Categories: Sprachkolumne

Wort­my­then, »Fak­ten«, Can­cel Cul­tu­re & die Ukrai­ne – Zeug­nis­se der Dämlichkeit

Spä­tes­tens mit Donald Trump wur­de hier­zu­lan­de auch dem Letz­ten klar, dass es in ers­ter Linie die Ein­bil­dung ist, die Fak­ten bzw. Wahr­hei­ten schafft. Vlad der Pfäh­ler1 setzt hier nur noch einen drauf, indem er auf der Basis sei­ner alter­na­ti­ven Fak­ten einen Drit­ten Welt­krieg anzet­telt. Und unse­re »Wahr­heit« ist dies­be­züg­lich immer noch die, dass man mit sol­chen Leu­ten reden, an sol­che Leu­te appel­lie­ren kön­ne. Und das wie­der­um ist absur­der­wei­se die­sel­be trü­ge­ri­sche Gut­men­schen-Wahr­heit wie die des poli­tisch-kor­rek­ten Mobs, der da eine bes­se­re Welt dadurch zu schaf­fen meint, dass er ande­re niederkeift.

Ich weiß nicht, ob Sie alt genug sind, sich noch dar­an zu erin­nern, aber ich mei­ne die Geburts­stun­de des poli­tisch pseu­do­kor­rek­ten Mobs erlebt zu haben, bzw. fest­ma­chen zu kön­nen, der heu­te bös­ar­tig kläf­fend Poli­tik, Öffent­lich­keit und Leh­re ter­ro­ri­siert. Und ich spre­che hier nicht vom poli­tisch-kor­rek­ten Mei­nungs­ter­ror, der hier­zu­lan­de ab 1933 auf­kam, auch wenn der – was heu­te nie­mand wahr­ha­ben will – von ganz und gar der­sel­ben Mach­art war.

Und bevor mich jetzt jemand gleich in die eine oder ande­re ideo­lo­gi­sche Ecke stel­len zu müs­sen meint: Es geht hier nicht dar­um, wie edel (Gleich­heit, Gerech­tig­keit) oder dumm (Blut und Boden, Ras­sen­theo­rie) die Zie­le des einen oder ande­ren Mobs sein mögen; es geht hier noch nicht mal dar­um, war­um sich der eine oder ande­re die­ses Gedan­ken­gut zu eigen macht: Um der guten Sache wil­len? Oder ein­fach um end­lich auch mal was zu sagen zu haben, sich über ande­re zu stel­len, Macht über ande­re aus­üben zu kön­nen: Jetzt hat einer mit einem ansons­ten eher bra­chen Hirn end­lich auch etwas zu sagen.

Mit­nich­ten. Hier geht es, wenn man schon einen über­grei­fen­den Sinn sehen in mei­ne Äuße­run­gen sehen möch­te, allein dar­um, dass Leu­te auf der Basis auf­ge­schnapp­ter, aber in kei­ner Wei­se über­prüf­ter Infor­ma­tio­nen auf ande­re los­ge­hen, ande­ren den Mund ver­bie­ten, Anders­den­ke völ­lig legi­tim – ent­behrt das nicht einer gewis­sen Iro­nie? – »aus­gren­zen« zu kön­nen mei­nen. Ich spre­che von den ein­gangs erwähn­ten Falsch- oder Fehlinformationen.

Also, irgend­wann um die Mit­te der 70-Jah­re wur­de es plötz­lich Mode, Leu­te zurecht­zu­wei­sen, wenn sie das harm­lo­se Wört­chen »däm­lich« benutz­ten. »Weißt du, was du da sagst?« Ich weiß noch, wie ich das ers­te Mal erstaunt nach­frag­te: »Nö, was denn?« Und die Ant­wort dar­auf: »Na ja, ›Dame‹?« Nun, mal abge­se­hen davon, dass ich das Wort, zumal als Bay­er, der mit dem ver­wand­ten »damisch« auf­ge­wach­sen ist, auch wei­ter­hin benutzt hät­te, habe ich – im Gegen­satz zu all den Gäns­chen, von denen ich mich im Wei­te­ren noch ein­schlä­gig zurecht­ge­wie­sen sah – sofort nach­ge­schla­gen. Und dazu muss­te man damals doch tat­säch­lich noch in die Stadt­bü­che­rei. Von wegen Inter­net! Und danach war die­sen Nazis der Zahn schnell gezo­gen …
Zunächst mal ist die »Dame« im Deut­schen weit jün­ge­ren Datums als das ver­meint­lich dar­auf sich bezie­hen­de »däm­lich« bzw. des­sen Vor­läu­fer. Um den Grimm zu bemü­hen, den ich sei­ner­zeit entdeckte:

