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König Leo­polds Selbst­ge­spräch (7)

Mark Twa­in brach­te 1905 — mit all der ihm gemein­hin zuge­schrie­be­nen Nai­vi­tät — sein Ent­set­zen über die ruch­bar gewor­de­nen Gräu­el zum Aus­druck, die man im Namen des bel­gi­schen Königs Leo­pold II. im Kon­go beging. Er tat dies in Form eines fik­ti­ven Mono­logs, in dem der König sei­ne Hand­lungs­wei­se auf him­mel­schrei­en­de Wei­se zu recht­fer­ti­gen ver­sucht. Es han­delt sich hier um ein Stück — durch­aus bru­ta­ler — Sati­re, wie man sie heu­te, wie’s aus­sieht, lei­der kaum noch fin­det. Sati­ri­ker wür­den sich denn ja auch gleich von min­des­tens zwei Sei­ten kri­ti­siert bis bedroht sehen

In die­sem sieb­ten Teil von Twa­ins bit­ter­bö­ser Sati­re bezeich­net sich der gute alte Leo­pold – wie heu­te der Donald – als poli­tisch ver­folgt; er spricht von einer unge­recht­fer­tig­ten Hatz auf ihn. Stets las­te man ihm die Feh­ler sei­ner Herr­schaft an; nie­mand spre­che von sei­nen guten Taten. Er wirft sei­nen Kri­ti­kern einen Man­gel an Selbst­ach­tung vor, sie wüss­ten schließ­lich ganz genau, dass sei­ne bru­ta­len Metho­den nicht nötig wären, wenn es eine ande­re wir­kungs­vol­le Metho­de gäbe, bei den Schwar­zen ein­zu­trei­ben, was ihm als Herr des Kon­gos zusteht. Und dann beklagt er den Gip­fel der Ver­teu­fe­lung sei­ner Per­son: Man durch­fors­te die Welt­ge­schich­te nach Per­so­nen und Ereig­nis­sen, die sei­ner Schlech­tig­keit gleich­kom­men, ohne fün­dig zu wer­den. Allein die Sint­flut, so klagt er, kom­me ihm in den Augen die­ser Läs­te­rer gleich … 

Mark Twa­in

König Leo­polds Selbst­ge­spräch
Eine Ver­tei­di­gung sei­ner Herr­schaft im Kongo

1905

in der Über­set­zung von Bern­hard Schmid © 20231

[Fort­set­zung von hier]

Bei alle­dem ver­zich­tet er geflis­sent­lich auf den Hin­weis, dass wir uns zur Gei­sel­nah­me gezwun­gen sehen, wol­len wir das uns Geschul­de­te ein­trei­ben, schließ­lich haben die Leu­te nichts, um zu zah­len. In die Wäl­der geflo­he­ne Fami­li­en ver­kau­fen eini­ge ihrer Ange­hö­ri­gen in die Skla­ve­rei und sor­gen so für das Löse­geld. Er weiß, dass ich dem ein Ende machen wür­de, lie­ße sich eine weni­ger anstö­ßi­ge Mög­lich­keit fin­den, das uns Geschul­de­te ein­zu­trei­ben … Hmm – hier eine wei­te­re Kost­pro­be von der Deli­ka­tes­se des Herrn Kon­sul! Er berich­tet von einem Gespräch, das er mit eini­gen Ein­ge­bo­re­nen geführt haben will: 

Fra­ge: »Woher wisst ihr, dass die Grau­sam­kei­ten, die man euch ange­tan hat, vom wei­ßen Mann ange­ord­net wur­den? Das muss euch doch wohl von den schwar­zen Sol­da­ten ohne Wis­sen des wei­ßen Man­nes ange­tan wor­den sein.«

Ant­wort: »Die wei­ßen Män­ner sag­ten ihren Sol­da­ten: ›Ihr tötet nur Frau­en; seid ihr nicht Manns genug, Män­ner zu töten. Ihr müsst bewei­sen, dass ihr Män­ner tötet.‹ Also haben die Sol­da­ten, als sie uns töte­ten« (hier hielt er inne und zöger­te, dann wies er auf … und fuhr fort:) »dann haben sie … und sie zu den wei­ßen Män­nern gebracht, die dar­auf sag­ten: ›Es ist wahr, ihr habt Män­ner getötet.‹«

Fra­ge: »Du sagst, dass das wahr ist? Wur­den denn vie­le von euch so behan­delt, nach­dem man sie erschos­sen hatte?«

Alle [laut schrei­end]: »Nko­to! Nko­to!« (»Sehr vie­le! Sehr viele!«)

