Ich hatte hier, als ich seinerzeit die CD mit dem Soundtrack zu Sidney J. Furies The Ipcress File in der Post hatte, meiner Begeisterung für den Soundtrack des vom Bond-Paten Harry Saltzman produzierten Thrillers mit Michael Caine Luft gemacht. Besorgt hatte diesen Bond-Komponist John Barry, und während ich damals keine Ahnung hatte, wer auf die famose Idee gekommen war, ausgerechnet eine überdimensionale Variante des guten alten Hackbretts – mehr oder weniger ein offener Konzertflügel, der mit Klöppeln bearbeitet wird – einzusetzen, habe ich dieses Rätsel nun doch tatsächlich gelöst …
… nicht nur gelöst, sollte ich sagen, ich hatte des Rätsels Lösung seit Jahren schon auf einer der zahlreichen USB-Platten, die – mal zugeschaltet, mal nicht – an meinem Recherche-Computer hängen. Also lassen Sie mich das mal genauer ausführen …
Beim Durchforsten meiner stattlichen Reihe schöner schwarzer WD-Books nach etwas ganz anderem stieß ich neulich auf eine Datei mit dem rätselhaften, aber vielversprechenden Titel »john barry untitled.mp3«, hinter dem sich doch tatsächlich ein Interview mit John Barry verbarg, das seine Biografin Eddie Fiegel mit dem Maestro geführt hatte. Wow, was für ein Fund! Ich hatte das mal aufgenommen, als es unter dem Titel The Lost Tapes auf BCC Radio 4 zu hören war. Entweder hatte ich es nur aufgenommen und nie angehört oder, was weit wahrscheinlicher ist bei meinem Gedächtnis – oder dem Mangel an selbigem – gehört und wieder vergessen. Tatsache ist, dass hier des Rätsels Lösung aus dem Munde des Mannes selbst zu hören ist. Aber lassen Sie mich etwas ausholen …
John Barry hat die Musik zu über 100 Filmen geschrieben und wurde für seine Soundtracks gleich mehrfach mit dem Oscar ausgezeichnet. Am bekanntesten ist er natürlich für seine James-Bond-Soundtracks, die übrigens der einen Hälfte des Produzentenpaars – Harry Saltzman – nie gefielen! Er wollte weder Shirley Basseys »Goldfinger« haben, noch ihr »Diamonds Are Forever«, worauf John Barry schließlich der Kragen platzte: Er forderte Saltzman auf, ihm die ersten paar Takte von »God Save The Queen« zu singen und warf ihm vor, schlicht unmusikalisch (»tone deaf«) zu sein – worauf Saltzman aus seiner Wohnung stürmte und wütend die Tür hinter sich zuknallte. Sein Partner Cubby Broccoli gab auf den Schock hin über einem Glas Jack Daniels kleinlaut grünes Licht.
John Barry, der – stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen – damals ohnehin nur mehr ein eher laues Interesses an Bond hatte, stieg denn auch erst mal aus; Beatles-Produzent George Martin stieg für Live and Let Die ein, für den Paul McCartney den phantastischen Titelsong komponierte, der jedoch – meiner Ansicht nach – erst später in der atemberaubenden Version von Guns n’ Roses so richtig zur Geltung kam. Es bedurfte einiger Überredung, Barry wieder für Bond zu gewinnen, aber die Luft war – für ihn – raus.
Übrigens war Barry auch dafür verantwortlich, dass Harry Nillsons »Everybody’s Talkin’« nach heftigem Widerstand der Offiziellen in den legendären Streifen Midnight Cowboy kam, bei dem Barry nicht nur als Komponist verantwortlich war, sondern auch die musikalische Leitung hatte. Diese Episode schildert Eddie Fievel in ihrer bereits erwähnten John-Barry-Biographie John Barry: A Sixties Theme, die ich mir nun auch als Kindle-e-Book gezogen habe. Ich hoffe, ich komme irgendwann mal dazu …
Aber beginnen wir von vorn, schließlich soll es hier um den Soundtrack zu der Len-Deighton-Verfilmung The Ipcress File gehen. John Barry hatte als Trompeter Swing gespielt, als plötzlich der Rock ’n’ Roll lärmig auf die Weltbühne trat. Das stellte über die Jugendkultur hinaus eben auch die musikalische Welt auf den Kopf. Er fand die neue Mucke durchaus faszinierend, das Problem für ihn war nur, dass das Genre eines Sängers bedurfte und er eben Instrumentalmusik machen wollte. Genialer Arrangeur, der er war, hatte er einige Riesenhits mit der britischen Ausgabe von Buddy Holly, dem Sänger Adam Faith. Mit seiner eigenen Truppe The John Barry Seven hatte er 1960 einen Riesenhit mit dem Instrumental »Hit and Miss«.
