Kap. XXV.
Ueber Sprache und Worte
§. 309.
(Zweiter Teil.)
Demgemäß liegt, bei Erlernung einer Sprache, die Schwierigkeit vorzüglich darin, jeden Begriff, für den sie ein Wort hat, auch dann kennen zu lernen, wann die eigene Sprache kein diesem genau entsprechendes Wort besitzt; welches oft der Fall ist. Daher also muß man, bei Erlernung einer fremden Sprache, mehrere ganz neue Sphären von Begriffen in seinem Geiste abstecken: mithin entstehn Begriffssphären wo noch keine waren. Man erlernt also nicht bloß Worte, sondern erwirbt Begriffe. Dies ist vorzüglich bei Erlernung der alten Sprachen der Fall; weil die Ausdrucksweise der Alten von der unsrigen viel verschiedener ist, als die der modernen Sprachen von einander; welches sich daran zeigt, daß man, beim Uebersetzen ins Lateinische, zu ganz anderen Wendungen, als die das Original hat, greifen muß. Ja, man muß meistens den lateinisch wiederzugebenden Gedanken ganz umschmelzen und umgießen; wobei er in seine letzten Bestandtheile zerlegt und wieder rekomponirt wird. Gerade hierauf beruht die große Förderung, die der Geist von der Erlernung der alten Sprachen erhält. – Erst nachdem man alle Begriffe, welche die zu erlernende Sprache durch einzelne Worte bezeichnet, richtig gefaßt hat und bei jedem Worte derselben genau den ihm entsprechenden Begriff unmittelbar denkt, nicht aber erst das Wort in eines der Muttersprache übersetzt und dann den durch dieses bezeichneten Begriff denkt, als welcher nicht immer dem ersteren genau entspricht, und ebenso hinsichtlich ganzer Phrasen; — erst dann hat man den Geist der zu erlernenden Sprache gefaßt und damit einen großen Schritt zur Kenntniß der sie sprechenden Nation gethan: denn wie der Stil zum Geiste des Individuums, so verhält sich die Sprache zu dem der Nation.1 Vollkommen inne aber hat man eine Sprache erst, wenn man fähig ist, nicht etwan Bücher, sondern sich selbst in sie zu übersetzen; so daß man, ohne einen Verlust in seiner Individualität zu erleiden, sich unmittelbar in ihr mitzutheilen vermag, also Ausländern jetzt eben so genießbar ist, wie Landsleuten.
Menschen von geringen Fähigkeiten werden auch nicht leicht eine fremde Sprache sich eigentlich aneignen: sie erlernen wohl die Worte derselben, gebrauchen sie jedoch stets nur in der Bedeutung des ungefähren Aequivalents derselben in ihrer Muttersprache und behalten auch immer die dieser eigenthümlichen Wendungen und Phrasen bei. Sie vermögen eben nicht den Geist der fremden Sprache sich anzueignen, welches eigentlich daran liegt, daß ihr Denken selbst nicht aus eigenen Mitteln vor sich geht, sondern, zum größten Theil, von ihrer Muttersprache erborgt ist, deren gangbare Phrasen und Wendungen ihnen die Stelle der eigenen Gedanken vertreten; daher eben sie auch in der eigenen Sprache sich stets nur abgenutzter Redensarten (hackney’d phrases; phrases banales) bedienen, welche selbst sogar sie so ungeschickt zusammenstellen, daß man merkt, wie unvollkommen sie sich des Sinnes derselben bewußt sind und wie wenig ihr ganzes Denken über die Worte hinausgeht, so daß es nicht gar viel mehr, als Papageiengeplapper ist. Aus dem entgegengesetzten Grunde ist die Originalität der Wendungen und individuelle Angemessenheit jeden Ausdrucks, den Einer gebraucht, ein unfehlbares Symptom überwiegenden Geistes.
Aus diesem Allen nun also erhellet, daß bei der Erlernung jeder fremden Sprache sich neue Begriffe bilden, um neuen Zeichen Bedeutung zu geben; daß Begriffe auseinandertreten, die sonst nur gemeinschaftlich einen weiteren, also unbestimmteren ausmachten, weil eben nur Ein Wort für sie da war; daß Beziehungen, die man bis dahin nicht gekannt hatte, entdeckt werden, weil die fremde Sprache den Begriff durch einen ihr eigenthümlichen Tropus, oder Metapher, bezeichnet; daß demnach unendlich viele Nüancen, Aehnlichkeiten, Verschiedenheiten, Beziehungen der Dinge, mittelst der neu erlernten Sprache ins Bewußtseyn treten; daß man also eine vielseitige Ansicht von allen Dingen erhält. Hieraus nun folgt, daß man in jeder Sprache anders denkt, mithin unser Denken durch die Erlernung einer jeden eine neue Modifikation und Färbung erhält, und folglich der Polyglottismus, neben seinem vielen mittelbaren Nutzen, auch ein direktes Bildungsmittel des Geistes ist, indem er unsre Ansichten, durch hervortretende Vielseitigkeit und Nüancierung der Begriffe, berichtigt und vervollkommnet, wie auch die Gewandtheit des Denkens vermehrt, indem durch die Erlernung vieler Sprachen sich immer mehr der Begriff vom Worte ablöst. Ungleich mehr leisten Dies die alten, als die neuen Sprachen, vermöge ihrer großen Verschiedenheit von der unsrigen, die nicht zuläßt, daß wir Wort durch Wort wiedergeben, sondern verlangt, daß wir unsern ganzen Gedanken umschmelzen und ihn in eine andere Form gießen. Oder (mir ein chemisches Gleichniß zu erlauben), während das Übersetzen aus einer neuen Sprache in die andere höchstens erfordert, daß die zu übersetzende Periode in ihre nächsten Bestandtheile zersetzt und aus diesen rekomponirt werde, erfordert das Uebersetzen in’s Lateinische sehr oft eine Zersetzung in ihre fernsten und letzten Bestandteile, (den reinen Gedankeninhalt), aus welchen sie sodann in ganz andern Formen regenerirt wird; so daß z.B. was dort durch Substantiva hier durch Verba ausgedrückt wird, oder umgekehrt, u.dgl.m. Der selbe Proceß findet Statt beim Uebersetzen aus den alten Sprachen in die neuen; woraus schon abzusehen ist, wie entfernt die Bekanntschaft mit den alten Autoren ist, welche mittelst solcher Übersetzungen sich machen läßt.
