Geht’s auch auf Deutsch?

Die Stein­chen für das plan­lo­se Mosa­ik mei­nes klei­nen Ver­suchs, hier etwas über den der­zei­ti­gen Stand des Über­set­zens zu sagen, pras­seln mir nur so aufs zum Sor­tie­ren gebeug­te Haupt. Unmög­lich, sie alle auf­zu­sam­meln. Aber ande­rer­seits hagelt es dabei der­art Dublet­ten, dass das auch gar nicht nötig sein wird. Das erahn­te Bild lässt sich auch mit typi­schen Bei­spie­len her­aus­ar­bei­ten. Ver­mut­lich gestal­tet sich mein Mosa­ik aber noch kon­fu­ser, par­don, abs­trak­ter als »geplant«, eher in Rich­tung expres­sio­nis­ti­scher Bild­haf­tig­keit denn als foto­rea­lis­ti­sche Dar­stel­lung – aber womög­lich ist das ja auch pas­sen­der, geht es mir doch um die Dar­stel­lung wort­ge­wor­de­nen Grauens.
*

Zu geschwol­len? Na, was wol­len Sie um fünf Uhr mor­gens schon groß erwar­ten? Nach gra­de mal einem Becher Kaf­fee? Und bezahlt werd ich schließ­lich auch nicht dafür. Aber von mir aus, wenn Sie drauf bestehen, neu­er Titel:

Ich glaub, mein Schwein pfeift La Palo­ma! oder Klei­nes Plä­doy­er für das Nach­schla­gen im Wörterbuch.

*

Eigent­lich woll­te ich in die­ser Fol­ge »pro­ak­tiv« – um mal mit einem mei­ner roten Tücher zu wer­fen – dar­auf hin­wei­sen, dass es mir nicht um Über­set­zungs­feh­ler an sich, oder bes­ser, um Über­set­zungs­feh­ler ein­zel­ner Leu­te geht,1 son­dern um einen – gera­de im Zeit­al­ter der Unsi­cher­heit ange­sichts gras­sie­ren­der Fake-News2 – fata­len Trend, aber ver­mut­lich ist es inter­es­san­ter oder über­haupt sach­dien­li­cher, hier am Puls der Zeit zu arbeiten.

Da ver­stei­fe ich mich eben noch auf das Eng­li­sche, was Über­set­zungs­feh­ler anbe­langt, weil es mir der Haupt­übel­tä­ter bei besag­tem Trend zum unidio­ma­ti­schen Deutsch auf­grund lau­si­ger Über­set­zun­gen scheint,3 da gibt es über­set­zungs­tech­ni­schen Quatsch bei einem Zitat von der ande­ren Sei­te des Rheins. Fran­zö­sisch ist nicht die Spra­che, aus der ich über­set­ze, aber das eine oder ande­re habe ich vom Stu­di­um her durch­aus noch in Erin­ne­rung. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, was einem da um fünf Uhr mor­gens beim ers­ten Eimer Kaf­fee ent­ge­gen­kommt, muss doch selbst jeman­dem auf­fal­len, der noch nicht mal Fran­zö­sisch kann: »Mach dein Schwein öffent­lich«? Ich bit­te Sie.

»Auch Frank­reich führt seit eini­gen Wochen im Zuge der ›MeToo‹-Kampagne eine hit­zi­ge Debat­te über sexu­el­le Beläs­ti­gung und Gewalt gegen Frau­en. Unter dem Hash­tag ›#Balance­ton­porc‹ (etwa: “Mach dein Schwein öffent­lich”) wur­den Hun­der­te Fäl­le von angeb­li­chem oder wirk­li­chem Fehl­ver­hal­ten bekannt.«4

Nur neben­bei: auf Aus­re­den wie »etwa« oder dies und jenes »heißt auch« wer­den wir noch zu spre­chen kom­men müs­sen. Was es mit die­sem #balance­ton­porc auf sich hat, ist im Zitat ja bereits gesagt, nur mit der Über­set­zung hapert es. Also ein Blick in den Larous­se:

balan­cer Popu­lai­re. Dénon­cer quel­qu’un à la poli­ce.5

Das Wik­tionaire war­tet Augen­bli­cke spä­ter bereits mit dem Zitat auf! Man stel­le sich vor: In unse­ren guten alten Wör­ter­bü­chern hät­ten anno dun­nemals sich über Nacht plötz­lich Neu­zu­gän­ge ein­ge­schli­chen!6

balan­cer (Argot) Dénoncer.
Je dois aus­si m’en­fon­cer dans la tur­bi­ne les con­seils de mes deux bavards – con­seil­leurs nabots –, qui ne sont pas du tout chau­dards, du tout, pour me lais­ser balan­cer les vrais patro­ny­mes. — (Gérard Vin­cent, Mer­ci mon­sieur le juge !: Un témoignage cap­ti­vant, Le Tex­te Vivant, 2016)
Cet­te for­mi­da­ble recon­nais­sance mar­que le début d’une nou­vel­le ère : cel­le de la paro­le libé­rée et de l’écoute. Il s’agit d’en fai­re bon usa­ge et de ne pas balan­cer pour balan­cer. — (San­dra Mull­er, « La jour­na­lis­te San­dra Mull­er revi­ent sur le phé­nomè­ne #balance­ton­porc qu’elle a lan­cé », Le Mon­de. Mis en ligne le 30 décembre 2017)