DAME, f. domi­na, mlat. dom­na, ital. dama und don­na, franz. dame, wel­ches wahr­schein­lich erst in der zwei­ten hälf­te des 17 ten jahr­hun­derts bei uns ein­ge­führt ist.2

Der Grimm weist zwar dar­auf hin, dass »Dame« selbst hier und da einen abwer­ten­den, sprich »anrü­chi­gen« Ein­schlag annahm, der jedoch aus­schließ­lich mit der Lebens­füh­rung einer Per­son zu tun hat­te, nicht etwa mit ihrem geis­ti­gen Poten­ti­al. Kei­ne Rede davon, dass ein sol­ches Frau­en­zim­mer »däm­lich« gewe­sen wäre:

HENISCH (1616) hat es noch nicht, wol aber STIELER (1691), der dabei bemerkt, zu sei­ner zeit sei das wort anrü­chig gewor­den und bezeich­ne das latei­ni­sche ami­ca, und in einem sol­chen ver­ächt­li­chen oder iro­ni­schen sinn wird es noch heut­zu­ta­ge vom volk gebraucht; … da si ver­nah­men dasz es Corin­na, eine in der gan­zen stadt bekann­te dame, wel­che an den fran­zo­sen gestor­ben sei 491.2

Und auch die offen­bar eher sel­te­ne abfäl­li­ge Ablei­tung »Däm­lein« ist nur eine Ver­nied­li­chung und hat mit »däm­lich« nichts zu tun:

DÄMLEIN n. abl. zu 1 dame. außer­halb von mdal. beding­tem obd., beson­ders schweiz. sprach­ge­brauch (s. schweiz. id. 12,1780) sel­ten bezeugt: 1691 däm­lein et däm­chen .. domi­nu­la, ami­cu­la, ado­le­s­cen­tu­la et non raro scor­t­il­lum sive mere­tri­cu­la STIELER stamm­baum 274. spöt­tisch für jun­ge frau von geküns­tel­tem beneh­men3

Also ver­ges­sen wir die »Dame« mal bes­ser schleu­nigst und sehen uns an, was es mit dem »däm­lich« tat­säch­lich auf sich hat. Begin­nen wir unse­ren ety­mo­lo­gi­schen Rück­blick mit dem Vor­läu­fer von »däm­lich«, den sel­bi­ges nach und nach ver­drängt hat und der sich ledig­lich in Bay­ern und Öster­reich gehal­ten zu haben scheint:

DAMISCH adj. abl. zu einem wort, dem germ. *þem- ((Þ oder þ (gespro­chen: [θɔrn], Thorn; islän­disch [θ̠ɔrtn̥], dort im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch Aus­spra­che wie þoddn [θ̠ɔtn̥]) ist ein Buch­sta­be in den Alpha­be­ten des Alt­eng­li­schen und der alt­nor­di­schen Spra­che sowie im heu­ti­gen islän­di­schen Alpha­bet. Auch in der Latein­um­schrift der goti­schen Spra­che wird er meis­tens anstel­le des „th“ ver­wen­det, da er im goti­schen Alpha­bet eben­falls durch einen ein­zel­nen Buch­sta­ben reprä­sen­tiert wur­de. Der Buch­sta­be ent­stand aus der Rune Thu­ri­saz.))4 zugrun­de liegt, das sei­ner­seits mit lat. tēmē­tum rausch­ge­tränk, tēmu­len­tus berauscht, ai. tāmya­ti ‘wird betäubt’ auf eine idg. wz. *tem- ‘geis­tig benom­men, betäubt’ zurück­führt. die anfangs häu­fi­ge­re form dämisch oder tämisch des seit dem 15. jh. obd., seit dem 16. jh. omd. bezeug­ten wor­tes ver­schwin­det bald nach 1900 aus dem lite­ra­ri­schen gebrauch, um der im bair.-öst. jün­ger allein gül­ti­gen form damisch platz zu machen. im spä­ten 18. und im 19. jh. gele­gent­lich auch im nd. raum, wo sonst gleich­be­deu­ten­des aber jün­ge­res däm­lich und damm­lig boden­stän­dig sind.
1 betäubt, benom­men, schwind­lig, um die mit­te des 19. jhs. auslaufend …