Den Vortheil des Sprachstudiums entbehren die Griechen; wodurch sie zwar viel Zeit ersparten, mit der sie dann aber auch weniger ökonomisch umgingen; wie das tägliche lange Herumschlendern auf der αγορα bezeugt, welches sogar an die Lazzaroni und das ganze italiänische Treiben in piazza erinnert.
Endlich ist aus dem Gesagten leicht abzusehn, daß die Nachbildung des Stiles der Alten, in ihren eigenen, an grammatischer Vollkommenheit die unsrigen weit übertreffenden Sprachen, das allerbeste Mittel ist, um sich zum gewandten und vollkommenen Ausdrucke seiner Gedanken in der Muttersprache vorzubereiten. Um ein großer Schriftsteller zu werden, ist es sogar unerläßlich; — eben, wie es für den angehenden Bildhauer und Maler nothwendig ist, sich durch Nachahmung der Muster des Alterthums heranzubilden, ehe er zu eigener Komposition schreitet. Durch das Lateinschreiben allein lernt man die Diktion als ein Kunstwerk behandeln, dessen Stoff die Sprache ist, welche daher mit größter Sorgfalt und Behutsamkeit behandelt werden muß. Demnach richtet sich jetzt eine geschärfte Aufmerksamkeit auf die Bedeutung und den Werth der Worte, ihrer Zusammenstellung und der grammatikalischen Formen; man lernt diese genau abwägen und so das kostbare Material handhaben, welches geeignet ist, dem Ausdruck und der Erhaltung werthvoller Gedanken zu dienen, man lernt Respekt haben vor der Sprache, in der man schreibt, so daß man nicht nach Willkür und Laune mit ihr umspringt, um sie umzumodeln. Ohne diese Vorschule artet die Schreiberei leicht in bloßes Gewäsche aus.
Der Mensch, welcher kein Latein versteht, gleicht Einem, der sich in einer schönen Gegend bei nebligem Wetter befindet: sein Horizont ist äußerst beschränkt: nur das Nächste sieht er deutlich, wenige Schritte darüber hinaus verliert er sich ins Unbestimmte. Der Horizont des Lateiners hingegen geht sehr weit, durch die neueren Jahrhunderte, das Mittelalter, das Althertum. – Griechisch, oder gar noch Sanskrit, erweitern freilich den Horizont noch um ein Beträchtliches. – Wer kein Latein versteht, gehört zum Volke, auch wenn er ein großer Virtuose auf der Elektrisiermaschine2 wäre und das Radikal der Flußspathsäure im Tiegel hätte.
An euern Schriftstellern, die kein Latein verstehen, werdet ihr bald nichts Anderes, als schwadronirende Barbiergesellen haben. Sie sind schon auf gutem Wege mit ihren Gallicismen und leicht seyn wollenden Wendungen. Zur Gemeinheit, edele Germanen, habt ihr euch gewendet, und Gemeinheit werdet ihr finden. — Ein rechtes Aushängeschild der Faulheit und eine Pflanzschule der Unwissenheit sind die heut zu Tage sich an das Licht wagenden Editionen griechischer, ja sogar (horribile dictu) lateinischer Auktoren mit deutschen Noten! Welche Infamie! Wie soll doch der Schüler Latein lernen, wenn ihm immer in der Frau-Mutter-Sprache dazwischen geredet wird? Daher war in schola nil nisi latine eine gute alte Regel. Daß der Herr Professor nicht mit Leichtigkeit Latein schreiben kann, und der Schüler es nicht mit Leichtigkeit lesen kann, das ist der Humor der Sache; stellt euch wie ihr wollt. Also Faulheit und deren Tochter Unwissenheit stecken dahinter, sonst nichts. Und es ist eine Schande! Der Eine hat nichts gelernt, und der Andere will nichts lernen. Cigarrenrauchen und Kannegießern hat in unsern Tagen die Gelehrsamkeit vertrieben; wie Bilderbücher für große Kinder die Litteraturzeitungen ersetzt haben. —
Auf Gymnasien sollte keine altdeutsche Litteratur, Nibelungen und sonstige Poeten des Mittelalters gelehrt werden: diese Dinge sind zwar höchst merkwürdig, auch lesenswerth, tragen aber nicht zur Bildung des Geschmacks bei und rauben die Zeit, welche der alten, wirklich klassischen Litteratur angehört. Wenn ihr, edle Germanen und deutsche Patrioten, an die Stelle der griechischen und römischen Klassiker altdeutsche Reimereien setzt; so werdet ihr nichts Anderes, als Bärenhäuter erziehn. Nun aber gar diese Nibelungen mit der Ilias zu vergleichen ist eine rechte Blasphemie, mit welcher die Ohren der Jugend, vor Allem, verschont bleiben sollen.
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