SlangGuy's Blog ...

König Leo­polds Selbst­ge­spräch (6)

Aus Mark Twa­ins Ham­mer von einer Sati­re aus dem Jah­re 1905 spricht das schie­re Ent­set­zen über die ruch­bar gewor­de­nen Gräu­el, die im Namen des bel­gi­schen Königs Leo­pold II. im Kon­go began­gen wur­den – nur um dem bär­ti­gen Mega­lo­ma­nen die Taschen zu fül­len. Twa­in ver­mit­tel­te den Hor­ror des Gesche­hens im Kon­go in Form eines fik­ti­ven Mono­logs, in dem der König sei­ne Hand­lungs­wei­se auf völ­lig zyni­sche Wei­se zu recht­fer­ti­gen ver­sucht. Ich stel­le mir das Gan­ze umge­schrie­ben und auf heu­ti­ge Men­schen­schin­der ange­passt vor, sei es der auf den grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Völ­ker­mör­der in Mos­kau, sei es der blut­rüns­ti­ge mensch­li­che Abschaum in Teheran … 

… oder auf Donald Trump, der es einem nun wirk­lich ein­fach machen wür­de, lie­ße sich doch aus zent­ner­wei­se zyni­schem Schwach­sinn zitieren … 

In die­ser sechs­ten Tran­che von Leo­polds zor­ni­ger Par­odie bezeich­net sich der gute alte Leo­pold – wie heu­te der Donald – als poli­tisch ver­folgt. Gera­de dass er nicht die Hän­de hebt, um sich sym­bo­lisch Hand­schel­len anle­gen zu las­sen. Aber das hät­te damals wohl auch nicht funk­tio­niert. Wie dem auch sei, wäh­rend Trump von der einen — offen­sicht­lich geis­tes­ge­stör­ten — Hälf­te des ame­ri­ka­ni­schen Vol­kes ein­ge­setzt und damit über jede Kri­tik erha­ben sieht, betrach­tet Leo­pold sich als ein von Gott ein­ge­setz­ter und damit über jede Kri­tik erha­be­ner Sou­ve­rän. Bei­de hal­ten sie Kri­tik an ihrer Per­son für Häre­sie. Kri­ti­ker bezeich­net er als hin­ter­fot­zig, ihre Offen­heit als eines Gen­tle­man unwürdig … 

Mark Twa­in

König Leo­polds Selbst­ge­spräch
Eine Ver­tei­di­gung sei­ner Herr­schaft im Kongo

1905

in der Über­set­zung von Bern­hard Schmid © 20231

»Ein Denk­mal zur Ver­ewi­gung mei­nes Namens.« —

[Fort­set­zung von hier]

»Wir blie­ben am Mon­tag den gan­zen Tag dort und spra­chen mit den Leu­ten. Am Sonn­tag hat­ten mir eini­ge der Jun­gen von eini­gen Kno­chen erzählt, die sie gese­hen haben woll­ten, und so bat ich sie am Mon­tag, mir die­se Kno­chen zu zei­gen. Nur weni­ge Meter von dem Haus, in dem ich wohn­te, ent­fernt lagen im Gras ver­streut zahl­rei­che mensch­li­che Schä­del und Kno­chen, in eini­gen Fäl­len gan­ze Ske­let­te. Ich zähl­te sechs­und­drei­ßig Schä­del und fand zahl­rei­che Ske­let­te, denen der Schä­del fehl­te. Ich rief einen der Män­ner und frag­te, was das zu bedeu­ten habe. ›Als das Thea­ter mit dem Gum­mi begann‹, sag­te er, ›erschos­sen die Sol­da­ten so vie­le, dass wir es leid wur­den, sie zu begra­ben, und sehr oft durf­ten wir das auch gar nicht, und so zogen wir die Lei­chen ein­fach hin­aus ins Gras und lie­ßen sie lie­gen. Es gibt Hun­der­te davon, wenn Sie sie sehen wol­len.‹ Aber ich hat­te mehr als genug gese­hen, und war der Berich­te der Män­ner und Frau­en über die schreck­li­che Zeit, die sie durch­ge­macht hat­ten, über­drüs­sig. Die bul­ga­ri­schen Gräu­el­ta­ten könn­ten im Ver­gleich zu dem, was hier geschah, als ein Aus­bund von Mil­de gese­hen wer­den. Ich weiß nicht, wie die­se Men­schen das über­stan­den haben, und ich fra­ge mich das noch heu­te beim Gedan­ken an ihre Geduld. Dass eini­gen von ihnen die Flucht gelang, ist ein Grund zur Dank­bar­keit. Ich blieb zwei Tage dort, und was sich mir beson­ders ein­präg­te, war das Sam­meln des Gum­mis. Ich sah, wie in Bon­go, lan­ge Rei­hen von Män­nern in den Ort kom­men, mit ihren klei­nen Kör­ben unter dem Arm; ich sah, wie sie als Ent­loh­nung dafür ihre Milch­kan­ne voll Salz beka­men, und die zwei Yards Kat­tun, die man ihren Anfüh­rern hin­warf; ich sah ihre zit­tern­de Scheu und, recht betrach­tet, so vie­les mehr, zum Beweis für die dort herr­schen­de Schre­ckens­herr­schaft und die fak­ti­sche Skla­ve­rei, in der man das Volk dort hält.«