Hier sind nicht nur Anklänge an Duane Eddys »Twang«-Sound zu hören, sondern eben auch an die legendäre James-Bond-Melodie, die zwar Monty Norman – der erste, aber rasch gefeuerte Bond-Komponist – für Dr. No komponiert hatte, aber letztlich eben erst durch John Barrys Arrangement zur Legende wurde. Überhaupt sollte man hier anmerken, dass es in der Musik damals kaum den Produzenten gab, wie wir ihn seit den 60ern kennen. Wie Barry selbst in dem Interview erzählt, war damals bei den Aufnahmesessions ein A&R-Typ mit von der Partie, der mehr oder weniger zweckfreie Kommentare zu dem Gehörten abgab. Überhaupt schaffte Barry alles, womit er Triumphe feierte, gegen den Widerstand phantasieloser Geister, die nicht über den Rand ihres flachen Tellerchens hinaussahen. Wie er in dem Interview so schön sagt: »Nobody knows until they know.« Bis ihnen die Leute sagen, was ihnen gefällt. Und wenn der Erfolg sich dann einstellte, taten sie ihre Ignoranz lachend ab: Wir machen doch alle Fehler. Erinnert mich stark an meine Erfahrungen als Übersetzer mit dem Lektorat, das bei mir leider denn doch immer mehr oder weniger das letzte Wort hat. Man kommt gegen Ignoranz eben schlicht schlecht an. Format, Format, Format – darüber kommen Kleingeister eben nicht hinaus. Wie auch immer, es waren Adam Faiths Filme, allen voran Beat Girl1, die Barry die Möglichkeit gaben, endgültig in die Filmbranche überzuwechseln.
Im Gegensatz zu meiner Wenigkeit konnte Barry sich aber eben doch immer durchsetzen; er entwickelte seine eigene Technik, machte alles allein. Das ging soweit, dass Maurice Binder seine nicht weniger legendären Titelsequenzen – den Vorspann zu den Bond-Filmen – nach Barrys Musik gestaltete. Wie Barry erzählte, bekam der Vorspann zu Goldfinger im Kino eine Ovation, so hingerissen waren das Publikum von den revolutionären Bildern zu der nicht weniger revolutionären Musik. Revolutionär? Nun, dass bei der Musik zu Dr. No – für den es noch keinen Vorspann gab – auf die rockige Twangy-Gitarre ein Swing-Middle folgt, das war seinerzeit total neu – buchstäblich unerhört!
Eine witzige Anekdote zu Shirley Basseys »Goldfinger« erzählt Barry in dem Interview. Er guckt im Branchenblatt Billboard nach seinem Titel, ging die 90er durch, fand den Song. In der nächsten Ausgabe sucht er in den 90ern, fand nichts, ging die 80er durch. Nichts. »Das hast du vermasselt«, sagte er sich, zutiefst enttäuscht. Aber als er das Heft am Abend nochmal zur Hand nahm, sah er, dass er auf Platz 1 war – die Beatles auf Platz 2. »I went crazy.« Er hatte schon gedacht, der taube Saltzman könnte doch recht gehabt haben. Bei Diamonds wiederholte sich das wie gesagt: »Gefällt mir nicht, ich will so was nicht in meinem Film.« Tja. der Erfolg gab ihm auch diesmal recht.