Es bestand kein Zwei­fel dar­an, dass die­se Men­schen nichts erfan­den. Ihre Vehe­menz, ihre blit­zen­den Augen, ihre Auf­re­gung waren nicht simuliert.«

Natür­lich muss­te der Kri­ti­ker all das ent­hül­len; ihm fehlt jeg­li­che Selbst­ach­tung. Sei­nes­glei­chen machen mir Vor­wür­fe, obwohl sie ganz genau wis­sen, dass ich die Män­ner nicht zum Ver­gnü­gen auf die­se Wei­se bestra­fe, son­dern nur als War­nung für ande­re Delin­quen­ten. Gewöhn­li­che Stra­fen tau­gen nichts bei unwis­sen­den Wil­den; sie machen kei­nen Ein­druck. [Liest wei­te­re Abschnitts­über­schrif­ten]

»Regi­on ver­wüs­tet; Bevöl­ke­rung von 40.000 auf 8.000 reduziert.«

Zu sagen, wie es dazu gekom­men ist, das ist ihm die Mühe nicht wert. Ja, im Ver­schwei­gen ist er ganz groß. Er hofft, dass sei­ne Leser und sei­ne Kon­go-Refor­mer vom Schla­ge Lord-Aber­deen-Nor­bu­ry-John-Mor­ley-Sir-Gil­bert-Par­ker den­ken, dass die Leu­te alle getö­tet wur­den. Das wur­den sie nicht. Die gro­ße Mehr­heit von ihnen ent­kam. Sie flo­hen vor den Kau­tschuk­ein­trei­bern mit ihren Fami­li­en in den Busch und sind dort ver­hun­gert. Hät­ten wir das ver­hin­dern können?

Einer mei­ner trau­ern­den Kri­ti­ker bemerkt: »Ande­re christ­li­che Herr­scher besteu­ern ihr Volk, stel­len aber im Gegen­zug dafür Schu­len, Gerich­te, Stra­ßen, Licht, Was­ser und Schutz für Leib und Leben; König Leo­pold besteu­ert sei­ne geraub­te Nati­on, gibt aber im Gegen­zug dafür nichts als Hun­ger, Schre­cken, Trau­er, Schmach, Gefan­gen­schaft, Ver­stüm­me­lung und Mas­sa­ker.« Das ist ihr Stil! Ich gebe »nichts«! Ich brin­ge den Über­le­ben­den das Evan­ge­li­um; die­se anma­ßen­den Tad­ler wis­sen das, wür­den sich aber lie­ber die Zun­ge abschnei­den las­sen, als es zu erwäh­nen. Ich habe mei­ne Sol­da­ten mehr­mals ange­wie­sen, den Ster­ben­den Gele­gen­heit zu geben, das hei­li­ge Sinn­bild zu küs­sen; und sofern sie gehorch­ten, war ich zwei­fel­los das demü­ti­ge Mit­tel zur Ret­tung vie­ler See­len. Kei­ner mei­ner Ver­leum­der war so fair, dies auch nur zu erwäh­nen; aber las­sen wir das; es gibt Einen, der das nicht über­se­hen hat, und das trös­tet mich, das ist mein Trost.

[Legt den Bericht bei­sei­te, nimmt ein Pam­phlet zur Hand, wirft einen Blick über den Mit­tel­teil.]

Jetzt kommt das mit der »Todes­fal­le«. Ein zudring­li­cher Mis­sio­nar, der dort her­um­spio­nier­te – ein Rev. W. H. Shepp­ard. Spricht mit einem mei­ner schwar­zen Sol­da­ten nach einer Kom­man­do­ak­ti­on; bekommt ihn dazu, eini­ge Ein­zel­hei­ten aus­zu­plau­dern. So sagt der Sol­dat:
»Ich for­der­te 30 Skla­ven von die­ser Sei­te des Flus­ses und 30 von der ande­ren Sei­te; 2 Elfen­bein­spit­zen, 2.500 Kugeln Kau­tschuk, 13 Zie­gen, 10 Hüh­ner und 6 Hun­de, etwas Mais­mehl etc.«

»Wie kam es zu dem Kampf?«, frag­te ich.

