Categories: Sprachkolumne

Robo­ter­deutsch Meets Papier­deutsch – zum tag­täg­li­chen Raub­bau am Sprachgefühl

So dank­bar man ist für Soft­ware, die einem das Leben erleich­tert, zumal wenn sie dann auch noch für lau zu haben ist, eines nervt dar­an immer wie­der, und das sind die Über­set­zun­gen selbst sim­pels­ter Anwei­sun­gen in ein Deutsch, dem es – gelin­de gesagt – am deut­schen Aus­druck gebricht. Egal, ob da nun ein Robo­ter über­setzt oder etwas sprach­lich gera­de mal Huma­no­ides, das mit die­ser neu­en Art von Spra­che auf­ge­wach­sen ist, das Ergeb­nis ist grau­en­haft: deut­sche Wör­ter, nach den Geset­zen des eng­li­schen Satz­baus anein­an­der­ge­reiht, sind noch lan­ge nicht Deutsch. Das Pro­blem ist nur, dass die lau­si­gen Sät­ze, die dabei ent­ste­hen, seit Jah­ren tag­täg­lich unun­ter­bro­chen auf einen ein­pras­seln, und längst die eine oder ande­re Gene­ra­ti­on mit die­sem sper­ri­gen Wort­sa­lat groß gewor­den ist … 

Wenn ich wis­sen will, wie vie­le Besu­cher sich die letz­ten 24 Stun­den auf mei­ner Web­site ver­lus­tiert haben, dann öff­ne ich Mato­mo, ehe­mals Piwik, eine Soft­ware für ein­schlä­gi­ge Ana­ly­sen. Da begeg­nen mir dann merk­wür­di­ge Satz­ge­bil­de wie dieses: 

Okay, las­sen Sie mal sehen: »Wel­ches ist die eine Sache, die Sie bei Mato­mo ver­bes­sert sehen wol­len und war­um?« Ich kann mir den­ken, was da im Eng­li­schen steht, ja, aber wir über­set­zen doch ins Deut­sche, und im Deut­schen haben wir die­se Art der Fra­ge nun ein­mal nicht: »What is the one thing …?« Ich den­ke noch nicht mal, dass da im Ori­gi­nal »which« steht … 

Wie auch immer, neh­men wir nur mal »wel­ches«. Dass sich dar­an hier nie­mand stört, liegt sicher nicht zuletzt an der mega­ner­vi­gen Renais­sance von »wel­cher, wel­che, wel­ches« als Rela­tiv­pro­no­men, schlim­mer­wei­se sogar auf Per­so­nen bezo­gen. Sor­ry, aber was ist denn so schwie­rig an »der, die, das?« Noch schlim­mer ist, dass man »wel­ches«, so fürch­te ich, für intel­li­gen­ter oder was weiß ich hält, weil es mehr Sil­ben hat. Wür­de alles in mei­ne Theo­rie pas­sen, laut der man kom­pli­ziert und sper­rig heu­te als »hip« empfindet. 

Aber las­sen wir das mal bei­sei­te. »Wel­che Far­be hat dein Auto?« Das ist ein legi­ti­mer Fall für »wel­che«. Pro­bie­ren Sie mal den umständ­li­chen Mist nach dem obi­gen Mus­ter: »Wel­ches ist die Far­be dei­nes Autos?« Falls Ihnen dar­an nichts komisch vor­kommt, so sind Sie bereits ein hoff­nungs­lo­ser Fall und dem gera­de mal huma­no­iden Zom­bie­deutsch längst erle­gen bis hoff­nungs­los ver­fal­len. Aber dann wür­den Sie hier längst nicht mehr mit­le­sen, wären ver­mut­lich noch mal in mei­ner Grantle­cke gelandet … 

Dass man »thing« unbe­dingt über­set­zen zu müs­sen meint, sei es mit »Ding« oder – wie in die­sem Fall – »Sache«, ist ein ande­res Ärger­nis, das hier im Blog schon mehr­mals ange­spro­chen wurde. 

