Ganz und gar nicht mit Ruhm bekleckert habe ich mich bei der Schlusskorrektur meiner ersten Übersetzung eines E‑Books. Mein lieber Scholli! Ich habe ja schon seit jeher großen Respekt vor den Leuten, die bei Verlagen das Produkt nach Rechtschreibfehlern durchsehen. Jetzt gilt das mehr denn je. Auch wenn es nicht eigentlich Rechtschreibfehler waren, die mir da unterlaufen sind. Aber was soll’s, auch ein fehlendes Wort oder ein doppeltes fallen unter »Fehler«. Der Leser will so etwas nicht sehen. Geschweige denn dafür bezahlen…
Nun ist natürlich guter Rat teuer, wenn man dem Autor einen ordentlichen Text zugesagt hat und sich bei halbem Honorar – das Produkt kostet nur € 2,89 – keinen Korrektor leisten kann. Das Ganze war als Versuch gedacht, als Experiment sozusagen; dass es ausgerechnet an ein paar popligen Fehlern scheitern sollte…
Was also soll man machen, wenn die Übersetzung an sich im zeitlichen Rahmen kein Problem wäre, sehr wohl aber der letzte Schliff? Ich habe hin und her überlegt, bis mir einfiel, dass ich schon immer etwas ausprobieren wollte: mir das Geschriebene vorlesen zu lassen.
Und die Stimmen an sich sind erstaunlich gut. Mit dem Lesen hapert’s dann wohl eher. Und hier vor allem mit der Aussprache bestimmter Wörter…
Aber sei’s drum. Ich habe nach einer knappen Stunde zugeschlagen und € 49 für einen deutschen Reader von linguatec angelegt. Und bei allen Moniten, die ich jetzt vorbringen könnte, ich habe bislang nicht einen Cent davon bereut.
Ich habe damit »Julia« erstanden, auch eine Lara, glaub ich, aber die hab ich noch nicht ausprobiert, weil mir Julias Stimme durchaus gefällt. Ihr Timbre, sag ich jetzt mal in Ermangelung eines besseren Wortes, ist das der Fernsehsprecherin; es geht einem auch bei der ganztägigen Arbeit mit ihr nicht auf den Geist.
Die Animation muss man ausblenden. Nicht nur stört sie bei der Arbeit, Julia ist optisch auch nervig impertinent, beginnt das Frauenzimmer doch sofort auf die Uhr zu sehen, wenn man ihr nicht bald was zu lesen gibt. Und dann zu gähnen. Und dann kratzt sie sich auch noch – nein, nein, keine Bange – am Rücken. Sorry, aber das war vor 20 Jahren witzig, als das alles noch neu war. Also, Animation ausblenden. Die Stimme allein ist okay.
Also, vorab zu den Moniten. Julia tut sich mit einer ganzen Reihe von Wörtern schwer; da schwankt die Aussprache zwischen der einer eher nervigen Sächsin und der einer charmanten Französin, was durchaus eine beträchtliche Bandbreite umfasst. Wirklich nervig wären dabei bestenfalls die Wörter, die merkwürdig auszusprechen es gar keine Grund gäbe.
Allen voran wäre da, wahrscheinlich auch weil’s im Text so oft vorkam: ständ für stand. Also englisch, auf gut Deutsch gesagt. Was vielleicht auch der Hintergrund für diesen Fehler ist, wird nämlich auch ein deutsches auf zu off, anders gesagt, viele au-Wörter zu Wörtern mit o. Ein simpler Satz wie Er stand auf wird also durch die Bank zu er ständ off. Was natürlich auch für ständ vor – ist stand vor – gilt. Das Laken – auf dem Bett – wird zum Läken, rackern zu räckern. Er, sie es half wird zu er, sie, es häff. Kinder in Lumpen werden zu Kindern in Lampen.
Natürlich gibt’s auch witzige wie etwa Untersuchungshaft, das zu Untersuchung-schäft wird – wie anno dunnemals John Shaft, sie verstehen? Recycelten wird zu rekükelten, überschattete zu übers-chattete und gotische Kirchen werden zu gattischen, was immer die sind. Aber vermutlich auch hier wieder der amerikanische Einfluss von got. Die Kampaknerkorken sind auch ganz witzig. Rumlaufen wird tatsächlich zu rumlofen; es hat ja auch wieder das au. Ach ja, die geranzelte Stirn hätte ich fast vergessen. Und die Probleme mit dem sch, so wird Rascheln zu Raskeln, Kreischen zu ….
