Klo­big, klo­bi­ger, Übersetzung

Ich nei­ge als Über­set­zer durch­aus dazu, zu viel »des Guten« – ob’s dann eben noch gut ist? – zu tun, aber mei­ne ers­te Regel ist immer, den Gedan­ken hin­ter den Wör­tern zu über­set­zen und das in ein dem jeweils gefor­der­ten sprach­li­chen Niveau ent­spre­chen­des Deutsch. Alles, bloß nicht, ja »undeutsch« klingt so vor­be­las­tet, also nen­nen wir es klo­big, unge­lenk, höl­zern, sper­rig oder ein­fach unidio­ma­tisch. Nur fin­det man sol­che unidio­ma­ti­schen Lösun­gen lei­der viel zu oft…

Ein Griff in ein belie­bi­ges Regal mit über­setz­ten Büchern älte­rer Jahr­gän­ge zeigt, dass es immer schon eine gan­ze Rei­he von Mög­lich­kei­ten gege­ben hat, um a) dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es sich um eine Über­set­zung han­delt und um b) den Über­set­zer zu nen­nen.1

    Aus dem Eng­li­schen über­setzt von…
    Aus dem Eng­li­schen von…
    Aus dem Ame­ri­ka­ni­schen übertragen…
    Über­tra­gung von…
    Deutsch von…
    Über­setzt von…
    Deut­sche Über­set­zung von…
    Ins Deut­sche über­setzt von…
    Berech­tig­te Über­tra­gung von…
    Ins Deut­sche über­tra­gen von…
    Berech­tig­te Über­set­zung von …

Nun sieht es heu­te ganz so aus, als hät­te man so gut wie alle die­se Mög­lich­kei­ten ver­wor­fen zuguns­ten eines »Aus dem Eng­li­schen von…« oder des eher alber­nen »Aus dem ame­ri­ka­ni­schen / aus­tra­li­schen etc. Eng­lisch von…«. Kei­ne Ahnung, wer Letz­te­res erson­nen hat, aber mit eini­ger Sicher­heit ist nir­gend­wo mehr davon die Rede davon, dass ein Buch »ins Deut­sche« über­setzt sei.

Man könn­te sich jetzt natür­lich süf­fi­sant zu dem Schluss ver­stei­gen, dahin­ter wir­ke unbe­wusst die Ahnung, Über­set­zun­gen sei­en mitt­ler­wei­le durch die Bank so lau­sig gewor­den, dass man den Leser nicht dahin­ge­hend belü­gen möch­te, das Buch lie­ge jetzt tat­säch­lich in deut­scher Spra­che vor, aber eine Ver­lags­welt, die beim Über­set­zen gleich sei­ten­wei­se streicht und dann unge­niert »Unge­kürz­te Aus­ga­be« unter den Titel knallt, wäre dazu nun sicher nicht ehr­lich genug, und dann waren Über­set­zun­gen immer schon manch­mal gut, meist mit­tel­mä­ßig, manch­mal schlecht und…
… ja, vor allem immer wie­der viel zu wört­lich bis hin zu einer Klo­big­keit so unge­lenk, dass man wirk­lich nur noch von deut­schen Wör­tern spre­chen kann, nicht aber von »Deutsch«. Manch­mal fragt man sich wirk­lich, wie dem Betref­fen­den der Schna­bel gewach­sen sein muss…

Kurz­um, ob’s nun außen drauf­steht oder nicht, ein Buch soll­te »ins Deut­sche« – in die deut­sche Spra­che über­setzt – sein, ob nun in eine mehr oder weni­ger exis­ten­te Umgangs- oder eine lite­ra­ri­sche Spra­che spielt dabei über­haupt kei­ne Rol­le, bei­de zeich­nen sich dadurch aus, dass man sie als ordent­li­ches, idio­ma­ti­sches Deut­sche erkennt. Dass heu­te unter dem Ein­fluss von nun­mehr drei Jahr­zehn­ten lau­sig aus dem Eng­li­schen syn­chro­ni­sier­ter Fil­me und TV-Seri­en merk­wür­di­ge Klo­big­kei­ten dem Ohr gan­zer Gene­ra­ti­on zu schmei­cheln schei­nen, die ent­spre­chend jede holp­ri­ge Flos­kel als hip­pes Acces­soire in ihren feschen Wort­schatz auf­neh­men, ändert dar­an auch nichts – auch wenn Über­set­zun­gen unter dem Strich dar­un­ter lei­den. Aber wie gesagt, unge­wollt unge­lenk und höl­zern – »unge­wollt« des­halb, denn es lässt sich damit durch­aus eine Figur sprach­lich cha­rak­te­ri­sie­ren – ist nicht neu, und nur dar­um soll es hier gehen.