Aber nach all dem Background nun endlich zu dem bahnbrechenden Thriller The Ipcress File. Barry hatte sich einige Zeit vorher schon mit dessen damals eher unbekanntem Hauptdarsteller Michael Caine angefreundet. Mittellos, hatte Caine damals noch nicht einmal eine eigene Wohnung. Irgendwann klingelte er nachts um zwei bei Barry. Er habe keine Bleibe, hätte Barry nicht vielleicht ein Zimmer für ihn – nur für ’n paar Tage? Barry hatte und Michael blieb – »für eine Ewigkeit«, wie es schien. Caine schien ständig Geschirr zu zerdeppern, das er dann mit Spucke wieder zusammenpappte. Als Barry sich dann morgens vor Arbeitsbeginn eine Tasse Tee einschenkte, hatte er gerade mal einen Henkel in der Hand. Caine war jedoch dann bereits auf Arbeitssuche. Mit der Knete, mit der er für The Ipcress File rechnen konnte, kaufte Caine sich dann eine eigene Wohnung. Ich entsinne mich noch eines Interviews mit Michael Caine, in der er sich gefragt sah, ob ihm die Musik zu dem Film bekannt war. Worauf Caine meinte, natürlich, er habe Barry doch Nacht für Nacht an dem verdammten Teil rumbasteln hören. (Ich hoffe, ich finde das noch mal.)
Was nun das Cimbalom – ist das dasselbe wie ein Zymbal? – anbelangt, so war dessen Einsatz – in Beantwortung meiner ersten Frage: »Wer kam auf die Idee, das merkwürdige Teil in einem Thriller einzusetzen?« – seine ureigene Idee. »Warum nehmen wir nicht ein Cimbalom«, fragte er bei einer Beratung bezüglich des Soundtracks den Produzenten des Films Bryan Forbes (dessen leider nie übersetzter Roman The Rewrite Man übrigens herrliche Einblicke ins Filmgeschäft – und Hollywoods Verständnis von europäischer Geschichte – liefert). »Was in aller Welt ist das denn?«, fragte der überrascht. Nun, sehen Sie – mit freundlicher Unterstützung von Wikipedia – selbst:
Inspiriert hatte Barry dazu Anton Karras’ Zither-Melodie zu Orson Welles’ Klassiker Der dritte Mann. Ich erinnere mich an ein Interview mit dem Regisseur Carol Reed, der erzählte, dass er während der Dreharbeiten in Wien eines Abends mit seinem Team in einem Beisl saß, in dem Karras – zum Heurigen? – aufspielte. Fasziniert, forderte Reed den Wiener Volksmusiker auf, ihm eine Titelmelodie zu schreiben. Karras, meinte, das könne er nicht, schrieb ihm dann aber doch das phantastische Stückchen Zithermusik. Ebenfalls eine Zither zu benutzen, kam für einen Vordenker wie Barry natürlich nicht in Frage, das wäre denn doch zu platt gewesen, zu banal für eine Musik, die tatsächlich als Hommage an Karras’ Musik gedacht war. Er hatte jedoch in London einen Bekannten, der Musikinstrumente aus aller Welt zusammentrug und sie zu spielen lernte. Barry schrieb die Musik und sein Freund spielte sie ihm nach seinen Vorstellungen ein.
Es kam genau das heraus, was er sich vorgestellt hatte. »Ein einsamer Held, und der dazu passende Sound.« Die Töne immer schön ausklingen lassen. Den ganzen Film hindurch. »Er traf es haargenau.« Michael Caines damalige Freundin schlug vor, doch bei der Premiere am Kino am Leicester Square vorbeizufahren – und da standen die Leute rund um den Block Schlange! Für einen Film mit einem merkwürdigen Titel und einem so gut wie unbekannten Hauptdarsteller als Held.
Ps.: Für die Fachleute: Falls ich Ihnen mit dem Begriff »Hackbrett« etwas zu leichtfertig umgegangen bin, belehren Sie mich doch bitte gern in einem Kommentar.
Ist das nicht herrlich? Wenn Sie noch hier sind, freut mich das. Für mich ein kleiner Triumph, das Rätsel dieser mysteriösen Klänge gelöst zu haben. Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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