»Ich ließ alle ihre Häupt­lin­ge, Unter­häupt­lin­ge, Män­ner und Frau­en, an einem bestimm­ten Tag zusam­men­kom­men und sag­te ihnen, dass ich dem gan­zen Thea­ter ein Ende machen wür­de. Als sie durch die klei­nen Tore hier kamen (die Umfrie­dung bestand aus Zäu­nen, die man aus ande­ren Dör­fern zusam­men­ge­tra­gen hat­te, von der hohen Sor­te, wie sie bei den Ein­ge­bo­re­nen üblich sind), ver­lang­te ich alles, was mir zustand, sonst wür­de ich sie töten; sie wei­ger­ten sich, mich zu bezah­len, und so befahl ich, den Zaun zu schlie­ßen, damit sie nicht weg­lau­fen konn­ten; dann töte­ten wir sie hier inner­halb des Zauns. Tei­le des Zauns fie­len um und eini­ge entkamen.«

»Wie vie­le habt ihr getö­tet?«, frag­te ich.

»Wir haben vie­le getö­tet, willst du eini­ge von ihnen sehen?«

Genau das woll­te ich.

Er sag­te: »Ich glau­be, wir haben zwi­schen acht­zig und neun­zig getö­tet, und was die ande­ren Dör­fer angeht, weiß ich nichts, ich bin da nicht selbst hin, ich habe mei­ne Leu­te geschickt.«
Er und ich gin­gen hin­aus auf die Ebe­ne gleich neben dem Lager. Dort lagen drei Lei­chen, denen von der Tail­le abwärts das Fleisch von den Kno­chen tran­chiert war.

»War­um hat man sie so zuge­rich­tet, es sind nur noch die Kno­chen da?«, frag­te ich.
»Mei­ne Leu­te haben sie geges­sen«, ant­wor­te­te er prompt. Dann erklär­te er: »Die Män­ner, die klei­ne Kin­der haben, essen kei­ne Men­schen, aber alle ande­ren haben sie geges­sen.« Auf der lin­ken Sei­te lag ein gro­ßer Mann mit einer Schuss­wun­de am Rücken und ohne Kopf. (Alle die­se Lei­chen waren nackt.)

»Wo ist der Kopf des Man­nes?«, frag­te ich.

»Oh, sie haben aus der Stirn eine Scha­le gemacht, um dar­in Tabak und Haschisch zu zer­rei­ben.
Wir setz­ten unse­re Unter­su­chung bis zum spä­ten Nach­mit­tag fort und zähl­ten ein­und­vier­zig Lei­chen. Der Rest war von den Leu­ten auf­ge­ges­sen worden.

Als wir zum Lager zurück­kehr­ten, kamen wir an einer jun­gen Frau vor­bei, der man in den Hin­ter­kopf geschos­sen und eine Hand abge­trennt hat­te. Ich frag­te war­um, und Mul­un­ba N’Cu­sa erklär­te, dass sie immer die rech­te Hand abtrenn­ten, um sie bei ihrer Rück­kehr dem Staat zu übergeben.

»Kannst du mir eini­ge die­ser Hän­de zei­gen?«, frag­te ich.

So führ­te er uns zu einem Gerüst aus Stä­ben, unter dem ein schwa­ches Feu­er glomm, und da waren sie, die rech­ten Hän­de – ich zähl­te sie, ein­und­acht­zig insgesamt.

Es gab dort nicht weni­ger als sech­zig gefan­ge­ne Frau­en (Bena Pian­ga). Ich habe sie selbst gesehen.

Wir sind uns einig, die­se Unge­heu­er­lich­keit so voll­stän­dig wie mög­lich unter­sucht zu haben, und befin­den, dass das im Vor­aus geplant war, um »so viel Zeug wie mög­lich zu bekom­men« und die armen Leu­te dann in der ›Todes­fal­le‹ zu fan­gen und zu töten.« 

