Einer Übersetzerkollegin ist der Kragen geplatzt. Was jeden Tag passieren dürfte, sicher, aber diesmal kann man es im Kulturmagazin Titel nachlesen. Vielleicht auch nachfühlen. Die Kollegen können das mit Sicherheit. Es geht darum, dass man als Übersetzer gern mal übersehen wird. In der Titelei der eigenen Übersetzung zum Beispiel. Ist mir auch schon passiert. Und eben auch bei Hörversionen besagter Übersetzung. Was Isabel Bogdan über die Hutschnur ging. Wie gesagt, das lässt sich im Titel nachlesen. Ich brauche hier keinen Abklatsch zu bringen. Zumal sich endlich mal jemand so recht nach meinem Geschmack äußert und seinen Zorn nicht in wohl gesetzter, aber eben letztlich etepeter und damit zahnloser Prosa erstickt.
Der Gedanke, der mir bei der Lektüre kam, ist der, dass offensichtlich jeder Übersetzer nicht nur seine Steckenpferde, sondern auch seine ganz persönlichen Sollbruchstellen hat. Mir persönlich würde es zum Beispiel nichts ausmachen, als Übersetzer hinter dem Werk zu verschwinden, wenn ich nur endlich mal, nach einem Vierteljahrhundert, das gedruckt sähe, was ich übersetzt habe. Nicht seitenweise Quatsch, den ich nicht sturzbesoffen, den Kopf in der Kloschüssel an die Abortwand schmieren würde! Auch hier verweise ich auf die Mühe, die Isabel Bogdan anspricht. Füge vorsichtig mal die Erfahrung hinzu, die man sich aneignen kann, wenn man 1966 in aller Naivität seine erste Karteikarte für den einschlägigen Zettelkasten und den erträumten Übersetzerberuf angelegt hat.
Mein ganz persönlicher Druckpunkt ist also, kurz gesagt, dass mir allzu oft der Einfluss auf das Endprodukt fehlt. Mit anderen Worten: ein anderer entscheidet darüber, was gut oder richtig ist und was nicht. Und das ist immer jemand, der – Pardon! – sich weder die Arbeit mit dieser Übersetzung gemacht, noch die Arbeit mit Dutzenden von anderen Übersetzungen, die als Erfahrungswert in die aktuelle Übersetzung einfließt.
Wenn es nun bei Isabel Bogdan heißt: “Es geht ja nicht darum, dass jede Literaturkritik auch eine Übersetzungskritik sein müsste”, dann überläuft mich eine Gänsehaut. Und nicht die der wohligen Art. Das letzte, was ich brauche, ist noch einen “Übersetzungskritiker”, nachdem mir bereits der erste aus zwei weltberühmten Saxophonisten Sänger und den “hooligan” zum Kumpel gemacht hat, weil er streckenweise schlicht keine Ahnung hat, was da im Original steht.
Natürlich ist es nett, wenn einer meine Übersetzung in der Zeitung “gelungen” findet. Oder gar “brillant”. Schon gar wenn es aus der Feder eines zertifizierten Grantlhubers kommt. Der selbst Übersetzungen gemacht hat. Aber wenn man mal genauer hinsieht, gibt es eben den “Übersetzungskritiker” nicht, wie es etwa den Filmkritiker gibt. Der Filmkritiker, so wie ich ihn aus meiner Zeit – in der mich Film noch interessiert hat – kenne, ist einer, der von frühester Jugend an in finsteren Räumen saß, sich von den bewegten Bildern gebannt mit seinem Medium befasst hat, 500 Titel über Film im Regal stehen hat und einem die Kostümbildnerin eines tschechischen Kurzfilms aus den 1960ern nennen kann. Ich denke an H.C. Blumenberg. Bei solchen Leuten steckt Leidenschaft in der Tätigkeit, da steckt Beschäftigung mit der Materie drin.
Und aufgrund dieser Beschäftigung mit der Ästhetik eines Mediums kann der Filmkritiker Aussagen über jeden Film machen, den er sieht. So mühselig die Arbeit auch sein mag, die bei der Produktion eines Films anfällt, es entsteht ein Produkt, das sich nach den mühsam erarbeiteten Kriterien beurteilen lässt. Eine sinnvolle Übersetzungskritik würde dieselbe Beschäftigung mit dem Übersetzen voraussetzen. Nicht mit Literatur. Nicht mit Literaturgeschichte. Nicht mit Philosophie. Nicht mit dem Schreiben. Mit dem Übersetzen. Und das macht, wie ich mal behaupten möchte, niemand. Das macht eben, wenn überhaupt einer, nur der Übersetzer. Ich habe an die Tausend “Pärchen” hier im Regal: englisches Original — deutsche Übersetzung. Ich kann – um auf die Kostümbildnerin des tschechischen Kurzfilms anzuspielen – sagen, wie der und der Kollege / die Kollegin dies und jenes Problem gelöst hat. Ich kann nachvollziehen warum. Ich sehe das Räderwerk dahinter. Ich sehe, ob das alles in allem eine gute Arbeit ist oder nicht. Oder besser gesagt: Ob es mir imponiert oder nicht. Und ob es von einem Profi ist oder von einem Amateur.
Ich erinnere mich, da ich den Vergleich mit der Filmkritik nun mal gewählt habe, auch noch an die Diskussion um die deutsche Filmkritik in den 1970er-Jahren. Da kam mal der Vorschlag, von einem Regisseur, nur Regisseure dürften Filme rezensieren. Alles andere sei Anmaßung. Nun, auf mein Metier bezogen fällt mir dazu nur das peinliche Schlachtfest um die Lemprière-Übersetzung ein, wo sich ein Dutzend Kollegen auf einen Übersetzer stürzten in der aberwitzigen Annahme, ihnen würden in einem 2000-Seiten-Manuskript keine 30 Fehler passieren.
Letztlich ginge es eben nicht nur darum, ob sich das im Deutschen ordentlich liest. Ob da tatsächlich ein Stil getroffen wurde. Es ginge um Trefferquoten. Wie viele Fehler sind drin? Wie vielen Personen wurde da nun eigene Sprache, eigener Wortschatz gegeben? Wie viele Wortspielereien und Anspielungen wurden, wenn schon nicht übersehen, dann eben wie oder überhaupt übersetzt? Falls dies überhaupt möglich wäre außerhalb eines eigenen Bandes zur Übersetzung à la The Making of – ins Feuilleton gehört das nicht.
Und zu guter Letzt: den Feuilleton-Leser interessiert das doch gar nicht. Eine Übersetzungskritik müsste wie gesagt mit Beispielen aufwarten. Und glauben Sie mir, nach dem fünften wird auch der eifrigsten Feuilletonratte das Gesicht einschlafen. So ungenügend es auch sein mag, von einer “gelungenen” Übersetzung zu lesen, die Bemerkung wird dem Werk allemal mehr Leser bescheren als seitenweise (und anders ginge es eben nicht) fundierte Übersetzungskritik.
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