2 dumm, töricht, beschränkt; aus der kenn­zeich­nung eines vor­über­ge­hen­den phy­sio­lo­gi­schen zustan­des in die bezeich­nung einer ange­bo­re­nen eigen­schaft hin­über­wech­selnd. mit der ety­mo­lo­gisch vor­ran­gi­gen bedeu­tung 1 min­des­tens gleich­zei­tig nach­weis­bar im frü­hes­ten beleg schwer inter­pre­tier­bar und frag­lich ob hier­her gehörig …

3 gele­gent­lich auch ‘unver­nünf­tig, unbe­herrscht, zor­nig’: 1690 je /Bd. 6, Sp. 138/ mehr gott den leu­ten gie­bt, des­to mehr wol­len sie haben und des­to tämi­scher wer­den sie, wenn der lie­be gott nicht flugs auf­platzt, wie sie es haben wol­len WEISE see­le 274 DLE. 1905 des hat eben den seni­or so rab­bi­at gemacht, so damisch RUEDERER mor­gen­rö­te 13.

4 wie bei dumm, blö­de, ver­rückt u. a. auch unbe­stimm­ter, als blo­ßes schimpf­wort, auch auf sach­li­ches bezo­gen: 1696 wer mit dum­men ker­len zu thun hat, der muß sich eine dämi­sche mode gefal­len las­sen 1DWB 2,704. 1700 du dämi­scher dieb REUTER Ehren­fried 51. 1912 du dämi­scher gehil­fe fal­scher göt­ter ESSIG Napo­le­on 60. 1930 war es doch die­ser dami­sche pro­zeß? …3

Und damit’s bes­ser hält, das Gan­ze noch etwas gerafft:

damisch, Adj.; zur Ety­mo­lo­gie vgl. Dwb, Neub. 6, 137. ›unver­stän­dig, beschränkt, ver­wirrt, benom­men‹. Syn­tag­men: das dämi­sche hirn. Bedeu­tungs­ver­wand­te: unsin­nig, zer­rüt­tet. Wort­bil­dun­gen: dämisch­keit (3. V. 15. Jh.). Beleg­block: Wed­ler, W. Bur­ley. Liber 46v (moobd., v. 1452): All nar­ren sind tamisch, allain der weis ist reich. Turm­air 4, 50, 14(moobd., 1522/33): gabens auß für unsin­nig leut, after­weis, dämi­scher und zerüt­ter hirn traum. Bau­er, Hal­ler. Hie­ro­ny­mus-Br. 114, 32 (tir., 1464): im [dem mönch] wër das in dem schlaff für chö­men von plö­dik­chait des tämi­schen hirn. 

Ach ja, wir sind ja noch gar nicht beim ver­meint­li­chen Übel­tä­ter. Aber das ist nach all der Mühe schnell geschehen:

DÄMLICH adj. nd. abl. zur glei­chen wz. wie das mit ande­rem suf­fix gebil­de­te, wesent­lich älte­re obd. md. damisch, dämisch (s. d.). zuerst, neben gleich­be­deu­tend ange­setz­tem dämisch, bei FRISCH: 1741 däm­lich wb. 1,181c. in nd. mdawbb. und lite­ra­risch bei nd. autoren um 1800 und im 19. jh., dar­über hin­aus anfangs nur spär­lich. erst im 20. jh., das bair.-öst. aus­ge­nom­men, all­ge­mei­ner ver­brei­tet, die lite­ra­risch aus­ster­ben­de form dämisch des wor­tes damisch ersetzend. 