Mir fiel beim Abstau­ben die wirk­lich schö­ne alte Buch­club­aus­ga­be von Le Car­rés Spi­on, der aus der Käl­te kam in die Hän­de2 und nach­dem ordent­lich drü­ber­ge­bla­sen war, begann ich drin zu blättern.

Als ers­tes fiel mir fol­gen­der Satz auf:

»Hol­ten schien nicht der Mei­nung zu sein, daß Liz vie­le Mög­lich­kei­ten zu einer Ent­schei­dung hatte.«

Ein dickes Fra­ge­zei­chen über dem Kopf ließ ich den Staub Staub sein, such­te mir das Ori­gi­nal her­aus und setz­te mich an den Schreib­tisch. Im eng­li­schen Text fand ich da:

»Hol­ten didn’t seem to con­sider Liz had much choice.«

»Mög­lich­kei­ten zu einer Ent­schei­dung« für »choice« ist vom Wort­schatz her sicher schon mal kei­ne glück­li­che Lösung, aber das eigent­li­che Pro­blem ist, dass man kei­ne Ahnung hat, wovon die Rede ist, und die Phra­se oben­drein einer Kon­struk­ti­on die Kro­ne auf­setzt, die ohne­hin schon viel zu klo­big, ja eben unidio­ma­tisch ist. Und dabei ist der Satz doch im Ori­gi­nal so kurz und bün­dig und, wenn auch vom Satz­bau­plan unge­wöhn­lich, recht schlicht.3 Vor allem aber ist er umgangs­sprach­lich, was man der deut­schen Lösung nun schwer­lich nach­sa­gen kann. Sowohl Haupt- als auch Neben­satz gehö­ren kräf­tig abge­speckt. Eine Lösung wie »Hol­tens Ansicht nach schien Liz nichts ande­res übrig zu blei­ben.« hät­te es vom Niveau wie vom Inhalt her völ­lig getan.

Ich blät­te­re ein biss­chen wei­ter und finde:

»Ich hät­te gar nicht anders gekonnt, als es zu wissen.«

Uff‽

Im Ori­gi­nal heißt es da:

»If Mundt had been one of our peo­p­le, I would have known. I couldn’t have hel­ped knowing.« 

Auf Deutsch wür­de man wohl sagen: »Wie hät­te ich das nicht wis­sen sol­len?« »Wie hät­te ich das nicht wis­sen kön­nen?« »Wie hät­te mir das ent­ge­hen sol­len?« bis hin zu »Das hät­te ich doch gewusst.«

In mei­ner Daten­bank habe ich bereits eine ähn­li­che kom­pli­zier­te und eben­falls alles ande­re als umgangs­sprach­li­che Lösung bei Tho­mas Pynchon:

»Hät­te gar nicht umhin­ge­konnt, es zu wis­sen, Herr des Him­mels.«4

für

»Could not have hel­ped kno­wing, God sakes.«

Umgangs­spra­che wie im Eng­li­schen ist das im Deut­schen nicht.

Ich blät­te­re noch ein biss­chen im Spi­on aus der Käl­te:

»›Aber sie lie­ßen mich dich lie­ben‹, sag­te sie schließ­lich. ›Und du lie­ßest mich an dich glau­ben und dich lieben.‹«

für

»›But they let me love you,‹ she said at last. ›And you let me belie­ve in you and love you.‹«

»Du lie­ßest…« Sagt man so was außer­halb der ver­staub­ten Buch­de­ckel deut­scher Klas­si­ker? Ich wür­de sagen, das ist in der deut­schen Umgangs­spra­che ein kla­rer Fall fürs Per­fekt. Es ist ein­fach idiomatischer.