Eine wei­te­re Ein­zel­heit, wie wir sehen! – Kan­ni­ba­lis­mus. davon berich­ten sie mit einer gera­de­zu belei­di­gen­den Häu­fig­keit. Mei­ne Ver­leum­der las­sen kei­ne Gele­gen­heit aus, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass ich als abso­lu­ter Herr­scher im Kon­go mit einem Macht­wort ver­hin­dern könn­te, was zu ver­hin­dern mir genehm sei, sodass ich selbst ver­übe, was immer dort mit mei­ner Erlaub­nis pas­sie­re, womit es ein ganz per­sön­li­cher Akt von mir sei; dass ich es ver­übe; dass die Hand mei­nes Hand­lang­ers nicht weni­ger wahr­haf­tig mei­ne eige­ne sei, als befän­de sie sich an mei­nem eige­nen Arm; und so stel­len sie sich mich im Staats­ge­wand vor, mei­ne Kro­ne auf dem Kopf, beim Mamp­fen von Men­schen­fleisch, ein Tisch­ge­bet auf den Lip­pen und ein gemur­mel­tes Dan­ke­schön an Ihn, von dem alles Gute kommt. Oje, oje, die­sen Weich­her­zi­gen braucht nur etwas wie der Bei­trag die­ses Mis­sio­nars in die Hän­de zu fal­len, schon ist es um ihre See­len­ru­he gesche­hen. Sie begin­nen gott­los zu läs­tern und machen dem Him­mel Vor­wür­fe, dass er so einen Unmen­schen leben lässt. Womit ich gemeint bin. Sie hal­ten das für unge­bühr­lich. Sie lau­fen zit­ternd umher und sin­nie­ren über die Ver­rin­ge­rung der Bevöl­ke­rung des Kon­go von 25.000.000 auf 15.000.000 in den zwan­zig Jah­ren mei­ner Regie­rungs­zeit; dann rei­ßen sie den Mund auf und nen­nen mich »den König mit zehn Mil­lio­nen Mor­den auf dem Gewis­sen«. Sie bezeich­nen das als »Rekord«. Und die meis­ten von ihnen begnü­gen sich nicht damit, mir ledig­lich die 10.000.000 vor­zu­wer­fen. Nein, sie den­ken, dass die Bevöl­ke­rung ohne mich sich durch natür­li­ches Wachs­tum jetzt auf 30.000.000 belau­fen wür­de, also rech­nen sie mir wei­te­re 5.000.000 an und erhö­hen mei­ne Todes­bi­lanz auf 15.000.000. Sie mei­nen, dass der Mann, der die Gans töte­te, die das gol­de­ne Ei gelegt hat­te, auch für all die Eier ver­ant­wort­lich gewe­sen sei, die sie spä­ter gelegt hät­te, wenn man sie in Ruhe gelas­sen hät­te. Oh ja, sie nen­nen mich einen »Rekord«. Sie wei­sen dar­auf hin, dass der Hun­ger in Indi­en zwei­mal pro Gene­ra­ti­on 2.000.000 von 320.000.000 Ein­woh­nern ver­nich­tet, wor­auf die gan­ze Welt vor Mit­leid und Ent­set­zen die Hän­de wringt; dann fra­gen sie sich, wo die Welt wohl Platz für ihre Gefüh­le fin­den wür­de, hät­te ich die Mög­lich­keit, zwan­zig Jah­re lang mit dem Hun­ger in Indi­en zu tau­schen! Der Gedan­ke beflü­gelt ihre Phan­ta­sie der­art, dass sie sich aus­ma­len, wie der Hun­ger nach Ablauf der zwan­zig Jah­re mit gro­ßem Zere­mo­ni­ell zu mir kommt, sich vor mir nie­der­wirft und sagt: »Leh­re mich, oh Meis­ter, ich sehe, dass ich nur ein Lehr­ling bin.« Und dann stel­len sie sich vor, dass der Tod mit Sen­se und Stun­den­glas mich bit­ten kommt, doch sei­ne Toch­ter zu hei­ra­ten, sei­nen Betrieb zu reor­ga­ni­sie­ren und das Geschäft zu füh­ren. Und das welt­weit, ver­steht ihr! Zu die­sem Zeit­punkt befin­det sich ihr fie­bern­der Ver­stand bereits in vol­ler Fahrt, und sie holen ihre Bücher her­aus und erhö­hen ihre Anstren­gun­gen, mit mir als The­ma. Sie durch­fors­ten sämt­li­che Bio­gra­phien nach mei­nem Pen­dant, arbei­te­ten sich nach allen Regeln der Kunst durch Atti­la, Tor­que­ma­da, Dschin­gis Khan, Iwan den Schreck­li­chen und Kon­sor­ten und bre­chen in bös­ar­ti­gen Jubel aus, wenn ihnen kei­nes unter­kommt. Dann neh­men sie sich die his­to­ri­schen Erd­be­ben und Wir­bel­stür­me vor, die Schnee­stür­me und Katak­lys­men und Vul­kan­aus­brü­che: ihr Urteil, kei­ner von ihnen nimmt es mit mir auf. Und wenn sie es end­lich geschafft zu haben mei­nen, schlie­ßen ihre Arbeit mit dem – wenn auch wider­wil­li­gen – Urteil, dass ich doch ein Pen­dant in der Geschich­te habe, wenn auch nur eines – die Sint­flut. Was maß­los über­zo­gen ist.

  1. THE P. R. WARREN CO., BOSTON, MASS. 1905, Copy­right, 1905 By Samu­el L. Cle­mens; ein Ori­gi­nal des gemein­frei­en Tex­tes fin­den Sie hier []
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