Ver­ren­kun­gen auf der »Finanz­klip­pe« – ein Nachschlag

Seit einer Woche wird hier­zu­lan­de in den bes­se­ren Blät­tern mas­siv von etwas gefa­selt, was kei­ner so recht ver­ste­hen will. Was nicht zuletzt dar­an liegt, dass man einem der ältes­ten Über­set­zungs­feh­ler auf­ge­ses­sen, oder soll­te ich sagen, auf sel­bi­gen »auf­ge­lau­fen« ist? Ich spre­che von der mys­te­riö­sen »Finanz­klip­pe«, »Haus­halts­klip­pe«, »Fis­kal­klip­pe« oder wie immer man es nen­nen will. Das Pro­blem ist nur, dass Mist lei­der so oft popu­lä­rer weil irgend­wie auf den ers­ten Blick schein­bar grif­fi­ger ist. Obwohl man sich bei genaue­rer Betrach­tung eben doch nichts drun­ter vor­stel­len kann…

Ich hab’s hier am Neu­jahrs­mor­gen schon ange­spro­chen, emp­feh­le also, even­tu­ell erst mal dort nach­zu­le­sen. Dann brauch ich’s nicht noch mal zu sagen und man kann die Ver­ren­kun­gen, die man sich die­ser Tage rund um die­se »Klip­pe« antut, erst so recht goutieren. 

In der SZ vom Wochen­en­de 1 schlägt man die »Haus­halts­klip­pe« als Wort des Jah­res 2012 vor. Was durch­aus Hand und Fuß hat. Pro­ble­me habe ich aller­dings mit der Behaup­tung, es sei dies ein »merk­wür­di­ger Begriff, unter dem sich bis heu­te auch die meis­ten Ame­ri­ka­ner nichts vor­stel­len können«. 

Das stimmt schon mal ganz ent­schie­den nicht. 

Der Begriff »fis­cal cliff« ist sehr wohl ein Bild, unter dem sich jeder Ame­ri­ka­ner etwas vor­stel­len kann, auch der letz­te. »Vor­stel­len« ist schließ­lich nicht gleich »ver­ste­hen«. Auch unse­re hei­mi­sche Poli­tik han­tiert mit Dut­zen­den von grif­fi­gen Bil­dern, unter denen man sich sehr wohl etwas vor­stel­len kann. Sie kön­nen uns Angst machen; wir müs­sen sie dazu mit­nich­ten ver­ste­hen. Eben­so­we­nig muss der Ame­ri­ka­ner ver­ste­hen, was genau nun tech­nisch mit dem Begriff »fis­cal cliff« gemeint ist. Was er sieht ist das Bild, und das ist eben, wenn man das Wort »cliff« rich­tig über­setzt, die »Steil­wand«, die »Steil­küs­te« oder eben bild­lich der »Abgrund«. Nie­mand wird behaup­ten wol­len, es gäbe auch nur einen Ame­ri­ka­ner, der nicht weiß, was ein Abgrund und wie gefähr­lich ein sol­cher ist. Dazu muss er nicht die Fines­sen der ame­ri­ka­ni­schen Haus­halts­po­li­tik verstehen. 

Schwie­rig­kei­ten mit dem Ver­ste­hen hät­te der Ame­ri­ka­ner aller­dings mit Sicher­heit, läse ihm jemand vor, was er auf die­ser Klip­pe und um sie her­um angeb­lich so treibt. So heißt es in der SZ:

Der Sturz über die Klip­pe wur­de letzt­lich verhindert. 

Ich darf noch­mal den Duden bemühen:

Klip|pe, die; -, ‑n [mnie­derl. clip­pe, verw. mit Kliff]: gro­ßer Fels­block im Meer in der Nähe der Küs­te: eine K. ragt aus dem Meer her­aus; an den ‑n zer­schel­len; ein Schiff durch tücki­sche ‑n steu­ern; Ü in der Prü­fung alle ‑n (Schwie­rig­kei­ten) geschickt umge­hen, umschif­fen, über­win­den; Ich weiß nicht, wer sich um uns geküm­mert hat, ob es … Mili­tär­an­ge­hö­ri­ge waren, die uns durch all die ‑n schleus­ten (Erné, Kel­ler­knei­pe 249). 2

Um über eine Klip­pe zu stür­zen – im Deut­schen wür­de man eher stol­pern sagen – müss­te man also im Meer, nein, auf dem Meer die Küs­te lang­ge­hen, zu Fuß, ver­steht sich – wie einst Jesu auf dem See –, da ein Schiff, das auf eine Klip­pe auf­lau­fen – und drü­ber stür­zen – könn­te, … sor­ry was? nicht eigent­lich geht. 

Dann heißt es:

Washing­tons Tanz auf der Haus­halts­klip­pe erin­nert an wen?

Das ist wohl durch­aus mög­lich und wür­de mich, könn­te ich ein biss­chen zeich­nen, zu eini­gen net­ten Kari­ka­tu­ren inspi­rie­ren. Aber was bit­te soll­te man mit die­sem Bild ver­bin­den: Es tanzt jemand auf einem Fels, der vor der Küs­te aus dem mehr ragt. Könn­te er ins Was­ser fal­len? Schön, aber die paar Meter, wenn über­haupt, wür­den ihn bes­ten­falls ordent­lich nass wer­den las­sen, wei­ter nichts. Das Bild beinhal­tet nicht die Spur des Hor­rors, den der Tanz am Abgrund mit sich bringt, der hier gemeint ist.

Wit­zi­ger­wei­se wider­spre­chen sich die bei­den deut­schen Sät­ze. Der »Sturz über die Klip­pe« wür­de die Bedeu­tung des eng­li­schen Wor­tes »cliff« sug­ge­rie­ren, also einen Abgrund (oder denkt der Autor an einen »Stol­per­stein«?); der »Tanz auf der Klip­pe« beschwört das deut­sche Wort »Klip­pe« in sei­ner deut­schen Bedeutung.

Und um mal die Gegen­pro­be zu machen, was für den Über­set­zer fast schon auto­ma­tisch dazu­ge­hört: Unse­re »Klip­pe« ist im Eng­li­schen ein, ja doch, ein »rock«. Wenn man im Eng­li­schen von einer »Klip­pen­küs­te«, d.h. einer »klip­pen­rei­che Küs­te« spricht, dann ist das »a rocky coast­li­ne«.

Wie auch immer, pikan­ter­wei­se hät­te sich hier eine noch wört­li­che­re Über­set­zung ange­bo­ten, die es genau getrof­fen hät­te. Es gibt näm­lich im Deut­schen, zumin­dest bei den Muschel­schub­sern im hohen Nor­den – die’s aber wohl wis­sen soll­ten, den Begriff »Kliff«:

Kliff, das; -[e]s, ‑e [mnie­derd. klif= schrof­fer Fel­sen, wahrsch. im Sin­ne von glat­ter, schlüpf­ri­ger Fel­sen zu dem unter Klei genann­ten Verb mit der Bed. kle­ben; schmie­ren gehö­rend] (bes. nordd.): stei­ler Abfall einer [fel­si­gen] Küs­te.3

 

 

 

 

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