Mitt­ler­wei­le sta­peln sich rechts und links von mir Über­set­zun­gen mit ihren Ori­gi­na­len. Im Dau­men­ki­no kann man die deut­schen Fas­sun­gen durch­ge­hen. Bei James Pat­ter­son sto­ße ich auf:

»Der Sani­tä­ter am Steu­er hielt nicht an, schien an das Anhal­ten nicht ein­mal zu denken.«

für

»The dri­ver and medic did­n’t stop, did­n’t seem to con­sider stop­ping.«5

»Ich den­ke nicht an das Anhal­ten…« Gemeint ist wohl, dass »er noch nicht mal dran dach­te anzu­hal­ten«, dass »es ihm erst gar nicht in den Sinn kam anzu­hal­ten«. Oder um das »seem« nicht unter den Tisch fal­len zu las­sen: »Anzu­hal­ten schien ihm noch nicht mal in den Sinn zu kom­men.« In die­sem Fal­le wür­de sich anbie­ten: »…, schien noch nicht mal dran zu denken.«

Bücher sind genü­gend da.

»Con­sider« springt mir immer wie­der ins Auge. Ein zer­fled­der­tes Pär­chen Taschen­bü­cher von Patri­cia Briggs birgt eine ordent­li­che, weil idio­ma­ti­sche deut­sche Lösung:

»Das hat­te ich ver­ges­sen – sie schie­nen es nicht für son­der­lich wich­tig zu halten.«

für

»I’d for­got­ten that–they didn’t seem to con­sider it to be of much importance.« 6

Na also.

Aber gleich vor­her lese ich:

»›Ein Sol­dat?‹ Sie dach­te über die Idee nach.«

für

»›A sol­dier?‹ She con­side­red the idea.«

Wenn ich »über­le­ge«, ob es sich bei mei­nem Gegen­über wohl um einen Sol­da­ten han­delt, ist das kei­ne »Idee« – weder im pla­to­ni­schen Sin­ne, noch in dem eines »Leit­bil­des«, noch des »schöp­fe­ri­schen Gedan­kens« oder eines »guten Ein­falls«,7 schon gar kei­ne, über die sich groß »nach­den­ken« ließe.

Das letz­te Bei­spiel zeigt zwei­er­lei: Das lite­ra­ri­sche Niveau spielt eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le bei der Qua­li­tät der Über­set­zung, es kommt auf den Über­set­zer – und den Lek­tor – an, und bei jedem Über­set­zer kann auf eine ordent­li­che Lösung sofort eine weni­ger glück­li­che fol­gen und umge­kehrt. Trotz­dem, manch­mal will’s einem ein­fach nicht in den Kopf, wie »undeutsch« man sich als Deut­scher aus­drü­cken kann, kaum dass man etwas in sei­ne Mut­ter­spra­che über­set­zen soll. Wür­de man selbst so schrei­ben? Ach was…

 

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  1. Vor­aus­ge­setzt, dass die fünf, sechs Zei­len Titel­ei den ver­lags­sei­tig dafür Ver­ant­wort­li­chen nicht der­art über­for­dern, dass er ein­fach dar­auf ver­gisst… []
  2. John le Car­ré, Der Spi­on, der aus der Käl­te kam. Über­setzt von Chris­ti­an Wes­sels und Man­fred von Con­ta. Ori­gi­nal­ti­tel: The Spy who Came in from the Cold []
  3. ein­schlä­gi­ge Valenz­ta­bel­len – wie die von Herbst oder Rei­chardt – füh­ren die Kon­struk­ti­on jeden­falls nicht auf []
  4. Tho­mas Pyn­chon, Gegen den Tag. Deutsch von Niko­laus Stingl und Dirk van Guns­te­ren []
  5. James Pat­ter­son, Denn zum Küs­sen sind sie da. Titel des Ori­gi­nals: Kiss the Girls. Aus dem Ame­ri­ka­ni­schen von Diet­lind Kai­ser []
  6. Patri­cia Briggs, Raben­zau­ber. Raven’s Shadow. Deut­sche Über­set­zung von Regi­na Win­ter []
  7. ich bezie­he mich auf die drei Defi­ni­tio­nen für »Idee« aus dem Duden – Das gro­ße Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che []
SlangGuy

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