1 nur sel­ten noch in der bei dämisch lang­le­bi­gen bedeu­tung ‘benom­men, betäubt’ …

2 dumm (in grob ver­stär­ken­dem sinn), beschränkt, töricht. meist für eine grund­ei­gen­schaft, aber auch spe­zi­el­ler, in bestimm­ter hin­sicht, in einer bestimm­ten situation …

3 wie bei dumm, blö­de, damisch u. a. in jün­ge­rem gebrauch auch all­ge­mei­ner, unspe­zi­fi­scher, als stark abwer­ten­des prä­di­kat und als schimpf­wort, beson­ders in der neue­ren soldatensprache …

Das heißt nicht, dass der eine oder ande­re »Dame« und »Däm­lich­keit« nicht »wort­spie­le­risch kom­bi­niert« hät­te. Ich mei­ne, war­um soll­te sich die Ver­bin­dung dem krea­ti­ven Geist nicht eben­so auf­drän­gen wie dem däm­li­chen, der die Ablei­tung gleich als bare Mün­ze sieht? Aber um einen – von mir aus leicht hin­ken­den – Ver­gleich zu bemü­hen nur weil man einen unse­rer Kanz­ler mal als »die Bir­ne« bezeich­ne­te, heißt das noch lan­ge nicht, dass man des­sen Eigen­schaf­ten auch auf die Bir­ne über­tra­gen kann. 

Das Pro­blem, das ich mit so einem Den­ken bis­lang hat­te, war tat­säch­lich das Pro­blem des poli­tisch-kor­rek­ten Mobs, der mit tota­li­tä­ren Metho­den eine bes­se­re Welt zu schaf­fen meint. Jedem ver­nunft­be­gab­tem Wesen soll­te sich der Wider­spruch hier eigent­lich ohne wei­te­ren Fin­ger­zeig dar­auf auf­drän­gen. Macht sich da nie­mand etwas vor: Aus­gren­zen durch Nie­der­kläf­fen sind Nazi­me­tho­den, und es ist mir piep­egal, ob Sie nun die über­tra­ge­ne Bedeu­tung des Wor­tes »Nazi« akzep­tie­ren wol­len oder nicht; für mich beinhal­tet es nun mal die gesamt Band­brei­te abso­lu­tis­ti­schen, tota­li­tä­ren Den­kens und Tuns – für mich besteht da kein Unter­schied zu dem, was man his­to­risch dar­un­ter ver­ste­hen mag.5 Und Can­cel Cul­tu­re bzw. can­celn6 schreibt sich in mei­nem Kopf schmerz­li­cher­wei­se fol­gen­der­ma­ßen: »Kan­Zel-Kul­tur« – da steckt die selbst­ge­rech­te Pre­digt von der »Kan­zel« eben­so drin wie des­sen unver­meid­li­che Fol­ge­er­schei­nung: das »KZ«.

Wort­my­then, »Fak­ten«, Can­cel Cul­tu­re & die Ukrai­ne – alles das­sel­be: Zeug­nis­se der Däm­lich­keit. Wer mir bis­her gefolgt ist, soll­te das, was da jetzt auf der Basis all hier Gesag­ten den Men­schen in der Ukrai­ne wider­fährt, zu Den­ken geben …

Die Bild­chen stam­men von mitt­ler­wei­le gemein­frei­en Aus­ga­ben des Pho­to­play Maga­zi­ne, Nov. 1914, Pho­to­play Maga­zi­ne, Sept. 1915, Pic­tu­re-Play Maga­zi­ne, August 1922

  1. Wla­di­mir Putin für die Lang­sa­me­ren []
  2. Grimm [] []
  3. Wör­ter­buch­netz https://www.woerterbuchnetz.de/ [] []
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9E []
  5. Nichts ist Ver­gan­gen­heit: Hat­ten hier nicht vie­le Krieg in Euro­pa nicht auch für ver­gan­gen / unwie­der­hol­bar gehal­ten? []
  6. Can­cel Cul­tu­re ist ein poli­ti­sches Schlag­wort, mit dem sys­te­ma­ti­sche Bestre­bun­gen zum sozia­len Aus­schluss von Per­so­nen oder Orga­ni­sa­tio­nen bezeich­net wer­den, denen belei­di­gen­de, unan­stän­di­ge oder dis­kri­mi­nie­ren­de Aus­sa­gen bezie­hungs­wei­se Hand­lun­gen vor­ge­wor­fen wer­den. Ver­wand­ter Begriff ist Deplat­forming, das heißt der Ent­zug der öffent­li­chen Platt­form betref­fen­der Per­so­nen. Wiki­pe­dia []
SlangGuy

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