Allent­hal­ben – wo man hinguckt!

Spä­tes­tens seit den beschleu­nig­ten 50s eckt das Alter rasch mal an bei den Jün­ge­ren. Das ist nor­mal und gilt auch für die Spra­che. Aller­dings, soweit ich zurück­den­ken kann, nur für die gespro­che­ne Spra­che. Wer immer »zu mei­ner Zeit« ans Schrei­ben dach­te, der ori­en­tier­te sich an Bewähr­tem, sprich Gedruck­tem. Spra­che in Büchern und Zei­tun­gen war etwas anders, nicht etwas Ande­res, nein, etwas anders. Und drauf­ge­schafft hat man sich, par­don, gelernt hat man die­sen fei­nen Unter­schied durch Lesen …

»Allent­hal­ben« den­ke ich, nein, nicht gleich fas­sungs­los, aber doch leicht ver­wirrt, WTF? Ich weiß, wir leben in einer Zeit, in der es sprach­lich im All­ge­mei­nen zu nicht viel mehr reicht als LOL, ROFL, OMG und pseu­do­kor­rek­ten Asterisk*innen, aber wir machen doch hier ein Buch, herr­gott­noch­mal, die Über­set­zung eines Buches aus der Feder einer Jour­na­lis­tin und einer gestan­de­nen oben­drein. Allent­hal­ben, so heißt es hier in den Kom­men­ta­ren mei­nes Manu­skripts, das sei ja wohl süd­deutsch, auf gut Deutsch also Dia­lekt! Die Dia­lekt­klat­sche! Die strengt mich nach vier­zig Jah­ren in der Bran­che denn doch immer wie­der durch­aus etwas an.

Aber der Rei­he nach. 

Ich wäre bis­lang nie auf den Gedan­ken gekom­men, dass es hier­zu­lan­de über­haupt jeman­den geben könn­te, der das Wort »allent­hal­ben« nicht kennt. Gleich zwei sol­cher Zeit­ge­nos­sen inner­halb einer Woche ken­nen­zu­ler­nen, zu allem Über­fluss auch noch Leu­te, die einen redi­gie­ren, sprich kor­ri­gie­ren wol­len? In einer Zeit, in der ich zuneh­mend genervt höre, mei­ne Sät­ze sei­en zu kom­pli­ziert, bim­melt es da sofort bei mir: Haben die Deutsch auf ihrem Han­dy gelernt! Haben die noch nie ein Buch gele­sen? Eine Zei­tung? Irgend­was? Etwas ande­res als has­tig hin­ge­sims­te Belang­lo­sig­keit? Aber natür­lich täuscht man sich auch mal, ver­rennt sich. Das will ich nun wirk­lich nicht. Schon gar, wenn ich – wie hier – dabei bin, jeman­dem an die Kar­re zu fah­ren. Außer­dem gehe ich grund­sätz­lich allem nach, erar­bei­te mir jedes Wort, wenn auch in der Regel schon, bevor ich es in einer Über­set­zung ein­set­ze. Was ich im Fal­le von »allent­hal­ben« frei­lich nicht mehr für nötig hielt. Aber was soll’s, das wür­de mich nun doch interessieren … 

Fast genie­re ich mich, das mei­ner Ansicht nach allent­hal­ben bekann­te Wört­chen hier defi­nie­ren zu sol­len; hät­te ich bis­her für Klug­schei­ße­rei mei­ner­seits gehal­ten. Aber sei’s drum: 

al|lent|hal|ben <Adv.> [-hal­ben] (geh. ver­al­tend): über­all: das Lied ist jetzt a. zu hören; Die Kon­ven­ti­on von Tau­rog­gen… lös­te unter den Ost­preu­ßen a. Erleich­te­rung aus (Dön­hoff, Ost­preu­ßen 128); ihre Augen… stie­ßen… a. auf Stö­ren­frie­de in der von ihr geschaf­fe­nen Ord­nung (Kro­nau­er, Bogen­schüt­ze 84).1

Exkurs: nur weil ich mir vor Jah­ren mal von Ver­lags­sei­te sagen las­sen muss­te, es kön­ne »schließ­lich nicht jeder einen 10-bän­di­gen Duden zu Haus haben«. Nun, einen 10-bän­di­gen Duden ken­ne ich nicht, und Dudens Gro­ßes Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che muss nicht jeder zu Hau­se haben, obwohl es eigent­lich jeder zuhau­se haben soll­te, der ein Manu­skript einer Über­set­zung – nicht nur von mir – redi­giert. Ich hab einen Tau­sen­der sei­ner­zeit für die sechs­bän­di­ge blaue Aus­ga­be berappt, dann einen wei­te­ren Tau­sen­der für die acht­bän­di­ge rote & schließ­lich sage & schrei­be 512 Euro für die ers­te CD-Rom-Fas­sung & hat­te trotz­dem eine, buch­stäb­lich, unbän­di­ge Freu­de dran. Habe die­se immer noch. Ich mei­ne, ist es da zu viel ver­langt, einem nicht ein­fach was aus den Fin­gern Geso­ge­nes ins Manu­skript zu schmieren? 