Okay, Sie haben kapiert. Das aufzuzählen ist langweilig. Interessant wäre vielleicht noch die Anmerkung, dass das nicht etwa heißt, dass Julia die englischen Wörter drauf hätte. Cambridge etwa wird zu Cambrid-g‑e mit de ge, alles klar?
Egal, da muss wohl noch was passieren. Es ändert aber erst mal wenig an meinem Erstaunen darüber, was Julia kann – auch wenn ich jetzt nicht die Stürmischen Höhen aus ihrem Mund hören will. Aber dazu habe ich sie ja nicht gekauft. Für meinen Zweck, mir meine Arbeit vorlesen zu lassen, sind die Aussprachefehler erst mal zu vernachlässigen; sie führen eher dazu, dass man genauer hinschaut.
Und darauf will ich eigentlich hinaus: Man kann sich die Augen rausschauen, in einem Text, den man selbst verbrochen und so oft gelesen hat, findet man seine Fehler nur bedingt; wie gesagt, es geht hier nicht um Orthographie. Und bin ich von Julia begeistert: Was da in bereits öfter Korrektur gelesenen Texten herging, ist einfach unglaublich! Allein die fehlenden Wörter, also Satzlücken – jetzt hört man sie plötzlich. Beim Selberlesen setzt der Verstand sie einfach stillschweigend ein. Doppelte Wörter sowieso. Hört man sofort.
Die konkrete Vorgehensweise ist die einer jeden anderen Korrektur auch: ein Ausdruck des Textes und ein Lineal, mit dem den Text zeilenweise durchgeht. Nur dass man eben nicht selber liest. Was wiederum ein erstaunlicher Effekt ist. Dreißig Jahre denke ich mir nun: Wenn ich das jetzt auch nur noch ein einziges Mal lesen muss, drehe ich durch! Das fällt hier völlig flach. Julia liest und zieht einen mit. Das kann man Absatz für Absatz so oft machen, wie mal will. Kein Problem. Keine Aversionen.
Ein eher erhebliches Manko, das mir hier noch einfällt, was die Software von linguatec angeht, ist die lausige Tastatur-Unterstützung. Schon mal weil man heute seine Kurztasten selber bestimmen will. Nur ein blutiger Amateur braucht ständig die Maus oder will ständig danach greifen. Das Abspielen mit gedrückter rechter Maustaste, selbst wenn es beim zehnten Versuch endlich geht, ist ein rechter Quatsch. Dass ich den Reader nicht anhalten und dort weitermachen kann, wo ich angehalten habe, ist ein Witz. Julia fängt immer wieder von vorne an. Egal ob Sie sich nun den Brief an die Oma vorlesen lassen oder ein Buch. Und im letzteren Fall geht das einfach nicht.
Ich habe mich dadurch beholfen, mein altbewährtes AutoHotKey ins Spiel zu bringen. Im Zusammenspiel mit Julias Direct Reader liest Julia mir nun auf Kurztaste jede gewünschte Passage, jeden gewünschten Satz vor. So oft ich nur will. Aufgerufen wird das Programm bei mir – wie alle anderen auch – mit einem Hotkey. Da macht die Arbeit mit Julia dann so richtig Spaß.
Wichtig wäre jetzt nur, Julia schon früher ins Spiel zu bringen, um Fehler schon im Vorfeld zu minimieren. Also spätestens nach jedem Absatz bzw. nach jeder Änderung, da meiner Analyse nach praktisch alle meine Fehler durch das Umstellen von Sätzen entstehen.
Okay, natürlich kann es bessere Vorleserinnen geben. Da werde ich mich bei Gelegenheit noch umsehen. Vielleicht legt ja auch Julia zu. Aber das Prinzip, das sei jedem gesagt, der sein Geld mit Schreiben verdient, ohne dass er nun beruflich Korrektor ist, das kann ich jedem ans Herz legen. Probieren Sie’s aus.
Und hinterlassen Sie mir doch einen Kommentar oder gar einen Tipp, was Ihre Erfahrungen mit einschlägiger Software angeht.
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Bei amazon wär’s günstiger gewesen, sehe ich gerade:
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