Genau­so machen sie das: Sie schnüf­feln und spio­nie­ren und lau­fen mit jeder alber­nen Klei­nig­keit zur Pres­se. Und die­ser bri­ti­sche Kon­sul, die­ser Mr. Case­ment, ist genau­so. Er kommt in den Besitz des Tage­buchs einer mei­ner Staats­be­am­ten, und obwohl es sich um ein pri­va­tes Tage­buch han­delt und nur für die Augen sei­nes Besit­zers bestimmt ist, gebricht es Herrn Case­ment in einem Maß an Fein­ge­fühl und Kul­tur, dass er Pas­sa­gen dar­aus in Druck gibt. [Liest eine Pas­sa­ge aus dem Tage­buch vor]

»Jedes Mal, wenn der Kor­po­ral los­geht, um Gum­mi zu holen, gibt man ihm Patro­nen mit. Er muss alle unbe­nutz­ten zurück­brin­gen, und für jede benutz­te hat er eine rech­te Hand zurück­zu­brin­gen. M. P. sag­te mir, dass sie zuwei­len auf ein Tier geschos­sen hät­ten, um es zu erle­gen; sie hät­ten dann einem leben­den Men­schen eine Hand abge­schnit­ten. Zu dem Aus­maß, in dem dies geschieht, teil­te er mir mit, dass der Staat am Mam­bo­go in sechs Mona­ten 6.000 Patro­nen ver­braucht hat, was bedeu­tet, dass 6.000 Men­schen getö­tet oder ver­stüm­melt wur­den. Es sind mehr als 6.000, da mir die Leu­te mir wie­der­holt gesagt haben, dass die Sol­da­ten die Kin­der mit dem Kol­ben ihrer Geweh­re töten.«

Wenn der fein­sin­ni­ge Kon­sul Schwei­gen für wirk­sa­mer hält als Wor­te, dann setzt er es ein. So über­lässt er hier dem Leser den Schluss, dass tau­send Tötun­gen und Ver­stüm­me­lun­gen im Monat für ein so klei­nes Gebiet wie die Kon­zes­si­on am Mam­bo­go eine gro­ße Zahl sind, und lässt die Dimen­sio­nen still­schwei­gend erken­nen, indem er sei­nem Bericht eine Kar­te des rie­si­gen Kon­go­staa­tes bei­gibt, auf der kein Platz ist für ein so klei­nes Objekt wie die­sen Fluss. Die­ses Schwei­gen will sagen: »Wenn es in die­ser klei­nen Ecke tau­send im Monat sind, dann machen Sie sich eine Vor­stel­lung von der Gesamt­zahl in die­sem rie­si­gen Staat.« Ein Gen­tle­man wür­de sich nicht zu sol­chen Ver­stoh­len­hei­ten herablassen. 