Wenn also schon nicht jeder Redak­teur einen Duden besit­zen muss, von mir aus, darf ich viel­leicht einen Kom­pro­miss vor­schla­gen? Es gibt das doch heu­te alles im Word Wide Web. Kos­ten­los! Und nicht nur den Duden. Das phan­tas­ti­sche DWDS zum Bei­spiel bie­tet eben­falls alles, was es für den sprach­li­chen All­tag so braucht. 

allent­hal­ben ver­al­tend über­all, an allen Orten. Bei­spiel: er fand allent­hal­ben größ­tes Entgegenkommen

Auch hier fin­det sich – wie im Duden – mit »ver­al­tend« der Hin­weis dar­auf, dass das Adverb offen­bar im Augen­blick nicht ange­sagt ist. Ande­rer­seits, schaut man sich die für Nerd­lin­ge wie mich stets inter­es­san­te Wort­ver­laufs­kur­ve an, eine etwas merk­wür­di­ge Bezeich­nung für etwas, was mit Häu­fig­keits- oder Nut­zungs­kur­ve womög­lich bes­ser benannt wäre …((Okay, das ist jetzt Klug­schei­ße­rei.)) Was mir auf den ers­ten Blick auf­fällt: Die Häu­fig­keit der Ver­wen­dung scheint sich doch tat­säch­lich mit den Jahr­zehn­ten zu decken, in denen ich zunächst mal beson­ders viel gele­sen habe und dann als Über­set­zer beson­ders gut im Geschäft war … inter­es­san­ter­wei­se … Fast möch­te man auf den Gedan­ken kom­men, dass da noch Leu­te in der Bran­che waren, die eben­falls gele­sen haben … hmmm

Übri­gens habe ich auch mei­ne gute alte Digi­ta­le Biblio­thek zura­te gezo­gen – was lei­der nicht mehr so geschmei­dig geht wie all die Jah­re vor der letz­ten Ver­si­on, weil man jetzt all die teu­er erstan­de­nen Bän­de anschei­nend nicht mehr kom­plett durch­su­chen kann. Wie auch immer, ich mei­ne die CD Deut­sche Lite­ra­tur von Luther bis Tuchol­sky. Groß­bi­blio­thek. Direct­me­dia • Ber­lin 2005 Digi­ta­le Biblio­thek 125. Hier habe ich 1984 Fund­stel­len – auch bei Tuchol­sky, den man ja wohl nicht als Bay­ern »abtun« wird … Oder Theo­dor Storm. Oder … Aber wie gesagt, das nur neben­bei; es fes­tigt nur mei­nen Ver­dacht, dass die bei­den Lek­to­ren jün­ge­ren Bau­jahrs sind und es mit Lesen nicht mehr so haben. Was frei­lich nie­man­den vom eif­ri­gen »Kor­ri­gie­ren« abhal­ten muss … 

Aber um noch mal auf die Dia­lekt­klat­sche – die natür­lich gegen uns Bay­ern bzw. die Süd­deut­schen ganz all­ge­mein gerich­tet ist – zurück­zu­kom­men, die mich nun wirk­lich seit 40 Jah­ren kolos­sal irri­tiert. Die Web­site des DWDS bie­tet hier­zu eben­falls groß­ar­ti­ge Mög­lich­kei­ten. So bie­tet etwa Der Tages­spie­gel, den ich bis­lang in Ber­lin wähn­te, 538 Fund­stel­len für »allent­hal­ben« zwi­schen 1996 und 2004. Aber blei­ben wir in Berlin. 

Die Ber­li­ner Zei­tung hat das Wört­chen »allent­hal­ben« zwi­schen 1994 und 2005 immer­hin 558mal. Wir haben also mit ande­ren Wor­ten im sel­ben Zeit­raum in etwa die­sel­be Tref­fer­quo­te wie beim Tages­spie­gel. Also, ich wür­de sagen, da ergibt sich doch lang­sam der Beleg für ein gesamt­deut­sches Bild. Aber jetzt hat mich doch der Ehr­geiz gepackt. Schöp­fen wir die gebo­te­nen Mög­lich­kei­ten doch mal wei­ter aus und gehen rüber nach Ham­burg, wo, glau­be ich, seit jeher Die Zeit gemacht wird. 

