Als Übersetzer warte ich wieder mal. Diesmal auf ein Manuskript aus Amerika, genauer gesagt auf das jüngste Buch des Anthropologen David Graeber, das dann als Schnellschuss über die Bühne gehen muss. Alles steht in den Startlöchern, damit der Titel – so die Hoffnung aller Beteiligten – gleichzeitig mit dem Original in den Staaten erscheint. Da ist hier nicht nur Großreinemachen bei meinen PCs angesagt, da empfiehlt sich natürlich auch etwas Recherche vorab. Es soll um die Occupy-Bewegung gehen. Karten vom Ort der Handlung habe ich noch von der Übersetzung eines Bob Dylan-Titels im Herbst an der Wand: die Wall Street ist ja, zumindest von weit, weit oben gesehen, vom Greenwich Village gar nicht so weit entfernt. Und heute, nachdem sich das Village kein normaler Mensch und mit Sicherheit kein aufstrebender Künstler mehr leisten kann und die Mittellosen unter den Kreativen über den East River gezogen sind, ist die Entfernung auch gefühsmäßig nicht mehr so groß wie in den 50er- und 60er-Jahren.
Und noch was verbindet die beiden Übersetzungen: Das Lincoln Center, in deren Philarmonic Hall Bob Dylan 1964 ein großes Konzert absolvierte, und wo in der gegenüberliegenden Met letzten Herbst Philip Glass’ Gandhi-Oper Satyagraha1 wieder mal zur Aufführung kam. In deren Rahmen wiederum kam es – unter Mitwirkung des Komponisten aus dem East Village – zu einer symbolischen Besetzung der Met: Occupy Lincoln Center. Und diese war natürlich, und damit sind wir beim Thema, einer der zahlreichen Ableger der Occupy Wall Street-Bewegung.
Sieht ganz so aus, als hätte in den letzten Jahrzehnten in der westlichen Welt kaum etwas so viele Menschen auf die Straße und Kreative zum Stift getrieben wie die diversen Occupy-Bewegungen. Mag sein, dass ich nicht so aufgepasst habe, aber es scheint mir fast wie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr. Vergleichbare Demonstrantionen gab es in jüngster Zeit nur in der arabischen Welt; nur hat das Tempo, in der die Ereignisse dort überschlugen, sicher dazu beigetragen, dass die Kreativen sich erst gar nicht an den Tisch setzen konnten, um was zu malen. Und wer da letztendlich gewinnen wird, muss sich ohnehin erst zeigen. Und ob es dann Poster geben wird. Die Fundamentalisten scheinen sich mir auf der ganzen Welt nicht eben durch die Produktion von Postern hervorzutun. Die haben ja schon ihre Probleme mit Karikaturen.
Von der Posterkultur her erinnert das Ganze wirklich mehr an die Sixties. Und Zeiten von Aufruhr umd Umbruch, so heißt es, haben immer große Poster hervorgebracht. »Revolution« ist ein Wort, mit dem man nicht mehr einfach so um sich wirft in unserer scheinbar in Beton gegossenen Welt, in den 1960ern schien sie in der Luft zu liegen. Die Ungerechtigkeit einer Situation wurde schon lange nicht mehr so stark empfunden wie dieser Tage. Selbst Altkanzler Helmut Schmidt weicht auf die Frage »Finden Sie denn die Einkommensverteilung in Deutschland noch gerecht?« nicht einfach aus: »Deutschland hat sich im Wesentlichen nach amerikanischem und englischem Beispiel gerichtet, und das ist eine negative Entwicklung.«2 Und der Philosoph Peter Sloterdijk meinte im Kontext der Schuldendiskussion: »Ich habe einen anderen schlimmsten Fall [als eine Rezession] vor Augen, die vollkommene allgemeine Demoralisierung. Auf die steuern wir zu. … Die kollektive Demoralisierung ist schlimmer als eine vorübergehende Rezession je sein kann. … [Dieser] demoralisierende Effekt geht auch von der Tatsache aus, dass die leistungslosen Einkommen rasend schnell wachsen.«3 Womit wir nun sicher wieder in der Wall Street wären. Müssen da Poster wie das nebenstehende groß wundern?
Hier noch ein paar Beispiele.
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Die hier gezeigten Posters gibt es bei www.occupytogether.org …
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