Was die Ver­stüm­me­lun­gen anbe­langt. Man kann einen Kon­go­kri­ti­ker nicht den Mund schlie­ßen und dafür sor­gen, dass er geschlos­sen bleibt; er schlägt einen Haken und geht sofort wie­der, aus einer ande­ren Rich­tung, auf einen los. Sie sind aal­glatt und mit allen Was­sern gewa­schen. Als die Ver­stüm­me­lun­gen (das Abtren­nen von Hän­den, die Ent­man­nung etc.) Euro­pa in Auf­re­gung zu ver­set­zen began­nen, kamen wir auf die Idee, sie mit einer Erwi­de­rung zu ent­schul­di­gen, die ihnen unse­rer Mei­nung auf immer nach den Wind aus den Segeln neh­men, was das The­ma angeht, und auf die ihnen die Wor­te feh­len wür­den: wir scho­ben die­sen Brauch kühn den Ein­ge­bo­re­nen in die Schu­he und behaup­te­ten, wir hät­ten ihn nicht erfun­den, son­dern nur befolgt. Hat ihnen das den Wind aus den Segeln genom­men? Hat es ihnen den Mund gestopft? Nicht eine Stun­de lang. Sie duck­ten sich und parier­ten mit dem Ein­wand, »ein christ­li­cher König, der sich aus der Unter­schei­dung zwi­schen der Erfin­dung bar­ba­ri­scher Grau­sam­kei­ten und deren Über­nah­me von Wil­den mora­li­sche Erlö­sung ver­spricht, der möge, schon um der Barm­her­zig­keit, wil­len so viel Trost als mög­lich aus sei­nem Bekennt­nis ziehen!«

Die Hand­lungs­wei­se die­ses Kon­suls – die­ses Spi­ons, die­ses Wich­tig­tu­ers – ist wirk­lich erstaun­lich [nimmt die Bro­schü­re »Behand­lung von Frau­en und Kin­dern im Kon­go-Staat; was Mr. Case­ment 1903 sah« zur Hand] Kaum zwei Jah­re ist das her! Die­ses Datum der Öffent­lich­keit auf­zu­drän­gen, das war schon eis­kal­te Bos­heit. Die Absicht dahin­ter war, die öffent­li­che Wir­kung der Ver­si­che­run­gen mei­nes Pres­se­syn­di­kats zu unter­mi­nie­ren, laut denen ich im Kon­go schon seit Jah­ren nicht mehr so hart vor­ge­hen las­se. Die­ser Mann hat eine Vor­lie­be für Lap­pa­li­en – er schwelgt gera­de­zu in ihnen, ergötzt sich an ihnen, hät­schelt, ja strei­chelt sie, bevor er sie zu Papier bringt. Man braucht nicht erst ein­zu­dö­sen über sei­nem mono­to­nen Bericht, um das zu erken­nen; allein die Über­schrif­ten der Unter­ab­schnit­te bewei­sen es. [Liest]

»Zwei­hun­dert­vier­zig Per­so­nen, Män­ner, Frau­en und Kin­der, wer­den gezwun­gen, der Regie­rung wöchent­lich eine Ton­ne sorg­fäl­tig zube­rei­te­ter Nah­rungs­mit­tel zu lie­fern, und das alles in allem für die fürst­li­che Sum­me von 15s. 10d!«

Was ja wohl wirk­lich groß­zü­gig war. Immer­hin kam das auf knapp einen Pen­ny pro Woche für jeden Nig­ger. Das her­un­ter­zu­spie­len, passt die­sem Kon­sul in den Kram, obwohl er sehr wohl weiß, dass ich sowohl das Essen als auch die Arbeit umsonst hät­te haben kön­nen. Was ich mit tau­send Bei­spie­len bewei­sen kann. [Liest]

»Expe­di­ti­on gegen ein Dorf, das mit sei­nen (zwin­gen­den) Lie­fe­run­gen im Rück­stand ist; Ergeb­nis: Ermor­dung von sech­zehn Per­so­nen, dar­un­ter drei Frau­en und ein Jun­ge von fünf Jah­ren. Zehn Per­so­nen wur­den ver­schleppt und bis zur Frei­las­sung gefan­gen gehal­ten, dar­un­ter ein Kind, das wäh­rend des Mar­sches verstarb.«

  1. THE P. R. WARREN CO., BOSTON, MASS. 1905, Copy­right, 1905 By Samu­el L. Cle­mens; ein Ori­gi­nal des gemein­frei­en Tex­tes fin­den Sie hier []

Schreibe einen Kommentar