ihren oder mit unserem Land passiert.«16 Dank eines Obersten Gerichtshofs voll Extremisten, so führt sie aus, würde Trump sein Amt mit der Zusicherung totaler Immunität antreten. Nichts und niemand könnte seine Macht einschränken. Und ein Präsident, der nicht denselben Einschränkungen unterliegt wie der Rest der Staatsbürger, der müsste wenigstens einen moralischen Kompass haben, und den habe Trump nun sicher nicht. Trump, so ihr Fazit, habe klargemacht, dass er das hehre Experiment, sie meint damit Amerika, weiter plündern und verwüsten würde, bis nichts mehr davon übrig ist. Sie könne es einfach nicht fassen, dass Amerika ein zweites Mal an Punkt angelangt sei, an dem man auch nur in Betracht ziehen könnte, einen Menschen wie Donald Trump noch einmal zu wählen – nach allem, was er während seiner ersten Amtszeit und seither angerichtet habe. Es habe ihr das Herz gebrochen, so sagt sie, am Beispiel ihres Vaters sehen zu müssen, wie fatal es ist, mit Trump auch nur in Berührung zu kommen. »Zusehen zu müssen, wie das Leben meines Vaters seit seinem Schulterschluss mit Trump in Scherben ging, war furchtbar schmerzhaft, nicht nur auf einem persönlichen Level, sondern auch weil sein Untergang für mich gefühlt mit einer finsteren Kraft verbunden ist, die einmal mehr ganz Amerika zu verschlingen droht.«
»Wir brauchen», so ihr Resümee, »erfahrene, zurechnungsfähige und im Grunde ihres Herzens anständige Leute an der Spitze, die für uns kämpfen und nicht gegen uns, die unsere Demokratie schützen und nicht demontieren.«17
Man sollte sich diese beiden Warnungen persönlich Betroffener auf sich wirken lassen. Vor einem Mann, der selbst die Opfer von Hurrikan Helene benützt und verhöhnt mit seinen Lügen von fehlender Hilfe seitens der Regierung Biden und unterschlagenen Hilfsgeldern. Die seelische Hässlichkeit des Mannes war nie deutlicher; wie nie zuvor füllt die groteske Fratze seiner Seele die flickernde Leinwand vor uns nun ganz und gar und mit schauriger Deutlichkeit aus.
Anmerkungen
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