Während Trump vor stetig schwindendem Publikum von gefühlt erfahrenen Kränkungen faselt und unter hasserfüllten Anwürfen und Beleidigungen für den politischen Gegner mit düsteren Untergangsszenarien Stimmung verbreitet, arbeitet Kamala Harris fieberhaft mit offenen Armen und erfrischend freundlicher Offenheit an einer Art Großen Koalition. Während Trump mit dem Versprechen auf Vergeltung in seiner künftigen migrantenfreien Diktatur bei den Unzufriedenen zu punkten versucht, arbeitet Harris daran, endlich die andere Seite des finsteren Tals zu erreichen, in das der Rattenfänger die Nation geführt hat.
Caroline Giuliani, die Tochter des ehemaligen »Bürgermeisters der Nation«, hat es auf den Punkt gebracht mit ihrer Aussage, Kamala Harris habe diese Wahl mit »Vitalität und Hoffnung« erfüllt, während die Erinnerung an Trumps Amtszeit immer noch an den psychischen Kräfte der Amerikaner zehre.1 Und kaum ist ihr Artikel erschienen, bekräftigt diese Ansicht ein Buch Bob Woodwards, in dem der große alte Mann des amerikanischen Journalismus enthüllt, Trump habe auf dem Höhepunkt der Knappheit an Covid-Tests ein Kontingent davon seinem vermeintlichen Spezi Putin zur persönlichen Verwendung zukommen lassen. Tests aus amerikanischer Herstellung! Putin, so schreibt Woodward, sei von panischer Angst erfüllt gewesen, dass er sich anstecken könnte.2 Was jedem klar gewesen sein dürfte, der sich der Fotos von den ewig langen Tischen entsinnt, an dem Putin seine Berater oder Besucher – wie etwa Macron – empfing. Das mag im Großen und Ganzen heute nicht mehr so dramatisch erscheinen, ist jedoch ein weiterer Schnappschuss von Trumps Charakter oder des Mangels an einem solchen. Und Putin, so führt Woodward aus, habe ihm geraten, das lieber für sich zu behalten. Der Russe kennt seine Pappenheimer, womöglich hätte der orangene Idiot mit dem Dienst an seinem großen Freund geprahlt. Wer sich das immer noch nicht gefragt haben sollte, der sollte das jetzt tun: Was würde Trump für eine kleine Schmeichelei seitens seiner Helden Putin, Xi Jinping, Kim Jong Un und Orbàn wohl sonst noch tun? Aber dies hier nur um die Tiefe der Talsohle aufzuzeigen, aus der Kamala Harris die Amerikaner mit strahlendem Lächeln und ohne Bösartigkeit, wenn auch mit gezielten ironischen Spitzen gegen den Gegner, in eine Politik des Dialogs zu führen versucht.
Und unter diesen Vorzeichen ist es ihr gelungen, eine Koalition jenseits parteipolitischer Querelen zu schaffen, die sie fieberhaft zu erweitern versucht. So sieht sie sich mittlerweile von »Hunderten von Republikanern und ehemaligen Angehörigen einer republikanischen Regierung« unterstützt,3 darunter, durchaus zum Unwillen so einiger Demokraten, die beiden Cheneys,4 Liz, die ehemalige Chefin der Republikaner im Repräsentantenhaus, und ihr Vater Dick, Vize unter George W. Bush und vor MAGA jahrzehntelang der Inbegriff der GOP. Dick Cheney, falls Sie es vergessen haben sollten, ist ein Erzkonservativer, ein Falke, den 9/11 und der Krieg im Irak zum Volkshelden der Rechten und zum Feinbild der Linken machten.5 Über 200 hochrangige Republikaner haben sich in einem Brief hinter Harris gestellt. Ihre Maxime: »Weitere vier Jahre unter Donald Trumps chaotischer Führung werden dem Normalbürger schaden und unsere heiligen Institutionen schwächen.« Was nicht heißt, dass man durch die Bank mit Team Harris/Walz an einem Strang zieht: »Wie nicht anders zu erwarten, haben wir eine Menge ehrlicher ideologischer Meinungsverschiedenheiten mit Vizepräsident Harris und Gouverneur Walls, die Alternative jedoch ist schlicht untragbar. Wir brauchen eine Führung, die Konsens und nicht Chaos anstrebt.«6 Je mehr Donald Trump Harris als eine Art Radikale verteufelt, desto mehr Mainstream-Republikaner scheinen sich hinter die demokratische Kandidatin zu stellen.