Ein rascher Blick in ein zwei­spra­chi­ges Wör­ter­buch hät­te völ­lig genügt:

balan­cer b) arg (dénon­cer) F j‑n verpfeifen

heißt es in der CD-Ver­si­on des Lan­gen­scheidt Hand­wör­ter­buchs Fran­zö­sisch; inter­es­san­ter­wei­se führt die­se Bedeu­tung der gute alte Sachs-Vil­lat­te in sei­ner (oder mei­ner zu alten?) Print­ver­si­on noch nicht auf… ce qui me fait bizar­re

Und nur der Voll­stän­dig­keit halber:

porc 4. fig et péj d’un hom­me Schwein(igel) n(m)

Die Tages­schau macht das ordentlich:

»Statt­des­sen ergreift Deneuve Par­tei für die armen Män­ner, die Opfer von #metoo oder der fran­zö­si­schen Ent­spre­chung “balance­ton­porc” – “ver­pfeif dein Schwein” — gewor­den sind.«

Wie auch immer: das ent­spricht einem Ver­dacht, dem ich hier nach­ge­hen woll­te: Neh­men es Inter­net-Fir­men weni­ger genau mit der Über­set­ze­rei als gestan­de­ne Medi­en. Aber da mich gera­de der stän­di­ge Mist aus SZ und Spie­gel auf die­se Kolum­ne gebracht hat, liegt es viel­leicht eher am jewei­li­gen Über­set­zer. Sind das womög­lich jün­ge­re Leu­te, die bei all den Mög­lich­kei­ten, die das Web bie­tet, ein­fach nicht ins Wör­ter­buch schau­en wol­len? Weil sie ohne­hin alles wis­sen? Weil Sie in ihrem ach so akti­ven Life­style und ange­sichts eines voll und ganz auf die Kar­rie­re fixier­ten Blicks kei­ne Zeit für so alt­mo­di­schen Quatsch wie Gründ­lich­keit oder über­haupt was Bes­se­res zu tun haben? Oder sind sie sprach­lich bereits der­art ver­bil­det, dass sie »mach dein Schwein öffent­lich« tat­säch­lich für einen deut­schen Satz halten?

Aber ich rude­re da erst mal lie­ber wie­der zurück. Sam­meln wir erst noch mal Mate­ri­al. Wir haben ja Zeit.

Das eigent­li­che Pro­blem bleibt frei­lich: Wie kann man auf einen der­ar­ti­gen Mist a) kom­men und b) so hart­hö­rig sein, dass einem nicht auf­fällt, dass »mach dein Schwein öffent­lich« im Deut­schen nicht idio­ma­tisch ist?
Und »ver­pfei­fen«? Schau­en wir doch mal in den Duden:

ver­pfei­fen … (ugs. abwer­tend): 1. anzei­gen, denun­zie­ren (1), ver­ra­ten: Mit­häft­lin­ge, sei­ne frü­he­ren Kum­pa­ne [bei der Poli­zei] v.; Eine Volks­ge­nos­sin… hat die­sen Para­si­ten am Volks­kör­per ding­fest gemacht, ange­klagt, belangt, über­führt, ver­pfif­fen (Zel­ler, Amen 193); Die Poli­zei hat seit eh und je davon pro­fi­tiert, dass Kri­mi­nel­le sich gegen­sei­tig ver­pfei­fen (Lind­lau, Mob 317); Kei­nen ein­zi­gen Namen hab’ ich ver­pfif­fen (Dege­ner, Heim­su­chung 51).…7

Fazit: Ein Blick ins Wör­ter­buch, der einem heu­te mit dem Inter­net leich­ter gemacht wird denn je, ist Pflicht für den Über­set­zer. Und nicht nur das: Leu­te, wer die Lust am Nach­schla­gen oder am Wort an sich nicht kennt, der hat doch bei der Über­set­ze­rei über­haupt nichts verloren.

Aber die eigent­li­che Bedeu­tung des über­set­ze­ri­schen Miss­griffs im Rah­men der klei­nen Kolum­ne, die ich mir für die­ses Jahr auf den Zet­tel geschrie­ben habe, ist fol­gen­de: »Mach dein Schwein öffent­lich« ist nicht Deutsch. Es han­delt sich um deut­sche Wör­ter, sicher, aber sie sind nicht zu einem idio­ma­ti­schen deut­schen Satz zusam­men­ge­fügt. Und das hat nun mal nichts mit Über­set­zen zu tun. In wel­che Spra­che denn, Herr­gott­noch­mal? Nur begeg­net einem die­se Art von Sät­zen nun­mehr seit vie­len Jah­ren. Dass sie hier und da sogar den Pla­gia­tor und sein Pla­gi­at ent­lar­ven, wird auch noch The­ma die­ser Kolum­ne sein.

»Ver­pet­zen« hät­te ich mir übri­gens noch ein­ge­hen lassen…

 

 

  1. die pas­sie­ren uns alle mal []
  2. was genau hat denn da nun jemand gesagt? hat er das tat­säch­lich gesagt? so gesagt? scheint mir wich­ti­ger denn je – anstatt vage / unprä­zi­se Annäh­run­gen an das Gesag­te []
  3. eine mei­ner gefühl­ten The­sen []
  4. msn unter­hal­tung, “MeToo”-Debatte: Schar­fer Gegen­wind aus Frank­reich []
  5. http://www.larousse.fr/dictionnaires/francais/balancer/7598 []
  6. Dar­auf, dass es heu­te nun wirk­lich kei­ne Aus­re­de mehr gibt, beim Über­set­zen puren Mist zusam­men­zu­schrei­ben, müs­sen wir auch noch zu spre­chen kom­men. []
  7. © 2000 Duden­ver­lag []
SlangGuy

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