Wladimir Wladimirowitsch Putin ermahnte die Amerikaner ja mal vor nicht allzu langer Zeit, den Mund in Sachen Demokratie nicht so voll zu nehmen, schließlich sei gerade ihre Methode der Präsidentschaftswahl herzlich fragwürdig. Ich habe mich seinerzeit hier mal damit befasst. Aber da sich an diesem System, bei aller Kritik auch in den Staaten selbst, so schnell nichts ändern wird, haben wir nächste Woche wieder mal das Problem, die amerikanischen Wahlen auch tatsächlich zu verstehen.
Der Kern des Problems liegt wohl in dem Umstand, dass nicht eigentlich der Bürger, also das Stimmvieh, pardon, Stimmvolk, den Präsidenten wählt, sondern dass man dies einem Mann seines Vertrauens überlässt. Mit anderen Worten, der Wähler wählt jemanden, von dem er weiß, wen er zum Präsidenten wählen wird. Dieses System entstand im 18. Jahrhundert, weil man dem Bürger nicht zutraute, politisch tatsächlich mitreden zu können. Und überhaupt waren die Vereinigten Staaten, wie David Graeber in seinem Occupy-Buch ausführt, nie wirklich als Demokratie im heutigen Sinn konzipiert. Ob die Leute heute gescheiter sind, sei dahingestellt; wenn Menschen wählen dürfen, die sich ihr Weltbild von nachgerade widerlich geiferndem Gesindel wie den Fox News-Moderatoren prägen lassen, scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein, aber darum soll es hier nicht gehen.
Auch nicht darum, dass es laut dem Ökonomen Kenneth Arrow nicht nur keine gerechte Art der Stimmenauszählung gibt, sondern eine solche noch nicht einmal möglich ist. Und der Mann hat für diese Entdeckung oder besser gesagt für die mathematische Erkenntnis, die sie unter anderem ermöglichte, den Nobelpreis bekommen.
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Also belassen wir es bei unserem konkreten Problem: der Präsident wird nicht direkt von den Wählern gewählt, sondern von einem Wahlmännergremium oder »Electoral College«.1 Dieser Wahlausschuss sieht mengenmäßig derzeit genauso aus wie bei den letzten Wahlen, das heißt er besteht aus 538 Wahlmännern (»electors«). Diese Zahl entspricht der Zahl der Abgeordneten im Kongress (Repräsentantenhaus: 435; Senat: 100) plus drei Wahlmännern aus Washington D.C. Mit anderen Worten: Jeder Bundesstaat hat so viele Wahlmänner, wie er Abgeordnete in Washington hat.2
538 Wahlmänner, das bedeutet, dass ein gewählter Präsident 270 von ihnen auf sich vereinigen muss. Scheint erst mal recht klar, mehr ist mehr. Aber wir erinnern uns, mehr oder weniger vage: Im Jahr 2000 hatte Al Gore 543.895 Wählerstimmen (»popular votes«) mehr als Bush; das Wahlmännergremium (»electoral vote«) jedoch machte Bush mit 271 Stimmen gegenüber Gores 266 zum Präsidenten.
Wie das geht? Nun, da hilft nur »Amerikanische Wahlen für Dummies«.3
Also: Nochmal, die Stimmen des Wählers reichen nur bis zu den Wahlmännern. Dann schmeißt man sie über Bord. Der Präsidentschaftskandidat, der in einem Staat die meisten Wahlmänner auf sich vereinigen kann, kommt mit der Zahl der Wahlmänner (= Stimmenzahl) des ganzen Staats in die nächste Runde, die eigentliche Präsidentenwahl. Die Stimmen für den anderen Kandidaten in diesem Staat fallen unter den Tisch. »Winner-takes-all« (»Alles oder nichts«) heißt dieses Prinzip.
Drei Beispiele:
Mit anderen Worten, die tatsächliche Zahl der abgegebenen Stimmen wirkt sich zwar auf die Zahl der Stimmen im Wahlausschuss aus, kann aber bei knappen Wahlen eben letztlich schon mal eine untergeordnete Rolle spielen.
Für 2012, also die Wahlen der kommenden Woche, starten die Kandidaten die Schlacht ums Weiße Haus mit folgenden Zahlen:
Das Gespann Obama/Biden start mit 154 soliden Wahlmännerstimmen, dazu kommen 29, die ihn wahrscheinlich wählen und 18, die ihm mehr oder geneigt sind; macht insgesamt 201 Wahlmänner, die man erst mal Obama zurechnen darf.
Das Team Romney/Ryan startet mit 127 gesicherten Stimmen, 53 wahrscheinlich und 11 mehr oder weniger sicheren, macht insgesamt 191.
146 Wahlmännerstimmen sind definitiv noch unentschieden.6 Da heißt, im Reservoir dieser Unentschiedenen müssen die Kandidaten sich ihren Sieg erackern: Obama mindestens 69 Stimmen, Romney mindestens 79.
Knapp wird es in jedem Fall mal wieder., auch wenn der fiese Sturm dem beherzt helfenden Präsidenten einige Stimmen eingebracht haben dürfte. Oder vielleicht weniger der Sturm als New Yorks Bürgermeister Bloomberg als Sandys Wahlmann. Die Möglichkeit, dass wieder mal ein nicht gewählter Präsident zum Präsidenten gewählt wird, besteht allemal…
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