Die Zeit, die eben­falls nicht gera­de die Alt­baye­ri­sche Hei­mat­post ist, hat »allent­hal­ben« zwi­schen 1946 und 2018 gan­ze 3970x gedruckt. Ist das oft oder eher sel­ten, ich weiß es nicht. Ich möch­te ja nur sehen, ob ich das tat­säch­lich als Ein­zi­ger ver­wen­de und das auch nur, weil ich Süd­deut­scher bin. Seit der Klat­sche, »par­tout« sei ja wohl Dia­lekt, fliegt mir bei dem Vor­wurf eben rasch mal das Blech weg. Aber bevor ich hier lang als gekränk­ter Bay­er rum­mau­le, mir geht es ja hier auch um das Prä­di­kat »ver­al­tend«.

Um das also etwas zeit­na­her zu machen, blei­ben wir doch bei Der Zeit: Zwi­schen 2015 und 2018 fin­de ich eben­falls noch 82 Tref­fer. Damit mag »allent­hal­ben« nun sicher nicht mehr unter den augen­blick­lich ange­sag­ten Mode­wort­schatz fal­len, ich bin sicher »am Ende des Tages« und ähn­lich hirn­los aus dem Eng­li­schen Gezerr­tes kommt öfter vor. Aber den­noch bestärkt mich das in mei­ner Ver­mu­tung, dass da zwei Leu­te nicht nur kei­ne deut­schen Bücher, son­dern auch kei­ne deut­schen Zei­tun­gen lesen – oder jeden­falls nicht, weil sie sich für unse­re Spra­che interessieren. 

Aber sei’s drum, es gibt der Mög­lich­kei­ten ja durch­aus noch mehr. Sicher sit­zen im Deut­schen Bun­des­tag zwangs­läu­fig auch Süd­deut­sche, aber das heh­re Gre­mi­um ist defi­ni­tiv nicht der Baye­ri­sche Land­tag zu Zei­ten Josef Filsers, wobei mich schon inter­es­sie­ren wür­de, ob »allent­hal­ben« hier im süd­deut­schen Raum über­haupt jemand in den All­tags­mund nimmt; ich jeden­falls kann mich nicht erin­nern, das Wort im rich­ti­gen Leben je gehört zu haben … Ich habe es immer für Schrift­deutsch gehal­ten und – ich sage es noch­mal – wir arbei­ten ja schließ­lich an einer Über­set­zung, es geht um ein Buch. 

Ich wür­de mal sagen, das unschul­di­ge klei­ne »allent­hal­ben« ist damit zumin­dest vom Anwurf des Dia­lekts befreit. Was das »ver­al­tend« anbe­langt, nun, offen­sicht­lich ist es im Augen­blick nicht modisch, aber das will es viel­leicht auch gar nicht mehr in einer Zeit, in der modi­scher Wort­schatz sich vor allem aus fau­len, will sagen lau­si­gen Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen nährt. Am Endes des Tages wird hier selbst ein klei­nes Adverb kei­ne Schnitt­men­ge mit sich und die­ser Art von Erzäh­lung mehr sehen wol­len und eine rote Linie ziehen. 

Ach, eh ich’s ver­ges­se: Ich hän­ge nicht an »allent­hal­ben«, ganz und gar nicht, ich habe nichts dage­gen, wenn man es mir durch etwas Adäqua­tes ersetzt. Ich war nur erstaunt. Und bin etwas genervt, mich von Leu­ten redi­gie­ren, kor­ri­gie­ren, ver­bes­sern las­sen zu müs­sen, die das Wort schlicht nicht ken­nen, also offen­sicht­lich weder groß – oder auf­merk­sam – Bücher noch Zei­tun­gen lesen, das arme Adverb aus der Hüf­te geschos­sen im süd­deut­schen Raum ver­or­ten und zu faul zum Nach­schla­gen sind … 

Ach, eh ich’s ver­ges­se: »stän­dig« ist nun wirk­lich kein Ersatz für »allent­hal­ben« .… Aber okay, ver­al­tend, gut – was will man schon ver­lan­gen von jeman­dem, der einem in eine harm­lo­se Flos­kel wie »… und das obwohl … « ein zwei­tes »s« prak­ti­ziert: »… und dass obwohl … «? Ich darf wohl etwas pikiert sein, wenn man mich als Analpha­be­ten hinstellt … 

Fort­set­zung hier

  1. DUDEN – Das Gro­ße Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che © 2000 Duden­ver­lag []
SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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