Bei dem weltbürgerlichen Zuge, der den Deutschen innewohnt, ist es eine bereits stehend gewordene Eigenthümlichkeit derselben, daß sie bei jeder neuen Erfindung, bei der Einführung eines neuen Gegenstandes oder einer neuen Beschäftigung sofort bereit sind, ein Fremdwort, am Liebsten ein griechisches dafür zu wählen, anstatt in ihrem eigenen, gewiß nicht armen Sprachschatze das bezeichnende Wort dafür zu suchen. So kommt es, daß ungeachtet die Zeit unserer Musterschriftsteller längst vorüber, wir dennoch zu der Last der bereits übermäßig wuchernden Fremdwörter noch immer neue hinzufügen, wodurch die Versuche einer allmäligen Sprachreinigung in’s Unendliche erschwert werden. Diese Vorliebe für fremde Ausdrücke, oder vielmehr die Angewöhnung derselben, wird schon in den untersten Schulen gepflegt. Man lehrt die Kinder addiren, subtrahiren, mulitipliciren und dividiren, als ob es nicht einfach und verständlicher wäre, sie zusammenzählen, abziehen, verfielfältigen und theilen zu lehren. Auch die Mittelschule, namentlich jene, die sich vorzugsweise mit alten Sprache beschäftigt, legt keine Werth drauf, die übrigen Fächer von herkömmlichen lateinischen und griechischen Benennungen zu säubern, wozu sich doch häufig genug Gelegenheit fände. Man arbeitet in »Vocabeln« weiter, die Schüler werden »locirt« und »examiniert« und obgleich die Austretenden ein Zeugniß der Reife erhalten, spricht man doch nur von »Abituerienten« [und ] »Maturitätsprüfung.« Von da geht’s auf die »Universität.« Man läßt sich keineswegs eintragen, sondern »Immatriculiren« und »inscribiren.« Man bekommt einen »Inder«, zahlt beim »Quästor« und läßt »testiren.« Man besucht »Colloquien und wird schließlich »ap- oder »reprobirt«.
Wir besuchen Theater und Concerte, die Oper und den Circus; wir haben eine Menagerie und ein Aquarium, Museen und Panoramken, Bibliotheken und Apotheken – Dinge, die sehr fremd klingen, daß es einem ordentlich wohl thut, daß wir auch Rathhaus, eine Schatzkammer und ein Künstlerhaus besitzen. Wir sprechen von »antiker« schönheit und »patriarchalischen« Sitten, als gebe es nichts Alterthümliches und Erzväterliches mehr. Der Arzt besucht eher zehn »Patienten,« bevor er einen »Kranken« heilt. Die Vaterlandsliebe kann vor »Patriotismus« kaum zu Worte kommen. Auch sind uns vor lauter Professoren fast die Lehrer abhanden gekommen und der kleinste »Student« läßt sich nicht gerne Schüler nennen. Wir haben zwar Aussteller von Wechseln, aber keine Annahmer, sondern nur »Acceptanten«; man kann auch gegen Wechsel keine Einwendung erheben, sondern muß »Protest« laviren lassen. Die Handlungsdiener sind alle Commis geworden und die Lehrlinge Practikanten. Die Banken sprechen nicht von ihren Kundenkreise, sondern nur von ihrer Clientel. Der »Confectionär« hat den Frauenschneider verdrängt und wer mit mehr oder minder ausgesuchten Eßwaaren handelt, wird sofort zum »Delicatessen«-Händler. Man fährt lieber mit dem »Tramway« als auf der Pferdebahn. Wenigstens hat diese »Haltestellen«, während die großen Eisenbahnen ihre »Stationen« haben und nur jene Plätze als Haltestellen bezeichnen, die keine eigentlichen Stationen sind. Jedenfalls eine eigenthümliche Logik.
Unsere Schauspieler beziehen keinen Gehalt, sondern eine »Gage,« keine Spielvergütung, sondern ein »Spielhonorar.« man hält dort auch noch bis heute fest am »Regisseur« und »Souffleur,« als gäbe es keinen Bühnenleiter und als wüßten wir nicht noch von der untersten Schule her, was »Einsager« heißt. Selbst für die untersten Darsteller ist man noch bei den »Comparsen« geblieben. Nur den Zettelträger und den Lampenanzünder hat man in ihrem schlichten, deutschen Gewande belassen. Auch der »Vorhang« ist heimisches Erzeugniß. Dagegen war man nicht im Stande, Decorationen und Coulissen abzuschaffen. Auch alle Plätze des Schauspielhauses sind durchaus französisch geblieben. Man versammelt sich im »Vestibule,« ergeht sich im »Foyer,« besucht eine »Loge«, sitzt im »Parterre« aber auf den »Galerien.«
Wie man sieht, stecken wir hauptsächlich fest im Französischen. Selbst der gemeine Mann geht in die »Visite«, macht eine Land-»partie« und gibt sich mit seiner Schönen ein »Rendevous«. In den höheren Schichten umfängt uns der »Salon« und die »Etikette«. Man zieht sich nicht an, sondern macht »Toilette«, man spricht nicht, sondern »conversiert«, und wird ein Ball gegeben, dann ist dessen Mittelpunkt das »Souper« und der »Cotillon«. Selbst unsere deutschesten Zeitungen haben ihren »Redacteur« und können ohne »Metteur-en-pages« nicht bestehen. Sie bringen »Artikel«, »Correspondenzen«, »Notizen« und ein »Feuilleton.« Auch spricht man auf ihren »Bureaux« nicht von Abnehmern und Einschaltern , sondern nur von »Abonnenten« und »Inserenten«.
Wollten wir uns erst in das staatliche Gebiet und zu den verschiedenen Wissenszweigen begeben, dann kämen wir selbst mit flüchtigen Bemerkungen nicht zu Ende. Allerdings hat die Sache, gerade in letzterer Beziehung, auch ihre Kehrseite. Der Kreis der Gelehrten, der viele [unlesbar] ursprünglich aufgetreten, fast unverändert beibehalten. Es wurden zwar auch hier von verschiedenen deutschen Meistern einige schüchterne Versuche gemacht, um dem Ueberwuchern des fremden Ausdrucks Schranken zu setzen, aber das Meiste bleibt noch zu thun übrig.
So stehen wir denn, wir mögen was immer für ein Gebiet berühren, daß das stolze Wort des Dichters: »Soweit die deutsche Zunge klingt« nur mit mancher wesentlichen Einschränkung zu verstehen ist. Mag daher der Deutsche noch so stolz auf die hohe Entwicklung seiner Sprache sein, immerhin müssen wir zugeben, daß dieselbe weit über das Bedürfniß von fremden Pflanzen überwuchert ist und daß es noth thut, den bei uns niemals sehr stark hervortretenden Sinn für Sprachreinheit von Zeit zu Zeit zu erwecken, um nicht mir der großgezogenen Abhängigkeit von aller Herren Sprachen das Selbstgefühl und die Liebe für die eigene Sprache zu ertödten. Tritt das berührte Gebrechen auch weniger im Schriftwesen zutage, so zeigt es sich um so vordringlicher in der Umgangssprache, im Verkehre des täglichen Lebens, und in unzähligen Fällen scheint die Frage gerechtfertigt: »Stephan, wo bleibst du?«
(F. Gernerth in der R. Fr. Pr.)
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