Überhaupt scheinen die Leute sich gern in klar definierten Gruppen hinter die strahlende Kandidatin der Demokraten zu stellen. Dass sie bei schwarzen Frauen ankommen würde, mochte man erwartet haben, auch wenn ein vierstündiger Zoom-Marathon kurz nach ihrer Ernennung, bei dem über anderthalb Millionen Dollar an Spenden zusammenkamen, etwas Unerhörtes ist.7 Das gilt auch für eine virtuelle Demo von über 70.000 unzufriedenen Republikanern Mitte August. Und, jetzt halten Sie sich fest, eine weitere mehrstündige Versammlung auf Zoom hatten die Evangelikalen – über 200.000 Angehörige dieser Gruppe hatten sich bis Ende August zu Harris bekannt.8 Ob sie da einem Trugschluss aufgesessen sind, was die Gleichsetzung von Harris Programm mit den Lehren Jesus’ angeht, dürfte nur sie selbst etwas angehen.9 Sie jedenfalls pochen auf ihr »gottgegebenes Recht auf staatsbürgerliche Teilhabe«. In einer Erklärung auf ihrer Website heißt es: »Keine politische Partei, kein politischer Führer kann jemals unsere volle Hingabe erlangen. Die gehört allein Jesus. Während wir uns dieser Wahl nähern, sehen wir unsere Herzen von einem Weg angezogen, der seine Lehren widerspiegelt. Wir entscheiden uns für den Frieden, der aus der Freude kommt, für die Stärke, die wir in der Liebe zu unseren Nächsten finden, und für die Gnade, die im Mitgefühl liegt. Dies ist nicht nur eine Wahl, sondern ein Spiegelbild unseres Glaubens. Bei dieser Wahl liegt die Entscheidung auf der Hand: Kamala Harris.«10
Tatsache ist, dass es neue Wähler vom Sofa zu locken gilt, will man eine so knappe Wahl gewinnen. Und genau das scheint Harris zu schaffen wie kaum jemand vor ihr. Und das Schöne daran ist, dass die Leute sich selbst organisieren. Das eben zeigen diese auf den ersten Blick merkwürdigen Gruppen, die Identität zeigen wie eine Flagge. Da gibt es die Elders for Kamala, das sind die Senioren, die Native Men for Harris, das sind die Indianer, offensichtlich ohne ihre Frauen, die sich als Native Women for Harris engagieren; Harris eigenen biographischen Hintergrund reflektierend, hat sich eine Gruppe namens South Asian Women for Harris gebildet; angesichts der Latinas for Harris, die es in San Antonio krachen ließen,11 genierten sich ihre spanischstämmigen Kollegen und hoben die Latinos for Harris aus der Taufe;12 Letztere hielten und halten es bislang überwiegend mit Trump. Gerade junge Latinos haben mit Harris wenig am Hut.13 Junge schwarze Wähler bleiben da außen vor; gerade junge Männer hatten ihr Schwierigkeiten etwa mit Hillary Clinton; Kamala Harris hat in Kalifornien eine Menge von ihnen hinter Gitter gebracht.
Als Obama im Oktober in Pennsylvania aufschlägt, geht er mit dem männlichen Teil der schwarzen Wählerschaft hart ins Gericht. »Irgendetwas in mir bringt mich auf den Gedanken, dass es Ihnen einfach nicht schmeckt, eine Frau als Präsidentin zu haben. Und Sie denken sich Alternativen und andere Gründe dafür aus. Also denken sie daran, der Wahl fernzubleiben oder gar jemanden zu wählen, der Sie immer wieder schlecht gemacht hat. Weil Sie denken, dass das ein Zeichen von Stärke ist. Dass es das ist, was einen Mann ausmacht. Frauen herabzusetzen. Das ist nicht akzeptabel.«14 Und man weiß nicht so recht, ob seine Schelte nicht auch Harris und ihrem Team gilt, ob da nicht der Vorwurf mitklingt, sie setzten den Männern unter der schwarzen Wählerschaft nicht genügend zu. Harris hat es in Pennsylvania Umfragen zufolge bislang unter den Schwarzen, die zu wählen gedenken, auf »nur« 78% gebracht. Biden hatte dort 2020, nicht zuletzt dank Obamas Beliebtheit, 92% der schwarzen Stimmen auf sich vereinigen können.
Unterm Strich jedoch werden womöglich diesen Herbst mehr denn je Menschen wählen, nur eben wen. Von den Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung in den Sixties, an der die Demokraten großen Anteil hatten, wissen gerade die jungen Leute nichts mehr. Außerdem hatte Trump schon 2020 Rap-Superstars wie Kanye West hinter sich. Immerhin kann sich Harris der aktiven Unterstützung einer Basketball-Legende wie Magic Johnson sicher sein. Und wo wir schon bei den Afroamerikanern sind, gibt da noch die Black Queer Men for Harris; ob die nun gleich »Harris’ Geheimwaffe«, wie Forbes titelt, sei dahingestellt.15 Und natürlich darf dann auch LGBT for Harris nicht fehlen. Jüngste Bemühungen um die amerikanischen Muslime und Araber brachten ihr die Unterstützung einer Gruppe namens Arab Americans for Harris-Walz ein.
Einige dieser Gruppen zeigen Humor, so etwa die Cat Ladies for Kamala, eine von J.D. Vance offenbar besonders gekränkte Wählergruppe; eine recht erlesene Riege von Prominenten haben die White Dudes for Harris ins Leben gerufen. Mark Ruffalo gehört dazu, Mark Hamill, Josh Groban und natürlich der »Dude« selbst, Jeff Bridges. Ihre Zoom-Konferenz brachte Ende Juli fast 200.000 Leute zusammen und über vier Millionen Dollar an Spenden ein.16 Und dann wären da noch die Train Lovers for Harris-Walz.
In einer identitären Welt, in der jeder nur noch sich selbst und bestenfalls noch eine Gruppe von Klonen respektieren kann, ist diese Art von Engagement nicht weiter verwunderlich, auf der anderen Seite ist es aber auch interessant, dass es unterm Strich denn doch um Gemeinsamkeit geht. Es weist also nicht nur auf die aggressive Abgrenzung von allen anderen. Man scheint sich der Notwendigkeit bewusst geworden, dass es hier darum geht, Brücken zu bauen – zum Erhalt von nichts Geringerem als der ältesten Demokratie der Welt.
Anmerkungen
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