Über­le­gen Sie mal, Sie sind in einer kri­seln­den Bezie­hung – soll es ja geben. Wür­de Ihr Part­ner Sie tat­säch­lich fra­gen »Wel­ches ist die eine Sache, die dich an mir so stört?« Falls ja, dann gebe ich Ihnen hier­mit Car­te blan­che für die sofor­ti­ge Been­di­gung Ihrer Beziehung … 

War­um nicht ein­fach etwas Deut­sches wie: »Was wür­den Sie gern ver­bes­sert sehen und war­um?« Oder: »Was möch­ten Sie ver­bes­sert sehen …«, »Was sol­len wir Ihrer Mei­nung nach ver­bes­sern …«. Und natür­lich geht’s auch im Deut­schen kom­pli­zier­ter: »Was seht auf der Lis­te Ihrer Ver­bes­se­rungs­wün­sche ganz oben an?« Oder: »Gibt es etwas, was wir unbe­dingt ver­bes­sern soll­ten?« Da lie­ße sich ins Asch­graue wei­ter formulieren … 

Eine wei­te­re duss­lig for­mu­lier­te Fra­ge bei Mato­mo ist die folgende: 

Auch hier zeigt sich letzt­lich wie­der nur die Hirn‑, Par­don, Gedan­ken­lo­sig­keit, mit der hier eng­li­sche Wör­ter ins Deut­sche gezerrt wer­den. Von der wie­der umständ­li­chen For­mu­lie­rung mal abge­se­hen, wie­so muss hier dop­pelt gemop­pelt wer­den? Wenn man schon meint, dem deut­schen Benut­zer »pain points« zumu­ten zu kön­nen, wie­so dann die Über­set­zung? Wie­so nicht ein­fach »Schmerz­punk­te«, wenn man schon meint, der­art wört­lich sein zu müs­sen. Was will der Dich­ter in der Aus­gangs­spra­che denn sagen? Wohl womit man Pro­ble­me hat, was einen an der Soft­ware nervt. Das lässt sich doch sicher auch irgend­wie auf Deutsch sagen. 

Und da aller guten Din­ge drei sind, im Eng­li­schen übri­gens auch, auch wenn man das dort etwas anders aus­drückt, hier noch so eine ner­vi­ge Fra­ge, die im Tur­nus mit dem ande­ren Quatsch erscheint:

Wie­der so eine ner­vig kom­pli­zier­te, ach was, bis zur Däm­lich­keit umständ­li­che For­mu­lie­rung einer an sich schlich­ten Fra­ge: »Was wol­len Sie mit Mato­mo errei­chen?« Was sich natür­lich aus­schmü­cken lässt, zum Bei­spiel mit einem »vor allem« oder einem »in ers­ter Linie«. Ich will da ja nie­man­dem drein­re­den, nur Deutsch soll­te es halt schon sein. 

Sor­ry, aber es wird mitt­ler­wei­le genau­so hirn­los »über­setzt« in einer merk­wür­di­gen Welt, in der man auch sonst allem hirn­los hin­ter­her­läuft, sich wo dran­hängt, die poli­tisch-kor­rek­te Wel­le rei­tet oder gar die seriö­ses­ten Medi­en der Welt als Lüg­ner bezeich­net, nur weil man lie­ber eini­gen Schwach­köp­fen glaubt, deren gan­ze Weis­heit sich in dem Rat erschöpft: »Schau doch sel­ber nach!« – im Web, ver­steht sich, wo der Schwach­sinn zuhau­se ist. Und war­um? Weil sie selbst nichts gefun­den haben; andern­falls bekä­men wir das von die­sen Idio­ten zu hören. 

Okay, da sind wir fast schon wie­der woan­ders, obwohl die Dumm­heit dahin­ter die­sel­be ist. Die neue Umständ­lich­keit im Deut­schen oder neu­deut­sche Umständ­lich­keit, die, in den Fäl­len, in denen Sie wenigs­tens Deutsch ist, fatal an Behör­den­schrei­ben, Anwalts­kau­der­welsch und sons­ti­ges Papier­deutsch erin­nern, trifft sich hier mit den auf den ers­ten Blick beein­dru­cken­den Maschi­nen­über­set­zun­gen, denen bei genaue­rer Hin­sicht eben die Gedan­ken zur Sache, zum Kon­text fehlen. 

Das Schlimms­te an all dem ist, dass es heu­te nie­man­dem mehr was aus­macht, ich mei­ne, dass sich kein Aas mehr dran stößt an die­ser sper­ri­gen Aus­drucks­wei­se, die für mich nichts ande­res ist, als eine Schach­tel Streich­höl­zer schlu­cken zu sol­len. Aber um jetzt mal wirk­lich pein­lich idio­ma­tisch zu wer­den: »Ste­ter Trop­fen höhlt den Stein.« Zeit­ge­mä­ßer: Wir sind längst dort, wo’s wehtut … 

SlangGuy

Übersetzer & Wörterbuchmacher

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